„Ich will lernen wie ich mich mit den Kraftlinien und meiner Energie gegen Dämonen im Jenseits verteidigen kann, damit so etwas mit Pan nicht wieder passiert“, formulierte Iris ihr erstes Themengebiet und etwas blitzte in Darius‘ Augen auf.
„Oh, da gehen wir direkt in die offene Konfrontation? Das steht meiner kleinen elektrisierenden Persönlichkeit“, frohlockte Darius und rutschte vom Tisch, um anschließend in die Hände zu klatschen. „Da wir ja schon festgestellt haben, dass du explosives Potenzial besitzt, würde ich da mal anfassen. Wie viel hast du mit Ceri zwecks Schutzkreis geübt?“
Die Antwort darauf fiel natürlich etwas mager aus, wie er schon gewusst hatte. Ceri hatte ihr das Gefühl für die Kraftlinie gegeben und ihr ermöglicht, Kleinigkeiten daraus zu ziehen. Damit konnten sie zumindest schon mal arbeiten. Also bedeutete er Iris, sich zu erheben und ihm in die Eingangshalle zu folgen. Für das, was er vorhatte, brauchten sie etwas Platz.
„Das einfachste, was du tun kannst, ist ein Schutzkreis zu errichten. Wenn du zu viel Macht in ihn fließen lässt, wirst du ohnmächtig, stirbst vielleicht. Aber die Ohnmacht ist wahrscheinlicher. Wenn er stark genug ist, dann hält er Dämonen für eine Weile ab. Oder bis jemand kommt, der dir hilft.“
Er lächelte süffisant.
„Wir könnten auch ausmachen, dass ich gerufen werde, wenn du ohnmächtig wirst?“
Darauf bekam er einen giftigen Blick und sie ein amüsiertes Achselzucken. In der Mitte des Raumes hielt er an, die Hände wieder in den Taschen vergraben, die Lässigkeit in Person. Dann knackte es plötzlich in Iris‘ Ohren, der Druck fiel ab und ein hörbares Knallen ertönte, als sich ein kleiner Kreis um Darius bildete. Er war praktisch unsichtbar, nur wegen ihrer Natur konnte Iris erahnen, dass sich dort ein magischer Kreis befand. Wenn sie ihr Zweites Gesicht hob, konnte sie sehen, dass ein dichter, schwarzer Vorhang Darius von der Außenwelt abschnitt.
„Es knallt, wenn du schnell den Kreis erstellst. Er zieht unheimliche Massen an Energien an und du kannst ihn beliebig groß ziehen. Deswegen habe ich ihn dir übrigens als erstes beibringen wollen.“ Er zwinkerte der Hexe zu, ehe er seine polierte Schuhspitze über die imaginäre Linie schob und der Kreis in sich zusammenbrach. „Streck mal deine Hand aus. Na komm schon.“
Ein bisschen Motivation und die Hexe tat wie geheißen. Der Dämon schlenderte auf Iris zu und hielt nicht die Armeslänge Abstand ein. Er trat näher an sie heran, hob seine eigene Hand und ließ sie vor ihrer ausgestreckten Hand schweben, ohne sie zu berühren.
„Irgendwann solltest du in der Lage sein, den Kreis so eng zu ziehen, dass er zwischen unsere Handflächen passt. Das sollte auf jeden Fall ausreichen, damit der Angreifer zumindest kurz irritiert ist. Aber wenn du Schwierigkeiten haben solltest, den Fluss zu lenken, kann ich dir helfen…“ Seine Stimme wurde leiser und bekam wieder diesen mehrdeutigen, verruchten Unterton, den Iris so zu hassen schien. „Aber dafür müsste ich dich anfassen und wir wissen beide, wie es das letzte Mal geendet ist. Deine Wahl, Izzy…“
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Bis zum Äußersten klebt Leyla am Tischbein, das möglichst weit entfernt von jeglichen Stummelbeinchen war. Als wäre es ihr einzige Rettung klammert sie sich daran fest, wohl bewusst, dass auch nur ein einziger Ton sie in ein waschechtes Schlamassel bugsieren würde. Vorbei wären die kostenfreien Schleckstängel, die sie manchmal von Kindern zugesteckt bekam, wenn sie besonders doll protzte. Vielleicht müsste sogar ihre heilige Marke dran glauben und bevor das passierte, erstickt sie lieber.
Zahlreiche Füße tauchen in ihrem Blickfeld auf, ein Paar gleicht dem anderen. Sie alle tragen Roben, die ihnen bis zu den Knöcheln fallen, und nur anhand ihrer Stimmen lässt sich wenigstens etwas erahnen, wer hier eigentlich wer ist. Der schockierte Ausruf jedoch ließ auch Leyla zusammenfahren. „Was zum?!“
„Abgeordneter Rick, stimmt etwas nicht?“
Leylas Augen werden groß. Derjenige, dem das Fehlen der kleinen Päckchen aufgefallen war, reitet sich nur noch weiter in die Bredouille, stammelt und sucht dringlichst nach einer Erklärung. Und Leyla freut sich diebisch, sogar mehr als das. Das muss er sein. Ausgerechnet ein Abgeordneter, so, wie sie ihn in der Nacht auch ausgemacht hatte, ist der Schuldige. Nicht nur, dass sie die Bestätigung hat – jetzt gibt es sogar noch einen Namen dazu; Ratty Rick, wie die kleine Ratte, die er ist.
Was dann folgt, ist sehr viel Bürokratie und Hammerschläge. Bei jedem einzelnen fährt Leyla zusammen und versucht sich am Riemen zu reißen. Natürlich kennt sie nicht jeden der Bärte mit seinem Namen, aber die sind öffentlich und lassen sich leicht zuordnen. Nur Rick, den müsste sie im Auge behalten. Oder vielleicht auch im Gehör.
Der erste Punkt: Hochbegabtenförderung. Nicht unbedingt ein schlechtes Thema, aber angesichts der Tatsache, wer diesen Punkt nach oben manövriert hat, doch mit Beigeschmack behaftet. Das Land leidet doch unter ganz anderen Problemen, wieso beschäftigen sich die hohen Leute mit der Förderung von Hochbegabten? Schiebung muss das sein und eigentlich hätte Leyla ja auch gar nicht hier sein sollen. Scheinbar hat der Finanzminister damit ein Problem und sie pflichtete ihm im Stillen bei. Steckt das Geld doch lieber in wichtigere Dinge als das! Dann meldet sich der ausgeknockte Wirtschaftsminister zu Worte und kippt die Angelegenheit. Welches Tief?! Das Tief verwandelt sich zunehmend in einen Canyon und wird nicht so schnell wieder behoben sein! Doch ein Hammer beschließt den Punkt und flackernde Tanzlichter erhellen den Boden. Leyla fährt sich mit einer Hand über das Gesicht. Für so verklärt hat sie die Abgeordneten nicht gehalten.
Zweiter Punkt: Zuckerkrankheitsvorsorge. Aha. Da nähert man sich ja endlich brisanteren Themen. Endlich fällt es den Bärten auch mal auf, dass irgendwas im Land nicht stimmt. Irgendetwas läuft massiv schief und das selbst in ihren eigenen Reihen. Leiden die Männer alle an Blindheit oder wieso sahen sie das nicht? Scheinbar gibt es doch einen hellen Kopf unter ihnen, Rotbardo. Wenigstens einer erkennt, dass die Staatskasse nicht der Topf am Ende des Regenbogens ist. Als jedoch eine Bedenkzeit von fünf Minuten ausgerufen wird, schwant Leyla bereits übles. Allmählich kehrt Ruhe ein, während sich die einzelnen Bärte beraten, und die angestrengte Lauerhaltung fordert ihren Tribut. Notgedrungen muss sich Leyla von dem Tischbein trennen und bewegt sich, faultiergleich, langsam von einer Pobacke auf die andere. Die ganzen Päckchen in ihren Taschen drohen zu raschen, tun es wahrscheinlich auch, aber keiner der Hütchenträger würde wohl so spitze Ohren haben. Kurz darauf geht es auch schon weiter, ein nicht ganz eindeutiger Beschluss wird gefällt und wieder funkelt der Boden. Insgeheim fragt sich die gute Ermittlerin bereits, ob die alten Säcke nicht längst den Verstand verloren haben.
Dritter Tagespunkt: Schließung von belastenden Einrichtungen. Da liegt also das Bonbon in der Gemüsesuppe. So wollen sie also die anderen Beschlüsse rechtfertigen. Aber was fällt denn bitte unter nicht notwendigen Einrichtungen? Nun doch interessiert spitzt die Ermittlerin die Ohren, um keinen Fetzen zu verpassen.
…
Es gab eine Liste. Mist. Damit hatte sie nun nicht gerechnet. Da ran zu kommen wäre auch ein Jackpot gewesen, aber vorerst galt es, heile aus dem Saal zu kommen. Allerdings verschluckt sie sich fast, als sie hört, dass Grenzposten zu den Einrichtungen gehören sollen. Plötzlich baut sich ein ganzes Bild auf, einzelne Puzzleteile fügen sich. Da versucht jemand, das Gnomeverse von innen heraus zu zerstückeln, um ihm Herr zu werden. Die Brisanz nimmt gänzlich neue Höhen an, sodass Leyla für einen Moment fürchtet, man könne ihr klopfendes Herzchen hören. Als sie dann noch hört, dass die Fernmeldestellen bereits geschlossen sind, macht sich reger Einspruch in ihr breit. Beide Hände vor den Mund geschlagen hält sie jedoch still so gut sie nur kann. Den vierten Punkt bekommt sie nur halbherzig mit, weil ihre Gedanken rasen.
„… nur die importierten Salzstangen für die gegenwärtigen Zustände verantwortlich zu machen sind.“
Leyla schnappt aus ihrem Gedankenkarussell heraus.
„Unsere Handelspartner, die Tieflinge, haben eine umfassende Entschuldigungserklärung übermittelt und gedenken eine neue Produktserie mit Süßstangen einzubringen…“
Nein, nein, nein! Das ganze Desaster rührt von den Tieflingen? Aber wenn jetzt ein neues Produkt eingeführt wird, dann…
Die restliche Sitzung geht an der bleichen Leyla nahtlos vorüber. Als das Ende ausgerufen wird, rechnet sie bereits damit, dass ein gewisser Hütchenträger zurückbleiben würde. Allerdings scheinen die Bärte sehr versessen auf ihre Einheit zu sein, sodass Leyla kurz darauf wieder allein im Saal ist und, nach einiger Wartezeit, den gleichen Rückweg nehmen kann, wie sie auch hereingekommen war. Ein Glück, dass niemand die Hintertür überprüft hat. Auch eine Ermittlerin wie sie darf schließlich einmal Glück haben.Nervenzerreibende Minuten später findet sich die Ermittlerin endlich wieder bei ihrem Haus ein. Irgendwie wundert es sie nicht, dass hinter den Fenstern ein Licht brennt, obwohl sie es ganz sicher beim Verlassen ausgemacht hatte. Ihre wertvolle Fracht baumelt in den Taschen ihres Mantels als sie durch die Tür tritt und sie leise hinter sich schließt. Da hinten auf dem Stuhl vor ihrem Schreibtisch sitzt er; der ehemals Verdächtige vom Dach.
„Das ist Hausfriedensbruch“, motzt Leyla und leert den Inhalt ihrer Taschen einfach auf dem Boden aus. Zwanzig weiße Schachteln plumpsen zu Boden unter Jonds aufmerksamen Blick. Der Gnom sieht nun nicht mehr aus, als müsse er sämtlichen Mageninhalt von sich geben und dafür war sie dankbar. „Der Übeltäter ist Ratty Rick. Er hat sich mit verdächtigen Reaktionen geoutet. Er arbeitet mit irgendwem zusammen und sabotiert das Gnomeverse von innen heraus. Die Salzstangen sind schuld und die kommen von den Tieflingen. Ich rieche einen Komplott. Und der stinkt gewaltig.“ -
„Wir haben Geld?“
Damit hatte ich nun echt nicht gerechnet. Aber tatsächlich förderte Korvax Münzen zu Tage, die wie durch ein Wunder das Bad im Meer überstanden hatten. Wenn das so war würde ich den Teufel tun und mich der Gefahr des Stehelens aussetzen. Vermutlich war ich längst aus der Übung.
