Als Cat Zayne offenbarte, wonach es ihr eigentlich gelüstete, hätte er beinahe mit dem Kopf geschüttelt. Natürlich. Darauf hätte er auch selber kommen können. Fisch war etwas, was das Rack nur selten auf der Karte führte. Nicht unbedingt, weil Josh ihn nicht hätte zubereiten können, aber er hegte in der Regel eine Aversion gegen Gewässer und damit verbunden auch Fische. Es bedurfte in der Regel ein bisschen Überzeugungskraft, aber das viel größere Problem war eher das Lager. Zayne wusste nicht, ob sie überhaupt Fisch auf Lager hatten.
„Ich werde nachsehen lassen, was wir in der Küche zaubern können. Nur ob wir explizit Ihre genannten Gerichte umsetzen können, dürfte sich als schwierig erweisen“, wandte er ein und bemerkte, wie schwer ihm diese Worte fielen. Fast so, als würde er alles in seiner Macht Stehende tun, nur um ihr nicht widersprechen zu müssen.
Er hatte seinen Einwand gerade ausgesprochen, da fischte Cat nach ihren Braids und nötigte ihn dazu, den Blickkontakt dafür abzubrechen. Mit seinem Blick folgte er jedem Zentimeter, den sie ihre Braids ihre Hand entlang gleiten ließ. Er hing auch dann noch an ihrer Hand, als sie diese unverfänglich näher zu ihm an den Tisch legte.
Er riss seinen Blick von ihrer Hand los und begegnete wieder ihrem Blick. „Falls sich gravierende Dinge ändern sollten, gebe ich Bescheid. Ich bringe Ihnen erst einmal etwas zu trinken.“
Damit nickte er dem Vampir und auch Cat zu, wobei sie in den Genuss eines dezenten Lächelns kam. Dann wandte er sich ab und ging zurück zur Bar, wo er Tom die Limonade auftrug und sich selbst in der Küche um den roten Drink kümmern würde. Bevor er jedoch abziehen konnte, hielt Tom ihn am Ärmel zurück. „Was ist da denn gerade zwischen euch abgegangen?“
Zayne blickte den älteren Mann irritiert an. „Was meinst du? Wenn du denkst, ich habe Fanallüren raushängen lassen, muss ich dich leider enttäuschen.“
„Quatsch, dafür bist du zu professionell. Aber das war nicht normal wie ihr euch angesehen habt.“
Der Werwolf blinzelte. „… Das hast du nicht gerade wirklich gesagt.“
Tom stutzte und überdachte seine Worte. Als es ihm auffiel, hatte sich Zayne schon befreit und war in die Küche verschwunden.
Die Küche war relativ klein und hätte einen Trupp von Köchen nicht stemmen können. Manchmal gab es ein wenig Schwierigkeiten mit dem Gesundheitsamt, aber Tom kannte einfach zu viele Persönlichkeiten mit Rang und Namen, die kritische Gutachter einfach verschwinden lassen konnten. Deswegen wusste auch kaum einer von dem Gargoyle, der gerade vor einer Ablage stand, auf der mehrere kleine Schälchen drapiert worden waren. Josh war ein großes Exemplar aus dunkel marmoriertem Granit. Seine Flügel waren ausgestreckt fast drei Meter breit und er hatte sie während der Arbeit grundsätzlich so platt es nur ging an seinen Körper angelegt. Er war fast auf Augenhöhe mit dem Werwolf, aber dabei fast doppelt so breit. In der Vergangenheit mussten sie immer wieder die Fliesen auf dem Boden austauschen, wenn Josh einmal zu kräftig stampfte. Er war einfach viel zu schwer, wobei Gewicht ein Kompliment unter Gargoyles war.
„Josh, wir haben eine Celebrity hier“, ließ Zayne den Koch wissen, der mit einer Klaue geriebenen Käse aus einer Schale fischte und sich in den Mund steckte. „Du hast nicht ganz zufällig noch irgendwo was fischiges versteckt?“
Bei dem Wort Fisch spie der Gargoyle die Käsefetzen direkt wieder aus und starrte Zayne mit bernsteinfarbenen Augen an. „Isch hab doch geschagt, du schollst die Käschenudeln anbieten“, zischte er und es hatte Zayne viel Zeit gekostet ehe er wusste, wann das Zischen wirklich böse gemeint war und wann nicht.
