• Dark Waters

    | A Nautical Fantasy | Enemies to Lovers |

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    Charaktere:

    Esca by Calandra

    Nessaja Redlake by Feerawen

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    Einleitung:

    Die Logbücher schreiben die Geschichte großer Entdecker und die Faszination der weiten Ozeane breitete sich aus wie ein Fieber. Bis zum Rand der Welt und darüber hinaus, heißt es. Unzählige Schiffe wagten sich auf die unendlichen Meere hinaus und stellten sich der unberechenbaren See, dem wankelmütigen Wetter und der Gefahr durch Überfälle. Nicht selten endete die Reise in einem nassen Grab am Grund des Meeres. Eines Tages stieß eine Crew mutiger Entdecker auf einen natürlichen Wall aus hohen und steilen Felsen, der die bekannten Meere wie eine Mauer teilt. Einzelne Durchbrüche in dem Wall gaben Passagen aus scharfkantigen Riffen frei. Die Passagen waren zu schmal und gefährlich für die großen Segelschiffe. Der Wall zu hoch und zu steil, um hinüber zu klettern. Der einzige Weg auf die andere Seite führte also durch die schmalen Passagen, durch die mutige Seefahrer in deutlichen kleineren Booten navigieren mussten. In mühseliger Kleinstarbeit wurden auf diesem Weg Menschen, Rohstoffe und Verpflegung auf die andere Seite des Walls transportiert. Dort errichteten die ersten Siedler befestigte Lager, die in der steilen Felswand über dem Meer verankert sind. Ein Labyrinth aus Treppen, Stegen und wackligen Seilbrücken verbindet die Gebäude miteinander. In mühevoller Arbeit werden am Fuß der Siedlungen in provisorischen Werften neue Schiffe von Grund auf erbaut, denn die fremden Gewässer erwiesen sich bereits nach kurzer Zeit als äußerst ergiebig an Fisch, seltenen Rohstoffen und Kostbarkeiten. Der Handel mit den exotischen Waren florierte und die Riffstädte wuchsen. Die Menschen waren die neuen Herrscher dieser unbekannten Welt.

    Es dauerte nicht lange bis die Menschen begriffen, dass ihre Herrschaft ein Trugschluss gewesen war. Die Vorfälle verschollener Schiffe und Leichen, die ans Riff gespült wurden, häuften sich. Als die ersten Berichte von bösartigen Kreaturen aus der Tiefe die Siedlungen erreichten, war es schon zu spät. Jenseits des Walls herrschte das Meervolk über die Gewässer. Die Wesen aus Legenden und Liedern der Seefahrer, entpuppten sich nicht als betörende Sirenen, sondern als kriegerisches und feindseliges Volk, das die Eindringlinge, die in ihrem Territorium räuberten, nicht akzeptierten. Die heikle Lage erreicht schnell ihren blutigen Höhepunkt, als die ersten Meervölkler in den Netzen der Seefahrer landeten oder den eigens für die Jagd nach Meervölklern entwickelten Harpunen zum Opfer fielen. Bald schon entstand ein regelrechter Schwarzmarkt um die Meereskreaturen – lebendig oder tot, in Einzelteilen oder am Stück, spielte keine Rolle. Als Antwort darauf nähern sich die Überfälle der Meervölkler immer weiter den Siedlungen, bis schließlich die ersten Angriffe auf die Versorgungsboote in den Irrungen und Wirrungen der Riff-Passagen stattfinden. Knappheit und Hunger belasten zusätzlich die angeheizte Stimmung in den Riff-Städten.

    Unter den tosenden Wellen eines unbekanntes Ozeans brodelt der Hass mit ähnlicher Intensität. Ein brüchiges Bündnis eint die verschiedenen Stämme des Meervolkes gegen einen gemeinsamen Feind. Während einige friedlichere Bewohner der tiefgelegenen Riffe den Glauben an Frieden noch nicht aufgegeben haben, rufen die Stämme aus der Tiefsee nach einem offenen Krieg. Es war nur eine Frage der Zeit bis sich die Meere rot färben sollten. Blutrot.


    Feerawen

    We all change, when you think about it.
    We’re all different people all through our lives.
    And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
    so long as you remember all the people that you used to be.

    [DOCTOR WHO]

  • Die schwüle Sommerhitze hing wie eine gläserne Kuppel über der kleinen Siedlung. Wobei „Siedlung“ ein sehr schmeichelhaftes Wort war für die Ansammlung von Baracken und windschiefen Bretterverschlägen, die sich wie ein Krebsgeschwür in den Wall gefressen hatten. Die einzige Ausnahme bildete die „schillernde Schuppe“, ein weißgetünchtes Ziegelgebäude, das Krämerladen, Poststelle und Taverne zugleich war.


    Und eben aus diesem Gebäude trat Nessaja Redlake, Schiffsärztin auf der „Oceans Apart“. Sie seufzte, als ihre meerblauen Augen von der gnadenlosen Sonne geblendet wurden. „He! Redlake!“, die laute, dröhnende, alkoholgeschwängerte Stimme ließ die junge Frau zusammenzucken. In ihrem alten Leben hätte man sie niemals so respektlos angesprochen. Aber was sollte sie auch anderes von den gescheiterten Existenzen erwarten, die hier, in Bays End, gestrandet waren – und sie war nun eine von ihnen.

    „Wo willst Du hin? Bleib und trink mit uns. Du darfst mir später auch das Bett wärmen“, als Nessaja sich langsam zu der penetranten Stimme umdrehte, konnte sie in Raffs schmieriges, zahnloses Grinsen blicken, das ihrem Gesicht viel zu nahe gekommen war. Sie schlug seine Hand zur Seite, die sich gerade nach ihrem honigblonden Haar ausstrecken wollte. „ Such Dir eine andere, Bootsmann. Wir laufen morgen früh aus und ich muss meine Vorräte auffüllen. Du willst doch, dass ich Euch wieder zusammenflicken kann, wenn ihr es mal wieder zu bunt getrieben habt, aye?“, dabei klopfte sie auf den kleinen Jutesack, den sie sich unter den Arm geklemmt hatte.

    Gerne hätte sie dem Bootsmann auch noch andere, schärfere Dinge an den Kopf geworfen, doch sie würden die nächsten Wochen wieder gemeinsam auf der „Oceans Apart“ unterwegs sein und Nessaja war klug genug, um sich für diese Reise keinen Feind zu machen.

    Bevor Raff noch weiter auf sie einreden konnte, raffte die junge Heilerin ihren kornblumenblauen Leinenrock und eilte die vielen Stege und Stufen hinab zu ihrer eigenen Hütte, die sich am Fuß der Siedlung befand.

    Einmal editiert, zuletzt von Feerawen (18. Februar 2025 um 19:23)

  • Die Bedrohung lauerte unter den sanften Wellen, die gegen das Riff und die kargen Felsen stießen. Es war friedlich und ruhig. Zu ruhig. Das Wasser glitzerte in der Sonne, die noch hoch am Himmel stand. Dumpf drangen Stimmen in die Tiefe hinab. Das beißende, hohe Geräusch von Metall auf Metall verstummte beinahe im stetigen Rauschen der Strömungen, in denen sich hohe Algenwälder und allerlei Fauna des Riffs wogen. Dort im seichten Wasser und dennoch in ausreichender Tiefe wartete das Unheil. Die Fremdlinge ahnten nicht, was ihnen bald bevor stand. Denn unweit der Küste des Felswalls, der den Ozean in zwei Welten teilte, warteten sie. Eine angespannte, lauernde Ruhe breitete sich unter den Wesen aus, die schwerelos in der Strömung trieben.