„Alles klar. Dann drück ich dir die Daumen und warte“, sagte ich und beobachtete ihn dabei, wie er seine Gestalt änderte und von Dannen flog.
Was mich damit allein am Waldesrand zurückließ. Eine geraume Zeit lang schlug ich die Langeweile damit, das Dorf anzusehen. Mir vorzustellen, welche Gebäude für was zuständig waren, wo die Abartigen lebten, welcher Profession sie nachgingen. Wo die klügsten Wege wären, wenn man sich in das Dorf schleichen wollte oder wo man am ehesten untertauchen konnte. Irgendwann reichte das jedoch auch nicht mehr aus und ich begann in kleinem Radius um meine Wartestelle zu wandern. Ich fand keine verdächtigen Spuren, nur Trittsiegel von Tieren, die hierher gekommen waren. Trotzdem ging mir nicht aus dem Kopf, dass Vampire im Umkreis sein konnten. Sicherlich hatte man den Suchtrupp soweit ausgefächert, weil man damit rechnete, dass ich nicht sehr weit gekommen sein konnte. Auf der anderen Seite hätte ich aber auch durchaus im Meer ertrunken sein können. Wenn bisher niemand ahnte, dass ich noch lebte, war es wohl das Beste, was mir widerfahren konnte.
Als nach einer Stunde immer noch nichts geschah, ließ ich mich neben der Tasche auf den Boden sinken. Nachteinbruch war noch lange weg, weshalb ich mir da keine Sorgen machen musste. Also konnte ich die Zeit ein bisschen für mich selbst nutzen und entspannte mich, die Beine im Schneidersitz und die Hände mit den Innenflächen nach oben auf meinen Beinen abgelegt. Ich brauchte der schwarzen Masse in meinem Inneren nur einen kurzen Stoß geben, schon erwachte sie zum Leben. Ihre Macht pulsierte in meinen Adern, füllte jede Zelle von mir aus und fühlte sich kalt an, wohingegen alles andere um mich herum regelrecht glühte. Ganz langsam ließ ich die Magie aus mir wirken, ein dünner dunkler Nebel breitete sich um mich herum aus und floss dickflüssig dahin. Er umhüllte Pflanzen, Insekten, alles am Boden, was er finden konnte. Die dünnen Halme des Scharboxkrauts knickten ab, die gelben Blüten verwelkten. Raupen und Asseln kugelten sich zusammen, als das Leben sie verließ. Nur um die Bäume und die Büsche machte die Macht einen Bogen – meine Deckung wollte ich immerhin nicht riskieren. Hier und da verschonte ich Pflanzen und Tiere und schulte damit die Kontrolle über das, was ich wirklich angreifen wollte. Mit jedem Atemzug schien es die Nekromantie mir gleich zu tun und den Atem eines Lebewesens einzufangen. Eine grausame Macht, aber es war MEINE Macht. Mein einziges Werkzeug, um mich in dieser feindlichen Welt zur Wehr zu setzen.Eine Stunde später kam eine Katze zielgerichtet zu meinem Standort gelaufen. Ich starrte sie finster an, bis die Ausläufer meiner Magie sie berühren konnten und den Fluch erkannten, der Korvax umfing. Erst da entspannte ich mich wieder und hieß ihn willkommen.
„Das war echt lange für ein kurzes Intermezzo“, meinte ich und half ihm aus dem Rucksack, damit er sich leichter zurückverwandeln konnte. „Alles glatt gelaufen?“
Ich beäugte den Rucksack. Das war gute Handwerkskunst, das musste ich zugeben. Das Leder war geschmeidig, aber robust und würde einige Strapazen aushalten. Als ich ihn öffnete, fand ich darin tatsächlich dunkle Kleidungsstücke, die Korvax hinein gestopft haben musste. Ich grinste den Wandler unverfroren offen an.
„Ein Träumchen. Sehr schön, dann haben wir das. Gab’s was Neues an der Unterschlupffront? Ich hab mich hier ein bisschen umgesehen und nur Spuren von Tieren gefunden. Ich glaub, hier sind noch keine Häscher vorbeigekommen.“ -
Ob Darius es anerkennen sollte oder nicht, war ihm selbst noch nicht ganz klar. Der Fakt stand jedoch, dass Iris nicht weiter wich und sich auch nicht verhaspelte, selbst als er den eindeutigen Körperkontakt zwischen ihnen herstellte. Immerhin war ihr noch die Möglichkeit gegeben, aufzuspringen und zu flüchten. Sie konnte sich sogar ein winziges Bisschen mit ihrer Kraftlinienmagie wehren. Nichts davon hätte ihn abgehalten, wenn er es nicht gewollt hätte, aber irgendwie hatte er darauf gesetzt, mehr zu sehen als nur ein paar rote Wangen. Ernüchterung machte sich in dem Dämon breit.
„Das zieht nicht mehr, Darius. Du hast gestern sehr deutlich gemacht, dass du weder an einem Kuss, noch an mir interessiert bist“, waren die Widerworte, die er nun zu hören bekam, doch statt einer Grimasse zeigte er der Hexe lediglich ein verschmitztes Lächeln.
„Wortlaut, Liebes. Ich habe nur gesagt, dass du keinen bekommen wirst. Von fehlendem Interesse habe ich nie gesprochen. Du solltest dir angewöhnen, genauer auf den Wortlaut unsereins zu hören.“
Das würde darüber entscheiden, wie gut sie sich in dieser Welt schlagen konnte. Manch Vertrauter konnte einen überraschend guten Lebensstil hier herausschlagen, wenn er wusste, mit den Handeln umzugehen. Wenn Iris wirklich ihren Stand etablieren wollte, dann würde sie auch das lernen müssen. Ansonsten endete sie als Spielball, primär in Darius‘ Händen. Obwohl Iris eigentlich in diesem Augenblick schon genau das war – sie lehnte sich vor und sorgte dafür, dass sich das feine Stechen in seinem Daumen ganz schnell zu einem waschechten Silberstich anfühlte.
„Wenn ich mein Misstrauen ablegen soll, dann…“
„Oooohh, jetzt bin ich aber gespannt.“
„…will ich, dass du mich wieder unterrichtest. Du kannst mein Ende des Handels nicht prüfen, wenn du mich ignorierst.“
Darius hob spielerisch eine Augenbraue. „Da hast du ja doch ein wenig aufgepasst. Klingt in meinen Ohren nach einer Fußnote, die man so einfügen kann. Dann kann ich ja direkt damit anfangen, nicht wahr?“ Er gab ihr Gesicht wieder frei und legte seine Hand dort auf den Tisch zurück, wo sie vorhin noch einen Rhythmus geklopft hatte. „Wenn Dämonen einen Handel vorschlagen, dann sind wir von Natur aus daran gebunden, den Handel gleichwertig zu gestalten. Wenn ich dir also einen Tausch mit beiden Konditionen vorschlage, dann weiß ich, wie hoch der jeweilige Einsatz für beide Parteien ist. Kann ich es nicht abschätzen, ist der Moment gekommen, in dem ich von dir einen Einsatz fordere und dann wäge ich erneut ab.“
Mit einem Seufzen legte Darius den Kopf in den Nacken und betrachtete die Decke für einen Moment. Dann hob er die Hände und öffnete den ersten Knopf seines Hemdes, so als würde es ihm nach mehr Luft verlangen.
„Wenn man es so auslegen will, dann können wir in dieser Beziehung nicht lügen. Das ist der Vorteil, den alle anderen haben, wenn sie Handel abschließen. Wissen wir es nicht besser und gehen auf einen Deal von euch ein, der unter einer Lüge geschlossen wurde, können wir nichts daran ändern. Das gibt euch einen Vorteil, wenn ihr schlau genug seid. Also, Iris. In welchen Themengebieten soll ich dich unterweisen? Vielleicht noch einmal, wie der Kraftlinienzug funktioniert?“ Dabei warf er der Hexe einen vielsagenden Seitenblick zu. -
Petrichor. Das war der Name für den Geruch, wenn es frisch geregnet hatte. Heute war er besonders stark ausgeprägt und ich hatte den Begriff gegooglet, kaum hatte ich herausgefunden, dass es dafür einen gab. Viele Menschen mochten den Geruch, ich zählte ebenfalls dazu, und atmete mehrmals tief durch bis ich den Duft nicht mehr als solchen so stark wahrnahm. Noch lag kein Laub auf den Gehwegen, um diese in tödliche Rutschbahnen zu verwandeln, und so liefen Nora und ich Seite bei Seite den Weg hinab. Dabei verstaute ich die Wasserflasche in meiner großzügigen Tasche, in der ich praktisch ein Notfallkit für alle Fälle dabei hatte. Kein Sonderfall oder Problem würde mich überraschen können.
Plötzlich kam Nora zu mir gewippt und dockte an meiner Seite an. Dafür bekam sie einen fragenden Blick, der sich schnell in Nachdenklichkeit wandelte. Wenn ich heute jemanden treffen würde? Ich traf doch so oder so Leute. Oder spielte sie auf Valentine ab? Das war nicht seine Altersriege, also konnte das schon gar nicht sein. Also meinte sie wohl einen potenziellen Lover? Ich wiegte meinen Kopf von einer Seite zur anderen, um meine Unentschlossenheit zu symbolisieren. „Weiß nicht. Vielleicht? Könnte witzig werden, wenn man versucht vorher herauszufinden, wer es ist.“
Zumindest stellte ich mir es als witzig vor. Darüber konnte ich vielleicht noch lachen, solange derjenige nicht wirklich auftauchte und penetrant wurde. Ich hatte bisher nur ein einziges Mal jemanden mit nach Hause gebracht und das hatte in einem beschämenden Desaster geendet. Leider hatte Nora es direkt mitbekommen, zog mich mittlerweile aber nicht mehr damit auf. Dafür hatte sie immerhin ihre Karten. Ihre tollen, ach so korrekten Karten. Manchmal vermutete ich, Nora war auch etwas gestört.
„Wird… Mayla… heute… jemanden… auf-rei-ßen“, buchstabierte Nora und ich rollte mit den Augen, konnte aber meine Mundwinkel nicht davon abhalten, nach oben zu wandern. Die Antwort ihrer App ließ mich noch breiter schmunzeln. Also auch nicht besser als Glückskekse.
„Okay! Dann eben konkreter.“ Nora ließ sich nicht bremsen, ich hielt sie auch nicht davon ab. Ich wollte schließlich eine Ablenkung und die bot sie mir. Die Antwort, die die App dieses Mal ausspuckte, ließ meine Freundin entsprechend reagieren und ich wedelte vor ihrem Gesicht herum.
„Zufall. Irgendwann muss die App das sagen.“
„Männlein… oder… Weiblein?“
„Wirklich?“
Darauf hatte die App nun keine Antwort mehr. Nora spezifizierte und zeigte wieder einmal, wie versessen sie auf eine zufriedenstellende Antwort war. Die Antwort, die dann kam, ließ sogar mich staunen. „Komplex? Was heißt denn komplex? Das klingt gar nicht typisch für eine Antwort.“
„Das hab ich nicht gefragt…“
Nein, hatte Nora wirklich nicht. Anschließend hielt sie mir das Handy hin und ich trennte unsere unzertrennliche Verbindung an den Schultern mit dem nächsten Schritt, ehe ich ihr das Handy aus den Fingern fischte. Diese Chance würde ich mir doch nicht entgehen lassen. Im Gegensatz zu Nora konnte ich nicht sprechen, also musste ich die schriftliche Variante vorziehen. Also tippte ich das Erstbeste, was mir einfiel, ein und zeigte ihr das Display, bevor ich die App antworten ließ: Wird Nora jemals damit aufhören, mich an den Mann zu bringen?
Die Antwort: Höchstwahrscheinlich nicht.
Ich seufzte und wagte es nicht, zu ihr herüber zu sehen. Ich konnte ihr Grinsen auch vor meinem geistigen Auge sehen und schnitt ihr mit einer harschen Bewegung jeglichen Kommentar ab. Gut, das machte schon Spaß. Warum eigentlich nicht ein wenig blödeln? Ein bisschen Strecke lag ja noch vor uns.
