• BREACHED

    Einheit. Gerechtigkeit. Brüderlichkeit. So lautet der grenzübergreifende Kodex zwischen den vier Reichen von Venaticorum, die Philosophie, die der breiten Bevölkerung von ihren Regenten vorgelebt wird - oder zumindest sollte. Die Fassade, so sehr sie von außen auch glitzert und glänzt, sie modert von innen heraus, droht an mancher Stelle zu bröckeln, und wäre wohl schon längst zerfressen von gierigen Maden, könnten diese nur mehr vom Kuchen abbeißen als ihnen derzeit vergolten. Davon abhalten tut sie nur das natürliche Gleichgewicht der ihnen allen innewohnenden Magie - ein Instrument der Macht, ja, aber zu einem hohen Preis, nämlich der eigenen Lebenskraft. Untrennbar verbunden, das eine mit dem anderen. Ein Machtmissbrauch, etwa durch einen Tötungszauber? Ausgeschlossen, natürlich, zumal Angreifer und Opfer mit derselben Währung bezahlen, und der eine nur kurz nach dem anderen das Totenreich betreten würde. Ein Leben im Austausch gegen das andere. Quid pro quo. So, und nicht anders, wollen es der Erbauer, die Götter, Mutter Natur, je nach dem, wen man fragt. Doch wer oder was auch immer hinter dieser Balance steckt - auch jene haben ihre Launen. Denn plötzlich wird wahr, was sonst nur in Schauermärchen erzählt wird, um unartigen Kinder einen Schrecken einzujagen: Einer kommt, und stiehlt ihre Magie, saugt sie aus, verzehrt ihre Lebenskraft, um sie für sich selbst zu nutzen.

    [ Zusammenfassung frei nach dem Bitte melde dich an, um diesen Link zu sehen.von Sayrana ]

    FSK 18 # Ort: Planet Venaticorum, vier Herrscherreiche (Juniskär, Tarás-Vorossia, Beauvalais, Cyrannia) # Genre: Fantasy

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    Playinformationen (to be completed): #1 Bitte melde dich an, um diesen Link zu sehen.| #2 Bitte melde dich an, um diesen Link zu sehen.

  • PROLOG

    "Und ist gekommen erst die Zeit, da ein Stern den anderen vertilgt und Gestirne gegen Gestirne prallen, da wird der Schleier sich heben und was bis anhin verborgen seinen Schatten legen auf das, was in bester Ordnung sein Licht ausstrahlte, bis verdorrt, was von Erleuchteten erschaffen, und zu Staub zerfallen im Feuer der eigenen Sonne."

    Bibel der Zwillinge, achtes und letztes Testament, Vers 8:99

    ***

    Neu-Babel, Weltenturm – Diplomatiezentrum der vier Königreiche, 20. Stock, "Kristallsaal"


    Bitte melde dich an, um diesen Link zu sehen.stand mit vor der schmalen Brust verschränkten Armen vor den deckenhohen Fenstern auf der Ostseite des Raums, hatte dem Rest des Saals den Rücken zugekehrt und sich stattdessen gedankenverloren der Stadt gewidmet, die dem Weltenturm zu Füssen lag. Die Aussicht war, ohne zu übertreiben, nur als paradiesisch zu beschreiben: Wunderwerke der Architektur erstreckten sich unter ihm bis an den Horizont, Stufentempel und Turmbauten, deren Fassaden von bunten Mosaiken, hängenden, früchteschwangeren Terrassengärten und in der Sonne glitzernden Brunnenanlagen geziert wurden. Die Aussicht buhlte mit aller Strahlenskraft um die Aufmerksamkeit des Cyraniers, verlor den Wettbewerb jedoch sang- und klanglos, ausgerechnet gegen das schnörkellos anmutende Kleinod, das der Aep’Aemosh weltvergessen zwischen seinen Fingern rollte, hin und her, hin und her.