    Esca spähte zur Wasseroberfläche hinauf. Die Kiemen unterhalb seiner Ohren zitterten erwartungsvoll, halb verborgen durch die Strähnen von weißem Haar. Mit gleichmäßigen, schwingenden Bewegungen seiner Schwanzflosse hielt er sich im perfekten Einklang mit der wiegenden Strömung. Der geschuppte Leib schimmerte in einem perlmuttartigen Weiß durchzogen von roten, gewellten Streifen. Die gefächerte Flosse am Ende seines Leibes wirkte beinahe transparent. Die Rückenfloss, die zwischen seinen Schulterblätter hervorragte, zeigte dieselben Farben und wirkte ebenso zart und durchscheinend in ihrer Beschaffenheit. Nur den auffälligen, starken Stacheln, die zwischen der dünnen Haut der Flossen hervorragten, blieb man lieber fern. Eine Berührung konnte bereits zum Verhängnis werden. Mit den Händen hielten er sich an einem Stück Felsen fest und übte sich in Geduld. Wenige Meter von Esca und den anderen Kriegern entfernt ragte der gewaltige Körper eines hölzernen Ungetüms in die See. Künstliche und unnatürliche Inseln, die die Wellen mit brachialer Kraft zu teilen vermochten und die Kreaturen transportierten, die seinem Volk das Leben schwer machten. Doch eines war sicher: Ohne diese schwimmenden Ungetüme würden die Fremdlinge vom Meer verschlungen werden. Mit ihren lächerlichen, dünnen Beinchen hatten sie keine Chance gegen den Sog der Tiefe und ihre Lungen erstickten am Salzwasser. Neben ihm erklang das erhitzte Zischen seiner Mitstreiter und von Escas Lippen stiegen Luftblasen empor, als die Strömung ein Wort in der Sprache des Meeres davon trug: "Bald."

    Die Dämmerung kroch über das Riff und verwandelte das Meer in einen schwarzen, glatten Spiegel. Kein Lüftchen wehte, als sich der Mond am Horizont erhob und langsam über den Sternenhimmel wanderte. Die Nacht war klar und die Sicht perfekt. Selbst ohne das fahle Mondlicht, dass bis in die Tiefe des Riffs vordrang, hätte Esca noch jede Anemone spielendleicht zählen können. Seine blauen Augen waren hervorragend an das wechselhafte Lichtspiel des Riffs und dessen tiefere Regionen angepasst. Und mit der Dunkelheit, näherten sich die Männer der Siedlung, die so anders war als ihre Eigenen.

    Esca legte sich einen Finger an die Lippen, ehe er mit der freien Hand verschlungene, lautlose Zeichen mit seinen gekrümmten Fingern bildete. In einer geübten Kettenreaktion wurde das Symbol von seinen Mitstreitern gespiegelt. Jeder gab es an den nächsten weiter und dann war es soweit. Mit einem kräftigen Schlag seiner Schwanzflosse katapultierte sich Esca nach vorn. Das Wasser bot keinen Widerstand, als sie die Strömungen für sich nutzten, das seichte Gewässer durchquerte und ihre mitgeführten Speere in das Holz der Monstrosität rammten. Das Meervolk hatte schnell gelernt, dass es nicht viel benötigte um diese widernatürlichen Inseln zu versenken. Mit zusammengepressten Kiefern und einiger Anstrengungen hebelten sie den hölzernen Leib auf, bis klaffende Löcher entstanden. Es war der Moment, in dem das erste Wasser eindrang, dass Esca den schrillen Alarm und Schreie vernahm. Mit einer flinken Handbewegung signalisierte er alles, sich zu beeilen. Dieses Geißel des Meeres würde den Wall nicht mehr verlassen, dafür würden sie sorgen.

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    [DOCTOR WHO]

  • Den ganzen Tag über hatte sich Nessaja in ihre Hütte zurückgezogen, und die neu erworbenen Kräuter zu Salben und Tinkturen verarbeitet.

    Trotz der kargen Einrichtung mochte sie ihr kleines Heim, dass sie nun schon seit mehr als einem Jahr bewohnte. Neben einem Bett und einem schmucklosen Waschtisch hatten nur noch ein schmaler Tisch und zwei Hocker Platz. Den Tisch hatte sie aber genau unter das einzige Fenster der Hütter gestellt, das ihr den Blick auf den Ozean erlaubte. Während sie also Beifuß zu Pulver zerstieß oder Honig, Minze und Talg zu einer Salbe rührte, konnte sie ihren Blick über das glitzernde Blau des Ozeans schweifen lassen. Sie beobachtete den Tanz der schaumgekrönten Wellen und lauschte dem Lachen der Möwen, die sich manchmal sogar bis zu ihrer Haustür verirrten, um ein Stück Trockenfisch oder Zwieback zu erbeuten.

    Tatsächlich war Nessaja die Gesellschaft der Vögel weitaus lieber als die Gesellschaft anderer Menschen. Die Vögel wussten nichts von der Schande, die ihr Vater über sie und ihre Familie gebracht hatte und für die sie nun geradestehen musste.

    Zum Glück scherten sich auch die Bewohner von „Bays End“ nicht um den tiefen Fall der Familie Redlake. Vielleicht war dies das einzig Gute an diesem heruntergekommenen Ort.

    Als die untergehende Sonne den Himmel in eine magische Melange aus Rot, Orange und Gold verwandelte, legte die Heilerin ihr Werkzeug zur Seite und trat hinaus auf den Steg, der ihre Hütte mit der Siedlung auf der einen und mit dem direkten Zugang zum Ozean auf der anderen Seite verband.

    Kapitän Caspian hatte ihr von dieser Hütte abgeraten, als er sie in Bays End in Empfang nahm. Die Wellen bei einer Sturmflut könnten ihren Steg überspülen und man könne sich vom Meer aus viel zu leicht Zugang zu ihrem Heim verschaffen. Doch die Einsamkeit war verlockender als jede Angst. Denn tatsächlich fürchtete sich Nessaja mehr vor den betrunkenen Matrosen als vor Meermonstern, die vielleicht in den Tiefen des Ozeans existieren mochten, aber gewiss nicht in Bays End. Und tatsächlich hatte sich noch nie einer der Seeleute bis in den äußeren Ring der Siedlung verirrt.

    So konnte sich die junge Ärztin nun auch vollkommen entspannt an die Wand ihres Bretterverschlags lehnen und gedankenlos beobachten, wie sich der Himmel zu einem nachtblauen, sternengeschmückten Tuch verwandelte…


    … Schreie und das laute Dröhnen der Alarmglocke rissen Nessaja aus einem traumlosen Schlaf. Sie musste vor Erschöpfung auf dem Steg vor ihrer Hütte eingeschlafen sein. Nun brauchte sie mehrere Herzschläge, bis sie realisierte, was vor sich ging. Ihre Augen irrten umher und versuchten, etwas in dem nächtlichen Grau und Schwarz zu erkennen. Da! Licht! Die Werft wurde angegriffen! Waren es Piraten?!

    Nessaja dachte nicht weiter über das Wer und Warum nach. Sie rannte in ihre Hütte, entzündete mit zitternden Händen ihre Öllampe, schnappte sich ihre Heilertasche und rannte zur Werft, in der ein beinahe fertiges Schiff auf seine Vollendung wartete.


    Schweiß verwandelte Nessajas blonde Strähnen zu klammen Fäden, die ihr wild in die Stirn hingen. Ihr Atem kam nur noch stoßweise über ihre Lippen, so schnell war sie gerannt. Sie versuchte verzweifelt sich einen Überblick über die Situation zu verschaffen, doch was sie sah, ließ sie für einen Moment glauben, dass sie noch immer in einem Alptraum gefangen war. Holz splitterte, Schuppen glitzerten unter der Wasseroberfläche, Speere stießen in den Bauch des Schiffes und auch in die Leiber der Matrosen, die versuchten, den Angreifern Anhalt zu gebieten.