Also widmete ich mich wieder dem Bildschirm, ließ meine Fingerkuppe jedoch über das Glas kreisen. Ich wollte etwas Witziges fragen, aber meine Gedanken drifteten wieder zu Valentine ab. Vielleicht hatte die App ja auch eine witzige Antwort für eine… etwas weniger witzige Frage parat. Also tippte ich langsam ein: Kann sich ein Therapeut in seine Patientin verl-
Mein Fuß blieb am Bordstein hängen, kaum hatten wir eine Kreuzung überquert. Ich fiel nach vorn, die Hände ausgestreckt in dem Versuch, mich abzufangen. Das Handy entglitt mir und schlug klappernd auf dem Boden auf, gefolgt von mir. Meine Hände schrappten über den steinigen Boden, meine Knie schlugen hart auf. Mehr war es zum Glück nicht und ich rappelte mich langsam wieder auf. Meine Knie pochten und ein Blick sagte mir, dass ich nun zwei wesentlich größere Löcher in meiner Strumpfhose hatte. Langsam aber sicher begannen auch meine Handflächen zu brennen. Ich klopfte sie an meinem Mantel ab und inspizierte sie kurz. Schürfwunden, aber nicht mehr. Feuchtigkeit und Dreck hafteten ihnen an, weshalb ich meine Tasche öffnete, um die Flasche Wasser herauszuholen.
„Alles okay. Nichts Schlimmes passiert“, zeigte ich Nora an und spülte meine Hände ab. Dabei sog ich meine Unterlippe zwischen meine Zähne, um das Brennen zu ignorieren. Kinderspiel im Gegensatz zu dem, was ich schon alles hatte ertragen müssen. Weh tat es trotzdem. „Ich glaube, laufen und am Handy spielen sollte ich nicht wiederholen.“ Ich schenkte ihr ein entschuldigendes Lächeln bevor ich ihr Handy vom Boden aufsammelte und es nur mit einer kleinen Macke am Case Nora zurückgab. -
In all den Jahren seiner Dienstzeit hatte Matt eines gelernt: Observation war das A und O. Hätte man ihm einen Kollegen auf vergleichbarem Stand zugeteilt, würde er sich diesen Schritt sparen können, aber eine recht junge Inspector als Hilfe an seine Seite zu stellen, ließ ihn durchaus ein paar Fragen stellen. Die Berichte zu ihr waren nicht fehlerfrei, aber die Quote viel zu gut. Deswegen hatte er nichts erwidert, als er las, dass sie ihn begleiten würde. Dann konnte er für sich selbst ein Bild von ihr erstellen und herausfinden, warum ihre Quote überraschend gut war. Folglich gab er sich gelassen wie immer, seine hellen Augen studierten jedoch jede Bewegung und jedes Zucken ihres Gesichts. Deswegen war ihm auch nicht entgangen, dass sie für den Bruchteil einer Sekunde unangenehm berührt war. Das konnte jedoch auch daran liegen, dass er ein so hohes Amt bekleidete und sie praktisch überwachte, gar beurteilte.
„Wenn ich offen sprechen darf, Sir…“
„Nur zu. Offene Gedanken führen meist zu einer Entwicklung.“ Matt glaubte nicht, auch nur einen weiteren Hinweis vor Ort finden zu können. Dafür wirkte der gesamte Schauplatz zu aufgeräumt. Niemand konnte sagen, wie lange der Mörder diese Tat geplant hatte, ob es Verbindungen zu dem Opfer gab, wer sie überhaupt war. Diese Puzzleteile würden sie sich an anderer Stelle holen müssen. Langsam nickte er, während Lea ihm ihre Gedanken ausführte und damit auch einige Punkte traf, die er sich bereits gedacht hatte.
„Die fehlende Tasche wäre mitunter ein Indiz dafür. Aber das sind nur Vermutungen, Sir. Ich habe nur laut gedacht“, beschwichtigte sie ihren Erguss an Gedanken, doch Matt winkte lediglich mit einer Hand ab.
„Keine Entschuldigungen dafür. Viele wären auf denselben Schluss gekommen, dass das Opfer womöglich gar nicht hier gestorben sein könnte. Schließlich fehlt von ihr wirklich sämtliche Habe. Außerdem habe ich Sie nach Ihren Gedanken gefragt.“
Allerdings stimmte er ihr in dem Punkt zu, dass sie mehr zum Opfer herausfinden sollten. Vielleicht gab es Verbindungen, vielleicht war es eine Beziehungstat. Das konnte zum jetzigen Zeitpunkt niemand sagen und auch die Pathologie dürfte mit ihrer Analyse noch nicht fertig sein. Erst in ein paar Stunden gäbe es Bescheid, dass sie sich dorthin auf den Weg machen dürften. Bis dahin würden sie sich um jeweils andere Brennpunkte kümmern müssen.
„Gründlichkeit war noch nie eine Eigenschaft, die ein schlechtes Bild auf jemanden geworfen hat, Miss Gordons“, meinte Matt mit einem flüchtigen Schmunzeln, als er sich bereits wieder auf den Weg zurück zu Turner und damit verbunden den Volvo machte. „Deswegen ist es durchaus sinnvoll, auch etwas übermotivierte Kollegen mitzunehmen. Die sehen manchmal Dinge, die die Dienstälteren übersehen. Betriebsblindheit. Vor der ist keiner wirklich gewahrt. Schauen Sie sich ruhig solange um, wie Sie möchten. Ich warte solange beim Wagen bis Sie fertig sind. Ich werde mich darum kümmern, dass die anderen möglichen Tatorte gesichert werden, während ich Sie dafür zuständig mache, den Medien ein angemessenes Stück Klatsch zu präsentieren, bevor sie auf eigene Gedanken kommen.“
Damit zückte Matt schon sein Smartphone aus seiner Hosentasche und spazierte zurück zu seinem Wagen. Dass er so unbefangen an einem brutalen Tatort wirkte, musste an seiner Erfahrung liegen. Während Turner und manch anderer betroffen oder ernst wirkte, schien es Matt nicht so nahe an die Substanz zu gehen. Vielleicht war das aber auch nur ein oberflächlicher Eindruck. -
„Jedenfalls passen die äußeren Merkmale. Der Kehlschnitt passt, wenn auch sehr fachmännisch gesetzt. Das war jemand, der nicht einfach nur die Taten von damals kopieren wollte. Wie der Ripper damals auch ist der Bauchschnitt sehr genau ausgeführt worden. Aber die Pathologie dürfte Ihnen mehr dazu sagen“, schloss Turner und schüttelte nur den Kopf. „Warum müssen Menschen so krank sein und solche Taten nachahmen?“
„Begehren nach Aufmerksamkeit. Psychopathen verfügen in der Regel über ein vermindertes Moralgefühl oder Empathie. Wenn wir denjenigen kriegen, wird er uns schon verraten, wieso er sich ausgerechnet den Ripper ausgesucht hat“, erklärte Matt und schenkte es sich, die neuen Informationen schriftlich in seinem Notizbuch festzuhalten. Vieles davon war so sehr an den Ripper angelehnt, dass er es sich nicht notieren musste. Außerdem war seine Auffassungsgabe noch nicht so eingerostet wie bei anderen Kollegen, als dass er Kleinigkeiten schnell vergaß. Hin und wieder warf er einen beiläufigen Blick in Leas Richtung und beobachtete die Frau dabei, wie sie… abseits stand und sich umsah. Ein bisschen fehl am Platze wirkte. „Ich werde veranlassen, dass die Hanbury Street sowie die Henriques Street zusätzlich überwacht werden. Das Gleiche gilt für den Mitre Square. Wenn derjenige sich an dem Ripper orientiert, dann wird er diese Orte ebenfalls als Schauplatz nutzen. Jetzt hat er unsere Aufmerksamkeit. Der Adrenalinkick, dort trotz Überwachung einen Mord zu vollziehen, dürfte Anreiz genug sein.“
Matts Hand glitt unbedacht zu der Brusttasche seiner Jacke. Als es ihm auffiel, ließ er seine Hand wieder sinken und den Blick über die Szenerie schweifen. Die Stelle war trotz Kamera gut gewählt. Er würde die Aufnahmen anfordern müssen, doch sein Gefühl sagte ihm, dass auf den Bändern nichts zu sehen sein würde außer vielleicht ein Fahrzeug oder zwei. Ihnen fehlte die Tatwaffe, die der Mörder scheinbar mitgenommen oder schlau entsorgt hatte, sowie weitere Kenntnisse über das Opfer. Vermutlich würde er die Identifikation erst in der Gerichtsmedizin bekommen und danach konnte er einen Background Check laufen lassen. Bis dahin gab es an diesem Ort wohl nicht mehr viel zu sehen.
„Wurde die Handtasche des Opfers bereits mit ihren persönlichen Gegenständen fortgebracht?“
Daraufhin bekam Lea auch Matts Aufmerksamkeit. Der Ripper damals hatte keine Gegenstände von Wert mitgenommen. Also würden sie hier auch –
„Es… wurde keine Tasche bei dem Opfer gefunden, auch kein Ausweis oder Geldbörse“, sagte Turner und Matt hob erstaunt eine Augenbraue. Das war neu. Wieso sollte der Mörder sich darum scheren, dass die Ausweise seines Opfers verschwanden? Sie war nicht so weit verstümmelt worden, als dass man sie nicht mehr identifizieren konnte. Und als bloßen Raub würde diese Tat nicht durchgehen.
„Ich werde mich im weiteren Umkreis etwas umsehen. Es gibt kaum eine Frau in London, die das Haus ohne irgendeine Form von Tasche oder Rucksack verlässt. Vielleicht finde ich etwas“, setzte Lea Matt in Kenntnis und streifte bereits von Dannen. Sie hatte nicht ganz Unrecht. Keine Frau, sei es nun eine Angestellte oder eine Sexarbeiterin, trug keine Wertsachen bei sich. Nur war die Straße zu beiden Seiten sehr gut einsehbar und auf den ersten Blick gab es kaum Verstecke. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Täter sie irgendwo entsorgt hatte, war größer. Deswegen nickte er Turner zu, ließ die Hände in den Taschen seiner Hose verschwinden und schlenderte Lea hinterher, wobei er immer einen Schritt hinter ihr zurückblieb.
„Sie sind ja schon ein paar Jahre im Beruf und haben auch schon einige Fälle bearbeitet. Wenn wir einen Nachahmer haben und sich jetzt schon ein Unterschied einstellt, wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass er die restlichen Muster ebenfalls wiederholt?“, fragte Matt, während er seine Kollegin dabei beobachtete, wie sie einen Blick in einen Mülleimer warf. „Laut Statistik haben Sie Recht, dass das Opfer eine Tasche oder dergleichen bei sich getragen haben müsste. Wenn sie fehlt, ist sie in wie viel Prozent der Fälle noch in der Nähe? In sehr wenigen. Die Straße ist gut einsehbar und scheinbar wollte der Täter etwas verschleiern. Liegt es dann nicht nahe, die Tasche an einem Ort zu entsorgen, der nicht im Verdacht steht?“ -
Auch wenn Leyla schon ein paar Mal im Gebäude gewesen war: dieser Spießrutenlauf ist definitiv eine andere Hausnummer. Nicht nur, dass sie ständig aufpassen muss, nicht doch ungewollt durch offenstehende Türen gesehen zu werden, sondern auch, weil sich der Weg im Dunkel als schwierig gestaltet. Einzig der Vorteil, dass sie so unverschämt gutes Gehör hat, rettet sie aus ihrer Misere. Das ständige Klicken und Rattern und Knartschen von Scharnieren und Zahnrädern und Brettern deutet ihr in dem Gang den Weg, einfach nur weiter den Geräuschen folgen und schon würde sie dort enden, wo ihr Weg sie hinführt: Der Seilzug, der mit seinen Plattformen dazu gedacht war, Gnome auf die nächsten Etagen zu befördern.
Dank der Dunkelheit ist es fast unmöglich für Leyla, zu erkennen, ob auf den oberen Etagen jemand lief. Doch die einzelnen Plattformen wirken auf den ersten Blick leer. Wesentlich leerer als der Gang hinter ihr, der sich plötzlich mit leisen Stimmen füllt. Nun doch leicht unter Stress tritt die Gnomin von einem Fuß auf den anderen, bis endlich diese dämliche Plattform erscheint und sie draufspringen kann. Über die Kante hinweg späht sie nach unten und als sie fast ihre Ebene erreicht hat, kommen andere Gnome in Sicht. Hütchen über Hütchen, mit Roben am Leibe, versammelt sich der Rat vor dem Aufzug und wartet dort auf seine Plattform. Was bedeutete… Die Zeit wird knapp. Die untere Etage kommt näher, Schweißperlchen bilden sich auf Leylas Stirn. Wie wahrscheinlich ist es, dass der Verdächtige sich in den Büros einschleimen will? Oder Schaden anrichten versucht? Nicht viel. Die Chance, dass die Büros noch einzeln abgeschlossen sein können, ist immerhin gegeben. Oder dass jemand Falsches das findet, was der Kerl da deponiert. Nein, der Typ geht für den großen Clou und das ist es auch, wonach Leyla nun geht. Jond hat ihr aufgetragen, den Plenarsaal zu stürmen – und das würde sie nun auch tun.
