Die Orklande

  • DIE ORKLANDE

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    Mitnichten haben Orks leichtes Spiel, wagen sie sich einmal zu weit vor. Das karge Land erlaubt keine Überraschungen und der elfische Scharfsinn geht dem Übrigen nach. Die Grenzen sind seit jeher klar: Jenseits der Gebirgskette den Unseren, der Rest nicht. Viele Leben hat es erfordert, dem dragrischen Volk die Realität vorzuhalten, und noch mehr, ehe man sie annahm. Kriegsvernarrte Barbaren sind stolz auf ihr Wesen, in erster Linie, weil sie es nicht besser wissen, wenn man es aber genau betrachtet, der angeborenen Idiotie wegen. Solchen Geschöpfen einzutrichtern, ein Territorium sei unerreichbar, ist eine Kunst für sich. Die Konsequenz ist Kränkung der höchsten Sorte, dass schließlich der Schädelmeister alles in seiner Macht Stehende daransetzte, eine Armee historischen Ausmaßes aufzustellen, um der Welt das Gegenteil zu beweisen. Die orkische Rasse lässt sich nicht ungestraft bis an den Rand des Irdischen vertreiben. Ein Ork kämpft, ein Ork tötet, ein Ork erobert, ein Ork gewinnt. Als äußerste wie naheliegendste Bastion der antiorkischen Koalition ist Lyrindia bisweilen der größte Dorn im Auge. Die elfische Stadt einzunehmen und dort einen Fernposten aufzustellen wird einen geschichtsträchtigen Meilenstein darstellen, wie es ihn seit Generationen unserer Art nicht gab.

    Auch, aber nicht allein deswegen, wurde mir die Pflicht zugetragen, den Angriff zu führen. Ich, Ph’rak, der vierte Eisen mit dem verachtenswerten Gedankengut und der göttlichen Stärke. Begrüßen wird man es, mich unter dem Deckmantel des Kriegsrufes aus dem eigenen Lande zu bringen, um als Vasall zu dienen und die Interessen Dragrs zu vertreten. Eine bindende Lebensaufgabe und gleichzeitig ein Versuch, den formidabelsten Krieger aus den eigenen Reihen an der langen Leine, aber mit Bestimmtheit auch ein Stück weit bei Laune zu halten. Denn wie sehr habe ich bloß auf diesen Augenblick warten müssen? Es ist eine Chance, eine unvergleichliche Gelegenheit für mich und mein Bestreben nach Etwas, das sich mir noch entziehen mag, wonach jede Faser, jeder Knochen, jeder Muskel und jede Zelle meines Selbst schreit, brüllt, förmlich greift. Die Vollkommenheit, oder ein Teil meiner Erfüllung liegt draußen, und Lyrindia wird der Anfang sein. Zehn Kapitäne, 100 Elite-Orks, 1.000 Krieger und nochmal so viele Goblins sind dem Eisenrang unterstellt. Im Austausch für die Möglichkeit der Übernahme des höhergestellten Knochentitels, gewährte man mir die absolute Gewalt über diese, dass keine Mühen gescheut werden, die Operation zu einem Erfolg zu machen. So stehen mehrere Hürden bevor, von der Zeit die Entscheidendste sein wird. Die offene Strecke nach Lyrindia ist eine Riskante für sich, und zehn Tagesmärsche sind viel, vor allem für einen Feind, der sich eingehend vorbereiten kann. Vergangenen Erzählungen zufolge ist die Grenzstadt als solche keine allzu nennenswerte Bedrohung, anders als die unbekannte Gefahr mächtigerer Verstärkungstrupps ihrer Inneren. Die Festung zu sichern, bevor der ungünstigste Fall eintritt, wird die wahre Herausforderung sein, möchte man meinen.

    Doch nachdem die Schwelle des dritten Tages vor Erreichen der elfischen Hochburg überschritten und das erste Wirken geschulter Späheraugen vermutet wurde, war unlängst Eile geboten. Was Orks an Intelligenz fehlt, hat Urgh’xul der Physis zuteilwerden lassen, dass ein ausdauernder Lauf die Streitkraft binnen einer Nacht vor die Mauern des Stützpunktes brachte. In Schlachtreihe stehend, bereit, ein Massaker heraufzubeschwören, stampfen wütende Gebeine im Gleichtakt auf sorgsam hergerichtetem Grün, als Vorbote für das Kommende, dem herannahenden Grauen für hilflose Lyrindianer, einem Zeitalter des Blutes und des Verderbens, und dem ersten Kapitel im neuaufgelegten Buch der orkischen Rasse. Mit dem ersten Morgenlicht östlich des Schauplatzes, übertönt ein dumpferer Schlag den Lärm der Brigade; schneller, gewaltiger und fordernder, bringt er den Boden zum Erbeben, den umliegenden Fluss aus der Ruhe, die Vögel zur Flucht und mich in Rage. Staub fliegt in die Höhe, zieht eine Linie aus den hintersten Aufstellungen entlang der Bataillone vor, dass es sodann deutlich wird, der Sprint eines Einzelnen, dem Mächtigsten, dem nächsten Anführer und Herrscher über ganz Lyrindia, hin zum Tor, dass mit einem krachenden Schulterstoß in abertausende Einzelteilte zersprengt wird und dem kampfeswilligen Gefolge das Zeichen zum Einmarsch gibt.

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  • Sayrana
    13. Januar 2025 um 19:13

    Der Wind hatte uns als Erstes das Wort über die Orks herangetragen.


