Beiträge von Jehanne

    Die eisige Luft stach Samuel in die ohnehin schon gereizten und geröteten Augen, als er sich mit Puk und Figaro auf den Weg zu seiner spartanisch eingerichteten Behausung machte. Das Knirschen des Schnees unter seinen müden, ungewöhnlich schwerfälligen Schritten schaffte es fast, sämtliche anderen Geräusche der Stadt auszublenden. Sam speiste jeden, der ihm begegnete und mit ihm sprechen wollte, mit einem kurzen, rüden Nicken ab und verlor auch beim Anmelden seines neuen Claims nicht viele Worte. Der junge Musher bildete sich für sein Leben gerne ein, dass er über unerschöpfliche Energiereserven verfügte, doch besonders heute bewiesen ihm seine schmerzenden Glieder und seine wunde Haut wieder einmal das Gegenteil.

    Als er endlich an seinem Haus ankam, fühlte er die bleierne Müdigkeit, die sich seiner bemächtigte, umso deutlicher. Mühsam stieß er die hölzerne Tür auf und pfiff seine Hunde herbei. Auch, wenn er ihnen die Zeit auf seinem weitläufigen Grundstück gönnte, so wollte er die Vierbeiner jetzt in seiner Nähe haben. Zum einen, weil Thomkins nicht ganz Unrecht mit seinen Behauptungen hatte - Sam sah sich tatsächlich als Teil des Rudels. Und zum anderen, weil die Vierbeiner eine wohlige Wärme verströmten. Sam drückte schmerzerfüllt aufstöhnend seinen schmalen Rücken durch und entledigte sich dann seiner Kaninchenfellhandschuhe, sowie seiner Stiefel. Er streifte Robbenfelljacke und Hose ab und hängte sie neben seinem gusseisernen Zimmerofen, den er soeben angefacht hatte, zum Trocknen auf, während Puk seine Stiefel neben das schmale, eigentlich zu kleine Bett stellte. Der ängstliche Hermes wuselte ihm glücklich fiepend um die Beine und schlug ihm seinen verstümmelten Schwanz gegen ein knubbeliges Knie.
    “Gute Hunde!”, murmelte Samuel sanft und kraulte jedem der Vierbeiner kurz den massigen Kopf. Dann schlüpfte er aus seinem dicken, aber einfachen, wollweißen Leinenhemd und seiner braunen, etwas abgetragenen Hose, die er unter dem Robbenfell trug. Samuel zog sich seine Waschschüssel heran und unterzog sich einer schnellen, aber gründlichen Katzenwäsche, die ebenfalls seine Haare mit einbezog. Sie wirkte belebend auf seinen müden Geist, aber dennoch würde er heute sein Häuschen nicht mehr verlassen. Er musste sich auch körperlich regenerieren, um Mrs. Jenkins morgen gut unterrichten zu können. Der Pragmatiker in ihm hielt es für sinnvoll, sie zuerst im Mushen, dem Legen von Fallen und der Pflege seiner Hunde zu unterweisen. Sein innerer Zyniker war der Meinung, dass das sichere Bedienen einer Flinte oberste Priorität haben sollte - man wusste ja schließlich nie, welchen Bestien man in der Wildnis begegnete …

    Samuel seufzte, als er in den fast blinden, kleinen Spiegel sah und beschloss, den aussichtslos erscheinenden Kampf gegen seine trockene, wunde Haut fortzuführen, indem er sich eine fettige Creme um die Augen und auf die Hände schmierte. Nachdem er seine Hände gereinigt hatte, öffnete er seinen schiefen Kleiderschrank und griff sich ein neues Hemd und eine neue Hose.
    Mittlerweile fühlte er sich fast wieder menschlich. Satt, sauber und trocken. Sam griff nach einer seiner Öllampen und sinnierte darüber nach, ob er sich noch kurz an seinen hölzernen Schreibtisch setzen und einen Brief an seine Schwester Judith schreiben sollte. Doch er entschied, dass er dafür noch Zeit hatte. Sie hatte ihm erst geantwortet und ihm stolz berichtet, dass sie in einer Wollspinnerei Arbeit gefunden hatte und dort mittlerweile zu den fleißigsten Arbeiterinnen gehörte, was Sam mit Stolz und einer gewissen Genugtuung erfüllte. Judith war dabei von ihrem tyrannischen Vater unabhängig zu werden, genau wie er.
    Der Musher warf seinem schmalen Bett einen kurzen Blick zu, rümpfte die Nase und machte es sich schließlich auf dem dicken Teppich auf Karibufellen bequem, der in der Mitte des kleinen, aber sauberen Raumes lag. Seine Hunde gesellten sich um ihn herum, als er nach einer abgegriffenen Ausgabe von Shakespeares “Sommernachtstraum” griff. Es dauerte nicht lange, da zog ihn Morpheus auch schon in sein Reich. Sam schlief so reglos wie ein Toter, seine Atemzüge tief und gleichmäßig, nur von einem gelegentlichen Husten unterbrochen, der ihn zu dieser Jahreszeit oft quälte. Amarok hatte sich als Stütze unter seinen Kopf gelegt, während der weiße, stets freundliche Zephyr seinen Kopf auf seiner Brust abgelegt hatte und seine beiden Hündinnen, Vila und Eos, es sich an seiner Seite bequem gemacht hatten. Geri, der immer Hunger hatte, suchte in seinen Manteltaschen nach Futter, während Figaro sich etwas abseits der ganzen Meute zum Schlafen legte und Hermes sich wärmend zu seinen, in dicke Wollsocken gepackten Füßen, niederließ. Puk jedoch positionierte sich in der Nähe der Fenster und spähte in die Dunkelheit, die sich mit dem Ende des Tages über Dawson City herabsenkte.

