»Within the shadows lies temptation, and within temptation lies Malthor.«
Es ist schon wieder zu lange her, dachte sich Malthor. 25 Erdenjahre mochten nicht viel für einen Dämon sein, doch die Geduld war ihm dieser Tage kein Freund. Umso verlockender war die Idee einer Rückkehr. Langeweile konnte gefährlich sein, wurde sie den Mächtigen zuteil. Gewiss hatte sich vieles geändert in der Welt der Menschen. Besuche glichen einer Überraschung, präsentierte der irdische Fortschrittsdrang immerzu Neues. Andere Zeiten bedeuteten andere Bräuche, andere Sitten und andere Werte. Der Verbleib auf der Erde zählte zu den unterhaltsamsten Erfahrungen unter Malthors Art. Neue Umgebungen gingen mit neuen Herausforderungen einher, darauf wartend, vom Richtigen korrumpiert zu werden. Passenden Besitzer vorausgesetzt, würde die kurzlebige Seele auch Jahre später einen nähren. Ihr Verderben wäre nur der Anfang einer endlosen Reise in die Nichtigkeit. Doch was für Menschen eine Ewigkeit währte, war für Seinesgleichen eine Pause. Mit einer Befriedigung, die zum Abklingen verdammt war, würde der Hunger ihn erneut aufsuchen, das Verlangen zurückkehren und die Jagd nach dem nächsten Wirten beginnen. Ausgezeichnet mit der Gabe, Wünsche zu erfüllen, war es dem lechzenden Dämon ein Leichtes, die vortrefflichsten Pakte mit den köstlichsten Eignern einzugehen. Niedere Geschöpfe mit niederen Problemen, oftmals geleitet von unbändiger Gier nach Dingen, die sich fortwährend dem eigenen Vorstellungsvermögen entzogen. Dass ein jeder Dienst mit einem Preis einherging, schien sie dabei kaum zu interessieren. Blind war der Mann mit der Macht zu Füßen, und eitel wurde die Frau im Angesicht der Verehrer. Erst vor dem Abgrund würden sie erkennen, dass der Tag der Abrechnung nicht nur Gott vorbehalten war. Malthor war das Spiel vertraut, ging er dem seit Äonen nach. Gleichwohl spürte er, dass es für den nächsten Pakt mehr erforderte, um ihn vollends zufriedenzustellen. So verschieden der Charakter seines Eigners auch sein konnte, war der Ablauf im Kern vorhersehbar. Er beanspruchte zu viel vom Potenzial an Spaß, und Malthor hasste es, beraubte man ihm seines Spaßes. Daher entschied er dieses Mal vom üblichen Weg abzukehren und stattdessen einen Versuch zu wagen. Was würde passieren, wenn der Besitzer über ein funktionierendes Gewissen verfügt? Wenn die Menschlichkeit geblieben ist, aber Unzufriedenheit sein Wesen plagt? Wie lange könnte er sich der Versuchung verweigern? Malthor brannte vor freudiger Aufregung, und es galt nun, keine weitere Minute zu vergeuden. Das Experiment sollte so schnell wie möglich starten.
Ungeachtet seiner Stärke war er vor allem in den Perioden zwischen einem Pakt auf die Beihilfe der Niederen angewiesen. Dämonen wie Malthor blieb die eigenständige Fortbewegung verwehrt, stand ihnen während der Verzehrungspausen kein fleischlicher Körper zu. Leblose Materialien beherbergten ihre Natur, ehe der Besitz an eine erwählte Person überging; daher durfte er sich glücklich schätzen, innerhalb der festgelegten Grenzen über ausreichend Spielraum zu verfügen, war er trotz allem dazu imstande, seinen Willen auf das Umfeld zu äußern und letztlich auf die Menschen einzuwirken. So trug ihn das schwerreiche Erbe seines ehemaligen, lange verendeten Besitzers aus dem Anwesen unter die Leute, und diverse Haltepunkte später erreichte er den größten Flohmarkt der Stadt. Umgeben von billig angefertigten Nachahmungen, reihte sich das goldene Amulett mit seiner rubinroten Mitte unscheinbar ein, dass es in den Augen eines Laien kaum wertvoller als die Sammelkarten des Fünfjährigen von nebenan anmutete. Für Malthor war der Ort hingegen ideal, erlaubte ihm der laufende Besucherstrom über den Tag hinweg die ausgiebige Beschauung potenzieller Kandidaten. Zurücknehmen musste er sich dabei, um nicht der erstbesten Gelegenheit zu verfallen, und bis in den späten Nachmittag zog sich das zehrende Suchen, als er schließlich die Präsenz einer Gestalt vernahm, die förmlich danach schrie, sich seiner anzunehmen. Streng pulsierte das Rot des Amuletts, in einem Bemühen, die Aufmerksamkeit des Auserkorenen zu erhaschen, und sollte das Leuchten nicht ausreichen, so würde eine tief raunende Stimme ihr Übriges tun. »Wünsch‘ Dir was.«