    "Konsul?" Eine fremde Hand – schmalfingrig, aber umso kräftiger – drückte für ihre Verhältnisse sanft seinen Oberarm, während sich seine eigene instinktiv fest um den Siegelring schloss, als fürchte der Aep’Aemosh, man wolle seinen Gewahrsam an dem Schmuckstück brechen. Nicht so schreckhaft, alter Knabe, rief der in grüne Seide gekleidete Mittvierziger sich ins Gewissen, als er den leicht irritierten Blick der cyranischen Korpskommandantin auffing. Maelga Ferch’Wynnas graue Augen hefteten sich an sein Antlitz wie Magnete an Metall, durchforsteten es in gewohnter Manier nach den leisesten Anzeichen von Schwäche, und übermittelten ihm gleichsam die stumme Mahnung, sich gefälligst zusammenzureißen: Jetzt war nicht der Zeitpunkt für Muffensausen und dergleichen. Doch ihre Sorge war unbegründet, und der nervöse Moment längst vorbei. Gefasst wie eh und je sah Ben hinüber zur Tafelrunde in der Mitte des Saals, wo sich die hochwürdigen Delegierten der Herrscherreiche und ihr versammelter Beraterstab im Halbkreis des Theaters dahinter eingefunden hatten: "Alle da?" Die Soldatin verschränkte demonstrativ die Arme vor der Brust; das Kettenhemd unter ihrer Gewandung raschelte. Eine steile Falte erschien zwischen ihren Augenbrauen: "Alle, bis auf den guten Général. Dringende Angelegenheiten im eigenen Land." Sie tauschten einen Blick. "Noch ein Attentat auf das Königspaar?", vermutete Aep’Aemosh. Sein Tonfall gab zu erkennen, dass ihn eine solche Nachricht zwar alarmiert, aber nicht unbedingt überrascht hätte. Maelga zuckte nur mit den Schultern: "Das – oder das beauvalesische Militär hat bereits einen eigenen Plan, wie es mit der Krise, die uns alle betrifft, umzugehen gedenkt."

    Nun war Ben derjenige, dessen Stirn sich in Falten legte. Während er die Ecken seines graumelierten Oberlippenbarts glattstrich, überlegte er, ob er Maelgas Gedanken weiter erforschen sollte, entschied sich dann aber fürs Erste dagegen. Es lag in der Natur ihres Amtes, misstrauisch zu sein, vom Schlimmsten auszugehen und hinter allem vorsichtshalber eine Verschwörung zu wittern. Auch er war einst auf ihrer langen Liste nicht-vertrauenswürdiger Gestalten gestanden und hatte sich ihre Gunst über Jahre hinweg mit konsequenter Integrität in Wort und Handlung hart erarbeiten müssen. In Bens Metier dagegen wurde Vertrauen regelmäßig vorgeschossen, war Voraussetzung dafür, dass der Dialog zwischen den Reichen überhaupt stattfand, und seiner Überzeugung nach ein Gut, dass man den Kollegen nicht leichtfertig entzog. Meistens waren die Dinge ja dann doch so, wie sie dem Auge nach erschienen, und für vieles gab es eine gute Erklärung. Für Verdächtigungen war es noch zu früh. Nicht, dass er Maelgas Einwand komplett verwarf – aber er war an diesem Punkt der Konferenz schlichtweg nicht hilfreich.

    In einem konnte er Maelga jedoch nur zustimmen: Das hier war eine Krise. Eine sondergleichen, und eine, die sie alle betraf. Nicht eins der üblichen Polit-Geplänkel, kein Streit um Zölle, keine Kulturquerele, keine Stellvertreterfehde und auch keine diplomatische Hakelei aufgrund vermeintlicher Beleidigungen, weil ein Herrschers den anderen als "schwerknöchern" bezeichnet hatte. Das hier war… anders. Größer. Verheerender. Wenn die Gerüchte denn tatsächlich stimmten.

    Die Arena der Weltpolitik im Turm von Neu-Babel war entsprechend erfüllt von einer spürbaren Spannung; verhaltenes Gemunkel lag in der Luft, wurde begleitet von besorgten, bald misstrauischen Seitenblicken hinüber zu den Nachbarn, die entweder auf stoische Steinmasken oder nicht minder argwöhnische oder ängstliche Gesichter trafen. Über ihnen allen thronte mit gespreizten Flügeln der weiße Friedensphoenix, ein Deckenbild angefertigt aus tausenden und abertausenden kleineren und größeren Diamanten, die dem "Kristallsaal" seinen Namen verliehen. Während Aep’Aemosh die letzten Schritte zu seinem Platz an der Tafel zurücklegte, wunderte er sich wie schon so oft zuvor über die der Tatsache innewohnende Ironie, dass der Sicherheitsrat der vier Herrscherreiche ausgerechnet unter diesem offensichtlichen Sicherheitsrisiko tagte – nämlich einer Vielzahl herabhängender, spitzer Edelsteine, die ihnen ohne Weiteres die Schädel hätten spalten können, wenn sie sich denn je aus ihrer Halterung lösten.