    Die ersten Schüsse wurden vom Steg aus ins Wasser abgegeben. Schmerzensschreie zerschnitten die Nacht und Nessaja stand wie erstarrt in dem tosenden Sturm, der sie umgab.

  • Der Tumult über den Köpfen der mutigen Krieger, die sich mit ihrem Vorhaben in größte Gefahr brachten, blieb zunächst wie in weiter Ferne. Schreie und ein viel lauteres, knallendes Geräusch drangen dumpf durch das aufgewühlte Wasser. Es zischte eindringlich als die fremdartigen Geschosse mit wahnsinniger Geschwindigkeit ins Wasser eintauchten. Knapp schoss eine Kugel an seinem Ohr vorbei und verschwand in der Dunkelheit des Riffs. Eisen. Das Wort hatte er bereits gelernt und den damit verbundenen Schrecken. Die Eisenkugeln durchdrangen Schuppen, Muskeln und Sehnen. Sie zerschmetterten selbst Knochen mit ihrer rohen Gewalt und verblieben sie ihm verwundeten Leib, vergifteten sie den Körper langsam bis ein qualvoller Tod eintrat. Esca bedeutete seinen Mitstreitern sich tiefer unter den hölzernen Leib des Schiffes zu begeben. Um ihn herum färbten Schlieren aus Blut, die beinahe schwarz im Mondlicht erschienen, die Strömungen des Riffs. Die Männer und Frauen, die bei ihm waren, stießen ein langgezogenes und verzerrtes Kreischen aus. Sie wussten, dass sie jemanden verloren hatten und Esca entdeckte den schlaffen Körper, der zur Oberfläche hinauftrieb.

    „Wo ist Nerang?“, verlangte Esca. „Wo ist der Prinz?“
    Esca hatte ihn im ersten Kugelhagel verloren. Nerang, jüngster Sohn des Gebieters über die Riffe und sein Schützling. Er zischte leise. Der Junge war ihm gefolgt um seinen großen Brüdern nachzueifern, die sich im Krieg gegen die Eindringlinge einen Namen gemacht hatten. Aber Nerang war jung, schmächtig und nahezu fragil. Das hier war kein Ort für einen Prinzen, dessen Schuppen noch nicht einmal ihre endgültige Farbe angenommen hatten. „Ich bin hier“, ertönte es in seinem Rücken.

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    Esca wirbelte herum und griff nach dem Arm des Prinzen. Er hatte dunkles, kurzes Haar, dass selbst im Mondlicht in den unterschiedlichsten Nuancen von Blau schillerte. Die Schuppen seines Leibes wirkten noch blass, beinahe farblos. Nur hin und wieder zeigte sich auch hier im Mondlicht ein leichtes, bläuliches Schimmern. Auf seinem Haupt thronte ein Reif aus Korallen und seidig schimmernder Perlen.
    „Das reicht für heute. Euer Vater wirft mich den Haien zum Fraß vor, wenn euch etwas passiert. Das heute bleibt unter uns. Beim nächsten Mal wird Euer Vater davon erfahren“, sagte Esca streng und der Junge nickte gehorsam. „Danke, Esca.“
    „Dankt mir erst, wenn wir hier weg sind, mein Prinz“, raunte Esca.
    Im nächsten Moment durchstießen keine Kugeln, sondern schwere Eisenspeere das Wasser. Die Meervölkler fürchteten diese Speere mehr als die Eisenkugeln. Sie bedeuteten Gefangenschaft, einen qualvollen Tod getrennt vom Meer, dass sie brauchten.
    „Rückzug!“, brüllte Esca und stieß Nerang in Richtung tiefe Gewässer, fort von dem Schiff.
    „Esca!“, kreischte es schrill in seine Ohren und seine Kiemen flatterten beunruhigt, doch die Warnung kam zu spät. Der Schmerz durchzuckte ihn wie ein Schlag und als er an sich hinabsah, ragte der Widerhaken eines Eisenspeeres zwischen den Rippen seiner rechten Seite hervor. Um ihn herum erhob sich Geschrei als andere ihm zur Hilfe eilte, doch den Speer rauszuziehen war ganz und gar unmöglich. Panik breitete sich aus.
    „Verschwindet!“, zischte Esca unter Schmerzen und wehrte alle helfenden Hände ab. „Macht das ihr wegkommt. Beschützt den Prinzen!“
    Nerang kämpfte sich zu ihm durch. „Du bist mein Leibwächter. Ich verbiete dir zu sterben, hörst du!? Ich bin ein Prinz und ich verbiete es dir!“

    Esca lächelte trotz der Situation. Er hatte Nerang seit seiner Geburt begleitet. Es gab Zeiten in denen er glaubte, Nerang mehr Vater zu sein als sein Gebieter. Er öffnete den Mund, da zog ihn ein Ruck an dem Eisenspeer fort. Das Nächste, das er spürte, war das Netz um seinen Leib. Es presste die Arme an seinen Körper, zerrte an dem Speer, der seine Seite durchbohrte und zog ihn erbarmungslos in die Höhe. Kurzzeitig wurde Esca schwarz vor Augen, als er mit einem dumpfen und schmerzhaften Aufprall auf hartem Untergrund aufkam. Schwerfällig glitten seine Hände über den ungewohnten, harten Untergrund. Er fühlte sich uneben und rau unter seinen Fingerspitzen an und das eigene Gewicht drückte ihn auf befremdliche Art nieder. Um ihn herum herrschte Unruhe. Stimmen brüllten Worte, die er nicht verstand. Esca bäumte sich auf, als seine Kiemen mühevoll flatterten und endlich seine Lungen das Atmen für ihn übernahmen. Er schnappte nach Luft und riss die Augen auf. In der blauen Iris glühte nichts als Feindseligkeit und Zorn. Jemand zerrte an dem Netz und begann damit einen fatalen Fehler. Die groben Maschen glitten über seinen Körper hinweg und Esca ergriff die Chance. Mit einem letzten Aufbäumen schlug er mit seiner Schwanzflosse nach den Fremdlingen.

    „Vorsicht mit der Flosse! Seht euch die Farben an“, brüllte jemand, doch Esca verstand die fremden Worte nicht. "Feuerfisch!"
    Es krachte ohrenbetäubend, als ein Mann in ein paar leere Fässer krachte. Lediglich aus dem Augenwinkel bekam Esca mit, wie sich der Mann trotz offensichtlich gebrochener Knochen aufsetzte nur um im gleichen Atemzug von heftigen Krämpfen gepeinigt wurde. Rotglühende Kratzer zogen sich über seine Wange und Hals, wo die Stacheln seiner Flosse ihn erwischt hatten. Wenn er hier starb, würde er so viele wie möglich mit in die Tiefe reißen…Ihm entfuhr ein markerschütternder Schrei, als sich ein weiterer Eisenspeer in seinen Körper bohrte und seine zuckende Schwanzflosse auf dem Holzsteg festnagelte. Esca sackte zusammen, erschöpft und niedergedrückt durch sein eigenes Gewicht und dem Blutverlust, der feuchte, dunkle Lachen auf dem Steg bildete.

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    [DOCTOR WHO]

  • Holz zerbarst. Ein ohrenbetäubender, unmenschlicher Schrei riss Nessaja aus ihrer Starre. Reflexartig duckte sich die junge Heilerin und versuchte den Ursprung des Lärms auszumachen. Um sie herum tobte der brüllende Sturm aus zischenden Kugeln und beißenden Speeren weiter. Der unheilvolle Geruch von Exkrementen und Blut schwängerte die Luft. Das Wasser im Werftbecken wurde von tintenschwarzen Schlieren durchzogen, in denen sich die Sterne auf grotesk schöne Weise spiegelten.