    Das Leben in Lyrindia schlägt im Einklang mit der Natur und ihren Bewohnern. Als kulturelle Hochburg hortet unser Volk hier immenses Wissen und die direkte Nähe zu den Göttern Eryndralis und Mythanis lässt etliche ihrer Anhänger hierher pilgern. Wir öffnen seit je her unsere Tore für jeden Elfen, der die Nähe sucht oder lediglich seine Geschichten mit uns teilen möchte.
    Wir, die Flüsterer des Mondseehaines, hören und werden erhört.
    Carfir ist unser ältester Windflüsterer. Seine Verbundenheit zu seinem Element ist selbst unter unsereins erstaunlich und er hört Dinge im Voraus, die oftmals nur die Orakel vorhersehen können. Doch die Lieder, die der Wind an seine Ohren trägt, sind schwierig zu verstehen. Diese Lieder sind doppelzüngig und verwirrend, weshalb wir ihnen zwar Gehör, aber weniger Glauben schenken. Als Carfir schließlich zu uns stürmt und verkündet, dass die Winde ihm von etlichen Orks sangen, glauben wir Priester ihm soweit wir können. Sicherlich stammt das Lied von hinter den Gebirgsketten. Dort, wo sich kein Elf und kein Mensch mehr aufhält. Dass es dort Orks gibt, ist uns bewusst. Nur ist uns genauso bewusst, dass sie es nicht über die Berge schaffen werden. Nicht, ohne vorher alles und jeden in Alarmbereitschaft zu versetzen.
    Also ziehen die Tage weiter an uns vorbei. Tage haben bei uns sowieso kaum eine Bewandtnis. Zeit ist ein Konstrukt, welches für uns Elfen nicht greift. Wir sehen den Tag- und Nachtwechsel, die Veränderung am Firmament. Ich für meine Teil halte meine täglichen Routinen ein, empfange Botschaften von Selendara und ergänze die Kristallbibliothek.
    Als Trisfiel mit schrecklichen Kopfschmerzen durch die Gänge des inneren Tempels wankt und mir in die Arme fällt, ahne ich nichts Gutes. Die schmale Elfin, die sogar noch kleiner ist als ich, wirkt blass und beinahe kränklich. Dabei werden wir praktisch nie krank. Immerzu schüttelt sie den Kopf und zittert, sie sagt: „Die Gräser schreien, Nyv. Die Bäume weinen und Blumen verkümmern. Sie… sie werden einfach zertreten von unzähligen Füßen. Es sind hunderte, Nyv. Hunderte von Orks.“
    Notgedrungen bringe ich Trisfiel zu einem unserer Heiler. Er ist genauso erschrocken darüber wie ich, dass die Floraflüsterin in solch einem desolaten Zustand ist. Wir beide sehen uns an und erstmalig dämmert es uns. Die Winde von Carfir haben nicht die Orks hinter den Gebirgen gemeint. Sie sangen von jenen, die schon davor gelangt waren. Trisfiels Reichweite ist überschaubar und das bedeutet, dass wir aktiv werden müssen.
    Jetzt.

    Gerade einmal einen Tag später reagieren die Fernsichter auf den äußeren Wachtürmen. Es befinden sich keine Warnglocken auf den Türmen. Solch plakativen Mittel benötigen wir nicht. Es reicht ein einzelner Pfiff, aufgenommen und gespiegelt von den anderen Sichtern, damit ganz Lyrindia in Aufruhr versetzt wird. Mit ihrer Gabe der Weitsicht können meine Brüder und Schwester wesentlich weiter sehen und wenn sie den Feind ausmachen können, dann bleibt uns nicht mehr viel Zeit.
    Nein, sogar noch weniger Zeit als uns lieb ist. So wenig Zeit, dass wir nicht auf Unterstützung hoffen können. Diese Orks werden gegen die Mauern und Tore der Stadt prallen und sie heimsuchen wie eine Plage. Sie werden im schlimmsten Falle alles hier zugrunde richten, sei es Elf oder Gebäude oder kultureller Schatz.
    Das können wir nicht kampflos aufgeben. Wir werden es nicht kampflos aufgeben. Dafür sind wir zu stolz, dafür sind die Orks schlichtweg zu minder bemittelt. Durch schiere Körperzahl stellen sie eine Bedrohung dar, aber das ist nichts, was unsere Magie nicht stoppen könnte. Wir werden dieser Horde an hirnlosen Muskelmassen Einhalt gebieten.

