Beiträge von Calandra

    Esca behielt seine Umgebung im Auge. Die gläsernen Wände des Tanks hatten den unbestreitbaren Vorteil, dass er eine völlig uneingeschränkte Sicht durch seinen Teil des Laderaumes besaß. Seit Nessi an der Seite des Narbengesichts den Bauch des Schiffes verlassen hatte, hatte Esca mehr Zeit an der Oberfläche verbracht. Die Arme auf der Plattform abgestützt, spitzte er die Ohren um den gedämpften Stimmen vom Oberdeck zu lauschen. Es war der einzige Grund warum er allmählich gewisse Worte zu deuten wusste. Laderaum, Oberdeck, Segel, Tauwerk, Schiff… Manchmal hörte er Gepolter aus dem zweiten Teil des Frachtraumes. Das Schleifen von Seilen, das Knarzen gerollter Fässer und dazu eine sehr salzige Note, viel stärker als die salzige Brise des Meeres. Esca konnte nicht wissen, dass sich in den Fässern eingelegtes Fleisch und gesalzener Fisch befand. Was er unter der dem starken Salz in der Luft schmeckte, denn es legte sich schwer und bedrückend auf seine Zunge, war der Tod.

    „Hallo Esca. Ich bin zurück.“ Mit einem plötzlichen und arg lauten Plätschern spritzte etwas Wasser aus dem Tag auf die Dielen des Laderaumes. Esca war beim Klang ihrer Stimme sofort wieder abgetaucht. Er war so vertieft in das gedämpfte Rauschen der Wellen gewesen, in seine Sehnsucht nach Freiheit, dass er ihre Schritte nicht bemerkte. Jetzt, wo er vollkommen vom Wasser umhüllt war, spürte er wieder die federleichten Erschütterungen ihrer Schritte. Esca tauchte an die Scheibe heran und beäugte die vollbeladenen Arme der Heilerin. Er beobachtete Nessi aufmerksam und sein Blick zuckte zu dem Päckchen in ihren Händen. Fragend zog er eine Augenbraue hoch. Nach lebendigem Fisch sah das nicht aus. Esca folgte Nessi zur hölzernen Plattform. Zunächst tauchte nur sein Kopf aus dem Wasser auf und dann auch nur knapp bis unterhalb seiner Nase. Der Meervölkler atmete hörbar ein und rümpfte die Nase. Die Fische waren eindeutig nicht mehr am Leben und obwohl Esca nicht zu den großen Räubern gehörte, lag ihm die Jagd doch ein wenig Blut. Esca öffnete den Mund, schloss ihn und öffnete ihn wieder.

    „Da…nke“, sprach er und zog einen der Fische zu sich heran. Er tauchte lediglich bis zu den Schultern auf und der Schatten seiner imposanten Flosse glitt ruhig durch das tiefe Wasser. Sie hielt ihn mühelos oberhalb der Wasserlinie. Wieder warf er einen skeptischen Blick zu Nessi und schnupperte noch einmal an dem Fisch in seinen Händen. Das Tier roch nicht verdächtig, aber eine Heilerin wusste bestimmt, wie sie Gifte ins Essen mischte ohne einen Verdacht zu erwecken. Esca seufzte. Sie hätte sich nicht die Mühe gemacht, ihn zu pflegen nur um ihn kaum ein paar Stunden später zu vergiften. Am Ende war der Hunger zu große. Esca versenkte seine Zähne in dem rohen Fisch. Weder Schuppen noch Gräten schienen ihn an diesem Punkt zu stören. Er kaute vorsichtig, nicht zu schnell. Sein Blick huschte zu Nessi. Er schluckte und legte den Kopf schief.

    „Ist es…normal?...Ja…normal für Zweibeiner anderen beim…Essen zuzusehen?“
    Er nahm einen weiteren Bissen und deutete mit dem Kinn auf ihren Arm. Esca hatte gesehen, wie sie sich über den Arm gerieben hatte und ihren Gesichtsausdruck dazu. Seine Stimme klang vollkommen neutral, als er fragte:
    „Hat er…dir wehgetan? Narbengesicht?“


    *Anmerkung: Die kursiv geschriebenen Worte im Dialog sind in der Sprache des Meeres gesprochen.

    Der verschüchterte Eindruck löste sich in Luft auf, kaum hatte Drystan unerlaubt nach der verirrten Haarsträhne gegriffen. Der Söldner sah zu wie sich die hübschen Augen schmälerten. Sie musterten ihn, den Fremden, eingehender und wachsamer als zuvor. Drystan war nicht gekränkt, als sie seine Hand bei Seite schob. Beschwichtigend hob er seine Hände hoch und schenkte ihr ein verschmitztes Lächeln, das ein wenig in seinem ungekürzten Bart unterging. Er nahm sich einen Augenblick um die Frau etwas genauer in Augenschein zu nehmen. Vielleicht hätten einige der anwesenden Ordensmitglieder ihm vorschnell ungehörige Blicke unterstellt, hätte auch nur ein Hauch von Gier in seinen Augen gelegen. Letztendlich spiegelte sich im Grün seiner Iris nichts als ehrliche Neugierde. Die Frau, die ihn tadelte, konnte kaum älter sein als Drystan selbst. Eher jünger, vermutete der Söldner, und trotzdem trug sie die gleiche Robe wie der alte Joren. Eine Novizin, vielleicht. Wenn sie eine Novizin war, musste sie besonders sein. Drystan spürte, wie sich alle Blicke im Hof auf das ungleiche Paar richtete. Ob die Blicke oder die Worte dafür verantwortlich waren, ließ sich als Beobachter letztendlich nicht sagen, aber der Söldner trat einen respektvollen Schritt zurück.
    Ein amüsiertes Brummen rumpelte in seiner Brust.
    „Dem Umstand können wir Abhilfe schaffen, wenn es sonst nichts ist. Ich bin Drystan. Jetzt wisst Ihr schon einmal, wer ich bin“, antwortete er mit gesenkter Stimme. „Verzeiht einem heimatlosen Söldner, wenn er bei einem hübschen Gesicht wie Eurem seine guten Manieren vergisst.“
    Leises Räuspern ertönte in seinem Rücken. Verstohlen blickte Drystan über seine Schulter und erkannte Martha, die nun Lyra an der Hand hielt. Die Hühnerjagd musste beendet sein, aber in den Haaren der kleinen Lyra steckten kleine Federn. Martha, die eher wie eine resolute Magd und weniger wie eine strenggläubige Priesterin wirkte, bedachte ihn mit gerümpfter Nase und einer Warnung in den verengten Augen. Sie war der Inbegriff einer überfürsorglichen Glucke und strahlte dabei etwas so Mütterliches ausstrahlte, dass Drystan keine Minute daran zweifelte, dass sie einen ihrer Holzschuhe nach ihm werfen würde, sollte er sich nicht benehmen.
    „Verratet ihr mir Euren Namen, wenn ich Euch dafür sage, mit wem ich hergekommen bin?“, fuhr Drystan ungerührt fort. Bevor er eine Antwort erhielt, wurde etwas gegen seine Brust gedrückt. „Uff!
    Martha war neben ihm aufgetaucht und der Gegenstand an seiner Brust war ein schlichter Holzbecher mit Wasser. Durch die Nachdrücklichkeit, mit der die Magd den Becher gegen seine Brust gedrückt hatte, schwappte etwas Wasser über den Rand. Das Wasser zog Schlieren über den Staub des Lederharnisch und tröpfelte anschließend zu Boden.
    „Wo bleiben nur unsere Manieren!“, rief Martha aus und funkelte den Söldner regelrecht an während sie ihm ein Lächeln aus gezwungener Höflichkeit präsentierte. Die Frau mochte ihn nicht. Daran bestand kein Zweifel. „Setzt euch. Trinkt einen Schluck. Ihr müsst ganz durstig von dem langen Marsch sein! Ellia, Liebes, sieh bitte nach, wo Joren bleibt. Es ist unhöflich seinen Gast so lange warten zu lassen.“
    Ellia…“ murmelte Drystan.
    „Wenn Du sie noch einmal anfasst, hast du im Morgengrauen einen Finger weniger“, knurrte Martha, als sie glaubte, dass Ellia außer Hörweite war.
    „Hm, ich habe noch nie davon gehört, dass Priesterinnen mit Verstümmelung drohen. Erscheint mir nicht sehr…“, antwortete der Söldner wieder mit einem eindeutigen Rumpeln in der Brust.
    „Vorsicht“, unterbrach Martha ihn mitten im Satz. „Noch ein Wort und es ist nicht dein Finger, um den du dir Sorgen machen musst.“
    „Meine Güte, Frau! Beruhig Dich! Es ist doch gar nichts passiert.“
    Zeternd wie ein altes Ehepaar schob Martha den Neuankömmling über den Innenhof in Richtung der Steinbänke.
    „Setz Dich dahin. Sei einfach still und versuch nichts Dummes anzustellen bis Joren zurück ist. Herrje, was hat er sich dabei gedacht…?“, grummelte Martha. Kopfschüttelnd und mit verschränkten Armen stapfte sie davon.
    „Grässliches Frauenzimmer…“, knurrte Drystan.

    „Hm, ich habe gesehen, wie dein Spaß aussieht“, protestierte Iris. Eine Bewegung im Augenwinkel ließ sie aus Reflex den Kopf drehen um der Bedrohung ins Auge zu sehen – was sie sofort bereute, als heißer Atem über ihre Wange streichelte. Augenblicklich ruckte ihr Kopf wieder nach vorn, die Schultern zitternd vor Anspannung und der Puls beschleunigt in Erwartung der Berührung. Iris knirschte mit den Zähnen, weil es Darius sichtlich Vergnügen bereitete mit ihrer Vorstellung zu spielen.
    „Mag sein, dass wir verschiedene Arten von Spaß verstehen. Aber ich weiß genau, welchen du meinst. Ich zeig dir, was man mit Kraftlinien noch anstellen kann und warum deiner Eins sie unter anderem so verpönt“, schnurrte der Dämon beinahe und legte die Hände federleicht auf ihren Schultern an.
    Die Berührung war so subtil, dass sie kaum die Bezeichnung als Solche verdiente. Trotzdem zuckte Iris heftig unter seinen Händen zusammen, wollte von Darius abrücken und doch verdammte sie eine ungewollte Anziehungskraft zum Stillstand. Iris‘ Konzentration bröckelte und riss endgültig ab. Die gesammelte Energie in ihrem Körper schlug Wellen und verstummte allein durch das Eingreifen des Leviathans. Das aufkeimende Brodeln versiegte und die Farrow-Hexe erschauderte. Darius berührte jeden Winkel ihres Körper mit einer Hitze, die Iris nicht vor Schmerz erbeben ließ. Die glühende, pulsiernde Energie, die stetig tröpfelnd von Darius direkt unter ihrer Haut floss, umschmeichelte sie wie ein Versprechen. Der Dämon musste nicht einmal einen Finger dafür krumm machen.
    „Lass das“, beschwerte sich Iris. Sie hasste es, wie wenig überzeugt sich die zwei Worte in ihren Ohren anhörten.
    „Entspann dich. Lass die Energie fließen“, raunte Darius immer noch viel zu nah.
    „Vergiss es…“, schimpfte sie und wurde einfach ignoriert.
    Darius‘ Nähe war erdrückend. Unerwünscht, einnehmend und verboten sinnlich zu gleich. Sie wollte nichts lieber, als die gesamte Spannweite der Eingangshalle zwischen sich und den Leviathan zu bringen, aber ihr Körper hatte unter seiner Manipulation ein Eigenleben entwickelt. Es trieb Iris langsam in den Wahnsinn, die Kontrolle über den eigenen Körper Stückchen für Stückchen zu verlieren.
    „Spürst du sie? Wie sie von Kopf bis Fuß fließt? Langsam, gemächlich? Es muss nicht immer Schmerz sein. Wenn man die Kontrolle hat, kann es so, so viel mehr sein, Izzy…“
    Mit einem letzten verzweifelten Versuch sich von dem Gefühl abzulenken, zwang sich die Hexe dazu, sich wieder auf das Gelernte zu konzentrieren. Darius‘ Energie floss in den ausgehöhlten Kern, den sie sinnbildlich dafür erschaffen hatte. Dennoch ließ das Kribbeln nicht nach und erfüllte sie nach wie vor von Kopf bis Fuß. Für jeden Tropfen an Energie, den sie erfolgreich speicherte, floss ein Neuer süß und verheißungsvoll durch ihre Adern.
    „Ich leite nur Energie in dich. Du speicherst sie gerade selbst, wie nichts Anderes zuvor.“
    Das Herz in ihrer Brust stolperte. In den Cocktail aus widersprüchlichen Emotionen gesellte sich eine Spur von schleichender Angst. Es war diese böse Vorahnung. Das unmissverständliche Bauchgefühl, das es etwas nicht stimmte. Der Energiefluss stoppte und hinterließ ein sehnsuchtsvolles Echo. Unter Darius' Fingerspitzen bildete sich eine Gänsehaut und Iris war unendlich dankbar, dass Ceri an lange Ärmel gedacht hatte. Sie wartete angespannt, dass sich der Dämon zurückzog. Es glich der Ruhe vor dem Sturm, dem kurzen Luftholen vor dem Sturz in die Tiefe.
    Der Fall erwischte Iris eiskalt.
    „Was…!?...Ah!
    Iris‘ Körper krümmte sich und zu ihrem eigenen Entsetzen verließ ein erstickter Laut ihre Lippen. Es war eine Mischung zwischen erschüttertem Wimmern und erregtem Keuchen, die sich nicht aufhalten ließ. Geschockt riss Iris die Augen weit auf. Ein heißer, lustvoller Puls strömte schlagartig durch ihren Leib. Nicht träge, nicht zähfließend, sondern fordernd und unnachgiebig. Iris presste ihre Oberschenkel zusammen als die Hitze sich zwischen ihren Beinen sammelte.
    „Was hältst du hiervon, Liebes? Deinesgleichen fürchtet doch die Linien so sehr, aber wie kann das sein, wenn sie einen so gut fühlen lassen können?“
    Der Geruch von Petrichor kitzelte sie an der Nase. Freude und Wut, vor allem Wut, waren eng mit diesem Geruch verbunden. Lust hatte sie dabei noch nie empfunden. Iris spürte wie sich der Skarabäus auf ihrer Brust bewegte, ein hektisches Flattern durscheinender Flügel im Takt ihres rasenden Herzschlages. Es knisterte zwischen ihren Finger und überall dort vor Darius sie berührte oder berührt hatte, aber der Leviathan kontrollierte die Energie. Deshalb schaffte es kein einziger, zuckender Blitz ans Tageslicht, aber der Petrichor blieb und Iris' Bewusstsein knüpfte sich eine neue Verbindung. Am liebsten hätte Iris vor Frustration laut aufgeschrien, wäre sie nicht so darum bemüht gewesen, keinen Laut von sich zu geben.
    Petrichor und Lust und Darius.
    „Hast du da eine Antwort für mich drauf?“
    Ihr Körper betrog Iris, als er sich Darius entgegen wölbte. Sehnsüchtig nach einer Berührung, die nicht kam. Sie presste die Schenkel noch fester zusammen, als könnte sie damit irgendetwas aufhalten. Als übte Darius‘ Atem einen unwiderstehlichen Druck aus, neigte Iris den Kopf zur Seite und entblößte noch mehr ungeschützte, zarte Haut. Iris wurde speiübel, aber ihr Körper wollte...mehr.
    „Ja…“, hauchte Iris mit zittriger Stimme.
    Ein gequältes Keuchen perlte über ihre Lippen, als die Hitze und der verlockende Druck in ihrem Unterleib zunahmen. Iris war mit dem Gefühl bestens vertraut. Das angenehme und verheißungsvolle Ziehen, das sich bis in die zuckenden Muskeln ihrer Oberschenkel ausbreitete. Die Art wie ihr Becken abkippte und sich erwartungsvoll vorschob, sich ihr Rücken in einem Hohlkreuz wölbte während sich der Knoten heißer Lust stetig enger und enger zusammenzog. Sie wollte das nicht - Nicht hier und vor allem nicht mit Darius. Der Leviathan hatte sie nicht einmal richtig angefasst und trotzdem fühlte sie sich auf die schlimmste Art und Weise benutzt.
    Iris leckte sich über Lippen und bleckte in einem letzten Akt des Widestandes die Zähne.
    „Fahr zur Hölle.“