    „Zu mir! Lasst dieses Ding nicht entkommen!“, über das Tosen erhob sich eine laute, feste Stimme und schon einen Herzschlag später konnte Nessaja Kapitän Caspian ausmachen. Er stand unerschrocken auf dem Steg, der die Werft einrahmte und blickte mit harter Miene auf etwas, das sich unweit seiner Füße wand und aufbäumte. Zur selben Zeit wurde das Wasser um die Werft herum aufgewirbelt. Hier und da durchschnitten große, kraftvolle Flossen das Wasser und entfernten sich von Bays End. Obwohl die Beweise eindeutig waren, wollte Nessajas Verstand noch immer nicht wahr haben, dass sie nicht von Piraten, sondern von dem sagenumwobenen Meeresvolk angegriffen worden waren.


    „Bringt Seile und die Eisenketten!“, brüllte der Kapitän seinen nächsten Befehl, woraufhin sich drei Matrosen in Bewegung setzen. „Und holt die Heilerin!“


    „Ich bin hier“, zuerst war Nessajas Stimme nur ein dünnes Krächzen. Der Schreck saß ihr noch zu fest in den Gliedern. Mit zittrigen Fingern tastete sie nach ihrer Arzttasche und kam zurück auf die Füße.

    Das vertraute Gefühl der schweren, dunkelbraunen Ledertasche mit den verschnörkelten Messingbeschlägen und dem großen, auffälligen Phönix, der mit großer Kunstfertigkeit in das Leder getrieben und mit feinen Blättchen aus Gold und Perlmutt gefüllt worden war, gab der Heilerin ihr Selbstvertrauen zurück. Sie war die Heilerin der „Oceans Apart“ und für das Wohl der Mannschaft verantwortlich. Und ihre Männer brauchten sie jetzt.


    „Ich bin hier, Kapitän!“, rief sie nun deutlich lauter und bahnte sich ihren Weg durch das abschwellende Chaos der Schlacht.


    Mit überraschend festem Schritt kam Nessaja kurze Zeit später neben ihrem Kapitän zum Stehen. Dann sah sie >> Es << , nein, ihn. Ganz ohne Zweifel musste es sich um einen Mann handeln und er sah einem Menschen sehr viel ähnlicher, als es Nessaja lieb gewesen wäre.

    In Eldoria, Königssitz und ihre ehemalige Heimat, hatte man diese Kreaturen stets als wilde Tiere und unbarmherzige Seeungeheuer beschrieben. Unter den Ladentischen wurden Schuppen, Flossen und das getrocknete Fleisch der Meeresdämonen gehandelt mit dem Versprechen, der Verzehr würde schlimme Krankheiten heilen, die Männlichkeit stärken oder das ersehnte Kind bringen.

    Die Familie Redlake hatte sich nicht an diesen Schwarzmarktgeschäften beteiligt – damals, als sie noch über Ehre und Integrität verfügte. Daher wusste Nessaja, Älteste der vier Redlake-Töchter, auch wenig darüber. Tatsächlich ging sie davon aus, dass skrupellose Händler die Leichtgläubigkeit so mancher hoher Häuser auf dem Festland ausnutzten und Unsummen für einen ausgedachten Mythos aufriefen, der nichts weiter war als ein zerlegter Tiefseefisch, aufgehübscht mit einer Geschichte.

    Doch der Anblick dieses Meermannes – stellte ihr Weltbild auf den Kopf. Zum Nachdenken blieb Nessaja aber kaum Zeit, denn aus dem Trümmerhaufen, der einmal ein großes Holzfass war, kamen markerschütternde, wimmernde Laute. Also wand sich die Heilerin von dem verstörenden Bild ab, um sich um den verletzten Matrosen zu kümmern. Der Kapitän hielt sie jedoch ungewohnt grob am Arm fest und fuhr sie an: „Sorg dafür, dass er uns nicht über die Blanke geht.“ Dabei deutete Caspian nicht etwa auf einen seiner Männer, sondern auf das Wesen zu seinen Füßen, „Wir brauchen ihn lebendig.“

    „Dann hättet Ihr ihn vielleicht nicht mit Euren Harpunen aufspießen sollen!“, kam es Nessaja patzig über die Lippen, „Ich weiß nicht, wie ich ihn behan …“

    „Genug, Redlake“, der Kapitän schnitt seiner Heilerin barsch das Wort ab, „Das ist ein Befehl!“

    „Aye, Kapitän“, die junge Frau wirkte angesichts der neuen Situation sichtlich überfordert. Unschlüssig beäugte sie ihren neuen Patienten und trat einen Schritt auf ihn zu, um sich einen besseren Überblick machen zu können. Die dunkle Lake unter ihm schien Nessaja bereits große Sorge zu bereiten. Diese Aufgabe würde aus so vielen Gründen keine leichte werden.

  • Bleischwere Ketten drückten ihm die Luft aus den Lungen, die kaum daran gewöhnt waren ihren Dienst zu tun. Es kam nicht oft vor, dass ihr Leben sie dazu zwang, an der Oberfläche zu atmen. Die Eisenketten fühlten sich eiskalt an, als sie um seinen Brustkorb geschlungen und festgezogen wurden. Esca zuckte und wandte sich im Griff fremder Hände bis seine Arme bewegungslos an seine Seite gepresst wurden, die Unterarme auf den Rücken gezogen und fest mit rauen Seilen verschnürt, die bereits jetzt tief in seine dünne Haut einschnitten. Fauchend und zischend protestierte Esca gegen die Gefangennahme und stieß ein unmenschliches Kreischen aus, als die Harpune ruckartig aus seiner Floss gezogen wurde. Der Schmerz blendete ihn und so war es ein Leichtes für die zweibeinigen Teufel ihn mit Ketten am Boden zu halten. Hammerschläge ließen das Dock ergeben, als die Ketten mit starken Eisennägeln im Steg befestigt worden. Grob zerrten die Fremdlinge Esca in eine Position, die seine Verletzungen entblößte. Die dünne und verletzliche Haut seiner Bachdecke bebte unter der Bloßstellung, alle seine verwundbaren Stellen ungeschützt offen gelegt im Angesicht des Feindes. Sie würden ihn ausweiden und an einem Haken über dem Meer aufhängen.

    Der Blutverlust machte ihn schwindelig und verstrichen lange Minuten, in denen Esca sein Zeitgefühl einbüßte. Es mochten Stunden oder gar Tage vergangen sein, als er die Augen aufschlug. Doch ein Blick empor genügte um zu begreifen, dass er noch immer unter demselben Himmel weilte. Sie hatten ihn auf den Rücken gedreht, die Rückenflosse unangenehm eingeklemmt zwischen seinem Körper und dem festen Untergrund. Die Ruhe gefiel ihm nicht. Eine greifbare Anspannung lag in der Luft und er spürte die Schritte im Boden bevor sich ein Fremdling in sein Blickfeld schob. Seine Nasenflügel bebten, als er hörbar die Luft einsog und obwohl sie gerade keinen Nutzen hatten, zitterten die Kiemen hinter seinen Ohren. Ein Weibchen. Ließen diese Feiglinge jetzt Frauen die Dreckarbeit machen und die schwererkämpfte Beute ausweiden? Sie sah ihn so eigenartig an. Esca bleckte warnend die Zähne obwohl er im Gegensatz zu anderen Stämmen des Meeresvolkes keine Reißzähne besaß.

    „Fass mich an und breche dir das Genick, Weib“, grollte Esca obwohl er wusste, dass sie keines seiner Worte verstand und die Seile in seine Handgelenke schnitten, als er heftig mit seinen Armen an den Fesseln zerrte. Lieber verblutete er an Ort und Stelle, als sich von einem Weib der Eindringlinge zusammenflicken zu lassen.