    Ben verdrängte den Gedanken an von der Decke stürzende Juwelen, richtete seinen Fokus wieder auf die (andere) reale Bedrohung, deren es sich anzunehmen galt, räusperte sich und adressierte die Runde sodann mit der gewohnten Autorität, die seiner Rolle als gegenwärtiger Obmann des Rates innewohnte. Nichts deutete auf das Rattern hinter seiner Stirn hin, und auch seine aufrechte Besorgnis trug er lediglich in der seiner Position angemessenen Maßen zur Schau: "Edle Damen, edle Herren", adressierte er die Gemeinschaft der Versammelten in akzentfreier Allgemeinsprache, verstärkte sein Sprechorgan mit ein Hauch Magiezufuhr, um sich über den Tumult hinweg aller Gehör zu verschaffen. Dennoch blieb seine Stimme ruhig und klar, bestimmt, aber nicht aufgeregt. "Mir ist bewusst, dass der Anlass unserer heutigen Versammlung für Aufruhr sorgt. Nichtsdestotrotz verlangt es die gute Ordnung, dass wir uns an den üblichen Sitzungsablauf halten. Wir beginnen also mit dem Apell." Er wies die vier Schreiber an seiner Seite mit einem Nicken an, ihre Arbeit zu tun, woraufhin diese eifrig ihre Federn in die Tintengläser tunkten. Vor der Kulisse raschelnden Pergaments eröffnete der Aep’Aemosh die Vorstellungsrunde: "Für das Königreich Beauvalais?"

    Die blonde Schönheit zu seiner Linken erhob von ihrem samtbespannten Sessel das Wort: "Dame Bitte melde dich an, um diesen Link zu sehen., Abgesandte der Sonne." Ihr Schnurren schmiegte sich wie eine besonders liebliche Melodie an seinen Gehörgang, und hätte er Ginny nicht seit einer halben Ewigkeit gekannt, ihm wären wahrscheinlich wie so manch anderem Mann im Raum die Knie weich geworden. Aber er kannte ihre Tricks, war über die Jahre hinweg immun gegen ihre süße belvalesische Sabotage geworden. Sie waren im gleichen Alter, obschon man ihr ihres nicht ansah, und zur ungefähr gleichen Zeit in den diplomatischen Concours von Neu-Babel eingetreten. Zu Beginn, ja, da hatte es noch eine Zeit gegeben, da er sich von ihr um den kleinen Finger hatte wickeln lassen. Heute wusste er es besser. Auf der Bühne der Politik ihrer Länder waren sie sich ebenbürtige Gegner und Partner zugleich; im Privaten dagegen war Ginny die menschgewordene Form einer schlechten Entscheidung, die Zwillingsschwester der Versuchung, der falsche Tritt auf dem schmalen Grat zwischen Gedeih und Verderb. Fast wäre er damals im Sumpf ihrer gezuckerten Bekundungen versunken, hätte beinahe seine Frau zuhause ob der schönen Worte vergessen. Dass es beim "beinahe" geblieben war, hatte ihm deVuilly bis heute noch nicht ganz verziehen, dessen war sich Ben sicher. Aber sie ließ sich nichts anmerken, saß da, in ihrer selbstverständlichen Pracht, augenscheinlich nicht im Geringsten das Bedürfnis verspürend, sich für den leergebliebenen Platz an ihrer Seite zu rechtfertigen. Stattdessen streifte sie mit einer fließenden Bewegung den saphirbesetzten Siegelring vom kleinen Ringfinger der rechten Hand und ließ ihn in das bronzene Schälchen kullern, mit dem einer der Ratsadjutanten die Runde machte.