    Drystan neigte respektvoll sein Haupt. Die Erhabenheit der Klosterburg verlangte selbst einem grobschlächtigen Söldner ein gewisses Maß an Ehrfurcht ab. Eine Bleibe über die harschen Wintermonate könnte er sich mit Jagen verdienen. Die Wälder um das Kloster waren reich an Wild. Sein Blick glitt über das von Efeu überwucherte Mauerwerk des Innenhofes. Es musste unzählige Öfen und Kamine geben, die während der kalten Jahreszeit geheizt werden wollten. Drystan scheute keine harte Arbeit. Er würde den Bogen bereitwillig gegen eine Axt eintauschen, wenn er sich damit einen Platz am Feuer verdienen konnte. Vorbereitungen für den Winter mussten getroffen, die letzte Ernte eingeholt und Ausbesserungen am Gemäuer vorgenommen werden. Bei einem weitläufigen Gebäudekomplex wie diesem gab es immer ein Loch im Dach, das abgedichtet werden musste um die Zugluft und Feuchtigkeit fernzuhalten. Drystan bezweifelte nicht, dass die Männer und Frauen gut allein zurechtkamen, aber in der Regel beschwerte sich niemand über ein Paar zusätzliche Hände.
    Der Orden der ersten Flamme. Der Söldner wusste nicht viel über diese Gemeinschaft. Für das Volk von Sylvaris war der Orden ein Relikt vergangener Tage als dem Land, das sie ernährte und versorgte, noch gehuldigt wurde. Heute betete das Volk einen neuen Gott an – die Gier. Egal wie tief sie gruben und schürfte, es war nie genug.
    „Ich wusste nicht, dass es der Orden noch existiert. Die alte Maeve wollte nicht recht mit der Sprache herausrücken. Ich hatte eine Ahnung, aber ich wollte es nicht glauben“, erwiderte Drystan und die Ankündigung des Ordensbruders, dass ein wichtiges Mitglied des Ordens sich bald zu ihnen gesellte, veranlasste den Söldner, halbherzig den Staub von seiner Hose zu klopfen.
    „Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich mich besser gekleidet“, scherzte Drystan, der ganz offensichtlich nur die Kleidung besaß, die er gerade am Leib trug. „Ausruhen klingt gut. Ihr seid nicht leicht zu finden, Joren.“

    Das Eingangsportal der Kapelle schloss sich hinter Joren und damit blieb Drystan allein im Innenhof der Klosterburg zurück. Nun, nicht ganz allein. Abgesehen von den fleißigen Ordensbrüder- und Schwestern, prickelte der wachsame Blick aufmerksamer Augen in seinem Nacken. Drystan wusste, dass sie seine Schritte pflichtbewusst verfolgten. Niemand konnte mit Sicherheit sagen, dass sie nicht doch einen hungrigen Wolf in ihre Mitte geführt hatten.
    Jetzt, das seine Reise fürs Erste ein Ende gefunden hatte, war sich Drystan seiner schweren Glieder überdeutlich bewusst. Die Fußsohlen in den schweren Stiefeln schmerzten von der tagelangen Wanderung über unebenes Gelände und es ziepte unangenehm in seinem Rücken, da er all seinen Besitz selbst schultern musste. Er hatte sein Pferd vor Wochen zurücklassen müssen. Das Tier war unlängst zu alt geworden und es mangelte an Münzen, um sich ein neues Reittier zu leisten. Seitdem lebte Drystan von der Hand in den Mund. Das Jahr war nicht gut zu ihm gewesen. Bis jetzt.
    Pock!
    „Hm?“, brummte Drystan und griff aus Reflex nach dem Arm der unglücklichen Person, die gerade ungebremst in ihn hineingelaufen war, damit sie nicht zu Boden stürzte. Verdutzt senkte er den Blick.
    Der Anblick eines hellen Haarschopfes begrüßte ihn. Der Söldner zog verwundert die Augenbrauen zusammen. Die seidig anmutenden Strähnen waren nicht einfach nur hell, sie waren so weiß und rein wie frisch gefallener Schnee. Die Frau war klein. Drystan konnte er direkt auf den Scheitel sehen und bevor er überhaupt einen Blick auf ihr Gesicht erhaschen konnte, verbarg eine zierliche Hand seine Sicht. Die Haut war blass aber nicht kränklich, als hätte sie nie ein Sonnenstrahl berührt. Es war nicht die Hand einer Frau, die ihren Tag damit zubrachte stundenlang in der kargen Erde zu wühlen.
    Drystan schien erst jetzt wirklich zu bemerken, wie schmal und zerbrechlich sich der Arm in seiner großen Hand anfühlte. Sofort ließ er seine Hand sinken und verzog das Gesicht, als seine dreckigen Finger verwischte Abdrücke auf der weißen Robe hinterließen. Als die weißhaarige Frau endlich ihre Hand senkte, sahen Drystan große Augen entgegen.
    Erstaunt musterten sie den Söldner, als hätten sie nie einem Fremden erblickt, und wie das Mädchen zuvor rümpfte auch sie die Nase. Drystan seufzte. Er hatte es begriffen, er roch streng. Sie hatte Glück, das sie ein hübsches Gesicht besaß und dieses hier war etwas ganz Besonderes. Eine natürliche Schönheit, unberührt vom Prunk und den parfümierten Püderchen und gefärbten Pülverchen, die sich die Frauen in den Städten ins Gesicht schmierten. Ja, Drystan hatte noch nie einem hübschen Gesicht widerstehen können.
    „Verzeihung“, drang es leise an seine Ohren.
    „Nichts passiert. Es braucht schon ein Bisschen mehr um mich aus dem Gleichgewicht zu bringen“, antwortete Drystan mit rauer Stimme und straffte möglichst unauffällig die breiten Schultern. Er stemmte die Hände in die Hüften und beugte sich leicht zu der jungen Frau vor. Die Blätter in seinem Haar und den Dreck unter seinen Nägeln vergessend, nahm Drystan eine weiße Haarsträhne zwischen die Fingerspitzen. Sie fühlte sich wirklich so weich und seidig an wie sie aussah. „Ich habe noch nie Haare wie Eure gesehen. Weiß wie frischgefallener Schnee. Sie sind sehr schön.“

    Redlake sah tatsächlich ganz hübsch aus, wenn sie kurz davor war, die Fassung zu verlieren. Er wusste, dass sie versuchte, seinen Provokationen mit Hilfe steifer Manieren zu widerstehen. Obwohl ihre Reaktion etwas schwach ausfiel und bedauerlicherweise nicht wie vorgestellt, zeigte sich Volkov recht selbstzufrieden. Grinsend lehnte er sich zurück und zog sich die zierliche Blondine ganz unverfroren auf den Schoß. Wieso war Redlake auch schon fertig mit ihren Besorgungen, er hätte noch so viel Spaß in der Schuppe haben können. Er würde die letzten Minuten noch ein bisschen genießen. Nicht nur die Ärztin wurde an Bord der Oceans Apart zurückerwartet. Nach dem dreisten Angriff der Fischmenschen, musste die Ausrüstung kontrolliert werden. Das Schiff war eines der wenigen, dass nun noch voll funktionstüchtig war. Sie konnten es sich nicht leisten, noch ein Schiff zu verlieren. Volkov würde dafür Sorgen, dass seine Harpunen besonders gut geschärft waren.

    "Besseres gewöhnt, hm?", sagte Volkov und deutete auf den Wein, den Nessaja nicht anrührte. "He! Marco! Der feinen Frau Schiffsärztin ist dein Wein nicht gut genug!" Marco, ein untersetzter Mann mittleren Alters mit sichtblichen Geheimratsecken im fettigen und ungekämmten Haar zuckte nur mit den Schultern. Entweder wollte er nicht zwischen die Fronten geraten oder es war ihm schlichtweg egal. Volkov wusste, dass es Letzteres war. An diesem gottverlassenen Ort gab es nun mal nicht viel Auswahl und jeder nahm, was er kriegen konnte.

    "Wir sind hier doch unter uns, Liebes", schmunzelte Volkov und fuhr der jungen Frau auf seinem Schoß über den entblößten Hals. Bei ihrer schnippischen Antwort legte er mit einem bellenden Lachen den Kopf in den Nacken ehe er sie wieder ansah. "Ein dummes Tier, das nicht sprechen kann, soll bessere Manieren haben als diese liebliche Gesellschaft hier? Oh, mein Täubchen, du solltest dir lieber einen richtigen Mann suchen. Mit der richtigen Ausstattung versteht sich." Um seinen Satz zu unterstreichen, griff sich Volkov in den Schritt und vergrub die freie Hand im blonden Haarschopf der Bardame um ihren Kopf leicht nach hinten zu ziehen. "Nicht wahr, Schätzchen?"

    "Volkov, verdammt! Wo bist du!? Nimm endlich deine Hand aus der Hose! Wir brauchen Dich auf dem Schiff! Einer der Neuen hat Mist gebaut! Er hat am Abzug der Steuerbord-Harpune herumgefummelt, jetzt klemmt sie!", ertönte es schnaubend, nachdem ein Matrose der Oceans Apart die Tür so schwungvoll geöffnet hatte, dass sie gegen die Wand gekracht war. Volkov wurde vor Zorn puterrot im Gesicht.

    "Dieser Idiot hat was!?" Ruppig schob er die Blondine von seinem Schoß, die verdattert zu Boden plumpste. Wenn Volkov etwas mehr liebte als Huren, waren es seine Harpunen. Er packte Nessaja am Arm und schob sie grob zur Tür. "Wir gehen jetzt." Wenige Minuten später ruderte er die beiden zurück zur Oceans Apart in einem Tempo, als wäre der Kraken persönlich hinter ihm her.

    "…Ja… Dann wirst du sehen, was mir wirklich Spaß macht."
    Mit gesenkter Stimme perlte die Antwort von seiner Zunge und die dunklen Nuancen der einzelnen Silben ließen die Worte wie ein Versprechen und Drohung zugleich klingen. Gegen ihren Willen erschauderte Iris ein weiteres Mal. Sie war sich der Gefahr, die in ihrem Rücken lauerte, überdeutlich bewusst. Ganz langsam drehte die Farrow-Hexe den Kopf zur Seite in Erwartung, dass Darius sich wieder mit glühenden Ziegenaugen in ihr Blickfeld schob. Als das nicht passierte, stolperte der Herzschlag in ihrer Brust ehe er komplett zum Stillstand kam. Iris lauschte mit angehaltenem Atem, doch es war plötzlich totenstill in der Eingangshalle. Das Echo seiner Schritte war verklungen. Iris wollte sich umdrehen und nachsehen, ob sich der Leviathan bereits in Schatten aufgelöst hatte, doch ihr Körper wollte nicht gehorchen. Wie zu Stein erstarrt, verharrte die Hexe angespannt. Das Warten ließ ihrer Fantasie viel zu viel Spielraum. Iris' Verstand überschlug sich und tat beinahe weh, als ihr Herzschlag mit besorgniserregender Geschwindigkeit seine Arbeit wieder aufnahm.
    "Sag es."
    Iris fuhr heftig zusammen. Das Zucken erschütterte ihren ganzen Körper, vom Scheitel bis zu den Zehenspitzen. Darius' Präsenz in ihrem ungeschützten Rücken weckte einen Urinstinkt, der sie dazu zwang keinen Finger zu rühren. Ein Wink mit der Hand und ihr Schicksal wäre besiegelt, mehr brauchte es nicht. Die Beute erstarrte im Angesicht des Jägers und als sein warmer Atem ihre Ohrmuschel streifte, presste Iris die Lippen fest zusammen und schluckte das drohende Wimmern herunter. Darius hatte sie nicht einmal berühren müssen, damit ihr der Schweiß ausbrach. Sie würde ihm die Genugtuung nicht auf einem Silbertablett servieren. Iris schwankte - nicht ihr Körper, ihr Verstand. Es war beängstigend und aufregend zugleich und so, so falsch. Iris wollte sich nicht so fühlen, nicht wenn Darius dafür verantwortlich war. Sie wollte...
    "Tu mir den Gefallen und sag Nein, Izzy… Lass mich Spaß haben…"
    "Vorsicht...", begann Iris und musste hörbar Schlucken. Ihre Stimme klang viel dünner als ihr lieb war. "...Du verlierst den Fokus aufs Wesentliche."
    Iris wusste es besser. Der Dämon hatte den Fokus nicht verloren.
    Er hatte sich nur auf sie verlagert.
    Auf etwas, das Darius von ihr wollte.
    Die Illusion von Macht, dass sie darüber entscheiden konnte, ob er es bekam, war trügerisch und doch...
    Zum ersten Mal spürte Iris eine heiße und unwillkommene Welle der Erregung in ihren Körper branden. In diesem Augenblick hasste sie sich vermutlich mehr als den Dämon in ihrem Rücken. Das musste aufhören. Jetzt.
    "Wir sind hier um zu trainieren. Nicht um Spaß zu haben. Und ich glaube nicht, dass wir dieselbe Vorstellung von Spaß teilen."