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    [DOCTOR WHO]

  • Nessaja nährte sich mit behutsamen, sorgfältig aufgesetzten Schritten und schob sich bewusst in das Sichtfeld des Meermannes. Als sie sein Zähneblecken sah, stellte sie ihre Heilertasche ab und hob beschwichtigend die Hände, um anzuzeigen, dass von ihr keine Gefahr ausging – was angesichts der Wunden, dem vielen Blut und der Ketten und Nägel um ihn herum wohl nur schwer zu glauben wahr. Dennoch versuchte die junge Frau ihr bestes, um möglichst unbedrohlich zu wirken.

    Ganz langsam kniete sie sich neben dieses faszinierende Wesen und blickte ihn aus ihren meerblauen Augen an. Sie achtete darauf, in seinem Blickfeld zu bleiben, damit er sie und ihre Bewegungen sehen konnte. So hatte sie es stets gemacht, wenn sie ein verängstigtes Kind behandeln musste, das nicht verstand, was gerade mit ihm geschah.

    Und ebenso ruhig, geduldig und freundlich war nun Nessis Stimme, mit der sie auf den gefesselten Mann einredete. „Du bist verletzt und ich bin hier, um Dir zu helfen. Ich bin Nessi und ich tue, was ich kann, damit es Dir besser geht.“

    „Du sollst ihm kein Wiegenlied singen, Redlake!“, polterte der Kapitän so laut und unbeherrscht, dass Nessi unweigerlich zusammenzuckte, „Flick ihn zusammen. Oder soll ich mir einen anderen Schiffsarzt besorgen?“

    „Nein, Kapitän“, kam es der jungen Frau gepresst über die Lippen. Ihre Augen funkelten zornig und gewiss hätte sie Caspian so einiges zu sagen gehabt … aber sie brauchte die Heuer, um ihre Familie durchzubringen und in ihrer jetzigen Situation gab es nicht viele Orte, an denen sie hätte arbeiten können.

    Also schluckte sie ihre Wut hinunter und begann damit, sich den fremdartigen und doch irgendwie vertrauten Körper genauer anzusehen. Sie nickte zu sich selbst und griff dann nach ihrer Tasche. Ohne hinzusehen, fischte sie nach einem Stapel Leinenstreifen und suchte kurz den fahrigen Blick ihres Patienten. „Ich werde die Blutung stoppen und die Wunde dann nähen. Ich werde dabei so vorsichtig sein, wie ich kann“, aufrichtige Sorge lag in Nessajas warmer Stimme, die sie für jeden ihrer Patienten empfand. Auch für diesen … Mann. Ja, er hatte Bays End angegriffen. Ob und wie viele Menschenleben dieses Scharmützel gekostet hatte, wusste die Heilerin noch nicht. Doch es gehörte zum Schwur ihrer Zunft, nur den hilfsbedürftigen Menschen … in diesem Fall wohl eher das hilfsbedürftige Wesen zu sehen und nicht dessen Schuld. Darüber sollten andere richten.


    Nessaja griff behutsam die erste Bandage und saugte damit das Blut auf, das den Blick auf die Wunden versperrte. Innerlich fluchte sie über die Dummheit des Kapitäns, der die Mannschaft angewiesen hatte, die Harpunen herauszuziehen. So hatte der Meermann viel zu schnell viel zu viel Blut verloren. Hätte die Heilerin Zeit zum Grübeln gehabt, wäre sie gewiss darüber verwundert gewesen, dass das Wesen überhaupt noch bei Bewusstsein war. Selbst die kräftigsten und stärksten Männer wären schon lange in die Knie gegangen.


    Die Heilerin betrachtete den vollgesogenen Leinenstreifen. Er war rot – etwas dunkler als ihr eigenes Blut, aber es war Blut. Vielleicht waren sie einander ähnlich genug, um ihn tatsächlich retten zu können? Mit neuer Entschlossenheit begutachtete sie die gereinigten Wunden genauer. Die Organe schienen in Takt zu sein. Die Fleischwunden waren tief, aber Nessaja war geübt im Zusammenfügen von Sehnen und Haut.

    Die Heilerin winkte einen der Matrosen herbei und dieses Mal war sie es, die einen gebieterischen Ton an den Tag legte: „Hier! Nimm das und drück es auf die Wunde. Ganz fest – bis ich Dir sage, dass Du aufhören kannst.“ Sie legte dem verdutzt dreinblickenden Matrosen eine neue Bandage in die Hand und zeigte dann auf die zweite, klaffende Wunde.

    >> Zum Glück blutest Du noch <<, ging es Nessi durch den Kopf und noch bevor sie ihren Gedanken beenden konnte, führte der Matrose ihren Befehl aus.

    So konnte sich die Heilerin um die erste Wunde kümmern. >> Laudanum würde ihn den Schmerz nicht spüren lassen. Aber wer weiß, ob er das Mittel verträgt. << Die Überlegung, ob eine Betäubung sinnvoll sei, schüttelte Nessi rasch ab. Stattdessen griff sie nach einem Tiegel und entnahm diesem einen walnussgroßen Klecks einer wohlduftenden, milchigen Paste. „Damit hört es schneller auf zu bluten und die Wunde bleibt sauber - hoffentlich“, erklärte sie dem Fischmann und verteilte nur einen Wimpernschlag später die Salbe. Ihre Hände waren dabei ebenso sanft wie ihre Stimme und trotzdem zeugte jede Bewegung von Übung und Entschlossenheit.

    Das Nähen der Wunde brauchte am Anfang viel Zeit. Nessaja musste sich zuerst mit der Beschaffenheit der fremden Haut vertraut machen. Sie musste herausfinden, wo und wie tief sie zustechen musste, um das Gewebe wieder zusammenführen zu können. Als sie den Dreh erst heraus hatte, ging ihr das Nähen leicht von der Hand. Es gab für sie keinen Unterschied mehr, ob sie einen ihrer Matrosen oder eben diesen Fischmann versorgte.

    Die Heilerin nahm weder die Zeit, noch die Menschen um sich herum wahr. Der Morgen dämmerte bereits, als sie sich endlich erschöpft zurückfallen lassen konnte. Die Wunden des Fischmannes waren versorgt und er atmete noch – soweit sie dies beurteilen konnte.

    Kleine Schweißperlen hatten sich auf Nessajas Gesicht gebildet und in ihrem zerzausten Haar verfangen. Diese glitzernden in der aufgehenden Sonne ein wenig so wie die Schuppen des Meermannes, für dessen Überleben die Heilerin nun verantwortlich war.

  • Esca sträubte sich erfolglos gegen die Ketten. In seinen Augen stand nichts als Abscheu und Zorn, als sich die Fremde neben ihn kniete. Das spröde Holz des Steges schürfte über seinen Rücken, zerrte an der dünnen Membran seiner Rückenflosse. Gehetzt zuckte sein Blick in Richtung des Meeres. Die Freiheit war so nah und doch so unendlich weit entfernt. Das Atmen fiel ihm zu nehmend schwerer und er sehnte sich nach der schwerelosen Leichtigkeit des Ozeans und nach der fließenden Strömung, die ihn trug. Unter die pure Ablehnung mischte sich ein verwirrter Ausdruck, als die fremde Frau mit unglaublich sanfter Stimme zu ihm sprach. Er musste ihre Sprache nicht verstehen um zu begreifen, dass sie versuchte ihn zu beruhigend. Lächerlich. Wie sollte er ruhig bleiben, wenn das Leben in Strömen aus ihm floss und er wie eine erlegte Beute am Boden fixiert war. Esca grollte, tief und bedrohlich, als sich ihre Hand mit eindeutiger Absicht seinem Leib näherte. Verständnislos starrte er auf den Fetzen in ihrer Hand. Wie wollte sie ihm damit nur den Gnadenstoß verpassen? Er verstand nicht bis sie sorgfältig und behutsam das Blut von seiner Haut tupfte. Der Schmerz dabei war fast zu vernachlässigen, weil sein Verstand aufgrund der unerwarteten Vorsicht dieser Frau förmlich raste. Schneller noch, als die wilde Brise, die die Wellen an stürmischen Tagen aufpeitschte. Sie versorgte seine Wunden. Die Erkenntnis brachte ihm keinen Frieden, keine Ruhe. Stattdessen stieg das unwillkommene, nagende Gefühl der Panik in ihm hoch. Nein, sie würden ihn nicht töten. Sie würden ihn einsperren und das war tausendmal schlimmer als der Tod. Er hatte es einmal gesehen. Hagere Meeresvölker, die nur noch ein Schatten ihrer einstigen Schönheit waren, eingepfercht in beengte Behältnisse aus kristallklarem Glas. Das Leben war aus ihren Augen gewichen, obwohl sich ihre Kiemen noch bewegten. Trophäen für die Welt jenseits des Walls.