Dass sich auf der anderen Seite des Aufzugs schon jemand wieder auf den Weg nach unten macht, verpasst die Ermittlerin nur knapp. Dafür erwischt sie hingegen ihren Absprung und steht nun vor der Tür, die sie genau dahin führen würde, wohin sie wollte. Zu ihrer Überraschung ist die Tür nicht verschlossen, sodass sie, nach kurzer Überprüfung, in den noch leeren Saal stürmen kann. Mit hektischem Blick schaut sie sich um und entdeckt den Tisch, der im Kreis angeordnet für die Ehrenträger sein muss. Eilig rennt sie zu dem Tisch und findet, säuberlich positioniert an jedem Platz, ein kleines Päckchen vor. Gut getarnt als Schmankerl liegen die unauffälligen Gaben dort, die sie, laut Jond, einzusammeln hat. So schnell ihre Kurzen Beinchen sie tragen können, flitzt sie um den Tisch herum, sammelt Päckchen um Päckchen ein und stopft sie in ihre Manteltaschen. Just in dem Augenblick, in dem sie alle Taschen rappelvoll hat, knarzt eine Tür und Stimmen werden laut. Erschrocken zuckt Leylas Kopf herum – die Abgeordneten sind da. Ohne Zeugen und ohne Schuldigen würde es so aussehen, als wäre sie diejenige gewesen, die das Zeug eingeschleust hatte. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass sie im Saal überhaupt nichts zu suchen hat.
Also tut Leyla, was jede gute Ermittlerin an ihrer Stelle tun würde: Sie schlüpft unter den Tisch und presst sich so eng wie möglich nach hinten durch. Es ist klein, es ist eng und überaus frickelig, aber machbar. Schließlich hatte sich Leyla in der Vergangenheit auch schon in Fässer, Taschen und anderen seltsamen Orten zwecks Observation befunden. Das hier würde ein Kinderspiel sein! Ausharren steht nun an der Tagesordnung – so lange, wie die Abgeordneten zu tagen gedachten.
Und dann würde sie denjenigen finden, der dieses Unheil stiften wollte. -
Einer der größten Vorteile, die Darius besaß, war sein Alter. Dadurch hatte er schon so viele Menschen und andere Wesen getroffen und einschätzen gelernt, dass ich praktisch keine Fassade mehr wirklich täuschen konnte. So zum Beispiel entging ihm nicht, wie sich Iris immer tiefer in den Stuhl drückte, je näher er ihr kam. Ihre großen Augen spiegelten nicht die Furcht wider, der er so oft ausgesetzt war. Stattdessen las er eine Form von Interesse, die gepaart mit ihrer defensiven Haltung bedeutete, dass sie etwas fühlte und damit nicht einverstanden war. Sein Plan funktionierte.
„Was? Gefällt dir das etwa nicht? Bringt der mächtige Darius die Leute, die du gegen ihren Willen ins Jenseits schleifst, so dazu dich zu mögen, weil sich sonst niemand dazu überwinden kann? Mit einem Deal?“
Dafür erübrigte der Dämon lediglich ein kokettes Lächeln. „Hätte ich dann nicht verlangt, dass mich derjenige nicht mehr hassen oder fürchten sollte? Abgelegtes Misstrauen hat noch lange nichts mit mögen zu tun, Liebes.“
„Ziemlich ungerecht, wenn du mich fragst, wenn wir schon beim Thema sind. Mich dazu bringen zu wollen, mir die nächste Schlinge selbst um den Hals zu legen.“ Er hob fragend eine Augenbraue. „Misstrauen lässt doch nicht per Knopfdruck einfach ausschalten“, murrte Iris.
Darius ließ ein leises Lachen darauf erklingen. „Stimmt, es lässt sich nicht so einfach ausstellen. Das ist auch der Grund, warum meine Forderung so unspezifisch gewesen ist. Ceri hat mich dazu gezwungen, dich wie meinesgleichen zu behandeln und folglich werde ich dich nicht belangen, wenn du aus Versehen die Regeln nicht einhältst. In der Regel merkt man das aber.“
Noch setzte er nicht nach, noch ließ er den Druck in einem erträglichen Level. So, wie Iris den Kopf von ihm abwandte, dachte sie angestrengt nach und sein Anblick machte ihr dabei einen Strich durch die Rechnung. Also blieb er einfach nur sitzen, nah genug, dass sie die Mischung aus Brimstone und Aftershave riechen können würde, aber weit genug weg für die Illusion, weglaufen zu können. Dass die kleine Hexe dabei ihre Unterlippe dermaßen malträtierte, hätte er durchaus mit einem Kommentar versehen können. Nur hätte das ebenfalls ihre Konzentration gebrochen und er wollte zunächst hören, für was sie sich entschied.
„Was passiert, wenn ich meinen Teil der Abmachung nicht einhalten kann?“, fragte sie, nachdem sie sogar ihre Arme gelöst hatte und der Seufzer ihre Kapitulation bedeutete.
„Wie genau möchtest du die Ausführung?“
„Spiel jetzt nicht den Erbsenzähler, Darius.“
„Das ist Dämonen-Einmaleins.“
„Die Frage werde ich ja wohl stellen dürfen ohne gleich meinen freien Willen verpfänden zu müssen… oder sowas.“
„Das fällt unter Spezifikation des Handels, also ja, für solche Nachfragen gibt es nichts zu zahlen“, schmunzelte Darius leichtfertig und begann, einen Rhythmus mit seinen Fingern auf der Tischplatte zu klopfen. „Sofern du dich bemühst, ihn einzuhalten, passiert auch bei Ausrutschern nicht viel. Dafür kann ich dich dann nicht belangen, wenn es nicht absichtlich gewesen war. Solltest du aber einwilligen und weiterhin an deinem Misstrauen bewusst festhalten, brichst du deinen Vertrag. Das würde dir normalerweise ein weiteres Mal einbringen, da du aber dank Ceri einen anderen Status genießt, darf ich dir etwas von wert nehmen. Was das ist, wird vorher nicht beschrieben. Deswegen sind wir so darauf versessen, unsere Deals nicht zu brechen.“
Die Pause, die anschließend entstand, stand einzig und allein im Zeichen des Nachdenkens seitens Iris. Diese Gelegenheit nutzte Darius schamlos aus. Er hob die Hand, mit der er soeben noch eine Melodie geklopft hatte, vom Tisch und streckte sie langsam nach ihrem Gesicht aus. Sie wich noch weiter in den Stuhl zurück, die Hände verkrampft und aufgeschreckt aus ihren Gedanken. Sacht legte er ihr die Finger unter das Kinn, um mit dem Daumen über ihre Unterlippe zu streichen. Dass es sich dabei für ihn anfühlte, als würde er über tausend Klingen streichen, ließ er sich nicht anmerken.
„Als kleiner Tipp: Wenn du grübelst solltest du nicht deine Unterlippe so in Mitleidenschaft ziehen. Das macht sie unnütz für andere… Dinge.“ Bewusst eine Nuance zu lange ließ er seinen Blick auf ihren Lippen hängen, ehe er ihn hob und das Chaos in ihren Augen lesen wollte, das er und nur er verursachte. -
Nora war eine sehr aufgeschlossene Person, das musste ich ihr lassen. Wo sie nicht hinter sich blickte, stand ich jedoch meistens und sammelte das auf, was sie hinterlassen hatte. Vielleicht machte sie niemanden absichtlich schöne Augen – trotzdem waren da genug Typen, die sich mehr erhofft hatten, wenn auch nur für eine Nacht. Ich hingegen hielt mich dahingehend meist eher bedeckt, war weniger stark geschminkt und moderater angezogen. Sollte mich ruhig der Titel des Mauerblümchens ereilen – ich wusste immerhin, welch schwierige Zeiten ich erfolgreich durchgestanden hatte.
Das Summen meines Handys ließ mir beinahe den Teller vom Schoß gleiten. Was aussehen sollte, wie der entspannte Griff nach meinem Handy artete zu einem hastigen Fischen aus. Ich warf Nora einen dunklen Blick zu, die Augenbrauen zusammengezogen, doch sie tat einfach so, als würde sie ihr Stück Kuchen weiter verspeisen. Mit klopfendem Herzen entsperrte ich den Bildschirm und las die Nachricht, die mir Valentine geschickt hatte. Die dritte Zeile ließ mein Herz einen peinlichen Satz machen, doch als ich fertiggelesen hatte, setzte Ernüchterung ein. Die letzten drei Zeilen las ich mehrmals, dann schnackte ich das Ding zur Seite auf die Couch. Was hatte ich denn erwartet? Genau das, oder nicht? Ruh dich aus für heute… So eine bescheuerte Standardfloskel. Und der Hinweis, dass ich mich melden sollte, wenn es schlimmer würde… Ich hatte doch gesagt, er lebt für seinen Job… Und ich war ja nicht mehr als ein Job. Wieso machte mich das jetzt so wütend? Schließlich wusste ich es doch besser…
Mit einem Seufzer stand ich auf, um meinen und ihren Teller wegzubringen. In meinem Rücken spürte ich Noras vielsagende Blicke und als ich die Teller in die Spüle räumte, legte ich meine Hände auf die Arbeitsfläche vor mir ab. Grimmig sah ich meine Freundin an, rollte übertrieben den Kopf und nickte. Anschließend formte ich einen Ring mit Daumen und Zeigefinger, wobei die restlichen drei Finger abgefächert standen.
Also schön, dann kam ich eben mit ins Raverbaby.Tatsächlich hatte ich am Folgetag keine Arbeit. Aktuell war das Café weniger stark besucht, sodass man mich seltener wegen Spontanschichten anrief. Trotzdem war mir wie immer mulmig zumute. Geschlagene dreißig Minuten schlug ich mich bereits mit meinem Kleiderschrank, da ich nicht ganz wusste, was ich anziehen sollte. Meine Haare hatte ich zu einem hoch angesetzten Ponytail gebunden, meine Augen betont geschminkt und jetzt stand ich hier. Ein wenig versuchte ich mich an Nora zu orientieren und hatte eine großmaschige Fishbone-Strumpfhose angezogen, darüber einen karierten Rock und als Oberteil ein weit geschnittenes weißes Shirt mit fancy Aufdruck. Dazu zog ich noch meine kurze braune Lederjacke an, die ich im Club wohl eh in die Garderobe geben würde. Meine Handtasche, die ich mittels Schultergurt um mich geschnallt tragen würde, war das letzte Accessoire zusammen mit den dunklen Ankleboots und dem wenigen Schmuck, den ich trug. Ketten fand man bei mir selten, da sie meinen Hals betonten und das mochte ich nicht. Dafür zierten ein Paar Creolen meine Ohren.
Letzten Endes gab ich mich geschlagen und verließ meinen Teil unserer Wohnung. Als ich die Treppe hinunterkam, wartete Nora bereits auf mich und grinste mich an. Siegessicher, wie immer. Nicht all zu oft begleitete ich sie und wenn ich es tat, wertete sie es immer als einen Sieg für sich. Allerdings war ich jetzt nicht zum diskutieren aufgelegt. Sie hatte recht – Ablenkung war das, was ich wollte.
„Gehen wir zu Fuß?“, fragte ich Nora, wohlwissend, dass ihr bewusst war, wie gern ich fahrbare Untersätze vermied, wenn es ging. -
Schweigsam blieb Matt hinter dem Lenkrad sitzen, den Blick auf Leané gerichtet, die steifer als ein Brett war. Ein schneller Blick nach unten verriet ihm, dass ihre Beine zitterten und als sie sich anschnallte sah es so mechanisch aus, als wenn sie das Gefühl aus ihren Händen verloren hätte. Dass ihr zusätzlich Farbe aus dem Gesicht gefallen war, bestätigte lediglich seine Vermutung. Diese Frau hatte höchstwahrscheinlich kein Problem mit ihm, da sie sich im Büro völlig anders gezeigt hatte, sondern mit dem Wagen.