    Die Farrow-Hexe fluchte unterdrückt. Plötzlich war sich Iris nicht mehr so sicher, dass es wirklich ein gute Idee gewesen war, auf die Verwendung ihres neuen Namens zu pochen. Das Grinsen, das Darius ihr im Anschluss präsentierte, zeigte viel zu viele seiner perfekten und perlweißen Zähne. Für Iris' Geschmack sah ein wenig zu selbstzufrieden aus, obwohl sich die Hexe dazu erdreiste eine Forderung zu stellen.
    Als der Name genüsslich und samtweich über seine Zunge rollte, war sich Iris sogar ziemlich sicher, dass sie einen Fehler gemacht hatte. Es gefiel der Hexe überhaupt nicht, dass ihr schlagartig heiß und kalt zugleich wurde. Iris spürte den vertrauten Zug und der damit einhergehende Druck ballte sich zu einem heißen Knoten in ihrer Magengrube zusammen. Darius' Stimme dürfte diese Wirkung gar nicht haben. Das war nicht richtig. Es hätte ihr die pure Galle in die Kehle treiben müssen. Stattdessen tanzte Iris für einen irrwitzigen Moment auf der hauchdünnen Linie zwischen Abneigung und Anziehung. Die Muskeln in Iris' Augenwinkel zuckten irritiert. Vielleicht war ein liebloser Kosename doch die bessere Alternative...
    Es fehlte nicht viel und Iris hätte die Kontrolle über den Energiefluss verloren, den sie sich mühselig erkämpft hatte. Mit Worten allein spielte Darius ein Spiel, dass die Hexe unmöglich gewinnen konnte. Jede Silbe traf sie genau dort, wo er es wollte. Irritation verwandelte sich in den Anflug von Fassungslosigkeit. Iris hatte die ganze Zeit geglaubt endlich einen wichtig Schritt nach vorn gemacht zu haben, aber Darius machte den kleinen Triumph, den sie empfunden hatte, zunichte. Deshalb hatte es sich anders angefühlt. Er benutzte keine ungefilterte Kraftlinien-Energie sondern seine eigenen Reserven.
    "...Ich sagte doch, dass die Verbindung in beide Richtungen gehen kann..."
    Iris schluckte.
    "...aber ich muss dich schon anfassen, wenn ich die speisen will..."
    Ihr Blick zuckte zu seiner Hand herunter, die zuvor noch unter ihrer gelegen hatte. Jetzt wurde Iris wirklich schlecht. Sie hatte gar nichts geschafft. Darius hatte ihr buchstäblich Stützräder verpasst und sie für wenige Augenblicke glauben lassen, sie hätte das allein bewerkstelligt.
    "Was da gerade durch deinen Körper zirkuliert, ist lediglich ein Teil der Energie, die ich ständig in meinem Kern halte. Du kannst dir gerne vorstellen, dass ein Teil von mir jetzt in die zirkuliert."
    Die Vorstellung irgendetwas von Darius in ihrem Körper zu haben war abstoßend. Bei dem Gedanken kroch Hitze ihren Nacken hinauf. Es war schwer zu sagen, selbst für Iris, ob das Brennen auf ihren Wangen nur vom Salz der vergossenen Tränen stammte oder vom drohenden Kontrollverlust über den kreisenden Energiefluss. Und das machte alles viel, viel schlimmer.
    "Ich wiederholte meine Frage, Izzy. Willst du das Speichern probieren und mir beweisen, dass du es kannst?"
    Darius hatte wieder begonnen, sie zu umkreisen. Dieses Mal folgte Iris seinen Bewegungen, verlor ihn immer nur dann kurz aus den Augen, wenn er in ihrem Rücken war. Iris krallte sich mit aller Kraft, die sie aufbringen konnte, an die Kontrolle über die fremde Energie in ihrem Körper. Die Anspannung wuchs, schickte ein völlig unwillkürliches Beben durch ihren Körper und ab einem Punkt hätte Iris schwören können, dass die Luft so dick geworden war, dass man sie mit einem Messer hätte schneiden können.
    Es gefiel Iris nicht, wie sich die leuchtenden Ziegenaugen in sie bohrten. Trotzdem konnte sie den Blick nicht abwenden. Ganz langsam lenkte die Farrow-Hexe die zirkulierende Energie in den erdachten Hohlraum hinter ihrem Brustbein. Mal mit zu viel Nachdruck, was ihr ein atemloses Keuchen entlockte, und mal nicht schnell genug, was ihren Herzschlag in die Höhe trieb während Darius lauernd seine Kreise zog. Viel Zeit würde der Leviathan ihr nicht mehr geben.
    "Ändert es etwas, wenn ich Nein sagte?"

    Darius erhob sich und jegliche Sanftheit verschwand aus seinen markanten Gesichtszügen, als hätte Iris‘ Frage das Ende ihres kleinen und brüchigen Waffenstillstandes eingeläutet. Die Frist war abgelaufen und die Farrow-Hexe wieder auf sich allein gestellt. Bedächtig zog Iris die Hand zurück, die noch ein paar Sekunden in der Luft verharrte, nachdem Darius sich längst zurückgezogen hatte. Es kribbelte, wo der Leviathan ihren Handrücken berührt hatte. Noch einmal beugte und streckte sie prüfend ihre Finger, fuhr mit den Fingerspitzen ihrer anderen Hand über die verheilte Haut. Sie konnte die Tatsache, dass die Kräfte, die ihr unvorstellbaren Schmerz bereiteten und ihr solchen Schaden zufügten, gleichzeitig mit dieser sanften Ruhe geführt werden konnten, mit der Darius die verheerenden Verbrennungen geheilt hatte. Es wollte einfach nicht in ihren Kopf.
    „Du wirst vorerst keine Kraftlinie anzapfen. Auch nicht aus deinem Sturkopf herum. Verstanden?“
    Iris legte den Kopf in den Nacken um zu Darius aufzusehen und spürte, wie sich ihre Lippen zu einem missmutigen Schmollen verzogen. In dem Augenblick, in dem sich die Farrow-Hexe dazu entschied, sich mit ihrer Situation zu arrangieren, musste er auf die Bremse treten. Irgendwie hatte sie den Eindruck gewonnen, dass es ihm eigentlich gar nicht schnell genug ging. Da Darius aber beschlossen hatte, sie über längere Zeit als Vertraute zu behalten und ihren Verstand nicht innerhalb von 48 Stunden zu frittieren, ergab das Verbot wohl Sinn. Iris seufzte.
    „Das ist keine Schikane, Liebes.“
    Die statische Aufladung in der Luft um Iris erreichte eine kleine Spitze. Zwar zuckten kleinen Blitze umher, aber es knisterte leise und die Spannung reichte aus, damit sich die feinen Härchen an ihren Armen aufstellen.
    „Aber sollte dein Dickkopf gewinnen und du die Linie anzapfen, ohne auch nur das Speichern zu können, wird sie dich auf der Stelle ausbrennen. Von dort kann selbst ich dich nicht wiederherstellen. Zumal Heilungsflüche verdammt teuer sind.“
    Natürlich, alles hatte seinen Preis. Nur, dass Darius völlig unberührt von der Heilung schien. Es dauerte einen Moment bis sich das Echo eines entfernten Stöhnens in Iris‘ Unterbewusstsein drängte. Die Hexe ballte die zuvor geheilte Hand zu einer losen Faust. Nicht Darius zahlte den Preis, sondern lud den Schmutz auf seinen Vertrauten ab. Sie hatte es schon gesehen, wie er Energie durch Ceri geleitet hatte. Das hieß also, sollte sie eine Dummheit begehen, zahlte nicht nur sie selbst den Preis, sondern Ceri oder Chantale gleich mit. Zumindest, wenn Darius in guter Stimmung war und sich noch einmal dazu herabließ ihren Fehltritt auszubügeln. Iris knirschte mit den Zähnen.
    Die Erkenntnis musste auch für Darius sichtbar sein, denn er fuhr ungerührt fort und Iris nahm das zum Anlass, sich endlich vom Boden zu erheben. Ihre Knie zitterten noch und sie spürte deutlich, wo sich der harte Marmor in Knochen, Sehnen und Muskeln hineingedrückt hatte.
    „Du brauchst jemanden, der, wie ich es gerade getan hab, die Energie kontrolliert zu dir führt. Dann folgst du der Eingebung und lernst, dein Zweites Gesicht zu heben. Dämonen haben das nicht, Hexen allerdings schon.“
    Iris wusste von dem Zweiten Gesicht, aber Darius darüber sprechen zu hören, machte ihr wieder einmal gnadenlos bewusst, wie viele Dinge sie aufgrund ihrer Situation nicht gelernt hatte und...
    Moment.
    Gab es noch andere Hexen im Jenseits?
    Sie öffnete schon den Mund, doch…
    „Aber alles erst, wenn du speichern kannst.“
    …klappte ihn gleich wieder zu. Mit zusammengekniffenen Augen sah sie Darius an und verschränkte die Arme vor der Brust.
    Sie sah aus, als wollte sie eine neue Diskussion vom Zaun brechen.
    „Was du jetzt gerade hältst, ist der Grenzwert an Energie, den ich in dich leiten kann. Aber wenn ich durch dich auf die Linie zugreife…“
    Jetzt zuckten ihre Augenbrauen in die Höhe.
    „…Sieht es wieder anders aus. Willst du das auch probieren und mir beweisen, dass du es kannst, Liebes?“
    „Nenn mich nicht Liebes. Du hast dir einen Namen für mich ausgesucht. Du könntest dir wenigstens die Mühe machen, ihn zu benutzen“, protestierte Iris murrend. Der angewiderte Gesichtsausdruck mischte sich unter die verwirrte Mimik, bis sie sich daran erinnerte, was sie vor wenigen Sekunden noch an seinen Worten gestört hatte. „Warte...du greifst noch gar nicht auf die Kraftlinie zu? Die ganze Zeit noch nicht? Aber was ich gerade halte, ist doch Energie aus der Kraftlinie. Oder nicht? Ich versteh nicht, was..."
    Iris' Augen weiteten sich und ihre Kehle fühlte sich staubtrocken an.
    Sie sah sich langsam in der Eingangshalle um, als würde sie nach etwas Bestimmten suchen.
    "Du hast die Energie bisher nur geleitet, aber sie nicht benutzt."

    Geduldig erwartete Drystan eine Antwort des ältesten Ordensbruders. Zumindest übte sich der Söldner gezwungenermaßen in Geduld. Ein falsches Wort, und er würde den Rückweg nach Umbra antreten müssen um sich einen neuen Plan zu überlegen. Dagegen protestierten sowohl sein leerer Magen, der seit zwei Tagen keine vernünftige Mahlzeit mehr gesehen hatte außer luftgetrocknetes Wildschweinfleisch, als auch seine müden Füße. Gegen ein ordentliches Bett zur Abwechslung hatte der Söldner auch ganz bestimmt nichts einzuwenden. Vorausgesetzt er schaffte es hinter die Klostermauern. Deshalb mühte sich Drystan sein freundlichstes Lächeln ab, das hoffentlich nicht wie eine missglückte Grimasse aussah, und wartete auf das Urteil des Priesters – oder Mönches, wie auch immer sich die Mitglieder dieser zurückgezogenen Gemeinschaft nennen mochten. Das nagende Loch in seinem Magen war das herzlichst egal.
    "Wir wären Euch aufs äußerste dankbar, Drystan. Wir haben zwar nicht viel, aber der Orden wird Euch für Eure Mühen dennoch entlohnen können“, bekam Drystan endlich seine Antwort, die wie Musik in seinen Ohren klang weshalb der Söldner nun tatkräftig mitanpackte.
    Unter den kundigen Augen des Söldners schafften die jüngeren Kuttenträger einen geeigneten und starken Ast herbei. Mit vereinten Kräften befestigten sie das Holzstück an der gebrochenen Speiche und Drystan benötigte nur wenige Handgriffe um die provisorische Schiene mit dem Seil zu fixieren. Unermüdlich zog er die Schlaufen um das Rad, umwickelte die geschiente Speiche und zog den Strang an der Achse fest nur um dieselben Arbeitsschritte in umgekehrter Reihenfolge zu wiederholen. Ein paar Mal fädelte Drystan das Hanfseil durch die Radspeichen und achtete darauf es gut festzuziehen. Erst als ihm das Seil ausging und ein leichter Schweißfilm seine Stirn bedeckte, gab sich der Söldner mit seiner Arbeit zufrieden. Es war bestimmt kein Meisterwerk. Drystan war Soldat kein Handwerksmeister – zumindest war er einmal Soldat gewesen.
    Drystan rieb sich die schmutzigen Hände an seinen Beinkleidern ab und strich dabei über das ein oder andere Loch am Knie hinweg. Neben Verpflegung sollte er wohl auch neue Kleidung ganz oben auf die lange Liste an Dingen setzen, die er dringend benötigte. Niemand heuerte einen abgehalfterten Söldner an, der aussah als könnte ihn die nächste Windböe umknicken wie einen Grashalm. Der alte Kauz, der mittlerweile als Joren vorgestellt hatte, schien mit dem Ergebnis zufrieden. Seine jüngeren Weggefährten war der Söldner trotz der Hilfe nicht ganz geheuer, was Drystan ein dezentes Schmunzeln entlockte. Zumindest sah er noch stattlich und einschüchternd genug aus um zwei Jungspunde zu beeindrucken.
    „Damit sollte es gehen“, bestätigte er dem Ältesten. „Geht voraus. Ich bleibe hinten am Karren und behalte das Rad im Auge.“
    Der Söldner nickte entschlossen, legte beide Hände an das spröde Holz des Karrens und lehnte sich mit seinem vollen Gewicht dagegen. Mit einem Ächzen der geschundenen Hinterachse setzte sich der Karren endlich wieder holprig in Bewegung.