    Ben setzte den Apell fort: "Für das Fürstentum Tarás-Vorossia?" Von der anderen Seite der Tafel hob ein langgewachsener, ausgemergelt wirkender Mann die knochige Hand – der Rubin, der daran prangte, funkelte vor der gräulichen Haut. Seine Augen lagen tief in ihren Höhlen, das lange, schwarze, fein säuberlich zurückgekämmte Haar wirkte dünn im Vergleich zu seinem langen Bart. Selbst über die Tafel hinweg wirkte sein Gegenüber des Lebens und all seiner Anstrengungen müde, doch Aep'Aemosh wusste aus vertrauenswürdiger Quelle, dass Bitte melde dich an, um diesen Link zu sehen., Abgesandter und Bruder des Kurfürsten Viszer Pramislyda des Großen, bereits mit Ringen unter den Augen zur Welt gekommen war. Ihn auf sein vergreistes Äußeres zu reduzieren, und darüber hinaus seinen wölfischen Verstand zu ignorieren, war ein Fehler, den mancher bitter hatte büßen müssen.

    Auch der Graf legte seinen Ring in das ihm gereichte Bronzeschälchen. Dann deutete er beinahe beiläufig auf die grobschlächtige Gestalt eines Mannes, der breitbeinig und finster dreinblickend hinter ihm stand, der jeden andern im Saal um mindestens einen Kopf überragte und dessen Masse von einer schlecht verborgenen Lederrüstung unter der schwarzen Gewandung in Form gehalten wurde: "Mein Vetter, Generalfeldmarschall Bitte melde dich an, um diesen Link zu sehen., des Fürsten Axt und linke Hand, Behüter der vorossischen Ordnung, Befrieder des Barakarnvorlands, fünffach ausgezeichnet für seinen Mut auf dem Schlachtfeld und seine Treue zum großen Fürsten, möge seine Hand noch lange die Geschicke unserer Lande lenken." Der Feldmarschall gab ob der monotonen Nennung seiner zahlreichen Titel ein zufrieden tönendes Grunzen zum Besten. Ansonsten blieb er aber bei seiner finsteren Miene, rührte sich nicht von der Stelle.

    "Für Juniskär, das Königreich im Norden?" Nach angedeuteter Respektsbekundung in Richtung des Feldmarschalls wandte sich der Vorsitzende der vierten Ordonnanz im Raum zu seiner Rechten zu, deren Gesichtszüge dem Rat bis zum heutigen Tage noch fremd gewesen waren. Der Umstand irritierte Ben kaum, zumal im Zuge des jährlichen Königsturniers die Herrschaftskarten und damit auch die Riege der Delegaten nicht selten neu gemischt wurden. Wenn er sich richtig entsann, dann war die Einladung zu dieser außerordentlichen Sitzung des Rates der vier Königreiche verschickt worden, kaum dass der letzte Zehnkampf in Juniskär vorbei und dessen Gewinner als neuer Herrscher hervorgegangen war. Die Teilnahme an dieser Sitzung war also mehr oder weniger die erste Amtshandlung des neuen Mandatsträgers – und seine Person für sie alle ein Überraschungsei auf zwei Beinen.

    Sodann war der Cyranier selbst an der Reihe, sich der Versammlung und dem Protokoll der Schreiberlinge bekannt zu machen: "Und für die Republik Cyrannia, meine Wenigkeit, Konsul Ben Aep’Aemosh, erster Berater des Triumvirats." Er war auf den ersten Blick so unscheinbar wie der goldene Siegelring an seinem Finger, kein Graf und auch kein Ritter, nicht verwandt mit einem der Regenten seines Reichs und hatte auch nicht besonders viel Geld besessen, als er seine Karriere begonnen hatte. Viele hatten indes den Fehler begangen, ihn deshalb zu unterschätzen, und dabei nicht bedacht, dass ein einfacher Mann mit brennendem Ehrgeiz und dem Talent, seine hochgesteckten Ziele auch zu erreichen, es in der Politik nicht minder weit bringen konnte wie einer mit gutem Namen oder einem edlen Blutstropfen in den Adern. Zuhause munkelte man Aep'Aemosh bereits als Anwärter auf den Posten eines Triumvirs, sobald einer der drei derzeitigen Regenten gedachte, in Pension zu gehen. Rückhalt genoss er mitunter nicht nur in der cyranischen Bevölkerung, sondern auch beim Militär: "Lady Maelga Ferch’Wynna, Korpskommandantin der Republik", stellte der cyranische Delegat seine Begleitung vor. Die Soldatin schickte ein knappes Nicken in die Runde, ehe ihr Blick wieder am Koloss auf der anderen Seite der Tafel hängen blieb und sie ihn wenig beeindruckt von Kopf bis Fuß musterte. Ben konnte ihre Abneigung gegenüber dem Hünen spüren. Es gab eine Vorgeschichte zwischen den beiden, die ihm wohlbekannt war, weshalb er sich rasch bemühte, ihre und die Aufmerksamkeit der anderen wieder auf Wesentliches zu lenken.