„Entschuldigen Sie“, sagte sie schließlich, worauf Matt nur kurz den Kopf schüttelte.
„Geben Sie Bescheid, wenn es geht.“
Selbstredend saß ihm der Fall im Nacken. Seine Bedenken von vorhin waren nicht nur daher gesagt. Jede Minute bei diesen Witterungen sorgte für den Verfall von Beweisen, doch das meiste sollte eigentlich bereits ad acta genommen worden sein. Nach der Besichtigung des Tatorts würde ihr nächster Stopp sowieso die Gerichtsmedizin mit der pathologischen Abteilung sein, denn der Körper des Opfers wurde bereits überführt. Dank der neugierigen Medien, die ihnen die Arbeit nur schwerer statt leichter machte.
„Konnten die Medien bislang abgehalten werden, die Sache publik zu machen? Walther war deshalb etwas ungehalten, wenn ich es richtig mitbekommen habe.“ Ihre Hand war immer noch fest am Türgriff verankert.
Ein paar weitere Sekunden verstrichen, in denen Matt Leané eingehend beobachtete. Erst dann betätigte er die Zündung und setzte den Wagen geschmeidig in Bewegung, um sich in den Londoner Verkehr einzufädeln. „Der letzte Stand war, dass die Medien kein Bildmaterial vom Opfer haben erstellen können. Sie sind einigen Constables zu nahegekommen und haben sie bedrängt, auf Nachfragen zu antworten, aber bis auf eine Ausnahme haben alle entsprechend der Richtlinien nach gehandelt. Deswegen wird wohl nicht verhindert werden können, dass es eine Schlagzeile gibt, die Informationen darin aber größtenteils mager ausfallen.“
An einer roten Ampel kam der Wagen zum Halten, sodass Matt einen weiteren, abschätzenden Blick auf seine Kollegin werfen konnte. Sie hatten den Blick stur geradeaus gerichtet und die Spannung war noch immer nicht aus ihrem Leib gewichen. Als guter Ermittler stellte sich natürlich die Frage, wieso die Frau so reagierte, aber er würde nicht danach fragen. Er wahrte die Verhältnisse. „Früher oder später wird ein offizielles Statement erfolgen, damit keine Falschinformationen veröffentlich werden. Kennen Sie sich aus mit dem Krisenmanagement, Miss Gordons?“
Fragen waren gut. Den Kopf ablenken, damit die Furcht oder was auch immer Leané trieb, keinen Fuß fassen konnte. Wie jeder war auch Matt darin geschult worden, mit Menschen umzugehen, die traumatisiert waren. Nur kannte er bei den meisten Menschen den Grund, wieso sie es waren, denn Opfer von Straftaten standen bei ihm praktisch an der Tagesordnung.Der Schauplatz war weiträumig abgesperrt worden. Kurz vor dem gelben Flatterband brachte Matt den Volvo zum Stehen und sie stiegen beide aus. Das Wetter hatte ihnen glücklicherweise noch keinen Strich durch die Rechnung gemacht, sodass man bereits die Markierungen am Boden erkennen konnte, die die Fundstellen von wichtigen Beweisen und des Opfers markierten. Matt hielt das Flatterband für Leané hoch und bückte sich anschließend selbst drunter weg, um sich dem Tatort zu nähern. Etliche Leute von der Spurensicherung tummelten sich hier, durchsetzt mit einigen Constables und anderen Polizisten. Dass es ausgerechnet die Durward Street sein musste, konnte wohl kaum ein Zufall sein. Wenn er sich nicht täuschte, dann war die Markierung eines Körpers am Boden auch fast auf der gleichen Höhe wie jene, wo damals das erste Opfer Mary Ann Nichols gefunden worden war. Noch bevor er mit jemanden von der Spurensicherung sprach, schlenderte er zu der Stelle und ließ den Blick schweifen. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen, als er sogar eine nicht unerhebliche Menge Blut auf dem Boden nahe der Abläufe entdeckte. Nachdenklich drehte er sich um zum Hallengebäude, an dessen Fassade eine Kamera angebracht worden war. Womöglich hatte sie den Mord oder zumindest das Verbringen der Leiche aufgezeichnet.
„Chief Hayward“, ertönte es plötzlich von der Seite, als ein Mann mittleren Alters auf ihn zu kam. Ein schneller Blick auf dessen aufgenähten Namen verriet ihm, dass der Mann Turner hieß. „Freut mich, dass Sie es so schnell einrichten konnten. Ich fürchte, dass das hier kein zufälliger Mord gewesen ist.“
„Dafür sind die Überschneidungen zu gut abgestimmt“, gab Matt Turner recht und ließ weiter den Blick schweifen.
Der Mann stieß einen tiefen Seufzer vernehmen und reichte Matt ein Klemmbrett, auf dem Notizen gemacht worden waren. „Das sind alle Auffälligkeiten, die beim Fund und bei der bisherigen Untersuchung gemacht wurden. Das Opfer ist weiblich und 43 Jahre alt, weshalb wir ein Zufallsopfer ausschließen.“
Matts Lippen wurden schmal. Wenn sogar das Alter stimmte, dann war die Tat von vornherein geplant gewesen. Das hier war jemand, der sich sehr sorgsam auf sein Dasein als Copy Cat vorbereitet hatte und das bedeutete, dass höchstwahrscheinlich weitere Morgen folgen würden. Mindestens vier, um genau zu sein. „Stimme ich zu. Briefen Sie mich, was Ihnen sonst bisher noch aufgefallen ist.“ -
Für Darius‘ Geschmack viel zu schnell brach Iris den Blickkontakt und schlug ihre Augen nieder. Mit ein wenig mehr Widerstand hatte er schon noch gerechnet, doch die Hexe war gewillt, ihm jetzt schon Antwort auf seine Frage zu stehen.
„Der harte Aufprall…“. Ihre Stimme war nicht aufgerieben von der Wut, die sie sonst immer zur Schau stellte. Jetzt war sie leiser, gepresster und schwankte in ihrer Tonlage. Darius kannte die Anzeichen, wenn jemand über etwas sprach, was er lieber nicht verbalisierte. „… das Auto ist von der Straße abgekommen und in einen See gerast.“
Aha. Das war es gewesen. Nicht die Verletzungen oder der Aufprall hatten sie umgebracht. Sie war ertrunken, weil man sie womöglich nicht schnell genug aus dem Wrack bekommen hatte. Durch den Aufprall womöglich ohnmächtig hatte sich das arme kleine Mädchen nicht selbst befreien können. Oder noch besser; sie hatte es versucht, bis ihr die Luft ausgegangen war und ihr Körper sich dem Trauma einfach widersetzte. Noch immer höchst interessiert behielt er Iris im Blick, als sie wieder aufsah und sich sofort in seinem Bann wiederfand. Selbstverständlich hätte es genug andere Fragen gegeben, die er ihr noch nachsetzen konnte. Ihn beschlich nur das Gefühl, dass sie für alles Weitere Gegenleistungen verlangen würde, die er nicht gewillt war, zu zahlen.
„Warum hat Hyacinthia gerade dich darum gebeten, ihre Memoiren zu verstecken?“
Darius blinzelte. Das allein war eine Frage, für die der Preis weit unter die Decke schoss. Den würde die kleine Hexe garantiert nicht bezahlen können.
„Es gibt dutzende, hunderte, von Dämonen, die sie hätte aufsuchen können. Warum gibt sie die Memoiren lieber einem Dämon in die Hand, als ihre Familie, wenn es so gefährlich war? Sie hat ihrem Zirkel mit dem Wissen nicht vertraut.“
„Das sind eine Menge Fragen, die alle unterschiedliche Preise verlangen. Möchtest du sie wirklich alle bezahlen?“, fragte Darius mit einem Unterton, der verriet, dass sie ihre Wahl besser überdenken sollte. Er zog sich von seiner vorgelagerten Haltung zurück und stand dann unvermittelt auf. „Wenn du einen Rechtsanwalt brauchst, der dir eine Unsumme an Honorar abverlangen wird, wählst du dann nicht auch den Besten, den du für das Eingesetzte bekommen kannst?“
In einer fließenden Bewegung fuhr sich der Dämon mit einer Hand durch sein dunkles Haar bevor er sich in Bewegung setzte und den Tisch ganz langsam zu umrunden begann. Sein Oberschenkel streifte dabei fast die Tischkante, als er seine Hand senkte, um die Fingerspitzen ganz und gar zärtlich über die Oberfläche gleiten zu lassen, während er Schritt um Schritt näher zu Iris kam. „Im Endeffekt war es natürlich keine Bitte von ihr. Es war ein Angebot und ich habe es gern angenommen. Es ist selten, dass wir solch eigennützige Angebote unterbreitet bekommen. Üblicherweise begegnet ihr uns mit Argwohn, Abneigung, Furcht. Dabei sind wir eine Konstante mit Wissen, welches sich im Diesseits längst verloren haben könnte. Ein bisschen vorurteilsbehaftet, findest du nicht?“
Bei der Tischecke nebst Iris angekommen, musterte der Dämon die Hexe von oben herab. Dann setzte er sich auf die Tischplatte, ein Fuß auf dem Boden abgestellt, der andere knapp darüber schwebend. Die Hand legte er flach auf dem Tisch ab – genau zwischen sich und Iris.
„Die Antwort auf deine erste Frage kommt dir teuer zu stehen und ich weiß, dass du sie nicht bezahlen wirst, Liebes“, raunte Darius ihr mit leicht gesenktem Kopf zu. „Für die zweite Frage möchte ich als Gegenleistung, dass du dein Misstrauen mir gegenüber ablegst. Vertrauen kann ich nicht von jetzt auf gleich fordern, aber ich kann verlangen, dass du mich nicht ständig so betrachtest, als wollte ich nur das Schlimmste von dir. Das ist doch nicht gerecht, Izzy…“ -
Mein Blick hob sich zu dem schwebenden Kristall in der Mitte des Raumes. Also ein Schutz, kein Übertragungsmittel wie jenes, welches Zane in seinen Zimmern benutzt hatte. Offensichtlich hatten sie alle laufend Zugang zu diesen Kristallen, die sie für ihre Zwecke auslegen konnten. Oder sie stellten sie sogar selbst her. Vielleicht konnte ich das ja auch, wenn ich meine Magie entsprechend einsetzen konnte.
„Das passt schon, dass es ein Mythdorf ist. Hätte mich eher gewundert, wenn es ein Dorf voller Menschen so nah an den Abartigen dran gewesen wäre“, sagte ich schulterzuckend und schloss meine Hose, womit mein Aufzug komplett war. „War immer riskant, sich da was zu holen, aber irgendwie musste ich ja an Sachen kommen. Sei es Essen oder anderes Zeug.“
Im Endeffekt war ich ein Dieb gewesen. Manchmal hatte meine Tarnung ausgereicht, um mich kurzfristig in den Straßen der Nacht aufzuhalten. Meistens jedoch musste ich einfach schlechtes Wetter und ungünstige Zeiten abwarten, um schnell zu sein.
„Warte bitte einen Moment hier.“ Korvax war aufgestanden und hatte scheinbar genug von meinen Erzählungen. Gut, konnte ich ihm auch nicht verübeln. Immerhin war mir jetzt klar, wieso er überhaupt noch bei mir blieb und dass es ihm rein gar nichts brachte. Zu gern hätte ich ihn auch als Schatten bezeichnet, aber das erinnerte mich nur an meinen eigenen, der scheinbar einen Teil von Zane beinhaltete. Argwöhnisch betrachtete ich meinen Schatten. Natürlich sah er völlig unauffällig aus. Trotzdem wirkte er nun fremdartig auf mich. Rasch schüttelte ich den Gedanken fort, nachher beschwor ich den Idioten auch noch durch meine fokussierten Gedanken an ihn.
Währenddessen hatte Korvax das Haus verlassen und war in schwarzen Nebel verschluckt worden. Ich gaffte gerade noch durch die Tür, um ihn in einer großgewachsenen Katzengestalt im angrenzenden Wald verschwinden zu sehen. Leider musste ich gestehen, dass das schon ziemlich cool war. Sich nach Lust und Laune in die Haut eines Anderen zu stecken musste wahnsinnig praktisch sein, wenn man nicht so Pech wie er gehabt hatte und gefangen wurde. Für mich wäre das jedenfalls eine unheimliche Erleichterung gewesen, mein Leben –
Was zur Hölle stellte ich mir da gerade vor?!