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    Drystan blinzelte gegen das warme Licht der tiefstehenden Abendsonne als sie den Wald mit seinem dichten Blätterdach hinter sich ließen. Vor ihm eröffnete sich ein schmaler Weg, der auf weitläufiges Areal fühlte, dass einmal eine kleine Waldlichtung gewesen sein musste. Vor langer Zeit hatten sich die Menschen von Sylvaris, die diesen Ort als ihr neues Zuhause erwählt hatten, die idyllische Lichtung erweiterten. Alte, mit Moos bedeckte und teils verrottete Baumstümpfe in unmittelbarer Nähe des Waldrandes zeugten davon. Sie hatten Platz geschafft für einen Anblick, den Drystan nicht erwartet hatte. Eingebettet in die Lichtung und umgeben von hochgewachsenen Laub- und Nadelbäumen lag das Kloster, von dem die alte Maeve ihm erzählt hatte.
    Das Mauerwerk war aus grobem Stein geschlagen und an der Seite, die von der rötlichen Abendsonne beleuchtet wurde, von dunkelgrünem überwuchert. Aus der Distanz erspähte Drystan mehrere Gebäudetrakte mit einfachen Dachschindeln und Zinnen, die alle um ein zentrales Gebäude angeordnet waren. Es musste die Kapelle des Klosters sein, denn von dort erhob sich ein Turm in den Himmel, der alle anderen Teile des Gemäuers überragte: Der Glockenturm. Dem Kloster fehlte es an Prunk, doch gerade seine Einfachheit verlieh ihm zumindest aus der Ferne eine Schönheit, die Sylvaris vielerorts verloren hatte. Abgesehen von den Spuren der Vergangenheit verschlug die Unberührtheit dieses Ortes, ganz eins mit den Wäldern um sich herum, wohl jedem den Atem. Auch Drystan begriff schnell, dass die Geschichten der alten Maeve diesem Anblick nicht gerecht wurden.
    Der Karren fuhr wieder an und holperte den verschlungenen Pfad herunter, der direkt zu einer Mauer führte, die das Kloster wie ein Schutzwall umgab. Drystan ließ den Blick über die Lichtung vor der Mauer schweifen und entdeckte sorgfältig angelegte Äcker für allerlei Feldfrüchte, die von Obstbäumen eingerahmt wurden. Die üppigen Zweige bogen sich unter der Last reifer Äpfel und Birnen. Auf der anderen Seite des Pfades war eine Wiese angelegt worden und hinter dem einfachen Holzzaun grasten friedliche eine kleine Herde. Drystan entdeckte eine Handvoll Ziegen und sogar ein paar Milchkühe, die neugierig die Köpfe bei ihrer Ankunft hoben. Im Schatten eines Baumes grasten Pferde und ein Maultier entspannt nebeneinander. Es war unmöglich zusagen, wie viele Tiere sich noch hinter dem Zaun befanden, aber es war mehr, als der Söldner auf den Höfen in Umbra gesehen hatte.
    Am Ende des Weges erreichte die kleine Gruppe ein geschlossenes Tor. Als die Kuttenträger auf den Zinnen den alten Joren erkannte, gewährten sei den Rückkehrern sofort Einlass. Drystan war sich der misstrauischen Blicke bewusst. Bei der Abgeschiedenheit wunderte es den Söldner nicht. Er bezweifelte, dass sich häufig Besuch an diesen friedlichen Ort verirrte. Ansonsten hätte unlängst machtgierige Hände versucht, sich diesen zu Eigen zu machen. Hinter dem Tor erwartete Drystan ein beschaulicher Innenhof. Er konnte Stallungen erkennen, die vermutlich als Unterschlupf für das Vieh im Winter dienten. Bei dem Duft von frisch gebackenem Brot, der aus einem geöffneten Fenster eines der Gebäude strömte, zog sich sein Magen knurrend zusammen. Dazu gesellte sich die dezente Note frischer Kräuter und als Drystan sich danach umsah, entdeckte er zwischen Mauer und Stall ein kleines Gartentor und dahinter die ersten hochangelegten Beete mit duftendem Thymian, Lavendel und Minze. Der Garten musste hinter dem Stall noch weitergehen, aber seine Grübelei wurde unterbrochen, als der Karren anhielt.
    Drystan richtete seinen Blick wieder nach vorn und verließ seine Stellung am hinteren Ende des Karrens um zu Joren aufzuschließen. Dabei wich er einer gackernden Schar buntgefiederter Hühner aus, die vor einem jungen Mädchen flohen, dessen Robe derer von Joren und seinen Brüdern sehr ähnlich war. Also beherbergte das Kloster nicht nur Männer. Noch ein Grund mehr es mit einer hohen Mauer zu schützen. Das Mädchen, sie mochte vielleicht Fünfzehn sein, stoppte kurz, sah den Söldner mit großen Augen an…und rümpfte die Nase ehe sie weiter den Hühnern hinterher stürmte. Unauffällig neigte Drystan das Kinn und schnupperte. Na gut, er hatte schon einmal besser gerochen.
    „Lyra! Wo bist…?“, rief eine melodische Stimme einer Frau, die sich offensichtlich außer Puste eine dunkelblonde Strähne aus dem Gesicht pustete. Sie war ebenfalls in eine weiße Robe gekleidet und stemmte die Hände in die schmalen Hüften. Die Frau war etwas älter als Drystan, um ihre Augen und Mundwinkel hatten sich bereits einige Falten in die rosige Haut gegraben. „Herrje! Hast du schon wieder das Tor zum Hühnerstall aufgelassen!?“
    Lyra, das Mädchen mit den aufgescheuchten Hühnern, kam hinter einem Strauch am Rand der Mauer hervor, ein zappelndes Huhn unter den Arm geklemmt.
    „Es tut mir…Au!“, machte Lyra und ließ das Huhn los, das ihr gerade in die Hand gepickt hatte. „Tut mir leid, Martha.“
    Martha fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht und stieß ein Seufzen aus. „Komm. Wir legen ein paar Körner aus, dann kommen sie schon von allein zurück.“
    Drystan wandte sich währenddessen an Joren. „Ein wunderschönes Zuhause habt Ihr hier. Eure Gastfreundschaft ehrt mich.“

    Die Ruhe kam Iris äußerst verdächtig vor. Sie hatte sich bereits darauf eingestellt, dass Darius sie mit Hilfe der Kraftlinien und seinen groben Lehrmethoden endgültig in die Knie zwang bis sie darum bettelte, dass er endlich aufhörte. Eine verbrannte Handfläche wäre am Ende des Tages vermutlich ihr kleinstes Problem gewesen. Stattdessen näherte sich der Leviathan beinahe geduldig, beäugte sie vom Scheitel bis zu Sohle und nahm sich sogar die Zeit ihr zu antworten. Was die Hexe daran wirklich irritierte, war nicht, dass er überhaupt antwortete, sondern wie er seine Antworten formulierte. Darius klang eigenartig neutral. Der übliche Hohn schwang natürlich immer noch in den Silben mit – Sie konnte sich seine Stimme gar nicht ohne vorstellen - aber ansonsten sprach er ruhig und fast sachlich mit Iris. Sie hatte sichtlich Schwierigkeiten damit, sein Verhalten einzuordnen. Es musste ein Trick sein, die Ruhe vor dem Sturm. Misstrauisch zog die Farrow-Hexe die Augenbrauen zusammen und zuckte kaum merklich vor Darius zurück, als er sich wieder auf Augenhöhe begab. Iris wich den eindringlichen Ziegenaugen aus und versuchte überall hinzusehen, nur nicht in Darius‘ Gesicht. Sie versuche auch nicht genauer darüber nachzudenken, wie sich sein Hemd sich an der Knopfleiste spannte. Die Nähe behagte der Hexe nicht ebenso wenig wie anhaltende Verwirrung darüber, was sie von Darius zu erwarten hatte. Lange konnte sie seinem Blick nicht ausweichen. Der wenige Raum zwischen ihnen ließ Iris gar keine andere Wahl. Also starrte sie grimmig und verbissen zurück.
    „…Aber du? Dir wird die Ehre zu Teil, meine Vertraute zu sein. Gib mir deine Hand.“
    Iris biss sich auf die Zunge. Das tat sie wirklich. So fest, dass sie Blut in ihrem Mund schmeckte. Der Geschmack war nur halb so widerlich wie der Besitzanspruch, den Darius mit seinen Worten untermauerte. Das Blickduell hatte nicht lange Bestand. Iris‘ Beinmuskeln zuckten unter der Anspannung, weil sie immer noch in der Hocke saß während Darius nicht einmal mit der Wimper zuckte. Iris blieb nichts Anderes übrig, als ihr Gewicht auf die Knie zu verlagern. Darius lockte sie mit dem gekrümmten Zeigefinger, was Iris ein unwillkürliches Schnauben entlockte. Nun fühlte sie sich langsam wirklich wie ein Haustier. Widerwillig gab Iris nach und legte ihre Hand in seine, die Handfläche nach oben. Darius‘ Hand war erstaunlich warm und die Haut seiner Hand schmiegte sich perfekt an ihren Handrücken. Sie war nicht so rau und schwielig wie Iris es von männlichen Bekanntschaften kannte, aber wer auf Magie zurückgriff machte sich wohl selten die Hände selbst schmutzig. Darius packe sie nicht und zerrte nicht an ihr, er ließ ihre Hand einfach in seiner Hand ruhen. Es war der seltsamste Waffenstillstand, den Iris je erlebt hatte.
    „„Die Kraftlinie muss nicht zwangsläufig Schmerz bedeuten. Das tut es bei dir, weil du sie jetzt damit verknüpft hast. Lass locker.“
    „Sehr witzig“, murmelte Iris, schluckte aber Gift und Galle zusammen mit allen anderen Erwiderungen herunter. Wenige Augenblicke später erfüllte der erdrückende Geruch von Schwefel die Luft. Iris verspannte sich. Sie wartete auf die höllischen Kopfschmerzen und das Feuer unter ihrer Haut. Mit böser Vorahnung kniff Iris die Augen zusammen. Als ein paar Herzschläge später immer noch nichts zu spüren war, öffnete sie hektisch blinzelnd die Augen. Da war kein Brennen, das ihr die Haut von den Muskeln schälte, nur eine eindringliche Wärme. Sie spürte sie deutlich an ihrer Handfläche, die zu ihrem Erstaunen völlig normal aussah – und nur an ihrer Hand. Die Energie der Kraftlinien fühlte sich auch ohne Schmerzen an wie ein Fremdkörper. Es war ein unangenehmer, innerer Druck, den sie am ganzen Leib zu spüren bekam. Iris atmete tief durch, zu verwundert über das Fehlen von Schmerz, und ließ zu, dass sie die verkrampften und gekrümmten Finger ihrer Hand lockerten.
    „Es hilft, wenn du dir einen Ort vorstellst, wo du die Energie lagerst. Der Kopf. Der Bauch. Das Herz. Völlig egal. Irgendwo stellst du dir einen imaginären Speicher vor, wo dein Chi liegt, und dort sammelst du die Energie. In einem Ball. Einem Loch. Auch das ist absolut egal“, fuhr Darius fort und Iris erwische sich dabei, dass sie ihm aufmerksam zu hörte.
    „Egal was?“, hakte Iris nach.
    Als Darius ihre unnötige Frage dennoch mit einer Antwort würdigte, nickte sie nur. Iris erfühlte den Energiefluss, den Darius in einem perfekten Zirkel durch ihren Körper führte. Noch hielt er die unberechenbare Magie der Kraftlinien im Zaum, aber Iris‘ Schonfrist würde bald ablaufen. Wenn sie jemals eine Chance hatte sich vorzubereiten, dann in diesem Moment. In ihrer Vorstellung gab es nur ein einziges Bild, das ihr genügend Halt und Sicherheit vermittelte.
    Vor Iris‘ geistigem Augen erhob sich die blühende Magnolie aus der Dunkelheit. Die hübschen Blüten waren nicht, wonach die Hexe suchte, ihre Suche ging tiefer bis zu den starken Wurzeln, die den Baum mit der Erde verbanden und sich nun zu einem Kokon verflochten bis sie in ihrem Inneren einen Hohlraum formten. Iris hatte nicht bemerkt, dass sie leise, unverständliche Worte murmelte, die in das vertraute Summen übergingen. Die freie Hand legte sie gegen ihren Brustkorb, drückte den Handballen gegen den starken Knochen des Brustbeines - stark wie die Wurzeln eines Baumes.
    „Lass es mich versuchen“, sagte sie leise aber bestimmt.
    Nicht eine Sekunde hatte sie den Blick von Darius‘ Gesicht abgewandt während ihr Gedankenkonstrukt zum Leben erwachte.
    Das hatte sie gebracht: Zeit, nur ein wenig Zeit.
    Iris spürte sofort, als Darius die Kontrolle über den Energiefluss freigab. Sie keuchte leise auf, als sich der Druck in ihrem Kopf erhöhte und die Witchmarks leise klingelnd ächzten. Es kostete Iris eine beachtliche Menge an Konzentration und Vorstellungskraft, angesichts der bedrohlichen Hitze, die sich langsam in ihrer Handfläche aufbaute, die den Energiefluss in den Hohlraum zu lenken, den sie aus Wurzeln und Erde geschaffen hatte. Ein paar vereinzelte Schweißperlen bildeten sich dabei an ihren Schläfen und ihre Finger zitterten, aber das war nichts im Vergleich zur verbrannter Haut und einem Schädel, der drohte zu explodieren.
    Mühselig erinnerte sich Iris daran, weiter zu atmen.
    Ein und aus.
    Ein und aus.
    „Wie kann ich lernen selbst eine Kraftlinie zu benutzen?“, fragte Iris bedächtig aber mit einer völlig neuen Entschlossenheit. Sie würde lernen und sie würde einen Weg zurück in ihre Welt finden. „Ich kann ihre Schwingungen erfühlen, aber nicht danach greifen. Ceri kann mir nicht immer helfen. Ich muss das lernen, wenn ich hier überleben will.“
    Wenn ich dich überleben will, Darius.

    Iris konnte den Blick nicht von ihrer Hand nehmen. Neben ihr hätte Darius' gesamtes Anwesen in Flammen aufgehen können und sie hätte nicht einmal den Blick von den grauenhaften Verbrennungen lösen können. Der Schmerz war unerträglich und fraß sich bis tief in die Knochen hinein. Die Horrorvorstellung, bald auf bleiche und nackte Knochen blicken zu können, hätte die Hexe fast augenblicklich zurück in die Bewusstlosigkeit katapultiert. Oh, wie sehr sich Iris das gerade wünschte damit der Schmerz endlich aufhörte. Völlig eingenommen von dem entsetzlichen Anblick bemerkte Iris nicht, dass Darius nicht länger seine entspannten Kreise um sie zog. Sie verspürte keine Erleichterung, als die Flut aus Kraftlinienenergie versiegte. Panik und Schmerz schnürten ihr die Kehle zu bis Iris' Atmung vollständig aussetzte. Sie öffnete den Mund und schnappte verzweifelte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen, aber sie bekam nicht genug Luft in ihre Lungen. Der Druck in ihrem Brustkorb stieg jetzt aus gänzlich anderen Gründen. Die Welt vor ihren Augen verschwamm in einem Wirbel gedämpfter Farbtöne und nie endendem Rot. Nichts drang durch den Schleier, der sich Iris bemächtigte und sie allmählich erstickte.
    Bis eine Berührung wie ein Schlag die Trübheit, die über ihren Augen lag, davonwischte.
    Eine große Hand griff nach ihr und schlang lange, elegante Finger um ihre Handgelenk. Wie von einem Blitz getroffen, ließ Iris im gleichen Augenblick los und starrte Darius' Hand. Ein weiterer Ruck lief durch die Hexe. Sofort versuchte sie dem Dämon ihre verglühende Hand zu entreißen, weil sie von ihm weitere Qualen erwartete.
    "Nein, nein, nein...Fass mich nicht an!", krächzte sie, doch die Bemühungen brachten nur eine neue Welle aus Schmerz und damit blieb ihr nichts anderes übrig als wimmernd auszuharren. Bis das quälende Brennen plötzlich verebbte.
    Verwirrt sah Iris auf ihre Hand, die direkt unter ihren weit aufgerissenen Augen verheilte. Ein langes Seufzen, das nahtlos in ein erleichtertes Schluchzen überging, löste sich aus ihrer Kehle. Sofort schnappte die Hexe nach Luft und ihre brennenden Lungen füllte sich mit Sauerstoff und Schwefel. Mit einer Mischung aus tiefster Abscheu für den Mann, der die Ursache ihrer Qualen war, und Verwunderung sah sie Darius aus tränenverschleierten Augen an.
    Er hatte ihre Hand geheilt.
    Gestern noch hatte er sie bis zur Bewusstlosigkeit getrieben und nun ließ er sich dazu herab, ihr Leid zu mildern. Die Tat stand im völligen Gegensatz zu dem Bild, dass sich Iris über die letzten Wochen über Darius zusammengesetzt hatte und schürte ein Gefühl, das sie gerade für Darius nicht empfinden wollte: Dankbarkeit. Kaum gab der Leviathan ihr Handgelenk frei, zog Iris ihre Hand zurück und ganz nah an ihre Brust. Schützend krümmte sich die Finger ihrer anderen Hand darum.
    „Pan hat dir eines deiner Witchmarks gebrochen. Das fungiert nun wie ein Leck, solange die anderen noch intakt sind."
    "Wirklich? Auf die Idee wäre ich von alleine nie gekommen, Sherlock", giftete Iris gereizt mit rasendem Puls und einer unwillkommenen Verwirrung, die sich nicht abschütteln ließ.
    "Wie viele hast du?"
    Iris bis sich auf die Zunge und besann sich darauf, was Ceri ihr eingetrichtert hatte: Lass ihn nicht wissen wie viele Witchmarks du besitzt.
    Die gemischten Gefühle waren nicht nur unwillkommen und hartnäckig sondern von einer Intensität, die Iris Funken sprühen ließ. Wortwörtlich. Überall um die Hexe schien sich die Luft unter leisem Knistern statisch aufzuladen bis die Spannung groß genug war, dass sich winzige Blitze entluden. Sie waren weder groß noch heftig genug um Schaden anzurichten, vermittelten aber eine ganz eindeutige Botschaft: Bleib weg von mir.
    "Sieh zu, dass du das Leck beim Lenken der Energie auslässt, sonst passiert wieder das Gleiche."
    Das Gleiche? Er konnte nicht ernsthaft vorhaben, die Prozedur zu wiederholen. Oh doch, er meinte es ernst, wenn die hochgekrempelten Ärmel ein eindeutiges Zeichen waren. Das hier war erst vorbei wenn Darius zufrieden war oder vielleicht so gelangweilt, dass er von ihr abließ.
    "Verdammt. Dir macht das Spaß, oder? Das ist widerlich. Warum machst du dir überhaupt die Mühe mich zusammenzuflicken? Bei Schlammtale ist es dir doch auch scheißegal", würgte Iris hervor und funkelte ihn an. Den Hauch von Dankbarkeit, den sie kurzzeitig verspürt hatte, war durch seine Worte und was sie implizierten schlicht und ergreifend zerquetscht worden.