    Die sanften Worte waren nichts als ein beständiges Rauschen in seinen Ohren. Es könnte aber auch sein eigenes Blut sein, das von seinem Herzen in verzweifelter Bemühung durch seine Adern gepumpt wurde. Mit jeder Sekunde, die verstrich, fühlte sich sein Körper zunehmend schwerer an, nur sein Kopf wurde immer leichter, sein Blickfeld von einem schwarzen Schatten umrahmt, der sich immer enger zuzog. Ein Ruck ging durch den Escas Leib, als ein scharfer und brennender Schmerz seine Seite durchzog. Unter den schweren Blutgeruch mischte sich eine fremde Note, die Esca nicht zuordnen konnte. Sie hatte etwas auf seine Wunden geschmiert. Ruckartig und unter pochenden Kopfschmerzen zog er das Kinn auf die Brust, um zu sehen, wie sie einen spitzen, glänzenden Gegenstand durch seine Haut stach. Eine Nadel. Nur das Material kannte er nicht. Das Meervolk fertigte Nadeln aus Knochen an. Es erinnerte ihn an die Kugeln, die er aus den toten Leibern seiner Brüder und Schwestern geholt hatte. Wieder bleckte Esca drohend die Zähne. Obwohl Schmerzen ihn peinigten und er dem Mann, der sich an der gefächerten Membran seines Fischleibes zu schaffen machte, am liebsten davon geschleuderte hätte. Angekettet zuckte er nur nutzlos unter den unerwünschten Händen.

    Die ersten Sonnenstrahlen krochen über den Horizont der ungezähmten See. Was Hoffnung bringen konnte, weckte in Esca eine tiefe Wehmut. Er würde seine Brüdern und Schwestern nie wiedersehen. Er würde seinen Pflichten, die ihm Ehre und Stolz gebracht hatten, nicht mehr nachgehen können. Der Schmerz war in den vergangen Minuten - oder waren es Stunden gewesen? - zu einem Vertrauten geworden. Das Letzte, das er sah, bevor die Welt vollständig in Dunkelheit versank, war ein rötlicher Haarschopf, der im Licht der aufgehenden Sonne leuchtete wie die Morgendämmerung selbst.

    __________________________________________________________________________________________

    Als Esca das Bewusstsein wiedererlangte, trieb er nah am Boden erschöpft in beunruhigend, stillem Wasser. Die weißen Haare schwebten wie ein starrer Schleier um seiner Gestalt. Da war keine Strömung, kein flüsternden Rauschen, kein Anzeichen von Leben innerhalb seiner Reichweite. Von Zuhause und alles was ihm lieb und teuer war abgeschottet, schwebte Esca in fürchterlicher Stille. Es war dunkel und als er seine Augen weit genug öffnete, erkannte er meterhohe Wände und eine Decke über ihm, die nur durch winzige Schlitze zwischen den Brettern etwas Licht hinein ließ. Er wusste sofort, dass er sich im Bauch eines dieser hölzernen Ungetüme befinden musste. Nur eine dünne Barriere aus Holz trennte ihn vom Meer und es quälte ihn.

    Esca sah an sich herab. Seine Wunden waren mit geübten Stichen verschlossen worden. Behutsam berührte er die Fäden mit den Fingerspitzen und begrüßte den Schmerz, als er seine Fingernägel in die Wunde drückte ohne, dass sie erneut zu Blute begann. Aber der Schmerz klärte seinen umnebelten Verstand. Endlich nahm er seine Umgebung genauer in Augenschein. Sie hatten ihn in ein großes Behältnis aus Glas gesteckt. Groß und tief genug, dass er ein Stückchen darin schwimmen konnte. Es benötigte nur eine seichte Bewegung seiner Schwanzflosse um Esca näher an die Scheibe zu bringen. Sie war so klar, dass er sich einbildeten konnte einfach darüber hinauszuschwimmen. Etwas rieb unangenehm über seinen Hals und als er mit den Händen nachfühlte, spürte er den schweren Eisenring, der um seinen Hals gelegt worden war. Eine Kette war daran befestigt, die in der Mitte des Tanks im Boden verankert war. Das Gewicht zog ihn herunter, aber sie war nicht schwer genug, um ihn dort zu halten wenn er erst genügend Kraft gesammelt hatte um sich den nötigen Auftrieb zu verschaffen.

    Stunden vergingen, in denen er in Dunkelheit und Stille ausharrte. Sie hatten ihn noch nicht getötet, also würden sie ihn lebend verschleppen. Mit jeder Stunde wuchs auch die Verzweiflung und der Zorn wieder an. Er schlug gegen das Glas, kratzte mit den Nägeln über die spiegelglatte Oberfläche. Esca presste die Kiefer aufeinander und begann irgendwann an der Verankerung im Boden zu zerren. Er packte die Kette mit beiden Händen und stieß sich nach oben. Er öffnete die Lippen zu einem stummen Schmerzlaut, als ein Stechen durch seinen Fischleib fuhr. Luftblasen stoben zischen seinen Lippen hervor. Die Wunde in seiner Floss pochte heiß. Esca krümmte sich im Zentrum des Tanks zusammen. Er war verloren.

    We all change, when you think about it.
    We’re all different people all through our lives.
    And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
    so long as you remember all the people that you used to be.

    [DOCTOR WHO]

  • Ein dumpfes Scharren und Pochen durchschnitt Nessajas Träume. Sie drehte sich widerwillig auf ihrem unbequemen Feldbett um und zog sich die Decke über den Kopf. Es war noch dunkel und stickig um sie herum. Der Morgen konnte noch nicht angebrochen sein. Ihr blieben noch ein paar Stunden, bevor sie auslaufen …

    Mit einem Mal schreckte die junge Ärztin hoch. Sie würde heute nicht auslaufen. Vielleicht würde sie dies nie wieder tun, wenn es ihr nicht gelingen würde, den Befehl ihres Kapitäns zu erfüllen: << Pass auf, dass der Dämon Dir nicht verreckt! >>. Doch wie sie dies anstellen sollte, hatte ihr niemand verraten. Man hatte sie gemeinsam mit dem Fischmann auf die Oceans apart geschleppt. Dann hatte man sie allein gelassen. Nur ein Matrose blieb mit ihnen an Bord. Ob dieser als Helfer oder als Wächter abgestellt war, wusste Nessaja nicht und sie war zu durcheinander, um dem Kapitän ihre zahlreichen Fragen hinterher zu brüllen.