„Hab ich.“ Zayne zog ein Cocktailglas aus dem Regal über seinem Kopf und ging dann zu dem kleinen Extrakühlschrank, um dort eine Blutkonserve in abgepackter Getränkemenge rauszuholen. „Aber es ist Cathrine Jackson und ich hab das Gefühl, dass sie bei unzureichender Leistung entsprechend schlechte Publicity verbreiten wird.“
Natürlich war das komplett erstunken und erlogen. Selten las man Beiträge darüber, dass Cat irgendetwas gezielt schlecht machte. Das war einfach nicht ihre Art. Nur wollte Zayne alles Mögliche tun, um ihrem Wunsch irgendwie nachzukommen. „Also?“
„Kratz mir die Zinne….“, murrte Josh und schob sichtlich genervt die Schalen mit Käse zur Seite. „Isch hab keinen Fisch hier.“
„Kannst du welchen besorgen?“
„Bin isch die Wohlfahrt?!“
„Komm schon. Ich hol dir auch lebendiges Moos aus Norwegen. Importiert. Vom Stein gekratzt.“
Josh beäugte Zayne mit Skepsis in seinen waagerecht geschlitzten Augen. Die Verlockung war einfach viel zu groß und wann kam ein Gargoyle schon mal in den Genuss von echtem norwegischem Moos? Sie besaßen keine Konten oder Ausweise. Entsprechend wertvoll war diese Bezahlung für ihn.
„Na schön. Aber isch beschtimme dasch Gerischt.“
„Aber sicher doch, Josh“, sagte Zayne zufrieden und drapierte gerade das kleine Extra auf der Lippe des Glases. „Ich richte ein bisschen mehr Wartezeit ein.“ Damit bewaffnete sich Zayne mit dem Cocktailglas und verließ die Küche, während sich Josh auf den Weg zur Hintertür machte. Im Dunkeln konnte er ihn guten Gewissens fliegen lassen – tagsüber stand das natürlich außer Frage.
Als Zayne zurück an die Bar trat, um dort die Limonade auf sein Tablett zu laden, saß jemand Neues direkt vor dem Tresen auf dem Hocker. Der Mann, der nur ein wenig älter zu sein schien als Zayne, hatte dunkle Haare und trug einen langen Ledermantel, der ihm schwer um die Schultern fiel. Er sah ein wenig mitgenommen aus, das Gesicht war zerfurcht und seine Augen besaßen einen Blauton, der viel zu intensiv für einen Menschen zu sein schienen. Er hatte schon ein Glas Whiskey vor sich stehen und schien erst zu erwachen, als Zayne zurückkam.
Der den Kerl wiederum eiskalt ignorierte.
„Hey Morin. Hätte gedacht, es sei ein Scherz als es hieß, du wärst hier abgestiegen“, grinste der Typ Zayne schief an und lungerte halb über den Tresen, dass sogar Tom ihn fragend ansah.
„Nein, ich arbeite jetzt hier und wäre froh, wenn du Leine ziehst, Hayes“, erwiderte Zayne nicht nur kühl, sondern eiskalt. Er nahm sich sein Tablett und ließ Hayes ohne mit der Wimper zu zucken sitzen. Dennoch fühlte er seine Blicke im Rücken, als er zu dem Tisch mit Cathrine und ihrer Begleitung zurückkehrte.
Hayes war der direkte Unterstellte vom Alpha des Hudson Rudels. Vor Jahren hatten sie versucht, Zayne in ihr Rudel zu ziehen, doch er hatte abgelehnt und sich sehr eindeutig widersetzt. Da der Alpha sich das nicht hatte leisten wollen, versuchten sie seit je her ihn zu werben. Die Stelle, die ihm eigentlich angedacht worden war, bekleidete nun Hayes und dieser arrogante Mistkerl sah seine Position selbst durch Zaynes Passivität gefährdet. Was dazu führte, dass sich Hayes in dumme Probleme verstrickte.