    Volkov amüsierte sich ganz prächtig. Für die richtige Anzahl an Münzen machen die Damen der Schillernden Schuppe bekanntlich alles. Die Preise waren in seinen Augen purer Wucher. Allerdings verdingten sich nur in dieser Spielunke halbwegs ansehnliche Freudenmädchen, weshalb sie sich die Ansprüche leisten konnten. Für den richtigen Service und die Erfüllung seiner speziellen Wünsche konnte er den dann letztendlich doch verschmerzen. Redlake brauchte länger für ihre Erledigungen als der Harpunier gedacht hatte, aber er würde sich nicht beschweren. So blieb ihm mehr Zeit in wesentlich weniger kratzbürstiger Gesellschaft.

    Ein leises Räuspern, das beinahe von der stimmungsvollen Musik einer Fidel übertönt wurde, riss Volkov etwas unsanft aus seiner wohlgeformten Gesellschaft. Demonstrativ schlang er einen massigen Arm um die zarte Taille einer Schankdame, die eindeutig zu jung für Volkov war. Sie hatte wilde, blonden Locken und ein Gesicht, dass einer Porzellanpuppe zum Verwechseln ähnlich sah. Süffisant tätschelte er ihre Kehrseite und obwohl die junge Frau in seinem Arm kicherte, war ihr das Unbehagen deutlich anzusehen. Die Frau links von ihm mit den eindrucksvollen rehbraunen, mandelförmigen Augen und den pechschwarzen Haaren, richtete sich auf und zog die noch halbvolle Rumflasche unauffällig in Sicherheit. Sie wirkte deutlich gefasster als ihre Kollegin und kaum eine Sekunde später, erzitterte der Tisch, als Volkov sich ruckartig etwas vorbeugte und dabei mit Ellbogen gegen die Tischkante stieß. Ungesehen verdrehte die Schwarzhaarige in seinem Rücken die Augen.

    „Redlake! Setz Dich! Trink einen Schluck mit uns! Vielleicht entspannst Du dich mal ein Bisschen!“, schlug Volkov vor, aber war sich sicher auf taube Ohren zu stoßen. „Die Mädchen hier schon ganz neugierig auf deinen sehr speziellen Patienten? Nicht war, meine Täubchen?“ Wieder folgte einstimmiges Gekicher und die zweite Schankdame stellte fast wie abgesprochen einen zusätzlichen Becher auf den Tisch, den sie in Richtung Schiffsärztin schob. Als Redlake sich immer noch nicht bewegte um die Einladung anzunehmen, ging ein Ruck durch den angetrunkenen Volkov. Mit der flachen Hand schlug so heftig auf den Tisch, dass die Gläser ein Stück in die Luft hüpfte. Die Mädchen sprangen mit einem Satz in Sicherheit, bis auf die nun sichtlich verängstigte Dame am Arm des Harpuniers. Mit dem Fuß stieß er den Stuhl, der ihm gegenüber am Tisch stand in Richtung der rothaarigen Ärztin.

    „Ich habe gesagt: Setz dich, Redlake. Es ist unhöflich eine Einladung abzulehnen und da du doch so viel Wert auf feine Manieren legst…“, fuhr Volkov fort und wurde von Wort zu Wort wieder ruhiger, bis er schon fast gönnerhaft säuselte. „Mach dir nicht gleich ins Höschen. Das ist Wein, kein Rum. Mehr verträgst du Fliegengewicht sowieso nicht.“

    Die unglücklichen Ordensbrüder, unschwer zu erkennen an den Roben und den missmutigen Gesichtsausdrücken, beäugten Drystan mit einer Mischung aus gelehrter Höflichkeit und gesundem Misstrauen. Niemand konnte es den drei Männern verübeln, die mit den Früchten ihrer harten Arbeit das traute Heim ansteuerten und wohl nichts weniger gebrauchen konnte als einen dreisten Strauchdieb, der die Arbeit eines ganzen Tages zunichtemachte.
    Ein flüchtiger Blick in den Wagen genügten um zu erkennen, dass sich Drystan auf der richtigen Spur befand. Körbe mit reifen Wildbeeren und frischen Pilzen türmten sich neben duftenden Kräutern auf der beengten Ladefläche des Karrens. Es war erstaunlich, dass diese Wälder geradzu unberührt in ihrer Schönheit waren. Drystan konnte sich nicht entsinnen, wann er das letzte Mal Beeren und Pilze in dieser Menge gesehen hatte. Die meisten Märkte der großen Siedlungen waren mit den verstreichenden Jahren geschrumpft und anderenorts sogar leergefegt. Frische Feldfrüchte waren eine Seltenheit geworden. Es gab Händler die Wucherpreise für einen Apfel oder Brot verlangten, weil weit und breit um die Minen nichts mehr richtig wuchs. Drystan hatte die Geschichten von verdorbenen Ernten und Ungezieferplagen gehört. Er hatte sie auch selbst gesehen, die toten Landstriche um die Minen, die Sylvaris zerfurchten wie einen eitrige Wunde, die nie heilte. Der Erdboden um die Mienen herum war ebenso krank wie das Volk, das er einst ernährte.
    Der Blick des geschulten Söldners glitt zurück zu den Ordensbrüdern. Sie trugen keine offensichtlichen Waffen bei sich, aber er war vertraut mit den Sicheln und kleinen Messern der Kräutersammler in anderen Gegenden von Sylvaris. Falls sie davon etwas bei sich trugen, verbargen sie es gut unter ihren weiten Kutten. Drystan wandte sich an den Ältesten. Erfahrung und besonnene Vernunft waren ein besserer Verhandlungspartner als Furcht.
    „Nennt mich Drystan. Nur Drystan. Ich bin niemandes Herr, nur mein Eigener“, antwortete der Söldner ruhig und griff in den Wams seiner Lederrüstung. Die letzten Worte klangen schon etwas schroff. Der Söldner schien die Anrede nicht sonderlich zu gefallen.
    Drystan zog einen kleinen, flachen Gegenstand, der sich perfekt in seine Handfläche schmiegte hervor. Als er dem älteren der Ordensbrüder die offene Hand entgegenhielt, lag eine gravierte Marke darin. Die Marke war aus billigem Eisen geschmiedet und bereits an mehreren Stellen dunkel angelaufen. Jemand hatte einen Eichelhäher mit gespreizten Flügeln, der von einem Ring aus Eichenblättern eingerahmt wurde, in das Metall graviert – Das Zeichen der freien Söldner. Allein dem Söldnerhandwerk nachzugehen, war gefährlich aber auch lohnenswert. Drystan unterstand keinem Anführer und musste auch niemandem etwas von seinem Verdienst abtreten. Dafür genoss er auch keinen Schutz durch eine Gemeinschaft, aber er reiste ohnehin lieber allein. Es war einfacher, friedlicher und weniger schmerzhaft. Mit etwas Glück und wenn er sich etwas im Zaum hielt, ein paar Manieren an den Tag legte, konnte er sich vielleicht eine Unterkunft für den Winter erarbeiten. Die Winter in Sylvaris waren erbarmungslos, wenn er nicht gerade das unverhoffte Glück hatte den Winter an der Küste des Landes zu verbringen. Dort war es selbst in den kalten Wintermonaten verhältnismäßig mild, aber er würde den Weg niemals vor Einbruch des Winters zurücklegen können. Nicht mit den wenigen Mitteln, die ihm noch zur Verfügung standen. Sein Geldbeutel war fast leer und mit dem Herbst begannen die entbehrungsreichen Jahreszeiten. Da überlegten es sich die Menschen von Sylvaris zweimal, ob sie ihre Probleme nicht doch selbst lösten anstatt einen Söldner teuer zu bezahlen. Es war einer der Gründe, warum der Söldner den Weg bis in diese abgeschiedene Gegend auf sich genommen hatte.
    Kurzum: Drystan war ein wenig verzweifelt.
    „Ich war zuletzt in Umbra, aber dort gab es keine Arbeit für mich. Eine nette, alte Dame – Maeve, war ihr Name, wenn ich mich recht erinnere – erwähnte ein abgeschiedenes Kloster in diesen Wäldern und meinte, dass mit dem Herbst ein paar helfende Hände immer benötigt werden. Mit dem richtigen Ast und etwas Seil kann ich Euer Rad soweit flicken, dass es noch bis zu Eurem Ziel hält. Ein Hanfseil habe ich bei mir…“, fuhr Drystan fort und klopft mit der Hand auf die abgewetzte Tasche, die an seiner Seite baumelte und deren Gurt er sich um die Schultern geschlungen hatte. Sie musste aus Resten gefertigt worden sein. Das Leder war der reinste Flickenteppich. „…und sollte das Rad trotzdem durchbrechen, stehen euch zwei zusätzliche Hände zur Verfügung.“

    Iris würgte das Frühstück mühselig hinunter. Natürlich war Iris nicht taub und sie hatte deutlich gehört, dass Darius Mittagszeit gesagt hatte, aber sie war gerade erst aufgestanden und das machte die erste Mahlzeit definitiv zu einem Frühstück. Die kleine Diskussion führte Iris gedanklich ganz mit sich allein. Obwohl das Essen nicht schmeckte, fühlte sich ein voller Magen eindeutig besser an als die nagende Leere und sie wollte auch, dass es so blieb. Iris konnte nämlich nicht garantieren, dass sie ihren Mageninhalt auch wirklich bei sich behielt, wenn sie Darius noch einmal Liebes sagen hörte.

    Die Eingangshalle wirkte völlig unberührt. Iris‘ Blick glitt über die Fliesen, die aussahen, als wären sie erst vor Kurzem auch Hochglanz poliert worden. Das Blut und das Salz waren verschwunden. Es gab nicht ein Staubkorn weit und breit. Iris ließ sich zum zweiten Mal in das Zentrum der Eingangshalle führen, doch dieses Mal zog Darius keinen Salzkreis und ihr Herzschlag beschleunigte sich. Niemand sperrte sie in einen Schutzkreis. Sie konnte sich fortbewegen und es gab nichts, dass ihre Magie spiegelte und mit voller Wucht auf sie zurückwarf. Für einen flüchtigen Augenblick fühlte sich ihr Kopf schwindelerregend leicht an.
    „Heute gehen wir einen Schritt weiter. Ohne Schutzkreis. Kannst du die Energie nicht halten und auch nur eine Fliese hier versengen, erwarten dich Konsequenzen, Izzy.“
    Das Hochgefühl endete plötzlich und ließ die Hexe zurück in das schwarze Loch fallen, dass alle Hoffnungen bereits im Keim erstickte. Darius hatte wieder damit begonnen, sie zu umkreisen wie ein Jäger seine vor Angst erstarrte Beute. Sofort stellten sich die feinen Härchen an ihren Unterarmen auf. Kaum hatte ihr neuer Name seine Lippen verlassen, kehrte das unangenehme Gefühl des Zuges zurück. Darius baute die Verbindung auf und Iris wurde ein wenig blasser um die Nase, was die verbliebenen Blutergüsse hervorhob. Sie wusste, was dieses Gefühl bedeutete. Aus reinem Reflex heraus sträubte sich die Hexe gegen die unsichtbare Verbindung, die sie an Darius kettete, und die Witchmarks erwachten zum Leben. Kein einziges Siegel besaß genügend macht, um dem Zug standzuhalten, den der Vertrag ihr aufzwang. Niemand konnte erwarten, dass sie sich augenblicklich in die Verbindung fallen ließ – mit Ausnahme von Darius, dessen Drohung unmissverständlich war und sich nur dürftig hinter der aufgesetzten Sorglosigkeit versteckte.
    „Also. Wie gestern. Energie sammeln, dich selbst suchen und mit Rhombus speichern. Vielleicht bist du ja so gut und schaffst es direkt beim ersten Mal… Hm, vielleicht hast du dir dann auch eine Belohnung verdient?“
    „Wie großzügig“, zischte Iris mit zusammengebissenen Zähnen. Ihr Gesicht besaß gar nicht genug Ausdrücke um zu verdeutlich wie wenig sie von der Aussicht begeistert war eine Belohnung ausgerechnet von Darius zu bekommen.
    Dieses Mal wusste sie, was sie erwartete. Sie war auf den Schmerz vorbereitet, der sich in ihrem Kopf ausbreiteten würde wie ein Lauffeuer. Alles, was sie tun musste, war ruhig zu bleiben, sich zu konzentrieren und…
    Scheiße!“, stöhnte Iris plötzlich auf.
    Die Kraftlinienenergie erfasste sie mit voller Wucht. Sie flutete Iris bis es keinen Winkel in ihrem Körper mehr gab, der nicht in Flammen stand. Der Schmerz schnürte ihr die Kehle zu und für einen Moment vergaß Iris zu atmen. Sie versuchte krampfhaft stehen zu bleiben bis ihre Knie gaben, weil das Zittern zu groß wurde. Die Hexe fing sich geistesgegenwärtig in der Hocke ab, presste die schweißnassen Handflächen auf den teuren Marmor. Sie musste ihr Gleichgewicht finden, schnell. Mühsam bekam Iris ein paar wenige der gesummten Noten über ihre Lippen. Sie versuchte, sich an seine Stimme zu erinnern, warm und fürsorglich. Kleine Blitze zuckten zwischen ihren Fingern, doch Iris spürte nur das vertraute Kribbeln in ihren Fingerspitzen. Iris riss die Augen auf, als tatsächlich etwas passierte. Die bedrückende Last, die sie von einer Seite zur anderen Seite zerrte, ließ nach. Das musste der richtige Zeitpunkt sein.
    Rhombus“, presste sie hervor.
    Die Welt hörte kurzzeitig auf zu schwanken und zu brennen bis ein markerschütternder Schrei die Eingangshalle füllte und die hohen Wände das Echo in alle Flure zurückwarf. Iris hockte noch immer auf dem Boden, aber umklammerte nun ihre Hand. Erst dachte Iris, dass etwas mit der Narbe nicht stimmte, doch dann starrte sie unter Schock auf ihre Handfläche. Die Haut war heiß, gerötet und warf schmerzhafte Blasen. Der Schmerz katapultierte sich über die Skala hinweg, als die Blasen aufbrachen und plötzlich die Nervenenden ihrer Hand in Flammen standen. Tränen schossen der wimmernden Iris in die Augen, die kein Wort mehr über die Lippen brachte, dass nicht gleich in einen Schrei überging. Mit dem puren Grauen im Blick konnte sie nur noch zusehen, wie sich die Haut langsam vom Muskel schälte.
    Natürlich, klingelte es in Iris reizüberfluteten und von Schmerz geblendeten Gedanken. Sie wusste, warum sich das Gleichgewicht so schnell wieder eingestellt hatte. Die Witchmarks hatten das perfekte Ventil für die überschüssige Energie gefunden. Iris hätte den Fluss der Energie durch ihren Körper spüren können, wenn ihr Gehirn nicht damit beschäftigt gewesen wäre, den Schmerz irgendwie zu verarbeiten. Welches Potenzial als Speicher Darius und Ceri ihr auch andichteten, sie hatten alle ein gewaltiges Leck übersehen.