    Also blieb ihr vorerst nichts anderes übrig, als sich in ihr Schicksal zu ergeben. Und im Vergleich zu ihrem Patienten, der bewusstlos und angekettet in einem grotesk wirkenden Tank trieb, ging es ihr noch recht gut. Eine Menge widersprüchliche Gefühle tanzten in ihrem Kopf und verursachten einen stechenden Schmerz hinter ihren Schläfen. Dieser Mann hatte mit seiner Meute grundlos Bays End angegriffen und mehrere Seeleute getötet. Sie sollte ihn hassen und sein Schicksal als gerecht empfinden. Doch wenn all das, was Nessaja nur für einen betrügerischen Mythos gehalten hatte, wahr war … stellte sie sich unweigerlich die Frage, wer hier die Monster waren. Der Kapitän hatte ihr noch nicht verraten, was er mit seinem Gefangenen vorhatte. Sie würde ihn beim nächsten Aufeinandertreffen fragen müssen…

    Seufzend schlug sie ihre Decke zurück und setzte sich auf. Ihr Kopf pochte immernoch. Sie hatte sich nur wenig Schlaf gegönnt. Bis in den späten Abend hinein war sie damit beschäftigt gewesen, ihren Patienten zu überwachen. Sie begutachtete die Nähte und war heilfroh, dass alle Stiche in der dünnen Haut hielten. Sie hatte ein Auge auf seine Atmung, wobei sie nicht mit Bestimmtheit sagen konnte, ob er gerade seine Lungen oder seine Kiemen anstrengte. Noch sah sie auch keine Anzeichen für eine Entzündung. Ob und wie man bei ihrem Patienten Fieber feststellen konnte, beschäftigte sie so sehr, dass sie gedankenverloren um den Tank herumwanderte, bis ihre Füße schmerzten und ihre Augen beinahe zufielen. Erst dann hatte sie erschöpft ihr Lager aufgesucht und war in einen leichten, unruhigen Schlaf geglitten, dem sie nun endgültig entschlüpft war.

    Sie musste einige Male blinzeln, bis sie sich an das wenige Licht gewöhnt hatte. Die Öllampen unter Deck waren inzwischen alle erloschen und Nessi würde sie erst erneuern müssen.

    Sie wollte gerade mit dem Entzünden der Laterne an ihrem Bett beginnen, als sie im Augenwinkel das Aufbäumen und Zusammenkrümmen ihres Patienten wahrnahm. Ein Schreck ließ ihre Glieder zusammenzucken. Sie beeilte sich mit dem Entzünden ihrer Lampe und rannte dann beinahe die 20 Schritte, die sie von dem Tank trennte.

    Mit ihren schlanken Fingern hielt sie die warm flackernde Lichtquelle fest und leuchtete den Bereich um den Tank herum aus. Was sie dann sah, ließ sie hörbar schlucken. „Du hast Schmerzen“, es war keine Frage, sondern eine Feststellung, die die Ärztin mehr berührte, als sie es sollte. Intuitiv legte sie ihre freie Hand gegen die kühle, glatte Scheibe, als könne sie so irgendetwas besser machen. „Du musst ruhig bleiben, sonst werden die Schmerzen nur schlimmer“, Nessaja hatte zu ihrer sanften, beruhigenden Stimme zurückgefunden. Obwohl sie nicht den Eindruck hatte, dass der Fischmann sie verstehen konnte oder wollte, redete sie weiter leise auf ihn ein und versuchte dabei selbst, ihre wirren Gedanken zu ordnen.

  • „Vorsichtig, Redlake“, brummte es plötzlich hinter der Schiffsärztin.

    Dimitri Volkov, von Mitgliedern der Besatzung kurz Dima genannt, lehnte lässig mit der breiten Schulter an einem der Balken, die das Oberdeck stützten. Über seinem Kopf wog sich eine der Öllampen im seichten Wellengang und warf bizarre Schatten über das grobschlächtige Gesicht. Eine Narbe durchzog sein rechtes Auge. Der starrte Blick verriet bereits von weitem, dass es sich um ein Glasauge handelte. Mit den rauen Fingern fuhr er sich durch den sauber gestutzten Bart. Selbst ohne sein Gesicht zu sehen, hätte jeder Dimitri sofort an seinem harten, rauen Akzent erkannt und er rollte den Buchstaben R in einer Weise, wie es niemand anders an Bord der Oceans Apart tat. Volkov war Spezialist für die Harpunentechnik, die zur Jagd auf größere Meereswesen, wie sie nur in diesen Gewässern heimisch waren, entwickelt wurde. Seit kurzem zählten dazu auch die Meervölkler der Korallenriffe. Er war der beste Schütze an Deck, aber nicht sonderlich bescheiden und sicherlich keiner der angenehmsten Zeitgenossen. Sein Ruf schien Dimitri wenig zu belasten, er hatte den Respekt der Crew auf seiner Seite.

    Gemächlich schlenderte Volkov auf die neue Schiffsärztin zu und blieb hinter ihr stehen, so nah, dass er eine feine Note ihres verblassenden Parfüms riechen konnte. Viel von Redlake hatte er noch nicht mitbekommen, doch für so ein zierliches Persönchen hatte sie den Trubel am Dock überraschend gut überstanden. Die Betreuung dem Neuling zu überlassen, erschien ihm trotzdem fahrlässig. Wenn es nach dem Mann ging, würde die Kreatur längst mit dem Kopf nach unten an Deck baumeln.

    „Er ist kein zahmes Haustier. Diese Kreaturen sind gefährlich und ich weiß, wovon ich rede“, sagte Dimitri und tippte sich mit dem Finger unter das Glasauge. Er beugte sich ein wenig zu Redlake herunter. Ein bisschen mehr und er hätte die Wange gegen ihren Haarschopf drücken können. „Sieh dir die Farben seiner Flossen ganz genau an. Erinnern sie dich an etwas, Redlake? Auf unserer Seite des Walls gibt es diese Schuppenfärbung nur bei den Feuerfischen. Eine Berührung der Stacheln könnte einen erwachsenen Mann töten, wenn dabei genug von dem Gift abgegeben wird. Der hier muss etwas Besonderes sein. Siehst du die Narben an den Innenseiten seiner Oberarme. Die Kerben stehen für getötete Feinde und das Symbol darüber, das Ähnlichkeit mit einer Welle hat, für seinen Rang. Soweit wir wissen, tragen nur Krieger, die dem Herrscher des Riffs direkt unterstehen, dieses Zeichen. Eine Möwe hat mir gezwitschert, dass sie ihn als Pfand für Verhandlungen benutzen wollen. Wenn du mich fragst, völlige Zeitverschwendung.“

    Volkov grinste als sein Blick über die genähten Wunden glitt. „Nicht mein bester Schuss, aber...“

    Mit voller Wucht prallte Esca aus dem Nichts gegen das Glas. Die durchscheinende Oberfläche vibrierte unter der Krafteinwirkung, hielt jedoch stand. Mit vor Zorn funkelnden Augen fixierte Esca den Mann, der über dem rothaarigen Weibchen aufragte. Dieses starre Auge würde er sein Leben lang nicht vergessen. Esca bleckte die Zähne. Dimitri zuckte nicht einmal mit der Wimper.

    „Der Kapitän sollte mich meine Arbeit machen lassen, anstatt einen Babysitter für dieses Biest abzustellen. Aber das Wort des Kapitäns ist Gesetzt, nicht wahr? Also, Liebes, siehst du die Leiter da vorne? Sie führt auf den Tank zu einer kleinen Plattform. Solltest du dir also nicht spontan Kiemen wachsen lassen, empfehle ich dir diese Möglichkeit für deine Behandlung zu nutzen. Die Kette um seinen Hals ist lang genug um bis an die Plattform zu reichen, aber nicht für einen überstürzten Fluchtversuch. Nimm dich vor den Stacheln an seinen Flossen in Acht, wenn du mit ihm agierst. Falls er sich dazu entschließt zu kooperieren. Zugegeben, die Meervölkler sind hübsch anzusehen, besonders die Weibchen, aber sie sind und bleiben wilde Tiere. Erwarte nicht zu viel, Redlake.“

    Damit machte Volkov auf dem Absatz kehrt und überließ der Schiffsärztin wieder den Laderaum.