    Sämtliche Flüsterer haben sich in die inneren Gänge der Tempelanlage zurückgezogen. Dort halten sie Wache für den Fall des Falles, um mit Hilfe ihrer Segnungen Eindringlingen die Stirn zu bieten. Sowohl der Ahnenbaum als auch die Bibliothek müssen unter allen Umständen gesichert werden.
    Der Rat, bestehend aus ausgewählten Weisen, versammelt sich auf dem höchstgelegenen Balkon von Lyrindia. Auch ich stehe dort, direkt neben Keamenor, dem ältesten Elfen in Lyrindia. Er hat schon viele andere Elfen in den Westen ziehen oder zu den Ahnen gehen sehen. Aber jetzt, mit seinen Händen auf der Brüstung und den Blick gen Gebirgskette gerichtet, beschleicht mich ein ungutes Gefühl. Zuversicht ist eine Tugend, doch Keamenors Gesicht durchziehen tiefe nachdenkliche Falten. Es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich Zweifel in seinem Gesicht bemerke.
    „Ihr seht besorgt aus“, merke ich an und stelle mich neben ihn. Nur er selbst weiß um sein genaues Alter und niemand von uns hat ihn jemals danach gefragt.
    „Ich habe noch nie so viele Orks so koordiniert in eine Richtung marschieren sehen. Das ist ungewöhnlich“, antwortet Keamenor und eine Brise erfasst sein kunstvoll geflochtenes braunes Haar.
    Darauf erwidert niemand von uns etwas. In einer Mischung aus Faszination und Abscheu beobachten wir die Horde an Orks, die in der Ferne angerollt kommen und direkt auf Lyrindia zuhalten. Die ersten Zauber der Fernsichter werden gesprochen, um die Reaktion der Masse einzuschätzen. Aber die Körper schlucken den Angriff nur, wälzen über ihresgleichen hinweg ohne innezuhalten. Zu siebzehnt stehen wir hier auf dem Balkon und beobachten, wie der Feind näherkommt. Zu siebzehnt bemerken wir diesen einen Ork, der sich aus der Masse löst und Kopf voran allein gegen das Haupttor Lyrindias vorstößt. Zu siebzehnt belächeln wir den armseligen Versuch, allein durch das schwere und gesicherte Haupttor zu brechen. Und zu siebzehnt fällt uns das Lächeln von den Lippen, als es kracht und das Tor diesem einem Ork nachgibt.
    Wir sind nur noch dreizehn, als die graue Masse an Orks durch das Tor strömt und die Schreie und der Lärm sich in der gesamten Stadt ausbreitet.

    Mein Herz rast, als ich am Ufer des Mondsees stehe und die doppelflügelige Tür im Blick behalte, die den einzigen Zugang zum See markiert. In all meinen Lebensjahren ist mir ein Angriff noch nicht untergekommen. Die Zeit des Friedens prägt meine Geschichte, weshalb die Schreie meiner Brüder und Schwestern mir durch Mark und Bein gehen. Die Natur ächzt unter der Brutalität, mit der die Orks vorgehen und mein Herz wird schwer. Bewaffnet mit einem Bogen stehe ich dort, flankiert von Trisfiel, Keamenor sowie Rowarin, ein Schattensänger. Er trägt als einziger ein Rapier, wohingegen Trisfiel wie ich auch zum Bogen greift. Wir sind die letzte Abwehr bevor die Orks unseren heiligen Ahnenbaum auch nur berühren können.
    Draußen vor den geschlossenen Türen ist die Hölle ausgebrochen. Auch ohne es zu sehen spüren wir alle, wie Elfen gewaltsam ihr Leben ließen und vorerst nicht in ihre Ahnenreihen einkehren können würden. Das ging erst, wenn wir diesen Angriff überstanden und Zeit gefunden haben, die Toten entsprechend zu besingen und zu führen. Wir wissen jedoch, dass die Tür jederzeit aufgestoßen werden kann. Jederzeit würden wir Gewalt mit Gewalt beantworten müssen, um das zu schützen, was uns heilig ist.
    Und jederzeit ist uns bewusst, dass Lyrindia nicht gegen diese Übermacht an Orks gerüstet ist.

    Einmal editiert, zuletzt von Sayrana (19. Januar 2025 um 09:56)

  • Dunkelelfen mögen hinterlistig und für ihren Hang zur Lüge berüchtigt sein, hält man ihnen aber einen Hammer unter dem festen Griff eines Orks vor, weiß auch der Manipulativste seinen Lebenswert zu erkennen. Die uns zugetragenen Beschreibungen bestätigen sich, der Unterschied ist unverkennbar wie dezent. Von Rokd'nig abgesehen, kamen nicht viele unserer betagten Kämpfenden dazu, einem fleischlichen Elfen zu begegnen. Die Aussicht auf neue Beute fernab der gewohnten Arten des Unterreiches ist verlockend, und tollwütige Neugierde im Beisein kollektiver Blutlust erweisen ihr Übriges. In bekannter Manier, als wildgewordene Hyänen, haben Dutzende Krieger grünen Boden rotgetränkt, vorangeprescht durch lohnende Schreie hoffnungslos unterlegener Gegner, möchte man meinen. Ungeachtet des weitestgehend einseitigen Durchmarsches ist sie zweifelsohne zu erkennen, der leichte Anflug eines Widerstandes. Auf etwa 50 Mann findet sich wiederholt ein bedauernswerter Schwächling, von Ranken eingenommen, entweder unlängst darin zusammengewachsen oder bis zur Austrocknung gefesselt. Eine Kunst des Kampfes, der drowschen Natur ähnlich, in ihrer Essenz hingegen anderen Ursprunges wie es scheint. Faszinierend. Welch' Fähigkeiten doch derart mageren, ja um nicht gleich kränklich anmutenden Gestalten zu sagen, innewohnt. Es verlangt keine Vorerfahrung im Umgang mit Elfen, um die Berufung der hier Lebenden auszumachen; angsterfüllte Augen verraten sie, die ohne Gewalt leben. Die Einwohner Lyrindias kennen nur den Frieden. Ihre Ignoranz, die sich von maßloser Überheblichkeit der orkischen Rasse gegenüber kaum mehr trennen lässt, weil nicht ein ausgebildeter Verteidigungstrupp anzutreffen ist, soll daher ihr Untergang werden.