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    “You're in the right place at the right time,
    and you care enough to do what needs to be done.
    Sometimes that's enough.”
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    Mit den bedächtigen Schritten eines Jägers bewegte er sich beinahe vollkommen lautlos durch das Unterholz. Flüchtig glitt sein Blick über die dichten Baumkronen, deren sattgrüne Blätter bereits an den gekräuselten Spitzen die ersten Anzeichen des bevorstehenden Herbstes trugen. Der seichte Wind war noch mild, aber er konnte spüren, dass die kältere Jahreszeit sich langsam bereit machte. Noch war das Moos unter seinen Lederstiefeln weich und grün, doch in ein paar Wochen würde auch dieses ganz allmählich seine Farbe verlieren.
    Drystan hatte selten einen friedlicheren Wald gesehen als diesen. Im Geäst direkt über ihm zwitscherten ein paar Singvögel, die die anbrechende und kühlere Jahreszeit nicht fürchteten, ihr Lied. Wenn er für einen kurzen Moment die Augen schloss, fühlte er beinahe einen Hauch von Frieden. Ein trügerisches Gefühl, dass in Sylvaris nicht lange Bestand hatte. Frieden war eine Illusion für Träumer und Narren geworden, die bessere Tage herbei sehnten. Aber das Land starb und mit ihm die Bevölkerung, die seit langer Zeit hart dafür arbeitete, dass das Land, das sie einst ernährte und umsorgte, dass es zu Grunde ging. Drystan war weder ein Träumer noch ein Narr. Er hatte den Schrecken von Sylvaris mit eigenen Augen gesehen. Das Leid, den Hunger und den Tod. Es gab niemanden im ganzen Land, von den hohen und majestätischen Bergen bis zu den wilden Küsten, der sich davor verstecken konnte. Kein Ort, der nicht von der Seuche berührt und dahin gerafft wurde. Nur dieser Wald entzog sich dem stetig drehenden Rad der Zeit. Zumindest schien es so.
    Ein leises Knacken im Unterholz zog die Aufmerksamkeit des Söldners auf sich. Mit flinken und geübten Handgriffen hatte Drystan binnen Sekunden seinen Bogen gespannt und den Pfeil mit der geschliffenen Spitze aus Eisen an die Sehne gelehnt. Kein Muskel in seinem Oberkörper zitterte, als er die Sehne bis zum Äußersten spannte. Was er unmittelbar vor sich zwischen den knorrigen Bäumen entdeckte, war kein Räuber - kein Wolf, kein Berglöwe - sondern ein zierlichen, anmutiges Reh. Es sah ihm direkt in die Augen. Mit aufgestellten Ohren und klaren, schwarzen Augen zeigte es keinerlei Furcht. Es war, als hätte es nie gelernt den Menschen zu fürchten. Drystan senkte den Bogen und sah zu, wie das Tier sich tiefer in den Wald zurückzog. Er seufzte und verstaute den Pfeil im Köcher und hing sich den Bogen wieder über den Rücken.
    Ein paar Schritte weiter ging Drystan in die Hocke. Der Söldner hatte Spuren unter frisch abgenickten Gräsern und abgebrochenen Zeigen entdeckt. Das einzige Zeichen von Zivilisation, das er seit Betreten des Waldes gefunden hatte. Die Abdrücke waren nicht tief genug um von klobigen Stiefeln oder einer Person mit schwerer Rüstung zu stammen. Er hatte auch keine Schildwächter soweit fort jeglicher Dörfer und Städte erwartet. Die nächste kleine Siedlung, Umbra, lag zwei Tagesritte von hier entfernt. Mittlerweile war sich Drystan nicht mehr sicher, ob der Weg hier her nicht doch Zeitverschwendung gewesen war, aber die Spuren waren frisch und wo Spuren waren, gab es Menschen. Und wo Menschen waren, gab es bezahlte Arbeit. In den großen Siedlungen, gar Städten, war es in den letzten Woche zu gefährlich geworden. Die Leute waren nervös und verängstigt. In vielen Orten war es zu einem regelrechten Massensterben gekommen.
    Die Verderbnis.
    Drystan krümmte und streckte die Finger seiner rechten Hand, ehe er sich anschickte, der Fährte zu folgen.
    Es dauerte nicht lange, bis der Wind eindeutige Geräusche an sein Ohr trug. Ein dezentes Fluchen drang durch das Gebüsch, das ihm die Sicht versperrte. Drystan pirsche sich leise heran und spähte durch die dichten Brombeerzweige. Und während er nun beobachtete, wie sich drei Personen in schlichten Leinenkutten mit einem Handkarren abmühten, dessen linkes Rad eindeutig gebrochen war und mehr eierte als rollte, stopfte er sich beiläufig eine Brombeere in den Mund. Irgendwann hatte der Söldner dann doch Mitleid und bevor er sich mit den süßen Beeren den Magen verdarb, schälte er sich aus den Büschen.
    "Ich habe den Eindruck, Ihr könntet ein Paar zusätzliche Hände gebrauchen", machte sich Drystan bemerkbar. Misstrauisch wurde er von den Kuttenträger beäugt, die vor allem seine zerzauste Erscheinung und die Waffen an seinem Leib begutachteten. Drystan wusste, wie er aussah. Der schlecht rasierte Drei-Tage-Bart, die zerzausten Haare, in denen vermutlich Blätter hingen und seine derbe Lederrüstung hatte auch schon bessere Tage gesehen. In friedlicher Absicht hob er beide Hände in die Luft. Drystan grinste sein schiefes Grinsen.
    "Kein Grund sich die feinen Roben zu besudeln. Ich bin kein Räuber", versuchte er es noch einmal. Er nickte in Richtung des Rads. "Wenn Ihr die gebrochene Speiche nicht repariert, wird Euch das Rad beim nächsten Stein ganz durchbrechen."

    „Wieso interessiert dich Schlammtale? Sie ist nur vorübergehend hier. Solange, bis sie in der Lage ist, mittelmäßige Energie halten zu können.“
    "Hm...", war die einzige Reaktion, die Darius darauf bekam, weil sich Iris gerade einen Löffel mit Beeren in den Mund schob. Es schmeckte furchtbar, aber zumindest ließ das nagende Gefühl in ihrem Bauch langsam nach. Die Hexe gab es nur sehr ungern zu, aber es fühlte sich gut an, wieder etwas im Magen zu haben. Weshalb sie trotz den merkwürdigen Nachgeschmacks des Schwefels weitere Löffel aß. Mit zusammengezogenen Augenbrauen kaute Iris nachdenklich. Die recht simple Frage schien sie für einen Moment zu beschäftigen. Interessierte sie sich wirklich für Schlammtale? Tief in sich suchte sie nach dem Mitgefühl, dass Ceri in ihr geweckt hatte, aber wenn sie an Schlammtale dachte, blieb da nur eine seltsame Leere übrig...und Abscheu gegenüber Darius. Die Vertraute, die gerade in diesem Augenblick vermutlich Schweißausbrüche bekam, weil sie Darius' Ansprüchen gerecht werden wollte, war ein Spiegelbild und eine Warnung zugleich. Nein, sie würde nicht zulassen, dass Darius das aus ihr machte. Grimmig zerkaute sie eine der Blaubeeren, der es an Süße mangelte. Sie war sogar ein wenig bitter. Wie passend.
    Hellhörig wurde Iris erst, als Darius die Kraftlinien ansprach. Das war wichtig, weshalb sie den Kopf hob und das Kauen kurz einstellte, um nichts davon zu verpassen. Wissen jeglicher Art würde für sie an diesem Ort überlebenswichtig sein und da sie glaubte, Darius nicht oft in Plauderlaune zu erwischen, hörte sie aufmerksam zu. Wirklich war die Informationen am Ende doch nicht, was Iris sichtlich enttäuschte.
    „Nein."
    Die Enttäuschung vergrößerte sich und dazu auch noch ihr Unbehagen. Es würde also heute niemand dabei sein, der es wagte, für sie Partei zu ergreifen. Nicht, dass Ceri das getan hätte, aber Iris wurde das Gefühl nicht los, dass die Anwesenheit der Elfe den Dämon etwas milder stimmte. Nun war war ihm für die nächsten Stunden ganz allein ausgeliefert.
    „Sie wird heute nicht dabei sein. Sie ist verhindert. Man mag es nicht glauben, aber selbst meine kleine Elfe muss sich manchmal erholen. Über die Mittagszeit schlafen Elfen sowieso ihre vier Stunden. Wusstest du das nicht?“
    Meine kleine Elfe...da war sie wieder, diese verdammte Übelkeit.
    "Hätte ich sonst gefragt?", stellte Iris die Gegenfrage und schaffte es dabei, gleichzeitig gereizt und gelangweilt zu klingen.
    Ihr Großvater hasste diesen Tonfall.
    „Was war das eigentlich gestern?“, fragte, nein, forderte Darius. "Du hast zwar ein paar Anläufe gebraucht, bis du die Energie hast speichern können, aber die Methode war interessant. Was für ein Lied war das? Wir haben nur Teile davon gehört."
    Die ganze Stimmung im Speisezimmer veränderte sich und Iris senkte ganz langsam den Löffel. Purer Widerwille spiegelte sich auf Iris' Gesicht wieder. Sie wollte nicht darüber reden. Die Erinnerung war persönlich und für die Hexe unsagbar kostbar. Unter keinen Umständen wollte Iris sie mit dem Dämon teilen. Deshalb schwieg Iris so lange bis sie spüren konnte, wie Darius allmählich die Geduld verlor, obwohl seine Mimik rein gar nichts preisgab.
    "Es ist ein Schlaflied", antwortete sie widerwillig. "Mein Vater hat es mir vorgesungen, als er ich noch ein Kind war. Es...beruhigt mich wenn ich, ähm, die Kontrolle verliere. Anfälle habe, so nennt es meine Familie. Manchmal konnte ich es nach Dads Tod sogar hören, wenn ich unter der Magnolie im Garten saß."
    Das war nur die halbe Wahrheit.
    Aber der Rest davon dürfte für Darius eh kaum von Bedeutung sein. Es war zu rührselig, zu emotional.
    Iris hatte das Lied als Teenager oft gehört, wenn sie weinend unter der Magnolie gesessen hatte mit dem Glauben, die Welt inklusive ihrer Familie würde sie hassen. Diese Phase hatte Iris irgendwann hinter sich gelassen. Sie hatte akzeptiert, dass ihre Familie sie als Störfaktor betrachtete - als eine Anomalie in ihrem Gleichgewicht.
    „Wir werden gleich das Training von gestern wiederholen. Du wirst lernen, wie man Energie halten kann. Sonst nutzt du mir nichts. Dafür musst du halbwegs bei Kräften sein. Also iss, Izzy. Das meine ich ernst.“
    "Ich hab's verstanden, okay?"
    Iris funkelte Darius an...schob sich dann aber doch den nächsten Löffel in den Mund.
    In einem Punkt musste sie dem Dämon Recht geben: Ein Hungerstreik würde ihr nicht helfen.