    "Werte Anwesende, Euch wird das Thema unserer heutigen Sitzung wohlgewahr sein; die Agenda dürfte somit ebenfalls auf der Hand liegen. Ich fasse zusammen." Er legte die Fingerspitzen seiner Hände aneinander, bedachte jeden einzelnen in der Runde mit einem ernsten Blick: "Wir stehen mutmaßlich vor der größten Bedrohung des Friedens in unseren Landen seit dem letzten großen Grenzkrieg. Uns alle hat die Nachricht aus Tarás-Vorossia über die vermeintliche Existenz eines Breachers erreicht – so bezeichnen wir allgemein eine Person, die entgegen der Natur der Dinge auf die Magie eines anderen Menschen zugreifen und sie kontrollieren, sprich absorbieren kann, ohne seine eigenen Reserven anzugreifen. Die Magiequelle – das heißt, sein Opfer – wird derweil förmlich aufgezehrt, bis sie… nun, leer ist. Und stirbt." Er machte eine kurze Pause, ließ die Worte ihre Wirkung entfalten, ehe er weitersprach: "Der vorossischen Armee ist es offenbar gelungen, diesen Breacher zeitweise dingfest zu machen. So viel mir zugetragen wurde, bestand die Absicht, ihn der vorossischen Justiz vorzuführen --- " "Entgegen geschlossener Apelle der anderen Herrscherhäuser, wohlgemerkt", unterbracht Dame de Mont-Vuillys schnippisches Schnauben seine Zusammenfassung. Echte Empörung? Oder war ihr Angriff vielleicht doch Verteidigung? Ben war sich nicht ganz sicher – Ginny verstand sich darauf, das Spiel ihrer Emotionen zu kontrollieren wie ein Geigenmeister sein Instrument. "Madame, Ihr seid noch nicht dran – bitte haltet Euch an die Hausregeln", ermahnte sie der Aep’Aemosh in sanftem Tadelton. Sie warf ihm einen gespielt verschämten Blick unter einem formvollendeten, tausendmal einstudierten Augenaufschlag zu: "Pardon. Fahrt fort, Vorsitzender."

    Ben unterdrückte ein Schmunzeln, warf einen Blick in seine Unterlagen, der nicht nötig war, ehe er tat wie geheissen: "Es blieb sodann bei besagter Absicht, denn, wie dem Hohem Rat kürzlich mitgeteilt wurde, kam der Gefangene in der Zwischenzeit… abhanden. Graf, wenn es Euch beliebt, Ihr oder euer Begleiter, der ehrenwerte Feldmarschall, seid besser informiert als ich; ich schenke euch deshalb meine verbliebene Redezeit, ihr habt das Wort."

    Einmal editiert, zuletzt von Jinx (3. Februar 2025 um 09:37)

  • Neu-Babel, Weltenturm – Diplomatiezentrum der vier Königreiche, 20. Stock, "Kristallsaal"