    Vom vertrauten Gemetzel umgeben, wagt es ein mutiges – oder doch bodenlos dummes – Fünfergespann, die gefährlichste aller Konfrontationen zu suchen. Aus mittlerer Entfernung flankieren unlängst Totgeglaubte drei zu sich Sprechende, deren zittrige Hände meine Körpermitte zu fixieren bemühen. Während dürre Pfeilspitzen vergebens an der steinharten Brustpartie wegprallen, ist es einzig meine Erwartungshaltung an das Kommende, wenn das Trio bereit ist, auf ihre einzigartig elfische Weise zum Angriff zu setzen, die sie vor dem elendigen Verenden befreit. Aufmerksam verfolge ich das unnatürlich schnelle Heranwachsen dicker Bepflanzungen, wie sie meine menschbreiten Beine umwickeln und dann den Rumpf einnehmen, ehe der Hals ungnädig umschlossen wird. Spannend. Was in der Momentaufnahme keine Handvoll an Sekunden übersteigt, ist im Schlachtfeld mit Stunden gleichzusetzen, und obgleich die Festnahme spürbar strenger meine Gliedmaßen in Schach zu halten gedenkt, wird den Fünf selbst ohne eigenes Zutun klar, dass ihr Vorgehen törichter nicht sein könnte.

    »Das ist zu wenig.« Knappe Worte, wirkmächtiger als jede noch so vorhandene Magie ihres beschränkten Arsenals. Der Angstschweiß ergießt sich über die sonst makellose Haut ihrer erstarrten Leiber, als ich mühefrei die Muskeln zusammennehme und fruchtlose Ranken in Tausende Einzelteile zersprenge, um sodann die letzten Schritte zu beschreiten, ehe ich vor dem Pack haltmache. »Eure Anführer. Wo sind sie?« Der kolossale Größenunterschied zwingt sie zum Aufblick und beraubt sie der Befähigung einer Antwort. Es bleibt die Frage offen, über welche Stärke ein Elf verfügt, dem das Schwert keine Fremdheit ist. Diese Lyrindianer sind nicht meines Talentes zur Tötung würdig. Enttäuscht blicke ich hinab, runter auf die vorausahnenden Gesichter der Gelähmten. Inmitten des Schlachthofes werde ich mitnichten Gewinnbringendes in Erfahrung bringen, daher wird ein Verbleib ohne jeglichen Sinn bleiben. Tief atme ich ein, dass der Luftsog die Gewänder der Gegenüberstehenden gar in Bewegung setzt; der aufbauschende Brustkorb schwillt an, weiter als es einem gewöhnlichen Krieger möglich sein sollte, und als kurzweilig Stille einkehrt, beugt sich schlagartig mein Oberkörper vor, hinab auf die Höhe der fünf, dass ein gewaltsames Gebrüll in allumfassender Lautheit deren Schädel vom Hals wegfetzt, zu Kugelgeschossen umdichtet und die Innenmauern der Festung durchschlägt. Was bleibt, sind kopflose Körperfontänen, auf Knien hinabgesackt und in wachsender Gesellschaft gleichsam kümmerlicher Dünnlinge.

    *

    In einem Punkt wird selbst Torgnuz keinen Einspruch einlegen: Ich bin eine Naturgewalt, die den Sieg herbeiführt. Es ist nur allzu bedauerlich, dass ich des trieblosen Denkens mächtig bin – gehe es nach dem Kapitän 43. Ranges, hätten wir unter anderen Umständen gar eine von Wohlwollen erfüllte Partnerschaft fürs Morden eingehen können. Die Wirklichkeit ist hässlicher; der Kämpfer mit dem Zweihänder verachtet mich nicht weniger als die gegenwärtig weggeschlachteten Elfen. Mir in jedem Bestreben vorauszusein und die Erträge einer Pflicht für sich zu beanspruchen, ist daher von nicht zu unterschätzender Wichtigkeit für ihn. Weil der Verlauf der Auseinandersetzung im offenen Feld früh voraussehbar wurde, entschied sich der ambitionierte Ork für die eigenständige Infiltration der Innengebäude. Zusammen mit 30 ihm hörigen Loyalisten und dem Hohlkopf Payktar, fuhren sie eine Schneise des Todes inmitten elfischer Hochbauten, von einem Korridor in den nächsten, weiter durch sämtliche Räumlichkeiten wie Säle, entlang einiger Ausnahmen, die überraschend mehr Gegenwehr abverlangten, bis der herausforderndste Kampf vor der bedeutsam verheißenden Tür geführt wurde. Aus dem hitzigen Geflecht flüchteten die beiden Kapitäne von Erfolgsgier geblendet, und betraten den strengbewachten Raum mit vier erwählten Unterlingen. Dass er sie letztlich vor einen See führen würde, war trotz der Befremdlichkeit unerheblich angesichts der vorstehenden Gegner. »Das ist es, der Hauptpreis.« Torgnuz' Riecher verrät ihm, dass Du keine gewöhnliche Elfe bist. Du, mit Deinen drei ebenso außergewöhnlichen Gefährten. Ihr seid es, die es am dringendsten zu erlegen gilt. »Worauf warten wir noch, Torgnuz? Töten wir sie!«, faucht Payktar wild, den Zweihänder bedrohlich gegen euch haltend, bevor die sieben Mann nach vorne stürmen, bereit für den Kampf.