    Die Beschimpfungen nahmen kein Ende und Iris konnte es ihrer Leidensgenossin wirklich nicht verübeln. Dennoch verspürte die Hexe ein dezentes Kribbeln im Nacken, als würde sie beobachtet werden. Sie hatte das absurde Gefühl, dass die Wände hier Augen und Ohren besaßen. Allerdings machte sich Schlammtale wohl keine Sorgen darum sondern ging völlig in ihrer Schimpftirade auf. Iris sah sich misstrauisch um, doch Darius ploppte nicht einfach zwischen den Bücherregalen in einer roten Wolken auf um seine lädierte Vertraute in die Schranken zu weisen. Es war wohl doch nur Einbildung. Stattdessen schob Iris das Gefühl beiseite und spitzte aufmerksam die Ohren. Schlammtale - Verzeihung - Chantale stoppte nichts in ihrer Rage und so wanderten Iris' Augenbrauen Stückchen für Stückchen in die Höhe. Jedes Buch? Ihr Blick glitt wieder über die unzähligen Bücher hinter deren Aufbewahrung die Hexe nicht einmal ein System erkannte obwohl manche Reihen nach Farben sortiert waren.
    "...Ich will nicht wissen, wie lange sie dafür gebraucht hat..."
    "...über 100 Jahre, schätze ich mal...", murmelte sie, aber nicht laut genug, dass Chantale sie dort oben hören konnte.
    Über ihr raschelte es und Chantale lugte über die Brüstung herüber um sie mit einem abschätzigen Blick zu mustern, der Dank des Schnitts an ihrer Wange, das geschwollene Gesicht zu einer blutunterlaufenen Grimasse verzog. Iris verzog das Gesicht. Es sah wirklich schmerzhaft aus und bei ihr hatte sich niemand die Mühe gemacht, sie zu heilen. Sie wusste plötzlich noch mehr zu schätzen, dass Ceri ihre Nase gerichtet hatte. Dabei ließ sich einfach über den Rand fallen, dass sie dafür wahrscheinlich Darius' Erlaubnis benötigt hatte und sie wollte gerade dem Dämon keine Dankbarkeit schuldig sein.
    "Du bist doch noch ein junges Ding. Wie hat er dich gekriegt? Sag mir nicht, du bist auf seinen Look hereingefallen."
    Wenn sie vorher schon das Gesicht verzogen hatte, sah Iris nun beinahe angewidert aus.
    "Zum Teufel, nein."
    War sie nicht.
    War sie wirklich nicht.
    "Ich weiß nicht, wieso diese Elfe ihn trotzdem manchmal so verträumt ansieht. Ich glaube, die hat einen Schaden."
    Wundert dich das?, dachte Iris und biss sich auf die Zunge.
    Iris ließ ging in die Hocke und lehnte sich an ein Bücherregal. Beiläufig legte sie ein paar Bücher, die sie bequem in Reichweite hatte, auf den Stapel neben sich zu legen. Sie wusste nicht, ob sie die Bücher richtig zuordnete, aber zumindest stimmten die Farben überein. Wirklich motiviert bei der Sache war die Hexe dann allerdings doch nicht. Dafür gingen ihr zu viele Dinge gleichzeitig durch den Kopf.
    „Weißt du, ich kann dir eigentlich nur im Umgang mit ihm empfehlen, dass du –„
    Dieses Mal ließ Iris das Buch wirklich fallen und kam augenblicklich aus der Hocke hoch. Darius schlenderte in die Bibliothek. Mit seinem scheißperfekten Lächeln, einem scheißperfekten Anzug, dem scheißperfekt gefalteten Einstecktuch und zerwühlten Haaren...Moment. Iris' Augen wurden ein wenig schmal, als ihr Blick über seine Frisur glitt. Das war neu. Kaum eine Sekunde später zuckte ihr Blick zu seinen Händen, die mit langen und kräftigen Fingern gerade noch die Manschettenknöpfe schlossen. Darius hatte schöne Hände - aber das tat nun wirklich nichts zur Sache, wenn ihr Chantales Gesicht vor Augen führte, wozu diese Hände in der Lage waren. Iris dachte an Ceri und die vielen alten Narben auf dem blassen, zierlichen Körper...
    "Izzy~."
    Der Brechreiz schnürte ihr augenblicklich die Kehle zu.
    Sie konnte es nicht ausstehen, wenn er ihren Namen auf diese Art aussprach. Nein, nicht ihren Namen. Es war der Name den Darius für sein neues Haustier ausgewählt hatte, auch wenn ihr dieser merkwürdige Alex eintrichtern wollte, dass sie ein Mitspracherecht gehabt hatte. Bullshit.
    "Kein Wunder, dass ich dich in deinem Schlafzimmer nicht habe finden können. Hat Ceri dir diese Klamotten gegeben? Eigentlich hat sie Geschmack… Wir ändern das später noch."
    "Nicht nötig. Mir gefällt's", antwortete Iris knapp.
    Schlammtale war nun ganz still geworden und als Darius das Wort an die Frau hinter Brüstung richtete, lief Iris ein Schauer über den Rücken. Die Drohung war ganz unmissverständlich und angesichts der Tatsache, dass Chantale plötzlich ganz kleinlaut war, bestätigte das nur. Die Frau hatte Angst vor dem Leviathan. Anstatt andächtig den Kopf zu senken oder aus Furcht Darius' Zorn als Nächstes auf sich zu laden, sah sie den Dämon einfach angewidert an. Zumindest hielt sie aber an diesem Punkt ausnahmsweise den Mund.
    Skeptisch zuckte ihr Blick zu seinem Arm. Wenn er ernsthaft glaubte, dass sie...Da zog Darius den Arm schon wieder zurück und schlenderte davon als wäre nicht gewesen. Was, bitteschön, sollte das denn? Das Lächeln, dass vermutlich bei anderen weiche Knie verursacht hätte, traf bei Iris auf Granit.
    „So, Liebes, ich denke, du kannst etwas zu essen vertragen bevor wir weiter üben, nicht wahr?“
    "Kann's kaum erwarten", murmelte Iris wenig begeistert von der Idee.
    Leider war ihr leerer Magen ein hinterlistiger Verräter und machte seinem Unmut deutlich, in dem er laut knurrte, bevor sie die großen Flügeltüren überhaupt erreicht hatten.

    Wie erwartet, steuerte Darius das Speisezimmer an. Auch hier gab es keine Spur von Ceri, die ihr vor dem tiefen Schlummer, nicht von der Seite gewichen war. Seltsam. Wieder nahm Iris auf dem ihr zugewiesenen Stuhl platz und verschränkte die Arme vor der Brust. So gerne sie Darius noch ein wenig getrotzt hätte, rein aus Prinzip natürlich, hing ihr der Magen doch in den Kniekehlen. Iris wusste, dass sie keinen weiteren Tag ohne Essen mit den Torturen überstehen würde, die Darius für sie bereit hielt.
    Gönnerhaft erlaubte ihr der Dämon sogar ihr Essen selbst auszuwählen und nach einem Wink mit der Hand, erschien eine Schüssel Joghurt mit Müsli, Nüssen und frischen Beeren vor ihr. Iris beäugte die glänzenden, tiefroten Himbeeren und die perfekten Blaubeeren, die nicht eine matschige Stelle hatten. Sie sagen perfekter aus als die Originale. Nur der Geschmack machte das Bild ziemlich schnell kaputt. Obwohl Iris hungrig war, kostete sie jeder Löffel Überwindung.
    "Die Frau. Chantale...ähm, Schlammtale", sie betrachtete eingehend die geschälte Mandel, die sich gerade auf ihrem Löffel befand. Er Tonfall klang ein wenig ungehaltener, als vielleicht angebracht war. "Hast du sie so zugerichtet? Was hast sie getan?"
    Im Augenwinkel huschte ihr Blick zur Tür.
    "Wird Ceri heute nicht dabei sein?"
    Sie weigerte sich die Worte Übung, Unterrichtsstunde oder Lektion in den Mund zu nehmen.
    Darius war nicht bestrebt ihr Wissen zu erweitern. Er wollte sie nur besser ausnutzen können. Das war kein Unterricht, das war Folter gewesen.

    "Bist du vollkommen verrückt geworden?!"
    Vor Schreck glitt der Hexe das Buch aus den Händen. Augenblicklich fasste sie hinterher. Einmal. Zweimal. Die Nummer, wie sie das Buch nach mehreren Griffen ins Leere doch zu packen bekam, war beinahe zirkusreif. Iris stieß ein langes Seufzen aus. Nicht, dass sie viel Wert auf Darius' Eigentum legte...Stattdessen sah sich Iris hektisch zu allen Seiten um, aber erst als sie etwas weiter in den Gang trat und den Kopf in den Nacken legte, entdeckte sie die Quelle der Stimme - oder des Gekrächzes. Aus der ersten Etage sah ihr eine sehr, sehr verärgerte Frau entgegen. Der Kontrast zum absolut makellosen Gesicht der Elfe verhlug der Hexe kurzzeitig den Atem. Sie musste gar nicht hören, was die Frau zu sagen hatte, um zu ahnen, dass das Darius' Werk war. Die Frau sah furchtbar aus und etwas stimmte mit ihrem Arm nicht, vielleicht war er sogar gebrochen. Die eigene, verzwickte Lage dämpfte angesichts des biestigen Gezeters allerdings Iris' Mitleid erheblich. Sie hätte sich vermutlich dafür schämen sollen. Hätte, sollte...als ob das hier irgendeine Rolle spielte.
    "Ja ich bin die Neue", gab Iris zurück und versuchte nicht allzu gereizt zu klingen.
    Das hatte die gebeutelte Frau wirklich nicht verdient, aber es fiel ihr wirklich nicht leicht.
    "Mein Name ist I...", doch weiter kam die Hexe nicht, denn die Frau über ihr verzog sich mit ständigem Gemurmel außer Sicht. Iris zog eine Augenbraue in die Höhe und wartete einfach ab. Bei der Frau musste es sich um Schlammtale handeln. Zumindest hatte sie bisher nicht gehört, dass sich außer den 3 Vertrauten und Darius noch jemand im Anwesen aufhielt. Nachdem, was Ceri erzählt hatte und dem malträtierten Gesicht, gab es eigentlich keinen Zweifel.
    Ein erschrockenes Quietschen ertönte, als ein Buch ohne Vorwarnung neben ihr aufschlug.
    "Pass doch auf, um Hekates Willen!", zischte Iris und zog sich, nachdem sie das grüne Buch aufgehoben hatte, soweit an das nächste Regal zurück bis sich die Regalbretter unangenehm in ihren Rücken drückten. Aber das war immer noch besser, als von einem Buch erschlagen zu werden. Jetzt hatte sie schon zwei Bücher auf dem Arm, wobei zumindest der grüne Einband mit den floralen Verzierungen sie ein wenig an Zuhause erinnerte. Grün...Iris sah nochmal hoch zur Glaskuppel. Sie hätte niemals geahnt, dass sie diese Farbe - sattes, leuchtendes, lebendiges Grün - bereits so schnell vermissen würde. Mit etwas Geschick balancierte sie beide Bücher auf seinem Unarm und fuhr mit den Fingerspitzen ihrer freien Hand über die geprägten Blüten des grünen Buches, das erstaunlicherweise nicht einen Kratzer davon getragen hatte.
    "...der ist ein sadistisches, aggressionsgetriebenes Arschloch…“, ertönte das Gebrabbel von oben und Iris schnaubte.
    "War mir noch gar nicht aufgefallen...", antwortete sie trocken.
    „Du da unten. Steh da nicht so rum und stapel die Bücher wenigstens nach ihrer Farbe. Dann kann ich die später besser einsortieren, aber mach dich wenigstens nützlich. Du kannst immerhin beide Arme noch benutzen!“
    Iris warf sicherheitshalber noch einen Blick nach oben, ehe sie sich in den Gang hinaus wagte und das grüne Buch auf einen Stapel aus ebenso grünen Bücher legte. Aber woher war denn nun das andere Buch noch gekommen? Mist, die Bücher waren zusammengerutscht und hatten damit die Lücke geschlossen. Sie sah sich um. Es lagen so viele Bücher herum und die sollte diese Frau alle einsortieren. Das würde doch Tage dauern...Und ihr kleines Blitz-Mallheur hatte es definitiv nicht besser gemacht.
    "Darius färbt schon auf dich ab", grummelte Iris bissig. "Das Bitte hat er dir jedenfalls schon ordentlich abtrainiert. Ich bin übrigens, Izzy. Du bist bestimmt Schlammtale. Richtig?"