Währenddessen stellte Zayne Cathrine ihre Limonade, garniert mit einer Scheibe Limette, hin und tat das gleiche für ihre Begleitung. Das Extra, das er angekündigt hatte, war ein Stück Lebkuchen, den er mit einem Zahnstocher gespickt über das Glas gehängt hatte. „Ich habe mir sagen lassen, dass Liebhaber den Wein selten mit Schokolade und noch seltener mit Gewürzen getrunken haben. Das Erlebnis sei entsprechend aufregend“, erklärte er dem Vampir das aufgespießte Gebäck. „Sind natürlich ein paar zusätzliche Gewürze drin. Gibt aktuell ja noch keinen Lebkuchen.“
Er schmunzelte und wandte sich dann Cathrine zu. „Ich hoffe, es passt Ihnen, wenn Sie ein wenig warten müssen. Besondere Gäste erwarten von uns eine besondere Hingabe.“
„Zenny! Kommst du mal kurz?“
Wohl oder übel musste sich Zayne von Cathrine losreißen und sich Tammy zuwenden. Mit großen Schritten kam er zu ihr herüber. „Doch umentschieden?“
Die Sexarbeiterin schürzte die Lippen. „Ich hab’s mir überlegt. Ich nehm doch deine Empfehlung, ja?“
Zayne lächelte. „Sicher.“
Also noch mal eine Runde in die Küche und einen Zettel für Josh hinhängen. Geschäftig machte sich der Werwolf auf den Weg, wobei sein Blick nur flüchtig über Hayes glitt, der schon halb vom Stuhl gerutscht war. Gut so. Sollte er sich scheren und es ein andermal probieren. Zayne verschwand in der Küche, beschrieb einen Zettel mit der Bestellung und piekte den Zettel auf den Bestellspieß.
Als er zurück in den Schankraum kam, fiel ihm fast sämtliche Farbe aus dem Gesicht.
Hayes hatte in der Tat seinen Platz verlassen. Dafür stand er nun unmittelbar vor Cathrines Tisch und sprach sie an. Er hatte die Hände in die Hüften gestemmt und sein arrogantes Grinsen aufgesetzt, welches Zayne so sehr hasste. Ihm war egal, was der Typ zu ihr sagte. Er hatte es nur nicht jetzt bei ihr zu tun.
Lautlos wie ein Schatten bewegte sich Zayne, der nicht mehr viel darüber nachdachte, was er gerade tat. Er tauchte hinter Hayes auf und legte ihm eine seiner großen Hände auf die Schulter. Hayes, der gerade noch irgendwas von der Stärke seines Rudels gefaselt hatte, verstummte und drehte sich zu Zayne um. „Was? Jetzt willst du doch reden?“
„Wir gehen dafür nach draußen“, verlangte Zayne, dem man anhören konnte, dass unter der ruhigen Fassade mehr brodelte. „Jetzt.“
„Aber ich unterhalte mich doch so gut mit Cat“, beschwerte sich Hayes theatralisch und Zaynes Finger bohrten sich in dessen Schulter. „Hey, hey, Piano hier. Wenn ich schon mal die Chance hab, dann nutz ich die auch.“
„Jetzt“, wiederholte Zayne und riss Hayes einfach vom Tisch weg. Mit groben Schüben dirigierte er den anderen Wolf zur Tür. Hayes gestikulierte beleidigt mit seinen Händen, sperrte sich aber nur halbherzig gegen Zayne, der mit ihm draußen vor der Tür verschwand und sie hinter sie beide zu warf.
Es vergingen gut drei Minuten, dann erschien Zayne wieder im Rack. Aus seinem Haar hatten sich ein paar Strähnen gelöst, aber sein Hemd saß noch makellos. Mit raumgreifenden Schritten durchquerte er den Raum, wobei er seine rechte Hand immer wieder ballte und entspannte. Absichtlich schaute er dabei nicht zu Cathrines Tisch – er ahnte bereits, welche Wirkung er gerade ausstrahlte. Das jedenfalls bestätigte ihm Jocelyn, die ihn plötzlich sehr interessiert ansah und dezent mit ihrem Zeigefinger gegen ihre eigene Nase tippte. Wissend lächelte sie ihn an, als er an ihrem Tisch vorbeikam. Ja, er strahlte gerade mehr von der Aura aus, die er sonst immer so gerne versteckte. Und ja, Vampire wie sie rochen das Blut, das in winzigen Sprenkeln am Saum seines Hemdes klebte.
Selbst Tom, der als Mensch keine Antennen für die Auren von magischen Wesen hatten, betrachtete seinen Kellner argwöhnisch. Der Mann kannte die Geste, mit der Zayne sich jetzt ein Geschirrtuch schnappte und ein Glas abtrocknete, damit seine Hände etwas zu tun hatten.
„Du bist sonst nicht zu kurz angebunden, was deine Geduld angeht“, bemerkte Tom.
„Für gewöhnlich hält sich hier auch niemand aus einem Rudel auf“, gab Zayne betont ruhig zurück, wobei er wirklich darauf achten musste, dass man das Knurren aus seiner Stimme nicht mehr heraushören konnte. „Der kommt erst mal nicht wieder.“
„Wenn du das meinst.“