  • Nach einer gar für unsereins unendlich langen Zeit öffnet sich die schwere Flügeltür vor unseren Augen. Weder Trisfiel noch ich haben jemals zuvor lebendige Orks zu Gesicht bekommen. Nur Keamenor, geschuldet seines hohen Alters, sowie Rowarin haben bereits Bekanntschaft zu früheren Zeiten mit ihnen machen können. Sie beide brüsteten sich in gewohnter Erfahrung, wohingegen die Floraflüsterin und ich mit Abscheu die Wesen mustern, die mit gierigen, kleinen Augen unser Heiligtum entweihen. Ich brauche einen Augenblick, ehe ich trotz meines feinen Gehörs die Worte entziffern kann, die diese Orks sprechen. Die Kristalle haben mich andere Zungen gelehrt, aber die Aussprache ist derart schroff und hart, dass es mich wertvolle Sekunden kostet, sie richtig zu verstehen.
    Rowarin hingegen reagiert nicht auf die Worte, sondern auf Taten. Als der erste Ork seinen Fuß auf den Boden des natürlich gewachsenen Grases setzt, tritt er bereits vor uns, sein Rapier auf den Feind ausgerichtet. Keamenor beginnt leise und dunkel in einen Singsang zu verfallen, den ich bei ihm noch nie zuvor gehört habe. Erst als einer der Orks etwas faucht und die Abscheulichkeiten nach vorn stürmen, reiße auch ich meinen Bogen hoch. Trisfiel war dabei noch etwas schneller, denn sie besang das Holz ihres Bogens, der daraufhin einen dorrigen Pfeil erwachsen ließ. Nur kurz nockt sie ihn an, dann fliegt der Pfeil surrend durch die Luft. Was auch immer Trisfiel da besungen hat – es reicht, um den Ork ganz außen nicht nur zurückzuschleudern, sondern auch in seine Schulter einzuschlagen, um ihn zurück zur Wand zu werfen und ihn dort festzunageln. Sofort richtet sich Trisfiel neu aus.
    Keamenor hält seinen Singsang bei und eine dezent leuchtende Hülle bildet sich um Rowarin, der weniger impulsiv, aber entschlossen, den Orks entgegentritt. Noch bevor die Meute nah genug an ihm dran ist, surrt ein neuer Pfeil durch die Luft. Dieser triff allerdings keinen Ork. Er landet mit einem dumpfen Geräusch im Boden, genau zwischen Rowarin und den Orks. Mein Pfeil. Mein Pfeil, der plötzlich bläulich zu leuchten beginnt und immer heller wird. Als schlauer Schattensänger reißt sich Rowarin die Arme vor sein Gesicht ehe ein greller Mondlichtblitz den Orks die Sicht nimmt. Dieses Zeitfenster nutzt der Elf, um seine mit Schatten verzerrte Klinge zum tödlichen Einsatz zu bringen. Es ist ein einzelner Vorstoß, dann fällt ein weiterer Ork, dessen Herz von der Schattenklinge durchstoßen worden ist.
    Zwei von den Orks wirken anders auf mich. Der eine trägt einen Zweihänder und scheint Rowarin als sein neues Opfer auszuerkoren. Der andere hat sich gerade mit seinen Kumpanen von meinem Lichtblitz erholt und sortiert die Lage neu: Er entscheidet sich, mit einem seiner Männer von Rowarin abzulassen und sich uns zu widmen. Ein Funken Angst kriecht durch meine Adern, als ich die hässlichen Kreaturen auf uns zu rennen sehe. Doch ich zertrete sie gedanklich mit meiner Ferse. Trisfiel und ich bauen uns vor Keamenor auf, der als einziger ohne Waffe hier steht. Doch die braucht er nicht. Keamenor brilliert in seiner Kunst wie sonst kein anderer Elf. Das wird deutlich, als Rowarin gegen drei Gegner Schwierigkeiten hat, zu bestehen. Er weicht mittels seiner Schatten dem Zweihänder elegant aus, doch manövriert sich dadurch in Hieblinie des Schwertes eines anderen Orks. Als die Klinge niedersaust, wird sie von dem goldenen Glühen um den Elf herum abgeblockt und zurückgeworfen. Doch das Gold flackert und nur wir wissen, dass es keine unüberwindbare Barriere ist, die Rowarin da umgibt. Er spielt auf Zeit, so wie wir auch, und das müssen wir ausnutzen. Wenn noch mehr Orks den Raum fluten, sieht es wirklich nicht gut für uns alle aus.
    „Nyv!“, schreit Trisfiel mir plötzlich zu und ich zucke zusammen. Die wertvollen Sekunden, die ich dafür aufgebracht habe, Rowarin mit Sorge zu beobachten, lassen den Feind in meiner direkten Nähe auftauchen. Ich stolpere einen Schritt zurück und reiße meinen Bogen hoch, aber den Schlag mit einem Schwert würde er nicht abhalten können. Bevor mich der Streich ereilen kann, brechen Wurzeln aus dem Boden hervor. Sie schlingen sich blitzartig um die Knöchel des Orks und reißen ihm die Füße weg. Mit einem Aufschrei fällt mit der Ork zu Füßen, doch Trisfiel zahlt den Preis dafür. Der zweite Ork, der aussieht wie ein Anführer, drischt mit seiner Waffe auf die Elfe ein, die mit jedem Schlag zurückweicht. Ein unsichtbarer Schild, erzeugt von Keamenor, hält die Schläge ab. Da er seine Aufmerksamkeit jedoch bei Rowarin hat, fällt Trisfiels Schild nach vier weiteren Schlägen. Die Waffe wird nur noch abgelenkt und versenkt sich in ihrem Bein. Schreiend fällt Trisfiel zu Boden und der Funken Angst in mir keimt erneut auf. Angst und Verzweiflung darüber, wie unfähig wir eigentlich sind. Ich bin keine Kämpferin, das war ich nie gewesen. Aber wieso haben wir uns nie für so einen Angriff gerüstet? Wieso bin ich ebenfalls so naiv gewesen zu glauben, dass Lyrindia niemals überfallen werden würde? Weil wir keine Schätze hüten, die für andere Rassen von Wert sind?
    Eine Hand ergreift meinen Knöchel und ich fahre zusammen. Der Ork am Boden hat die Wurzeln gelöst und den Moment genutzt, um mich zu packen. Eine wertvolle weitere Sekunde vergeht, dann übermannt mich der Todesmut. Ich höre auf die Stimme, die schon immer in meinem Inneren ist. Die mit mir spricht, die mich führt. Die mir die Magie verleiht, die hier sonst niemand besitzt. Ich greife gedanklich nach ihr, beschwöre sie in der Alten Sprache und dann leuchte ich. Silbrig wie das Mondlicht, immer heller, immer greller. Bis eine Lichtsäule um mich herum entspringt und den Ork verschlingt. Nur Sekunden hält die Säule an, dann erlischt sie und hinterlässt einen verkohlten Kreis auf dem Boden, mitsamt einem eingeäscherten Ork.
    Keamenor starrt mich entgeistert an bis Rowarin im Hintergrund schreit und Aufmerksamkeit einfordert. Ich hingegen taumle, getroffen durch den viel zu starken Ausbruch an Magie. Der Bogen fällt mir aus der Hand und ich reiße die Hände hoch, als ich sehe, wie der Anführer wieder auf Trisfiel loszugehen droht. Ein weiteres Mal erbitte ich die Mondgöttin um ihre Hilfe. Sie kann es doch nicht wollen, ihren Altar und ihre Kinder zu verlieren. Also rufe ich sie an und kleine Lichtfunken springen durch die Luft. Sie erzittert, vibriert, heizt sich auf. Wie eine Fata Morgana flimmert die Luft und erzeugt Abbilder von uns Vieren, die gar nicht da sind. Sichtlich irritiert beginnt der Ork die Trugbilder zu zerschlagen und ich nutze die Chance, um zu Trisfiel zu stürzen.
    „Kannst du laufen?“, frage ich sie hektisch und schaue immer wieder über meine Schulter zu den Orks.
    Trisfiel verzieht das Gesicht. Ranken winden sich um ihr Bein in dem Versuch, es zu stützen, und Moos wächst über den Schnitt, um die Blutung zu stoppen. „Noch nicht. Gleich. Nyv, die Gänge sind voll von ihnen…“
    „Mach schneller!“, fahre ich sie an und versuche mir nicht vorzustellen, dass eine ganze Horde an Orks hier auftauchen könnte. Ich weigere mich, so einfach zu sterben. „Rowarin kann sie nicht alle-„
    „Keiner kann so viele aufhalten“, knirscht die Floraflüsterin mit den Zähnen und ihre Augen werden wässrig. „Wir hätten auf Carfir hören sollen.“
    „Haben wir aber nicht. Jetzt müssen wir es so schaffen. Sie können unmöglich eine ganze Stadt ausmerzen!“
    „Warum nicht? Das sind Orks, Nyv. Dafür sind sie da.“
    „Das ergibt doch keinen…“ Mit einem Ächzen greife ich Trisfiel unter die Achseln und ziehe sie fort, als ein sehr nahes Trugbild zerschlagen wird.
    Sie klopft mir vehement auf den Arm. „Lass los. Du bist schnell. Geh einfach.“
    Ich schüttle sie kurz, aber heftig, sodass sie vor Schmerz stöhnt. „Kein ehrbarer Elf flüchtet vor einem Kampf.“
    „Du bist Priesterin, keine Kriegerin!“
    Ich beiße die Zähne zusammen und rapple mich wieder auf. Ich mag zwar eine Priesterin sein, aber mein Stolz ist ungebrochen. Kampflos werden wir hier nicht zugrunde gehen und das werde ich so vielen Orks beweisen, wie es eben sein muss.