    Iris' Schlaf glich einer tiefen Ohnmacht und es schien nichts geben, das sie wachrütteln konnte. Mit einem mürrischen Knurren vergrub Iris das Gesicht in dem Kissen, das sich verlockend weich unter ihrer Wange anfühlte. Sie brauchte einen Moment, bis sie ihre Hände unter der Decke hevorholte und sich über die mit Schlafsand verklebten Augenlider rieb. Iris fühlte sich, als hätte sie ein Bus mit Vollgas überrollt. Hinter ihrer Stirn hämmerte es unangenehm und als sie endlich die Augen aufschlug, kamen die Erinnerungen mit einem Schlag zurück. Eine eisige Kälte spülte über ihren Körper hinweg und vertrieb die Schwere des Schlafes binnen Sekunden. Mit einem Mal war Iris hellwach.
    Sie war das erste Mal ganz allein. Der Sessel neben ihm Bett war verwaist und auch sonst gab es keinen Hinweis zum Verbleib der Elfe. Sie musste sich in ihre eigenen Räume zurückgezogen haben, nachdem sie sich gewissenhaft davon überzeugt hatte, dass Darius' neue Vertraute nicht den Eindruck machte, in den nächsten Stunden auch nur den kleinen Finger zu rühren. Ein wenig zu voreilig schälte sich die Hexe aus der Bettdecke, deren Wärme ihr nicht länger angenehm sondern erdrückend vorkam. Sie setzte die Füße auf den Boden, stand auf...und kippte gleich wieder zurück auf das Bett. Die Matratze federte leicht, als Iris prompt wieder auf ihrem Hintern landete. Während sich der Schwindel langsam wieder beruhigte, warf sie einen Blick zur Tür. Sie war geschlossen, aber Iris hatte längst begriffen, das eine geschlossene Tür in diesem Anwesen rein gar nicht bedeutete.
    Das Nächste, das ihr auffiel, war die Stille. In all der Aufregung und den Ereignissen der vergangenen Stunden war ihr nicht aufgefallen wie still es wirklich in dem Anwesen war. Iris runzelte die Stirn und wagte einen erneuten Versuch auf die Füße zu kommen. Der Erfolg war noch etwas wackelig, aber zumindest schaffte sie es sich bis zu dem einzigen Spiegel im Raum zu schleppen. Iris zuckte zusammen als sie sich vor ihrem eigenen Anblick erschreckte. Tiefe Schatten hatten sich unter müden und glanzlosen Augen in ihr Gesicht gegraben. Ihre Lippen waren ein wenig rissig und trotz der Heilung durch Ceri, verschandelte ein konterbunter Bluterguss ihren Nasenrücken - wenn auch sehr blass. Sie fuhr sich durch die kurz gehaltenen Haare, die dank des Mangels der üblichen Pflege- und Stylingprodukte bereits einen Hauch von Naturwellen zeigten. Iris besaß keine richtigen Locken, aber die widerspenstigen Wellen reicht völlig aus um sie beim Styling in den Wahnsinn zu treiben. Allerdings war ein fehlender Föhn gerade ihr gerringstes Problem. Die Hexe sah an sich herunter. Eine weiche, graue Sweatpants und ein ebenso kuscheliger, schwarzer Pullover hingen an ihrem Körper. Ceri hatte wirklich darauf geachtet alle Witchmarks sorgsam zu verbergen. Sie war vor ein paar Stunden zu erschöpft gewesen, um auf die Auswahl der Kleidungsstücke zu achten. Zumindest trug sie dieses Mal auch Socken. Aber das war es dann auch schon und der leere Kleiderschrank schien sie zu verhöhnen.
    Iris schloss kurz die Augen und streckte ihre für Magie empfanglichen Fühler aus. Sie spürte, dass dort etwas war. Es umgab sie wie eine unsichtbare Energie - die Kraftlinien. Aber nach ihnen zu greifen, fühlte sich an wie mit bloßen Fingern die Luft einfangen zu wollen. Ehrlich gesagt, hatte sie auch nicht den blassesten Schimmer, war sie da eigentlich tat. Also würde sie wohl in ihren Schlafklamotten das Anwesen erkunden, so lange Darius und Ceri ihr die Chance dafür boten. Noch immer etwas unsicher auf den Beinen verließ Iris das Zimmer. Vorsichtshalber behielt sie eine Hand an der Wand falls sie doch noch einmal das Gleichgewicht verlor, denn ihre Beine waren schwer wie Blei.
    Jetzt, ganz allein, ließ Iris den Blick schweifen. Auch das war vorher nicht möglich gewesen. Sie nahm noch einmal alles in Augenschein, dieses Mal mit einer unheimlichen Ruhe ohne den Dämon im Nacken oder mit einer Elfe als Kindermädchen. Iris seufzte. Es war unfair gegenüber Ceri, aber die nüchterne Freundlichkeit, die Darius' längste Vertraute ihr entgegenbrachte, löschte die Umstände nicht aus, die sie hier her gebracht hatten. Seit sie die Narben gesehen hatte, verdrängte Iris den naiven Gedanken, dass der Dämon ihr bereits weh getan hatte. Im Vergleich zu der Geschichte, die sich auf der Porzellanhaut der Elfe abzeichnete, war es einfach lächerlich. Fast 200 Jahre...vielleicht war es kein Wunder, dass Ceri sich an die wenigen, guten Eigenschaften des Leviathans klammern musste. Es gab sonst nichts.
    Iris zögerte, als sie sich am Geländer der Treppe festhielt, die nach oben in den ersten Stock fühte und ihre Zehen gegen die erste Stufe stießen. Es kribelte unter ihren Fingern und sie trommelte unruhig auf dem Handlauf der Teppe herum. Ihr Überlebenstrieb war wohl doch nicht dermaßen verkümmert, dass sie gegen die Warnung der Elfe verstieß. Rigoros kehrte Iris der Treppe den Rücken zu und steuerte den ersten Raum an, dessen Richtung sie noch kannte.
    Das Esszimmer war menschen-, elfen- und dämonenleer. Was hatte sie auch erwartet? Darius und Ceri beim Frühstück vorzufinden? Sie wusste doch nicht einmal wie spät es war. Beim Gedanken an ein Frühstück knurrte Iris' Magen. Richtig, sie hatte seit den paar Erbsen mit einer gewöhnungsbedürftigen Schwefelnote, die sie unter Darius' Aufsicht heruntergewürgt hatte, nichts mehr gegessen. Und da sich keine Chance hatte mit Hilfe der Kraftlinien etwas Essbares heraufzubeschwören, würde sie fürs Erste mit dem nagenden Loch in ihrem Magen klar kommen müssen.
    Sie zückte die von Ceris gezeichnete Karte aus der aufgenähten Bauchtausche des Pullovers. Iris beschloss, dass sie Ceris Zimmer keinen Besuch abstatten würde. Die ernste Elfe würde es sicher nicht gut heißen, wenn sie einfach in ihre privaten Räume hereinplatzte. Die Karte verschwand wieder unter ihrer Kleidung, dieses Mal steckte sie sich das kleinzusammengefaltete Papier in den BH. Zumindest konnte ihr diese kleine Hilfe so nicht mehr vor Darius' Füße purzeln. Iris steuerte die Badekammer an, doch auch dort fand sie die Elfe nicht vor.
    Die Bibliothek war Iris' nächstes Ziel.
    Als sie die Flügeltür passierte, schlug ihr neben dem üblichen Schwefel noch der unerkennbare Geruch von verbranntem Holz entgegen. Er hatte sich zwischen den meterhohen Regalen in der Luft festgesetzt. Es gab schließlich auch keine Fenster um frische Luft hineinzulassen. Wobei frische Luft im Jenseits vermutlich Ansichtssache war. Iris schlängelte sich zwischen verstreuten Büchern hindurch. Die Unordnung schien ein wenig mehr System angenommen zu haben, doch noch immer waren viele Regalbretter unbestückt. Der verschmorte Riss im Boden und in der Wand war noch immer da. Merkwürdig...Warum hatte Darius ihn nicht längst beseitigt? Neugierig und etwas vorsichtig, als befürchtete sie eines der Bücher könnte nach ihren Finger schnappen, befühlte sie die aus Leder gefertigten Buchrücken. Sie fuhr die geprägten Buchstaben nach und fischte willkürlich eines der Bücher heraus. Iris zuckte leicht, als sie damit auf den angeknacksten Regalbrettern eine Kettenreaktion auslöste und die restlichen Bücher auf dem gekippten Brett mit dumpfem Gepolter nachrutschten. Wachsam sah sich die Hexe zu allen Seiten um und stieß ein erleichtertes Seufzen aus, als es weiterhin still blieb.
    Für eine Verschnaufpause lehnte sich Iris an die Sprossen einer der vielen Leitern der Bibliothek. Kurz sah sie zum Himmel herauf und damit zu der rötlichen Sonne, die durch die Glaskuppel schien. Eine Tatsache, an die sich Iris gewöhnen würde wie auch an die schwefelhaltige Luft.
    Wieder zuckte ihr Blick von Links nach Rechts ehe sie das Buch in ihren Händen aufschlug. Ihre Mundwinkel sackten nach unten, als sie Wörter in einer Sprache erblickte, von der sie nicht eine Silbe verstand. Die Worte bestanden nicht aus dem westlichen Alphabet, das sie kannte, und auch aus sonst keiner Schrift, die sie irgendwo schon einmal gesehen hatte. Missmutig schlug sie das Buch wieder zu.
    Ihr Körper schmerzte, ihr Magen knurrte und es gab rein gar nichts in diesem Anwesen zun tun, dass sie irgendwie davon ablenken konnte.
    Wenn Darius oder einer seiner 'Freunde' wie Pan sie nicht tötete, dann würde es ziemlich sicher die Langeweile tun.

    VEINS OF STONE
    by Calandra & Feather


    Die Geschichte spielt in Sylvaris, einem Land, das durch ein Volk geprägt ist, dass tief mit dem Land verwurzelt ist. Einst ehrfürchtig gegenüber dem Land, das ihnen die Lebensgrundlage schenkt, verdirbt das Volk von Sylvaris mit den Jahren von Innen heraus. Die Gier nach Reichtum und Macht greift um sich wie eine Seuche, seit unter dem Land reiche Vorkommen an Erzen und Edelsteinen entdeckt wurden. Bauern legten ihre Pflüge nieder, Hirten vernachlässigten ihr Vieh um zu Schaufeln und Spitzhacken zu greifen und diese tief in die Erde zuschlagen, die ihnen Wasser, Nahrung und Heilung spendete. Binnen weniger Jahre sproßen Schürfminen aus dem Boden wie Pilze. Statt prächtiger und üppiger Äcker zieren nun tiefe Löcher die Ländereien von Sylvaris - wie eitrige Wunden zerfurchen sie das einst grüne Land. Angetrieben von einem machthungrigen Herrscher schürft das Volk von Sylvaris unermüdlich in den Minen. Die Vernachlässigung von Feld und Vieh sorgte zwangsläufig zu einer Verknappung lebensnotwendiger Güter. Das von Entbehrungen geprägte Leben hat die Menschen hart gemacht, Nächstenliebe ist ein zartes Pflänzchen, das viel zu schnell unter den schweren Stiefeln der Minenarbeiter zertreten wird. Sylvaris hungert, dürstet und leidet unter Krankheit.

    Seit geraumer Zeit wir das Volk von Sylvaris von einem bisher unbekannten Grauen heimgesucht. Die Gelehrten nennen es Die Verderbnis.
    Die Krankheit beginnt schleichend mit schwarz gefärbten Adern und erreicht sie das Herz, ist der Tod nur einen Schritt entfernt. Die Betroffenen klagen anfangs über Kopf- und Knochenschmerzen, doch mit der Zeit wird es immer schwerer sich zu bewegen. Befallene Gliedmaßen werden allmählich träge und steif. Meist beginnt es in den Fingern. Kurz vor dem Ende setzt ein manisches Fieber ein, dass dem Sterbenden zuletzt noch den Verstand raubt. Die Lebenserwartnung der Befallenen schwankte zwischen wenigen Wochen und sogar Monaten. Wer stark ist, kann sich länger gegen den Sog Der Verderbnis wehren. Der Ursprung der Seuche bleibt ein Rätsel, an dem sich selbst die höchsten Gelehrten in Parvarez, der Hauptstadt, die Zähne aubeißen.

    Drystan - ein junger, sylvarischer Krieger - verdingt sich nach Beendigung seiner letzten Prüfung zum Schildwächter entgegen den Erwartungen als freier Söldner. Die Schildwächter unterstehen der Herrscherfamilie und sorgen für die Einhaltung von Recht und Ordnung. Drystan reist durch das zerrüttete Sylvaris und schlägt sich auf eigene Faust durch. Er ist nicht wählerisch bei seinen Aufträgen und scheut nicht davor sich die Hände schmutzig zu machen, verfolgt dennoch einen gewisssen, moralischen Kodex. Dabei bleibt er nie irgendwo lange, knüpft keine tiefgreifenden Verbindungen und zieht weiter, sobald seine Arbeit erledigt ist.

    Auf seinen Reisen schnappt Drystan allerlei Geflüster auf. Gerüchte über eine mögliche Rettung vor der Seuche und über Menschen mit der Gabe der Heilung, treiben den Söldner bis in den entlegensten Winkel von Sylvaris. Dort trifft er auf Ellia, eine junge Priesterin vom Orden der ersten Flamme. Von der Hohepriesterin des Ordens wird Drystan angeheuert, Ellia zu den Altären von Sylvaris - einen spirituellen Ort hoch in den Bergen von Sylvaris - zu begleiten und für ihre Sicherheit zu garantieren um sich dort mit den uralten Mächten der Landes zu vereinen und Gnade für das leidende Volk zu erbitten. Kurzum: Um auf den steinernen Altären ihr Leben in einem Akt der Selbstlosigkeit zu lassen.

    Zusammen mit Ellia begibt sich Drystan auf den langen Weg durch Sylvaris - stets das Ziel vor Augen.
    Denn Drystan läuft die Zeit davon.

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    CHARAKTERE:

    Drystan | Calandra

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    NAME | Drystan/Drys
    ALTER | 28 Jahre
    GRÖSSE | 1,87 m
    BERUFUNG | Freier Söldner
    AUSSEHEN | kurzes, wildes Haar in einem mittleren Kupferbraun; der Kupferanteil fällt besonders im Sonnenlicht stark auf
    Grüne, eher schmalere Augen und kantige, markante Gesichtszüge mit einem starken Kinn

    SONSTIGES
    Drystan eckt mit seiner manchmal eher schroffen Art häufig an, trägt aber das Herz am rechten Fleck. Er ist ein Mann, der zu seinem Wort steht und noch nie einen geschlossenen Vertrag gebrochen hat - obwohl er gerne vorgibt, dass ihn allein eine üppige Bezahlung in Münzen interessiert. Drys scheute den Kontakt zu anderen Menschen nicht, vermeidet aber tiefere Bindungen. In dem Sylvaris, in dem Drystan aufwuchs, war nichts mehr von Dauer. Erst recht dann nicht, wenn die Verdernis einem jeder Zeit alles nehmen konnte. Einem hübschen Gesicht kann er trotzdem nur schwer widerstehen... Als Söldner scheut er den offenen Kampf nicht, würde aber immer den Bogen einem Schwert vorziehen. Seiner Meinung nach, kann jeder Idiot mit einem Schwert herumfuchteln; ein Bogen dagegen erfordert Geschick, Fingerfertigkeit und Geduld. Drys ist kein gläubiger Mensch; für ihn ist das Elend von Sylvaris menschengemacht und nicht das Werk einer gottähnlichen Entität, doch ein Schicksalsschlag zwingt ihn seine bisherigen Überzeugungen in Frage zu stellen. Seine Familie - Eltern und zwei jüngere Schwestern - hat Drystan nicht mehr gesehen, seit er 17 Jahre alt ist.

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    "He does what he says he will do. If he says he will kill you, he will kill you.
    If he says he will protect you, he will protect you. To me that is a good man.
    Perhaps others might feel differently..."
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    Ellia | Feather

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    Name: Ellia (,,Ela")
    Priesterin des Ordens der ersten Flamme
    Alter: 26 Jahre
    Größe: 1,68m
    Aussehen: Lange, gewellte Haare, die so weiß sind, wie frisch gefallener
    Schnee und Augen, deren türkise Färbung an das Meer erinnert

    Storyhintergrund:

    Ellia ist bereits als Baby zum Orden gekommen, ihre wahre Herkunft ist unbekannt. In ein Körbchen gebettet, wurde sie vor den Toren des Doppeklosters abgestellt und nur ihr kräftiges Schreien hatte auf ihre Ankunft aufmerksam gemacht. Weit und breit kein Überbringer in Sicht, wurde sie aufgenommen und lebte fortan beim Orden, wuchs isoliert und behütet auf. Schon in jungen Lebensjahren zeigten sich in ihr erste Anzeichen magischer, heilender Fähigkeiten. Es wirkte fast so, als wäre es kein Zufall gewesen, dass sie unbekannterweise den Weg zu diesem abgeschieden Kloster gefunden hatte, in welchem fernab der Zivilisation magisch begabte Menschen eine Heimat, ja gar Zuflucht fanden und dort deren Kunst der Heilmagie geschliffen wurde.

    Als Jahre später die Verderbnis als Antwort auf die von Gier getriebene Ausbeutung der Menschheit ausbrach, erreichte jene Seuche bald darauf auch schon das abgeschieden gelegene Kloster. Die Priester und Priesterinnen, die bis dahin von diesem Unheil verschont geblieben waren, hatten das Übel nun in ihren eigenen, gesegneten Hallen. Durch die Adern einiger Ordensmitglieder fraß sich nun allmählich die todbringende Krankheit, gegen welche selbst die heilenden Kräfte eben jener versagten.

    Legenden besagen, dass vor Jahrtausenden bereits ein ähnliches Unheil die Menschheit befallen hat. Die Geschichten, die im Orden überliefert werden, berichten davon, dass einst das Opfer einer frommen Person das Übel abwandte. Auf eben jene Legenden stützend, sieht der Orden die größte Chance darin, eine geeignete Person aus den eigenen Reihen zu erwählen und zur geheiligten Ritualstätte zu schicken. Jenes Opfer soll die - laut dem Orden - erboste Erde beruhigen und damit die Verderbnis beseitigen. Da Ellia gut ausgebildet, sowie bisher von der Seuche verschont geblieben ist, wird sie auserwählt, unter fähigem Geleit die Altäre von Sylvaris aufzusuchen und an diesen ihr Leben für ein besseres Morgen hinzugeben.

    Ellia sieht fortan ihren Lebenssinn in dieser Aufgabe. Nicht nur, da sie mit ihrem Opfer das gesamte Land von dieser lebensverzehrenden Krankheit befreien und Mutter Erde besänftigen möchte, sondern auch, weil sie dem Orden ihr Leben zu verdanken hat.

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