Ich sah es nur praktisch. Ich sympathisierte nicht mit Abartigen. Auch wenn ich von Wandlern nie viel gehört hatte, würden sie den Menschen wohl kaum wohlwollend gesonnen sein. Es gab sicherlich immer Ausnahmen, so wie es auch wirklich beschissene Menschen gab. Nur durfte das nicht das Gesamtbild trüben, das ich hatte. Ich musste mich zusammenreißen.
Nach einer Weile kehrte Korvax zurück. Dieses Mal wandelte er sich vor meinen Augen und ich konnte bezeugen, wie der Nebel ihn praktisch verschluckte und vor neugierigen Augen schützte, als er sich verwandelte. Alles dauerte nur wenige Sekunden – dann stand der große, schlanke Mann wieder vor mir. „Es gibt ein paar ältere Spuren, doch wir sollten gehen können, ohne welche zu begegnen.“
Dazu nickte ich. „Top. Dann brechen wir hier unser Lager ab und ziehen weiter. Ich brauch Nachschub“, meinte ich und schulterte die Tasche, die nicht wirklich viel Inhalt hatte, aber praktischer Stauraum sein würde.Das Dorf, welches Korvax gemeint hatte, entpuppte sich als genau das. Eine kleine Siedlung, umgeben von Land und Feldwirtschaft. Zeichen von Industrialisierung fand man hier kaum, das höchste der Gefühle waren Mühlen und Orten zum Einkaufen, die aber allesamt nicht massiv mit Elektronik ausgestattet waren. Es gab zwar Straßen, aber der Verkehr ging hier fast gar nicht von statten. Eine typische Siedlung für Myth, die von den Errungenschaften der Menschheit abgeschworen hatten.
Das wiederum bedeutete für mich, keine expliziten Versteckmöglichkeiten. Also hielten Korvax und ich und erstmal am Rand des Waldes bedeckt. Er hatte zwar diesen Kristall noch bei sich, aber ich traute dem Schutz nicht vollkommen. Außerdem setzte das voraus, dass wir einen Ort fanden, wo wir uns wenigstens hin zurückziehen konnten. Bisher sah ich allerdings nur Bäume und noch mehr Bäume. Würde wohl eine Nacht ohne Dach über dem Kopf werden.
„Meinst du, du könntest bei Zeiten einmal das Dorf da auskundschaften und schauen, was es zu holen gibt?“, fragte ich den Wandler, als ich meine Tasche an einen Baumstamm lehnte und mir die salzigen Strähnen aus der Stirn wischte. „Je nachdem lohnt es sich überhaupt, da stehlen zu gehen.“ -
Darius schaltete in einen anderen Modus. Jetzt sah er nicht mehr danach aus, als würde er jede Sekunde darauf warten, dass Iris einen falschen Ausdruck benutzte, um es ihr auf die Nase zu binden. Jetzt sah es eher so aus, als würde er alles tunlichst genau aufzeichnen, was sie sagte. Jedes Wort, jede Silbe, die über ihre Lippen kam, brannte sich in das schier endlose Gedächtnis des Dämonen ein. Niemand wusste, wie viel sich diese Kreaturen tatsächlich merken konnten. Oder wie genau das feine Konstrukt ihres Regelwerks funktionierte. Dafür war der Umgang mit ihnen schlichtweg viel zu gefährlich.
Als Iris endete, hing eine bedeutungsschwangere Stille nach. Der sonst so wortgewandte Darius schwieg zum allersten Mal freiwillig, wobei seine Miene nachdenklich wirkte. In Wahrheit durchforstete er das gerade gehörte und wog ab, was Lüge und was Wahrheit war. Iris wusste nicht, dass sie einen Dämon anlügen und, wenn sie es gut machte, auch damit davonkommen konnte. Es gab schlichtweg kein Mittel, welches ihm bedeutete, wann sie log. Einzig sein Verstand und seine Kenntnis waren seine Richtwerte.
„Autounfälle können schnell geschehen, das stimmt. Aber es ist schon sehr interessant, dass es scheinbar nur dich erwischt hat. Weder Magnolia noch Lysander scheinen, deiner Erzählung nach, großartige Verletzungen erlitten zu haben. Ungünstig gelaufen, findest du nicht?“
Eine winzige Prise Argwohn schwang in seiner dunklen Stimme mit. Er hatte sich leicht vorgelehnt, das Zentrum seiner Aufmerksamkeit zog sich immer wieder um die Hexe ihm gegenüber zusammen. Er hatte in ihrer Erzählung eine einzige Stelle gefunden, die ihm seltsam vorkam. Eine Stelle, die man nicht so erwähnt hätte, wenn sie keine Rolle spielen würde. Hier versteckte sich mehr, verriet ihm sein Gefühl und das täuschte ihn nur selten.
„Natürlich weinen Eltern um ihr Kind. Sofern sie eine normale Bindung zu ihm haben. Ein Unfall ist ein schreckliches Erlebnis und wenn der Tod praktisch in den Armen liegt, traumatisiert das sicherlich… Nur hätten die Meisten einfach nur erzählt, dass ihre Eltern geweint haben. Du hingegen hast gesagt, ihre Gesichter waren nass…. NUR ihre Gesichter? War dir vielleicht nicht nur wegen des Herzstillstandes kalt, sondern noch wegen etwas anderem? …“, hakte Darius gnadenlos weiter nach.
Seine nicht mehr von einer Sonnenbrille verhüllten Augen wuchsen gefühlt immer weiter an. Er war irgendetwas auf der Spur und Nachfragen waren in Deals selbstverständlich erlaubt. Inwiefern Iris diese jedoch beantwortete, stand auf einem anderen Blatt. Umso genauer achtete er auf jedes verräterische Zeichen, das die Hexe von sich gab. Jeden Bruch des Blickkontaktes, jedes Zucken ihres Gesichts oder wenn sie nicht wusste, wohin mit ihren Händen. Sie würde sich verraten, das wusste er. Kein Mensch in ihrem Alter war gefeit davor, sich vollends vor einem Dämonen bedeckt zu halten. Erst recht nicht, wenn ihm ein uralter Leviathan gegenüber saß. -
Wenn sein Handy auf dem Nachttisch klingelte, dann bedeutete es in der Regel nichts Gutes.
In den frühen Morgenstunden durch den Anruf des Deputy Chief Constables geweckt zu werden, war für Matthias nichts Neues. Es war lediglich ein erster Hinweis darauf, dass die Sache, um die es ging, brisant oder besonders dringlich war. So wie an diesem Morgen, wo er direkt ins Department gerufen worden war, um sich einen Fall anzusehen, bevor die Medien ihn zerfetzten.
Auf dem Weg hatte sich der Detective Chief Superintendent eine einzige Zigarette gegönnt – ein Laster, welches er nicht hatte ablegen können. Sporadisch zündete er sich einen Glimmstängel an, wie beispielsweise vor ereignisreichen Tagen wie diesen. Wie immer entsorgte er Filter ordnungsgemäß vor dem Eingang des Gebäudes, da er sein Büro gerne rauchfrei hielt. Er rauchte zwar, mochte aber den Dunst von kaltem Rauch nicht sonderlich. Folglich nahm seine Uniform, deren Schulterklappen seinen Rang mittels einer Krone und einer Raute anzeigte, keinen Rauchdunst an.
Kaum betrat Matt das Department, grüßten und winkten ihm alle möglichen Kollegen. Jedem einzelnen nickte er zurück, manche bekamen sogar ein knappes Handzeichen von ihm, während er sich auf den Weg zu seinem Büro machte. Die braune Ledertasche in der Hand beinhaltete alles, was er über den Tag verteilt brauchen würde; Notizmaterial, eine Thermoskanne, seine Börse, Zigaretten und Lutschpastillen. Nichts Außergewöhnliches für jemanden, der täglich im Büro anfing und nur rausgerufen wurde, wenn die Fälle es verlangten.
Vor seinem Büro angekommen drehte Matt das Schild mit seinem Namen um. Das tat er immer, um anzuzeigen, dass er gerade im Hause war. Diese Manier war nicht üblich – die meisten Kollegen ließen ihren Namen mit Milchglasfolie auf die Scheibe aufbringen und das war’s. Ob sie da waren oder nicht konnte schließlich immer mittels eines Anrufes herausgefunden werden. Nur tickte Matt in dieser Hinsicht etwas anders. Das sah man auch an seinem Büro, das, für mancher eins, unpersönlich und kalt eingerichtet war. Sämtliche persönliche Objekte, die man in anderen Büros fand, fehlten. Nirgends standen Bilderrahmen, eine Tischdeko fehlte komplett und auch der Wandkalender war kein besonderer, sondern lediglich vom Polizeibund selbst ausgestellt. Der Stuhl war ohne Sitzkissen, nicht mal sein Desktophintergrund zeigte ein Bild. Es war lediglich eine abstrakte Verwerfung von Farben, die jeden anderen vermutlich wahnsinnig gemacht hätte, ihn allerdings beruhigte.
Die Tasche nebst dem Schreibtisch abgestellt, fiel Matt die säuberlich platzierte Akte auf, die das aufgeräumte Bild seines Schreibtisches störte. Eine braune, unauffällige Akte mit einem Zeichen darauf, das die Unterschrift des Chief Constables Hudgens darstellte. Langsam zog Matt den Stuhl zurück, setzte sich und klappte die Akte auf. Dann begann er damit, sich in die Faktenlage einzulesen und die grausamen Bilder, die von dem Tatort angefertigt worden waren, zu bewerten. Gut zwanzig Minuten verbrachte er damit, die Parallelen zum Ripper festzustellen und damit war ihm auch schon die Frage beantwortet worden, wieso man ihn ausgerechnet aus dem Bett geklingelt hatte. Die Kollegen, die den Tatort gefunden hatten, waren, gelinde gesagt, verstört. Junge Kollegen, die ihren Dienst noch nicht so lange ausübten wie andere hier. Die Verstärkung, die anschließend eingetroffen war, hatte die Ähnlichkeiten bemerkt, gemeldet und dann hatte der Fall seinen eigenen Lauf genommen. Nun hatten sie alle Hände voll damit zu tun, die Medien aus der Sache rauszuhalten. Denn mediale Aufmerksamkeit war das Letzte, was man dem Mörder geben wollte.Es klopfte zweimal, bestimmt, aber kurz. Matt schlug die Akte zu und hob den Kopf bevor er „Herein“ sagte. Die Frau, die hereinkam, war ihm keine Unbekannt; das ganze Revier munkelte hinter ihrem Rücken und er hatte mehrfach Kollegen erinnern müssen, dass ihm solches Gehabe nicht gefiel. Der handgeschriebene Vermerk von Hudgens besagte, dass nicht nur er, sondern auch Detective Inspector Gordons damit betraut worden waren, sich den Tatort genauer anzusehen. Er selbst hatte noch nicht die Ehre, sich enger mit der Inspektorin zu befassen. Ein kurzer interner Abgleich sagte ihm zumindest, dass sie keine Stümperin war und damit konnte er arbeiten. Kaum trat sie ein, erhob er sich schon von seinem Tisch. Dabei entging ihm nicht, wie sie den Blick schweifen ließ und wie alle anderen feststellte, dass sein Büro sehr nüchtern wirkte.
„Sir.“ Eine knappe Anrede gefolgt von einem ebenso knappen Nicken. Er erwiderte das Nicken nicht. „Ich wurde geschickt, um Ihnen zu assistieren. Detective Inspector Gordons.“
Matts rechter Mundwinkel zuckte in einer Andeutung eines Lächelns in die Höhe. Mit wenigen Schritten umrundete er den Schreibtisch und streckte der kleineren Frau seine Hand aus. „Freut mich, Miss Gordons. Dann haben wir auch endlich die Ehre. Matthias Hayward-Kirchner, Hayward reicht vollkommen aus. Sie haben sich bereits in den Fall eingelesen, hoffe ich?“
Sein Händedruck war fest, aber nicht schmerzhaft. Genau die richtige Stärke für die schmaleren Hände einer Dame und zeugten von unzähligen Begegnungen. Den Meisten fiel sofort auf, dass Matt nicht so steif oder gelangweilt wie andere ältere Kollegen wirkte. Trotz seines Alters wirkte er unverbraucht und motiviert, was viele Damen dazu brachte zu hinterfragen, wieso er keinen Ring am Ringer trug.