    Einmal editiert, zuletzt von Sayrana (15. Februar 2025 um 22:48)

  • Glühen hin oder her, für Torgnuz ist das kein Grund, vom mutigsten Elfen abzulassen, erst recht nicht im Beisein zwei unterstützender Untergebene. Drei gegen eins, ein ungleicher Kampf, der zur Überraschung des Kapitäns noch immer läuft. Gewiss muss auch hier ein Trick dem Unvermeidlichen die Stirn bieten. Die Versatilität der Langohren ist unlängst bewiesen. Während Orks vor allem die direkte Konfrontation suchen, glaubt der Feind eine uns fremde Form der Wehr zu verstehen. Die Bogenschützen, das blendende Licht, die goldene Ummantelung und der waffenfreie Alte. Zu viel ist mittlerweile aufzuzählen möglich, doch ein Trick ist vor allem nichts weiter als ein Trick, und damit gelogen. Dagegen ist der Rapierschwinger greifbar, eine reelle Gefahr, die der Grauhäutige anerkennt und zu neutralisieren gilt. Soll sich Payktar um die Elfenweiber und den Baumgreis kümmern! Energisch wie zornig, schwenkt der Mann seinen schweren Zweihänder; ein Kraftakt für sich, ihm leichter fallend als den Unterlingen, aber zuweilen mit offenen Fenstern bietend. Gerade im Angesicht flinkfüßiger Leichtgewichte erweist sich der orkische Kampfstil als Nachteil und die seltsam mit Dunkel umzogene Stichnadel als tödlicher Konter. Es ist anzuzweifeln, ob der Elf ernsthaft verdrängt wird oder sich womöglich verdrängen lässt. Torgnuz stünde allerdings nicht in der obersten Riege unter Rangesgleichen, besäße er keinen hervorzuhebenden Kriegerinstinkt. Als der Treffer seines Orkloyalisten schmerzfrei am Elfen abprallt, erkennt er die Bedeutung der unnatürlichen Hautschicht, und von seiner eigenen Schlussfolgerung angetrieben, fällt der Blick auf den unbewaffneten Alten.