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    [DOCTOR WHO]

  • Man hatte ihr also einen Aufpasser und keinen Helfer an Bord der Oceans Apart gelassen. Kapitän Caspians bester Mann war gewiss nicht hier, um der Ärztin zur Hand zu gehen. Er sollte nur dafür sorgen, dass sie es nicht vermasselte.

    Obwohl Volkov sich von ihr entfernt hatte, konnte Nessaja seine Gegenwart noch immer spüren. Er war ihr unangenehm nah gekommen, so nah, dass sie seinen Schatten von ihren Armen reiben musste und trotzdem bleib ein eisiges Frösteln zurück. Sein alkoholgeschwängerter Atem hatte sich in ihr rotblondes Haar gesetzt und verursachte ihr Übelkeit. Deshalb stellte die Heilerin ihre Lampe zur Seite und sammelte mit einem geübten Griff ihre Strähnen zusammen, um sie zu einem lockeren Dutt im Nacken aufzustecken. >>Besser!<< ging es ihr durch den Kopf.

    Nun war es Zeit, an die Arbeit zu gehen. Es gab also einen Weg, um ihren Patienten notdürftig untersuchen zu können. Doch gerade wirkte der Fischmann nicht unbedingt in der Stimmung, mitzuarbeiten. Natürlich waren Nessaja unwillige Patienten nicht fremd. Diese konnte sie in der Regel aber einfach festhalten lassen und dann trotzdem ihre Arbeit tun. Bei einem schwimmenden Patienten, mit tödlichen Schuppen, war das eine andere Sache.

    Die Heilerin musste sich also etwas einfallen lassen. Sie wand sich mit ihrer gewohnt sanften und beruhigenden Stimme an den Mann hinter der Scheibe: „Ich weiß nicht, ob Du mich verstehen kannst. Es wäre sehr viel einfacher, wenn wir uns unterhalten könnten. Aber vielleicht werden wir mit der Zeit ja etwas von einander lernen.“ Nessaja lächelte einladend. „Ich werde Dich nicht Dämon oder Kreatur nennen. Das ist respektlos und ich bringe jedem meiner Patienten Respekt entgegen. Deshalb brauchst Du einen Namen. So lange ich den nicht kenne, werde ich Dir einen geben. Einer, der zu Dir passt natürlich. “ Für einen langen Moment legte die junge Frau ihren Kopf schief und betrachtete ihren Patienten nachdenklich, als wollte sie einem Geheimnis auf die Spur kommen. Sie prägte sich die Kontur seines markanten Gesichts ein, verfolgte mit ihren Iriden den Verlauf seiner Narben und ließ sich zu guter Letzt von dem rötlichen Schimmer seiner Schuppen gefangen nehmen. Mit einem Mal grinste die Schiffsärztin breit. „Natürlich! Ich werde Dich >>Fire<< nennen. Denn Deine Schwanzflosse wirkt wie flüssiges Feuer im Ozean.“

    Sie trat einen kleinen Schritt vom Tank zurück. „Stellen wir uns also einander vor.“ Nessaja raffte ihren weiten Leinenrock und vollführte einen eleganten Knicks, den man an diesem Ort wohl nicht erwartet hätte. Dann legte sie ihren Zeigefinger auf ihr Brustbein und sprach langsam, ruhig und deutlich: „Ich, Nessi.“

    Anschließend zeigte sie auf den Fischmann: „Du, Fire.“ Die Ärztin blieb ruhig vor dem gläsernen Tank stehen und wartete die Reaktion ihres Patienten ab. Ob er sich auf sie einlassen würde?

  • Das Glas machte es schwierig ihre Stimme zu hören. Nicht, dass er mehr als ein paar Fetzen wirklich verstand, aber es reichte aus um die Sanftheit in ihren Silben wiederzuerkennen. Es war dieselbe besonnene Art, mit der sie auf dem Dock mit ihm gesprochen hatte, aber auch dieses Mal war ihm das Verständnis darin befremdlich. Esca bleckte die drohend die Zähne, als sie näher an das Glas herantrat. Es war nicht so, dass sie ihn durch das Glas wirklich berühren konnte, aber verletzt und angekettet zu sein, half nicht gerade, seine Nerven zu beruhigen. Obwohl es ihm Schmerzen bereiten musste, peitschte seine Schwanzflosse gereizte durch das schrecklich leblose Wasser, in dem sie ihn gefangen hielten.

    Esca verfolgte ihren Blick, der sich interessiert an seine Schuppen heftete. Sollte sie sich nur ganz genau ansehen, was ihr im falschen Moment gefährlich werden konnte. Er hatte bewiesen, dass er selbst schwerfällig auf dem Trockenen noch dazu in der Lage war, mit einem wuchtigen Schlag einem Mann die Knochen zu brechen. Esca legte den Kopf zurück in den Nacken, sah herauf zur Wasseroberfläche und dem wenigen Sonnenlicht, dass sich dort spiegelte. Mit genügend Kraft, sobald seine Verletzungen ausreichend verheilt waren, konnte er über die Öffnung entkommen. Aber was dann? Im Bauch dieses Schiffes gab es keinen Weg nach draußen ins offene Meer außer über die Treppe. Wenn seine Brüder und Schwestern wüssten, dass er ihr war, könnten sie den Leib des Schiffes aufbrechen…und vielleicht ebenfalls gefangen werden. Esca saß in einer Zwickmühle.

    Die Fremde sprach immer noch mit dieser behutsamen und langsamen Stimme. Die Kiemen hinter seinen Ohren flatterten gereizt. Sie sprach mit ihm als wäre er langsam im Kopf. Esca war kein dummes Tier, aber wie alle anderen Zweibeiner musste auch sie ihn genau dafürhalten. Die grimmige Miene auf seinem Gesicht erlosch, als die Frau eine seltsame Verneigung vollführte. Nun sah Esca ehrlich verwundert aus und legte den Kopf schief. Langsam zog er die Augenbrauen zusammen. Was bei allen Meereswesen bezweckte sie damit? Es sah…lächerlich aus. Unwillkürlich glitt Esca näher an die Scheibe heran und beobachtete sie sie erst auf sich deutete und dann ein neues Wort formte, dass er bisher von ihr noch nicht vernommen hatte. Einen Namen. Ihren Namen.

    Nessi.

    Die Frau schien so bemüht sein Vertrauen mit dieser Geste zu gewinnen, vielleicht konnte ihm das eine Hilfe sein. Wenn er sie dazu bringen konnte, ihm bei einer Flucht zu helfen…Seine Gedanken zuckten zurück zu Nessi. Er formte ihren Namen stumm mit seinen Lippen. Ein paar Luftblasen trudelten dabei aufwärts. Esca sah sie sichtlich irritiert an, als sie mit dem Finger auf ihn zeigte. Sie gab ihm einen Namen? Etwas daran stieß ihm sauer auf. Er hatte einen Namen und der war etwas Wert im Reich der Korallenriffe. Esca schüttelte vehement den Kopf und presste grimmig die Lippen aufeinander.

    Er hatte einen Namen. Sie sollte ihn verdammt nochmal benutzen, wenn sie schon dabei half sein Schicksal zu besiegeln. Esca deutete mit dem Zeigefinger auf seine Lippen, weißsilbrige Schuppen schillerten auf seinem Handrücken. Wieder stoben Luftblasen von seinem Mund auf, doch er hielt ihre Aufmerksamkeit mit einem eindringlichen Blick bei sich und hoffte, dass sie die Silben deuten konnte, wenn sie ihn schon kaum hörte. Es waren nur Zwei, so schwierig konnte das nicht sein.

    Es-ca“, sagte er.

    We all change, when you think about it.
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    And that’s OK, that’s good, you gotta keep moving,
    so long as you remember all the people that you used to be.

    [DOCTOR WHO]