„Dann brechen wir direkt auf. Mir sind die Bilder geliefert worden, aber ich schätze, wir müssen uns das live vor Ort ansehen. Irgendwelche Einwände?“ Er schnappte sich seine Jacke vom Haken, warf sie über seinen Arm und öffnete die Tür zu seinem Büro, um sie Leané aufzuhalten. „Nach Ihnen.“Als Chief Superintendent hatte Matt den Luxus, nicht auf einen der üblichen Streifenwagen zurückgreifen zu müssen. Er durfte bei Ausfahrten einen der schwarzen, großen Volvos nehmen, die nicht sofort ‚Polizei‘ schrien. Die Jacke warf er auf den Rücksitz ehe er sich hinter das Lenkrad schwang. Völlig routiniert und entspannt schnallte er sich an und sah dann zur Beifahrerseite – wo Leané noch immer vor dem Wagen stand. Fragend runzelte er die Stirn. Hatte sie erwartet, dass sie fahren sollte? Rookies fuhren bei ihm nie und sie war zwar kein Anfänger, doch kannte er sie nicht.
„Gibt es ein Problem, Miss Gordons? Es gibt keinen festen Zeitplan, aber in der Regel sorgte jede verstrichene Sekunde dafür, dass Beweise am Tatort unbrauchbar werden können“, erwog er, steckte den Schlüssel in die Zündung und sah sie erwartungsvoll an. „Bisher ist noch jeder meiner Beifahrer heile an seinem Ziel angekommen. Sie werden da keine Ausnahme bilden, wenn es das ist, worum es Ihnen geht.“ -
Abgelehnt.
Das Wort huschte so schnell über Iris‘ Lippen, dass Darius sich nicht beherrschen konnte und ein aufrichtig amüsiertes Lächeln zeigte. So schnell hatte sie sich also auch schon seines Wortschatzes bemächtigt. Gierige, kleine Hexe…
Scheinbar war die Angst, die er von ihr erfahren wollte, eine wirklich tiefe. Ein einschneidendes Erlebnis, so wie sich ihr Puls gerade beschleunigte. So schnell, dass er womöglich sogar schneller als bei dem Energiezug gewesen war und das stimmte Darius nun doch sehr neugierig. Ängste waren mächtige Mittel und praktisch in jedem Lebewesen verankert. Hatte man diese und den Namen besaß man praktisch sämtliche Hebel, die es zu bewegen galt. So wie Iris gerade defensiv die Arme vor sich verschränkte, würde er jetzt keinen Hinweis zu ihrer Angst aus ihr ziehen können. Obwohl das Kauen ihrer Unterlippe einen Zwiespalt oder Nervosität verdeutlichte. Vermutlich, weil sie gerade in der Zwickmühle wegen ihrer Mutter steckte. Manchmal bereute Darius es, nicht die Fähigkeit zu besitzen, Gedanken lesen zu können. Er wurde mit anderen Vorzügen gesegnet, aber jetzt gerade hätte er es zu gern gekonnt. Immerhin beäugte Iris ihn mit diesen schmalen Augen. Sie dachte an irgendetwas. Er würde nur nie wissen, an was genau.
„Dann beantworte mir eine Frage. Für einen neuen Preis“, sagte Iris plötzlich, nachdem Darius beide Füße wieder auf den Boden gebracht und Anstalten gemacht hatte, aufzustehen.
„Oh, ein neuer Handel? So schnell gerät deine Mutter also in Vergessenheit?“, stichelte er unterhalten weiter, doch die Hexe sah ihn nicht einmal an. Das kränkte ihn irgendwie.
„Informationen gegen Informationen. Eine vernünftige Antwort.“
„Ich gebe immer vernünftige Antworten, Liebes.“
„Kein halbgares, kryptisches Dämonengeschwafel.“
„Das ist eine hohe Kunst, die nicht jeder meistern kann. Da fließen Jahrzehnte Erfahrung rein.“
„Du kanntest Hyacinthia Goodwin.“
Oh. Jetzt wurde es vielleicht doch noch interessant.
„Ich habe noch nie davon gehört, dass eine meiner Vorfahrinnen eine Verbindung zu einem Dämon hatte. Hm, dass meine Familie damit nicht prahlt, ist sonnenklar. Warum hat sie einen Deal mit…“
Iris unterbrach sich, als sich Darius Augenbrauen hoben. Eine stumme Konversation brach zwischen den beiden aus, als die Hexe realisierte, was der Dämon nie offen gesagt hatte. Für einen Moment nahm er an, sie würde kopflos weiterreden und ihre eigene Anfrage damit nichtig machen. Doch sie besann sich eines Besseren. „Worüber hat Hyacinthia Goodwin mit dir gesprochen?“
„Der Preis?...“, fragte Darius leise und ließ keine Rückschlüsse darüber zu, ob er interessiert war oder nicht.
„Im Gegenzug erzähle ich dir von dem Tag, der mein Leben ruiniert hat. Ich erzähle dir von dem Tag, an dem ich gestorben bin.“
Eine Erkenntnis flackert in Darius‘ Ziegenaugen auf, die Iris sicherlich auch nicht entgangen war. Der Punkt, dass sie in ihrer Lebensgeschichte bereits einmal tot gewesen war, war kein trauriger Punkt in ihrer Historie. Das war eventuell einer der Schlüssel, weshalb er so seltsam auf sie reagierte. De Tod veränderte Dinge maßgeblich, die Vampire waren der beste Beweis dafür. Sie verloren ihre Seele bei ihrem ersten Tod. Was war also der Preis, den eine Hexe zu zahlen hatte, um wieder zurückzukehren?
Betont langsam holte Darius Luft und lehnte sich zurück in seinem Stuhl. Er musste nur einfach zustimmen und würde dann höchstwahrscheinlich von ihr unwissentlich erklärt bekommen, woher ihre Macht rührte. Sie war noch nicht alt, also war es durchaus möglich, dass sie ihre zahlreichen Witchmarks nicht vor diesem Unfall schon gehabt hatte. Und dann wurde die Sache erst richtig interessant.
„… Wir haben einen Handel, Iris Hyacinthia Farrow“, schloss Darius regelrecht feierlich und kam dann ohne Umschweife zum Thema. Er wusste, würde Iris ihren Teil des Handels nicht einhalten, dann bekäme sie die Konsequenzen postwendend zu spüren. „Du erinnerst dich an das Buch mit dem Skarabäus? Das sind ihre Zeichnungen gewesen. Das Buch sind praktisch ihre Memoiren, ein gesammeltes Werk über die Goodwin-Blutlinie. Sie hat es bewacht, weil es Wissen enthält, welches für die Außenwelt nicht sicher ist. Deswegen hat sie mich darum gebeten, es zu verstecken. Und jetzt hätte ich gerne deine Ausführung. Möchtest du Tee? Kekse? Soll ich Bis losschicken, damit er dir noch mehr Schokolade stibitzt?“ -
Wenn Leyla in einem brilliert, dann ist es das misstrauisch sein. Mit von Skepsis angehobenen Augenbrauen mustert sie den Fremden, der sich offensichtlich nur dank des Schleckstängels einigermaßen zusammenreißen kann. Nicht nur, dass sie den Mann und sein gequältes Gesicht nicht kennt, nein, er erzählt auch wirres Zeug, das, sollte es der Wahrheit entsprechen, brisant ist.
„Halt, stopp hier. Woher willst du das alles so genau wissen? Ich will erst mal die Personalien haben“, verlangt Leyla ungerührt. „Wenn ich da wirklich reinspazieren soll, dann muss ich wissen, wen ich vertrete. Ich kann nicht einfach ohne Erlass die Sitzung stören. Erst recht nicht um diese Uhrzeit.“
Sofern der Kerl überhaupt die Wahrheit spricht. Allerdings unterstützt ihr Verstand seine bisherigen Worte. Es ist doch kein Zufall gewesen, dass sie ausgerechnet heute einen zwielichtigen Deal beobachtet und einen Hütchenträger gesichtet hatte. Viel zu suspekt war der Würdenträger im Gebäude verschwunden und sicherlich steckte er bis zum Hals in der Scheiße drin.
Erwartungsvoll verschränkt Leyla also die kurzen Ärmchen vor ihrer Brust, ganz deutlich machend, dass sie erst gehen würde, wenn er ihr zumindest diese Häppchen servieren würde.Kurze Zeit später ist klar: Der Plan, von oben in das Gebäude einzudringen, geht nicht auf. Sämtliche Luken sind verplombt und gesichert, das Glas einzuschlagen stellt keine Option dar. Keine Lücke sind zu finden, durch die sie sich hätte quetschen können und so bleibt nur übrig, wieder den Weg nach unten einzuschlagen. Über diese Aktion würde Leyla später kein Wort mehr verlieren – der Abstieg war nämlich wesentlich grauenvoller gewesen als das Erklimmen der Wand.
Unten angekommen macht sie einen großen Bogen um die Pampe, das traurige Überbleibsel des Einbrechers. Einen Plan hat sie nämlich noch, bevor sie einfach plakativ durch den Haupteingang in das Gebäude spaziert und dann eben so zum Plenarsaal kommt.
Vor der Hintertür kramt Leyla in ihren Untiefen der Taschen ihres Mantels herum. Mit einem zufriedenen „Aha!“ fördert sie einen Satz abgenutzter Dietriche ans Mondlicht. Sie wäre keine gute Ermittlerin, wenn sie nicht das Knacken von Schlössern wie Atmen beherrschen würde. Obwohl das ihr auch schon einige Anhörungen eingebracht hatte, weil sie auch mal fälschlicherweise Türen von Unschuldigen geknackt hatte. Dabei hatte sie doch nur bewiesen, dass sie ihre Türen einfach nicht ordnungsgemäß gesichert hatten! Da war rein gar nichts verwerfliches dabei gewesen!
Also macht sich Leyla daran, das Schloss auf Herz und Nieren zu prüfen. Der Zeitplan, den ihr der Kerl gegeben hatte, läuft parallel in ihrem Köpfchen ab. Jede Sekunde tickt herunter, während sie mit ihrer Denkerzunge Bolzen schiebt und den Mechanismus prüft. Wie immer fühlt es sich ewig lang an, dann ertönt das göttliche Klicken und die Tür bewegt sich. Leise kichernd richtet sich Leyla auf. Zu ihrer Überraschung lässt sich die Tür aufziehen – kein zusätzlicher Vorschieberiegel. Gut, sie können ja auch nicht wissen, dass eine meisterhafte Einbre- äh, Ermittlerin natürlich auf dem Weg ist.
Auf Zehenspitzen schleicht sich die Gnomin in das Gebäude und zieht die Tür leise hinter sich ins Schloss. Bisher war sie nur wenige Male hier gewesen und dann auch nur durch den klassischen Vordereingang. Papiere abgeben und Beschlüsse abholen. Aber das hier lässt ihr Herzchen wieder schneller schlagen, als sie sich durch die Gänge schlängelt, den Stimmen folgend und auf der Suche nach dem Plenarsaal. Dann wollen wir doch mal sehen, wie tief sich dieser Skandal wirklich erstreckt. -
„Ich will meine Mutter sehen. Ich muss wissen, dass es ihr gut geht, nachdem du sie quer durch den Garten geschleudert hast.“
Ein andermal hätte Darius nun die Augen gerollt. Wie lange war Iris nun schon im Jenseits und es fiel ihr erst jetzt ein, sich nach ihrer Mutter zu erkundigen? Darius hegte keine familiären Bande, aber er hatte oft genug gesehen, wie sich Menschen anstellten, wenn es um ihre Familien ging. Sie würden nachteilige Deals schlagen, nur um wenige Stunden bei ihren Liebsten verbringen zu können. Und nach der Show zu urteilen, die Darius in dem hübschen Gärtchen abgezogen hatte, hätte Iris schon einen Tag später nach ihrer Mutter fragen müssen. Stattdessen…
Iris führte aus, was sie sich von ihm wünschte. Ganz der Dämon ließ Darius sie ausreden, blieb absolut ausdruckslos, obwohl er schon längst seine Antwort parat hatte. „Eine Stunde, dann komm ich ohne Theater wieder mit dir zurück“, sagte die Hexe und tippte gegen das Glas einer lächerlichen Sanduhr, die sie aus dem Diesseits gezogen hatte.