    Dessen Fehlbeteiligung am Kampfgeschehen ist auffallend. Eigenartig genug, um registriert zu werden, besonders nachdem der Torgnuz gegenüberstehende Gegner in dessen Richtung ruft - augenscheinlich um ihn einer Ablenkung zu entziehen. Ihm muss auch etwas aufgefallen sein! Niemals würde sich Torgnuz dazu herablassen, von einem Gefühl zu sprechen, am ehesten wohl noch von einer widerwärtigen Verdrehung in der Magengegend, und auch wenn er viel zu fixiert ist auf das Umliegende, hat ihn eine unwillkommene Eingebung kurzweilig ergriffen, in einem Moment Deiner Not, als ein Ork Dir zu nahe gekommen war und in die Nachwelt verbrannt wurde. Magie? Torgnuz ist sich nicht sicher, ohnehin bleibt keine Zeit dafür. Mit einem bösen Grollen befiehlt er einem Untergebenen, den Elfenältesten zu erledigen, dass der Rapierkämpfer nunmehr zu zweit zu bezwingen ist. Das Momentum liegt auf ihrer Seite, die Lichtwandler wirken unkoordinierter, Torgnuz‘ Hiebe konzentrierter; der goldene Schirm beginnt an Farbe zu verlieren, regelmäßiger zu flackern, weil es richtig war, beim waffenlosen Elfen die Teilhabe zu erzwingen. Mit dem verbliebenen Untergebenen im Paar, folgt ein gewichtiger Angriff dem Nächsten. Einzig der Fähigkeiten des Kapitänes ist es geschuldet, dass die sonst allrhythmisch vorhandene Lücke des Partners geschlossen wird. Im steten Wechsel, die Stärken ergänzend und die Schwächen ausmerzend, wird dem Elfen kein Augenblick der Ruhe gewährt. Ein leichter Treffer gelingt, der Schutzschild fällt ab, legt die blasse Haut des Gegenübers offen. Ein erneuter Schlagabtausch folgt; langwierig und zäh, begleitet vom mühsamen Keuchen und deftigem Klirren aus Eisen. Zwei Elite-Orks betreten den Raum, erkennen die Lage und stehen dem Niederrangigen im Kampf gegen den Ältesten bei – ein Hinweis, dass die Elfen vor der Tür vernichtet sind und der letzte lyrindianische Widerstand schon bald im Keim versiegt. Torgnuz versetzt die Zähigkeit des Rapierschwingers in Rage. Warum dauert das so lange?! Die Aussicht auf mein Eintreffen beunruhigt, gleichzeitig kommt ihm die wachsende Unruhe seines Kontrahenten ob des fortlaufend zuwiderlaufenden Kräfteverhältnisses zugute. Ihre Sorgen sind es, die dem Patt ein zügiges Ende liefern: Die Spitze des Rapiers, die sich in den Hals Torgnuz‘ hineinbohrt, während das Schwert des Unterlings den rechtsseitigen Bauchraum aufs Derbste aufschneidet. Frei von jedem Willen, fällt der Elfenkörper in sich zusammen; eine Blutlache weitet sich aus, der erschöpfte Kapitän dagegen erlebt zufrieden seinen Niedergang, zieht mit schmerzverzerrtem Gesicht die Klinge aus sich heraus und wirft das ärgerliche Stück in die Ferne. Derart lächerliche Wunden können einem Ork wie ihm nichts anhaben. Und Payktar? Von Dir noch eben zum Gehen genötigt, hat sein Zweikämpfer rückwärts die Brust des Elfenweibs aufgespießt. »Zart und weich, mein Elfenfleisch! Ein Elf weg, gleich bist Du weg!« Den hässlichen Fuß triumphierend auf dem Schädel der Toten absetzend, will sein Tötungstrieb auch Dich sich einverleiben. Die figurechten Illusionen waren zwar lästig, letztendlich aber sollte es sein Glück sein, dass er früher zu den Originalen fand. Dämlich blutlüstern grinst er Dich an, die Marschroute des Gefechts ist eindeutig. Ihr Elfen, ihr Lyrindianer, habt verloren, es ist eine fatale Niederlage, unabkehrbar wie bitter. Was Dir bleibt, ist ein Leben, also lauf, solange Du kannst.