    Die Herrschaften aus Juniskär wechselten so oft ihr Amt, dass es nahezu unmöglich war, langfristige Komplotte oder Allianzen zu schmieden. Das würde voraussichtlich auch für die Gruppe an Menschen gelten, die sich jetzt auf ihren Sitzen am großen Tisch der vier Reiche versammelt hatten. Was bei den anderen Delegierten so aussah, als hätten sie ihr gesamtes Militär um sich geschart, war bei den Vertretern aus Juniskär eher wie eine Familienansammlung zu betrachten. Typisch für sie war es, ihren Familienstamm anstelle Außenstehender zu schicken.
    Zwei Stühle standen unmittelbar am Tisch heran geschoben, besetzt von zwei Männern, die höchstwahrscheinlich Brüdern sein mussten. Zur Linken saß ein großgewachsener Mann mit einem beachtlichen, geflochtenen Bart. Seine hellen, blauen Augen waren zu Beginn der Versammlung über sämtliche Anwesenden gewandert und nur auf der Bestie aus Tarás-Vorossia länger hängen geblieben. Eine geraume Weile hatte er den Mann taxiert, ehe sich der Mann zu seiner Seite herüber beugte und ihm etwas zugeraunt hatte. Auch seine Augen waren unverkennbar heller Natur, doch sein Bart war kürzer gestutzt. Sie beide trugen die Seiten ihrer Köpfe ausrasiert, doch nur einer hatte seine aschblonden Haare in kunstvolle Zöpfe flechten lassen.
    Die Vorstellung der anderen Reiche verlief entsprechend unaufgeregt. Es war offensichtlich, dass die Vertreter aus Juniskär sich nicht wirklich auf Intriganz verließen und auch nicht unbedingt erpicht darauf waren, sich gut mit anderen Reichen zu stellen. In ihrer Kultur waren Zungen nur herausgeschnitten etwas wert.
    „Für Juniskär, das Königreich im Norden?“
    Der jüngere der Brüder erhob sich aus seinem Stuhl. Die eisernen Beschläge aus Eisen an seiner Lederrüstung klirrten leise, während er seinen Blick über die Runde schweifen ließ. Seine Augen setzten sich auf den Wortführer dieser Versammlung fest. Ein unscheinbarer, schwacher Kerl, wie man meinen sollte. „Halvard Vestergaard, Bruder des amtierenden Jarls in Juniskär. Ich bin fortan derjenige, der entsendet wird für jegliche Angelegenheiten, die unsere Länder betreffen.“ Er zog sich den Ring vom kleinen Finger, da er sonst keinen Platz gefunden hätte, und legte ihn in die Schale bevor er mit ausgestreckter Hand den Mann zu seiner Seite präsentierte. „Stig Vestergaard, Sieger des alljährlichen Zehnkampfes und amtierender Jarl Juniskärs.“
    Stig nickte den umgebenden Menschen zu, die ihn alle entsprechend musterten. Dass sich das Oberhaupt eines Landes herbewegte, war mehr als nur ungewöhnlich. Es stellte ein Risiko dar, welches genug Zündstoff für eine weitere Katastrophe beherbergen konnte. Angesichts des Themas war es aber nicht zu verübeln, dass sich das Oberhaupt aus Juniskär direkt zeigte. „Ich weiß, dass die Männer vor mir es nicht für nötig gehalten haben, sich selbst bei diesen Sitzungen zu engagieren. In Zukunft werde ich Halvard schicken, aber jetzt stelle ich mich Euch allen vor. Damit jeder weiß, von wem Ihr in Zukunft sprechen werdet.“
    Die Stimme des Jarls war gewohnt voll und ungemein tief. Genau so eine Stimme, die in einem Schlachtruf das ganze Feld aufwiegeln konnte. Im Gegensatz zu seinem Bruder hatte sich Stig einen Mantel aus Schneewolfpelz umgehängt, der seine außerordentliche Physiologie verhüllte. Aber die Art, wie er ruhig seine großen Hände auf den Lehnen seines Stuhles ausgebreitet hatte, zeugte von einer unumstößlichen Selbstsicherheit. Es mochte auf den ersten Blick großkotzig wirken, wie Stig von sich sprach. Nur ließ sich nicht von der Hand weisen, dass sich die wenigsten daran erinnern konnten, wer noch drei Regentschaften vor Stig Juniskär geführt hatte. Deshalb brannte er sich mit anderen Methoden in das Gedächtnis der Anwesenden ein.