Eine Sanduhr. Dachte sie, er sei zu Spielchen aufgelegt?
Dann drehte sie ihre Hand auf dem Tisch um und legte eines ihrer Witchmarks offen. Darius‘ Augen bemühten sich nicht einmal, den Blickkontakt dafür zu brechen. Das war es schließlich nicht wert.
„Im Gegenzug kannst du das Siegel brechen.“
Da hatte Iris aber etwas in den ganz falsch Hals bekommen. Großzügig bot sie ihm ihr Siegel an, dabei bräuchte er nicht einmal ihre Erlaubnis, um jedes einzelne von ihnen zu brechen.
„Du könntest es auch ohne meine Zustimmung tun, aber dann würdest du vielleicht noch einen Arm riskieren.“
Immerhin kam sie selbst auf den Trichter. Wobei das kleine Siegel dort nicht das Problem darstellen würde. Es waren die großen, die er nicht einfach so brechen können würde, ohne sich auf einen Rückschlag gefasst zu machen.
„Kein Protest. Kein bewusster Einsatz meiner Magie. Ich werde mich… fügen. Es läuft nach deinen Spielregeln. Sobald du deinen Teil des Handels erfüllt hast.“
„Abgelehnt.“ Seine Antwort kam schneidend, kaum hatte Iris ihren Satz beendet. „Zugegeben, dein Wunsch, deine Mutter zu sehen, ist gerechtfertigt, allerdings nach Wochen nicht mehr als dringend einzuschätzen. Das Anbieten deines Siegels ist zwar nett, aber du hast gesehen, wie leicht Pan es brechen konnte und das gilt ebenfalls für mich. Davon wird mir nicht einmal ein Fingernagel ausgerissen.“
Außerdem hatte Darius längst bemerkt, wie Iris‘ Mundpartie sich angespannt hatte, kaum hatte sie ihre ausbleibende Gegenwehr erwähnt. Ihr gefiel es nicht, sich so zu präsentieren, auf der anderen Seite wusste sie, womit sie rechnen musste, wenn er ihr Siegel brach. „Außerdem versprichst du mir keinen bewussten Einsatz deiner Magie. Das sichert dich gegen einen Bruch ab, natürlich, aber mir wäre das Risiko zu hoch, dass du wieder einmal deine Magie nicht im Griff hast und mir dann doch ein Arm ausgerissen wird. Zu viele Unsicherheiten, also abgelehnt.“
Er wechselte das überschlagene Bein und faltete die Hände in seinem Schoß, wobei sich seine Finger verschränkten bis auf die Zeigefinger und Daumen. Die führte er lang zusammen und bildete damit eine Art Mini-Pistole, wobei er die Kuppen seiner Finger immer wieder gegeneinander tippte.
„Eine Stunde im Diesseits für dich und deine Mutter, um mit ihr sprechen und sie sehen zu können. Ich werde die gesamte Zeit über bei dir sein, aber deine Familie in Ruhe lassen und kein Wort ihnen gegenüber verlieren. Du kannst gerne versuchen zu fliehen, aber es stimmt, ich finde dich in der Regel sowieso. Im Gegenzug will ich nicht dein Siegel.“
Schließlich sollte sie von sich aus zu ihm kommen und ihn darum bitten, sie zu brechen. Nichts anderes.
„Ich will Informationen.“ Mit jeder verlorenen Silbe veränderte sich etwas in der gönnerhaften Miene des Dämons. Sie wurde dunkler, eigensinniger, ernster. Alles eine Andeutung darauf, dass er keinen Spaß aus diesem Teil des Deals machte. „Ich will von dir deine grundlegendste Angst erfahren und sie bestätigen. Du sollst sie mir beschreiben und erklären. Dann überprüfe ich kurz, ob die Reaktion stimmt. Ich werde es nicht in die Länge ziehen oder als Einlösung meines Handels in diesem Umfeld ausnutzen. Ich will lediglich die Information und keine Genugtuung. Dann hast du deinen Handel.“ -
Die Vorstellung, als intelligentes Wesen unter Vögel zu sitzen und das Gleiche zu erleiden wie die Tiere, war miserabel. Im Endeffekt war Korvax nichts anderes als all die Menschen, die jetzt nur noch zum Zweck gezüchtet und Gott wusste was mit angestellt wurden. Ich hatte kein Mitleid mit ihm, ob er damals nun wie ein Kind gewesen sein mochte oder nicht. Die Welt war grausam, das hatte mir meine Magie zweifellos auch gezeigt. Selbstverständlich schweißte so etwas zusammen. Das erklärte zumindest, wieso der Vogel so sehr an Zane klebte.
„Na deinen“, meinte ich Schulter zuckend, „immerhin weiß ich jetzt, woher Zane sein Problem hat.“
Als Korvax dann berichtete, wie er zu seinem Fluch gekommen war – und ja, das war definitiv ein Fluch – runzelte ich die Stirn vom Feuer. Eine Zeit, in der wir noch nicht so versprengt waren? Das waren locker mehrere hundert Jahre, oder nicht? Machte das Zane dann nicht auch wahnsinnig alt, wenn Korvax sagte, er sei in jungen Jahren in Ayrenas Fänge geraten? Die ganzen Zeitlinien, die klar jene eines Menschen überstiegen, bescherten mir nur Kopfschmerzen.
„Das ist völliger Wahnsinn. Man kann den Tod genauso wenig kontrollieren wie das Leben. Beides sind Mächte, die sich unseren Händen entziehen“, hielt ich entschlossen dagegen. „Du sagst, du wirst zum Vogel, sobald du stirbst. Also gibt es eine Bedingung, die beim Tod ausgelöst wird. Der Tod ist aber bedingungslos und absolut. Der ist wie…“
Ich suchte nach den richtigen Worten, fand sie aber nicht. Ich schaute auf die Finger meiner geöffneten Hand und dachte über den passenden Vergleich nach. „Okay, vergiss den Vergleich. Ich find die passenden Worte dafür nicht. Fakt ist, dass der Spinner von Nekromant nicht die Unsterblichkeit festgemacht, sondern eher deine Zeit angehalten hat. Sie immer wieder auf einen bestimmten Punkt zurücksetzt. Das hat nichts mit der Kontrolle über den Tod zu tun.“
Ich drehte den Kopf und musterte den Wandler von der Seite. Selbst im Sitzen war er deutlich größer als ich und das schwarz seiner Haare bekam im Feuerschein einen noch dunkleren Ton, sofern das überhaupt ging. Nur durch das Flackern der Flammen sah seine bleiche Haut nicht mehr so fahl aus, sondern fast schon normal. Gedankenverloren streckte ich meine Finger wieder nach ihm aus und berührte seinen Arm flüchtig. Sofort rann ein wenig Magie aus meinen Fingerspitzen und verlor sich in Korvax‘ Mantel. Das Fluchmal erschien vor meinem geistigen Auge und ich erkannte endlich die gravierenden Unterschiede zwischen seinen Runen und die von Zane.
„Aber mal im Ernst, ganz so helle ist Zane auch nicht. Der denkt, ich wäre näher am Myth als am Mensch, nur weil ich Nekromantie beherrsche.“ Ich rümpfte die Nase in einem spöttisch amüsierten Tonfall. „Stimmt aber nicht. Es sind Ereignisse oder Unfälle nötig, durch die die Nekromantie freigesetzt wird. Sie befällt nur Menschen. Ist das noch keinem anderen Myth aufgefallen?“
Ich ließ die Hand wieder sinken und beschloss, meinem armseligen Dasein nur mit einem Mantel bekleidet, Abhilfe zu leisten. Also stand ich auf und pflückte die Sachen herunter, die Korvax zum Trocknen aufgehangen hatte. Sie waren verkrustet und hart – ich werde wohl mal neue beschaffen müssen.
„Schade, dass er nicht ansatzweise so normal ist wie du. Mit dir kann man sich immerhin unterhalten, ohne ständig darauf achten zu müssen, was man sagt oder wie man guckt.“ Ich warf dem Vogel ein schiefes Grinsen zu. „Wenn ich also später wieder richtig auf dem Dampfer bin und nicht mehr drohe umzufallen – wollen wir dann mal schauen, was das Land so hergibt? Nach dem ganzen eingesperrt sein kommt mir so ein bisschen Spazieren durchaus gelegen. Vielleicht find ich dann auch neues Zeug zum Anziehen.“
Dabei deutete ich auf meine ranzige, zerschlissene Kleidung, bei der es nur eine einzige Meeraktion bedurft hatte, um sie vollständig zu ruinieren. Aber gut, als jemand, der Bäder nie gewohnt war, war meine Gefangenschaft bei Zane fast schon ein Luxus gewesen. Ich würde mir aber eher die eigene Zunge abbeißen, als ihm das jemals ins Gesicht zu sagen. Ich würde es ja so oder so früher oder später wieder vor mir haben. -
„Zane ist nicht dumm“, murmelte ich leise in meine Arme hinein, während ich das Feuer im Kamin weiter beobachtete. Mein Puls setzte sich langsam wieder und ich fühlte mich wieder mehr wie ich. „Natürlich weiß er, dass du kein normaler Vogel bist. Allein der Fluch macht das schon deutlich, wer auch immer dir den aufgelegt hat.“
Vielleicht war das auch die Verbindung, weshalb Korvax einiges über Nekromanten zu wissen schien. Er hatte mir ja schon offenbart, dass er mehrere kennengelernt hatte. Dabei sollten wir alles andere als häufig vorkommen, zumal man uns direkt eliminierte, wenn sich die Magie kristallisierte.
Als Korvax mir dann berichtete, dass Zane einen Teil seines Schattens mit meinem verwoben hatte, wurde mir kalt. Ich hatte das überhaupt nicht mitbekommen. Das hätte mir klar sein müssen… Scheiße, wie dumm konnte man denn sein. Der Vamp ging so natürlich mit seinen Form wechselnden Schatten um, dass mich das nicht verwundern sollte. Das bedeutete jedoch, dass ich einen permanenten Tracker auf mir hatte. Wenn er es wirklich drauf anlegen sollte, dann würde ich niemals den Status des Gejagten ablegen können. Auf der ganzen Welt würde er mich finden können. Die Vorstellung allein machte mich rastlos.
„Wieso hast du so einen Narren an ihm gefressen?“ Die Frage brannte schon lange auf meiner Zunge und jetzt hatte ich unverhofft die Chance bekommen, eine Antwort zu erhalten. „Er ist krank. Völlig durchgedreht. Seine Alte hat ihn auseinandergenommen und so wie sie es wollte wieder zusammengesetzt.“
Korvax blieb an Ort und Stelle stehen. Es sah nicht so aus, als wäre er irgendwie gewillt, mir näher zu kommen. Ganz so, wie er auch im Schloss ständig an Zanes Zipfel gehangen und mich ignoriert hatte. Im Gegenteil zu den meisten anderen Myths versprühte er nicht diesen überheblichen und übermächtigen Eindruck, was seine Anwesenheit mehr als nur erträglich machte. Seine Antworten waren sachlich ausgefallen, so ohne viel Gefühl dahinter. Als ob er sie abgelegt hatte, als er zum Mensch geworden war. Wie seltsam.
Also atmete ich tief durch. „Mach das nicht. Das mit dem draußen bleiben. Ist nicht fair dir gegenüber.“ Ich deutete durch den Raum, der ganz klar von Korvax so hergerichtet worden war. „Das alles hättest du nicht machen müssen und irgendwie bin ich bei dir nicht die ganze Zeit in Alarmbereitschaft. Wenn Zane mich so oder so finden kann, dann macht es keinen Unterschied, ob ich gehe oder dich wegschicken will.“
Konnte ich das überhaupt? Eigentlich nicht. Korvax stand einfach wieder auf, selbst wenn meine Magie bei ihm irgendwie Fuß fassen sollte.
„Ich… bin es einfach nicht gewohnt, Personen ständig in meiner Nähe zu haben. Ich bin seit vierzehn Jahren allein, da kann ich nicht viel dran ändern, alles und jeden seltsam anzugucken. War nicht speziell gegen dich gerichtet…“ Ich seufzte und zog meine Arme fester um die Knie. „Dann können wir eigentlich auch zusammen auf den Spinner warten. Hast du Bock, in der Zwischenzeit ein paar Fragen zu beantworten? Woher zum Beispiel der Fluch stammt?“
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