  • Als Rowarin fällt fühle ich ein schreckliches Ziehen in meiner Brust. Über meine Schulter hinweg werfe ich einen Blick zu dem Schattensänger, der auf dem Boden zusammengebrochen ist. Noch schreien die Ahnen nicht um ihn, was mit bedeutet, dass sein Leben nicht verwirkt ist. Doch er bewegt sich nicht mehr, verschmilzt praktisch mit dem dunklen, satten Gras und hat seinen Kampf verloren.
    „Keamenor!“, schreie ich entsetzt und frustriert gleichermaßen los. Unser Oberhaupt mit seinen Jahrhunderten der Lebzeit hat doch so viel bereits erlebt. So viel gesehen, dass er irgendetwas unternehmen können muss. Aber als ich ihn im Gewirr der Leiber suche, sehe ich ihn lediglich dabei, wie er zurückgetrieben wird und nur in der Defensive agiert. Von mehreren Orks gleichzeitig wird er bedrängt, kann sich jedoch stabil halten, nachdem er Rowarin nicht mehr schützen muss.
    Alles ist ein heilloses Chaos von Körpern, Rufen und Lärm. Die zusätzlichen Orks, die nun durch den Eingang hereinströmen, bedeuten mir, dass die Gänge überlaufen sein müssen. Selbst mit meiner Geschwindigkeit wird es schwierig sein, unbescholten auch nur aus dem Komplex zu gelangen. Ich habe die Masse an Orks gesehen, die auf Lyrindia gestürmt sind. Selbst wenn ich es hinausschaffe – bis zu den Außentoren wird mein Weg mich vermutlich nicht führen. Als wir die Entscheidung getroffen haben, uns hierher zu verschanzen, war damit auch unser Ausgang klar. Ich muss mir etwas einfallen lassen. Etwas, damit unser Aufbegehren hier nicht völlig sinnlos gewesen ist…
    Ein Ruck geht durch Trisfiels Körper, und damit auch den meinen. Augenblicklich wird ihr Gewicht so schwer, dass es auch mich in die Knie zwingt, als sie zu Boden geht. Mein Kopf schnappt zu ihr herum, Schock schließt seine eiskalten Finger um mein glühendes Herz. Einen Augenblick später steht ein Fuß auf Trisfiels Kopf, das Gesicht mit den großen, leeren Augen in meine Richtung gewandt. Etwas bricht in diesem Moment in mir, als ich feststelle, dass auch die Ranken an ihrem Bein zu verdorren beginnen. Über mir grinst mich diese Ausgeburt an und ich schreie ihn an, als ich meinen Bogen mit beiden Händen packe und ihn gegen sein Bein schlage, damit er endlich seine hässlichen Stiefel von Trisfiels Kopf nimmt. Doch der Bogen prallt nur gegen sein Bein ab, wirkungslos.
    „Nyv, das Wasser!“, höre ich Keamenor von irgendwo rufen, aber mein Fokus hat sich einzig und allein auf diesen einen Ork zusammengeschrumpft. Die Trauer und der Zorn singen eine ganz eigene Harmonie in meinem Kopf, meinem Geist und jeder Zelle. Das Wogen von Magie füllt mich aus, als ich nach dem Bein des Orks greife. Meine Finger schließen den Kontakt gerade so, da bricht die Woge über mir zusammen. Wie vorhin entlädt sich das Mondlicht in Form von Hitze, doch dieses Mal so schlagartig, dass es zu einer Verpuffung kommt. Es knallt, es grellt auf und neue, tiefe Schreie erklingen. Da, wo gerade noch sein Fuß und Trisfiels Kopf gewesen sind, gähnt nun Leere. Noch immer hoch potent singt die Magie in mir und lässt mich schwummrig zurück, wäre da nicht erneut ein Ruf und das Geräusch von Wasser zu hören gewesen. Hastig stemme ich mich vom Boden weg und sprinte auf den See zu – das Refugium, in dessen Mitte auf einer kleinen Insel unser Ahnenbaum steht. Keamenor hat es mir gleichgetan und ist ebenfalls schon im Wasser auf dem Weg zur Insel. Mit einem weiten Sprung katapultiere ich mich ins Wasser und die Kälte schlägt mir direkt entgegen. Schwer wollen mich meine Bahnen an Kleidung hinabziehen, doch Angst fürchte ich keine. Das Wasser, durchsetzt von Jahrhunderten an Mondlicht, das durch das Loch in der Decke fällt, fühlt sich an wie Zuhause. Für einen Moment wird alles still, als Wasser alles ist, das mich umgibt. Für einen Moment kehrt die Ruhe in mein rasant schlagendes Herz ein und die Kälte kriecht in meine Glieder. Bis ich mit dem Kopf die Wasseroberfläche durchbreche und mit schnellen Zügen zu Keamenor stoße, der sich bereits am Ufer unterhalb des Baumes aufgerichtet hat. Die Erde unter meinen Händen und Füßen fühlt sich mehr als nur heilig an. Dieses Fleckchen Erde dürfen nur wenige Elfen betreten und ich gehöre dazu. Auf allen Vieren, was wirklich nicht elegant aussieht, aber darauf gebe ich gerade nur wenig, halte ich unmittelbar vor dem Wasser ein. Meine Fingerspitzen verschwinden im Schlamm und Wasser, eine stete Verbindung etablierend. Alles, was ich über die Zeit meines Lebens als Angehörige von Selendara angesammelt habe, wird eins mit dem Mondsee. Wir werden eins. Eine letzte Hürde, die es nicht mehr zu überwinden gilt. „Stoppt diesen Irsinn sofort! Ihr habt Lyrindia eingenommen, ihr könnt aufhören zu morden!“
    Neben Keamenor bricht der Boden in Dunkelheit auf. Ungesehen von Orks und Elfen ist Rowarins Körper im Erdreich verschwunden und durch die Schatten verbracht. Nebst dem Oberhaupt Lyrindias spucken die Schatten den verletzten Schattensänger aus, der sich schwer atmend die Seite hält, über die sich windende Finger schwarzer Schatten schlängeln. Der alte Elf kniet neben seinem Freund, um den Schaden einzuschätzen.
    Unter meinem finsteren Blick zeigen sich die Orks wenig beeindruckt. Einer von ihnen, nicht der, der Tris gefällt hat, scheint sich von Wasser nicht abhalten lassen zu wollen. Unbeirrt marschiert er auf das Ufer zu, doch nach dem ersten Schritt ins Wasser keift er auf und weicht zurück. Das unscheinbare Nass hat sich in ein ätzendes Loch verwandelt, das sich geradewegs durch Rüstungen und Fleisch frisst, befeuert durch die Magie, deren Anker ich darstelle.
    „Hört auf!“, fordere ich ein weiteres Mal so lautstark, wie ich kann.