    Kurz darauf stellte sich der Wortführer selbst vor und eröffnete die Krisensitzung. Anders konnte man dieses Zusammentreffen nicht nennen. Der Bericht und die Nennung eines BREACHERS kam für Stig und seine Familie nicht überraschend. Sie hatten früh die Kunde darüber erhalten, dass solch eine Person in Tarás-Vorossia gesichtet worden war und dank der Beschreibung der Äußerlichkeiten ließ sich eine gewisse Zugehörigkeit zu Juniskär nicht verleugnen. Mit ein bisschen Recherche und Druck fand Halvard schließlich das Dorf und die Familie des potenziellen Breachers. Das hatten sie natürlich nicht öffentlich gemacht. Den Einwurf dieses herausgeputzten Püppchens schenkte Stig zumindest keine Aufmerksamkeit. Er war eher darauf gespannt, was die Vorossier zu berichten hatten. Denn da spalteten sich die Quellen, auf die sich die Vestergaards stützten – Spionage und dergleichen waren nicht ihr Steckenpferd.
    "Es blieb sodann bei besagter Absicht, denn, wie dem Hohem Rat kürzlich mitgeteilt wurde, kam der Gefangene in der Zwischenzeit… abhanden“, fuhr Aep’Aemosh fort und Stig blinzelte.
    Abhanden? Was hieß denn abhanden? Nicht tot? Er hatte ja mitbekommen, dass Alcantar in Vorossia ein ziemliches Massaker angestellt haben musste, aber nicht, dass er nicht dort vorgeführt worden war. Soweit seine Informationen besagten war der Kerl noch immer flüchtig und nicht… verschwunden.
    „Graf, wenn es Euch beliebt, Ihr oder euer Begleiter, der ehrenwerte Feldmarschall, seid besser informiert als ich; ich schenke euch deshalb meine verbliebene Redezeit, ihr habt das Wort."
    Der Hüne hinter dem Grafen verzog keine Miene. Dafür rückte sich die hagere Gestalt Ygors in Position, nachdem sämtliche Augenpaare auf ihn gerichtet waren. „Unsere Späher sind seit geraumer Zeit dem Gerücht eines Breachers nachgegangen. Es hatte sich nach einiger Zeit der Verdacht auf einen Mann Anfang Dreißig verhärtet, der als Söldner in den äußeren Bezirken unseres Landes tätig war. Als wir ihn dahingehend verhören wollten, flüchtete er. Die Beschreibungen, die wir zu ihm haben, passen eher auf einen Landsmann aus –„
    „Juniskär. Wissen wir“, warf Stig ruhig dazwischen und fing sich einen bösartigen Blick des Feldmarschalles. „Nur war er seit Jahrzehnten nicht mehr bei uns gemeldet. Er war ausgewandert bevor wir etwas wussten.“ Eine Lüge, aber das musste ja nun niemand wissen. Jeder Jarl hatte das Wissen um einen möglichen Breacher anders gehandhabt und als es interessant wurde, war Alcantar einfach verschwunden.
    Ygor musterte den amtierenden Jarl und entschied sich, nicht auf die Vorlage einzugehen. „Jedenfalls schickten wir einen Trupp aus fünfzig Mann ihm hinterher, von denen alle bis auf zwei ihr Leben ließen. Das war der eindeutige Beweis, dass es sich bei Alcantar um einen Breacher handeln muss. Dieser Fakt und der Verstoß gegen den Pazifismuspakt qualifizieren ihn für eine Auslieferung an unseren Hof. Nur ereignete sich ein… Vorfall bevor es soweit kam.“
    Schweigen breitete sich aus. Der Graf achtete tunlichst darauf, niemanden explizit anzusehen, doch er hegte bereits einen Verdacht, wer sich des Breachers bemächtigt haben konnte. Die Juniskär waren in seinen Augen zu minderbemittelt dafür. „Unsere Eskorte traf am Hof nie ein. Als wir zur Aufklärung Wachen entsandten, fanden sie den Wagen von der Straße gedrängt vor. Weder war von Alcantar eine Spur zu sehen, noch von unseren Leuten. Als hätte es sie gar nicht gegeben. Wir fanden keine Blutspuren, keine Rückstände von Magie. Und seitdem gilt Alcantar als verschwunden. Wir wissen nicht, wo er ist“, schloss der Graf und faltete seine dürren Hände oberhalb des Tisches.