    *

    Am nächsten Morgen stand Samuel in aller Herrgottsfrühe auf. Nachdem er seine Hunde gefüttert hatte, genehmigte er sich ein karges Frühstück, bestehend aus Brot und Hartkäse, das er mit etwas Wasser herunterspülte. Und dann wurde es auch schon Zeit, seine treuen Vierbeiner anzuschirren. Eigentlich hatte er gehofft, dies in aller Ruhe vor seiner Haustür tun zu können, da sein Haus etwas außerhalb der Stadt lag - doch das Glück war ihm natürlich nicht hold. Mrs. Williams, die Frau des Bürgermeisters, trippelte in einen eleganten Pelzmantel gehüllt, die verschneite Straße entlang. Die ältere Dame hatte die Angewohnheit, ihre Nase stets in die Angelegenheiten anderer Leute zu stecken und liebte es, über das Leben anderer zu urteilen. Für sie mussten all jene, die nicht ihrem engstirnigen Weltbild entsprachen, gemaßregelt und zurechtgebogen werden. So auch Samuel.
    “Ah, Mr. Corning!”, grüßte sie ihn auch sogleich, als sie sich mit ihm auf Augenhöhe befand. Naserümpfend warf sie einen verurteilenden Blick auf Puk, der sich in seinem Geschirr verheddert hatte und dabei offenbar den größten Spaß seines Lebens empfand.
    “Wie ich sehe, brechen Sie schon wieder auf? Alleine?”, fragte sie, während sie ihn aus großen, blauen Augen ansah, die Unschuld heuchelten, wo keine war. Samuel beschloss, sie zu ignorieren, solange es ging und befreite Puk aus seiner Misere.
    “Wissen Sie, ein Mann Ihres Alters sollte nicht so viel allein sein, noch dazu da draußen in der Wildnis!”
    Sie lachte künstlich auf und fuhr in ihrer Maßregelung fort: “Warum lassen Sie sich nicht endlich nieder und suchen sich ein nettes, häusliches Mädchen? Sie haben so viel Gold gefunden, Sie könnten ohne Probleme heiraten und eine Familie haben! Gönnen Sie sich doch mal eine Pause.”
    Samuel verdrehte die Augen. Dieses Thema schon wieder … Er schwang sich auf seinen Schlitten und warf Mrs. Williams einen boshaften Blick zu, der dem von Puk in nichts nachstand. Der junge Goldsucher wusste genau, dass sie und ihr Mann ihm am liebsten sämtliches Gold abknöpfen wollten, damit sie ihr luxuriöses Leben noch ausschweifender gestalten konnten. Es passte ihnen nicht, dass er lieber in Schulen und Krankenhäuser für jene investierte, die sich ohnehin kaum die Kleidung leisten konnten, die sie am Leibe trugen. Und der einfachste Weg, um ihn gefügig zu machen, schienen in ihren Augen die Fesseln einer Ehe zu sein. Samuel wurde allein bei dem Gedanken daran schon unbehaglich.

    “Mrs. Williams”, nuschelte er undeutlich, während er sich den Schal über Mund und Nase wickelte und die Kapuze um seinen Kopf herum festzurrte.
    “Warum wollen Sie ausgerechnet mich einem zarten, jungen Ding zumuten? Ich hätte Sie für umsichtiger gehalten, was ihre Sorge um die holde Weiblichkeit dieser Stadt anbelangt - insbesondere, da sie selbst zwei Töchter haben.”
    Bevor Mrs. Williams ihren Mund empört aufklappen konnte, brauste er mit seinem Schlitten davon. Seine eigentlich ganz gute Laune war verflogen. Während des Frühstücks hatte er sich sogar darauf gefreut, Mrs. Jenkins zu treffen und ihr das Schießen beizubringen. Doch dass jeder hier seine Meinung zu ihm und der Art und Weise, wie er sein Leben gestaltete, entweder hinter seinem Rücken oder dreist direkt kundtun musste, setzte ihm, entgegen der landläufigen Meinung, zu. Mit finsterem Blick fuhr er auf schnellstem Wege zum Red Tree Hotel. Schnee stob um ihn herum auf und verlieh sowohl seinen Hunden, als auch ihm einen wilden, majestätisch-frostigen Glanz, als er vor dem Hotel ankam und das Gespann durch ein langgezogenes “Whoaah!” zum Stehen brachte. Amarok und Zephyr kamen seinem Befehl sofort nach. Gut gefüttert und kräftig hielten sie knapp vor Mrs. Jenkins an, die - sehr zu Samuels Missfallen - von den Töchtern des Bürgermeisters umringt war. Die brünette Mary rümpfte bei seinem Anblick die Nase noch mehr. Anscheinend war sie von Mrs. Jenkins schon nicht angetan, doch seine Anwesenheit schien sie noch weiter zu irritieren. Sam verstand wahrlich nicht, wie die Bewohner Dawson Citys Puk noch für einen Dämon halten konnten, sobald sie die ältere der Bürgermeister-Töchter kennengelernt hatten …
    “Miss und Miss Williams … Mrs. Jenkins …”, grüßte er frostig, als er von dem Schlitten abstieg und sich den Schnee von der Kleidung klopfte. Wenigstens hatte die Salbe seine Hautbeschwerden über Nacht etwas gelindert …

    “Guten Morgen, Mr. Corning!”, grüßte ihn Rachel mit einem strahlenden Lächeln und einem formvollendeten Knicks, während ihre Schwester sich demonstrativ ihren teuren Muff vor die Nase hielt und hüstelte, so als würde er übel riechen.
    “Ich habe mich gerade ein wenig mit Mrs. Jenkins hier unterhalten. Wissen Sie, sie kam mir ein bisschen verloren vor, wie sie hier vor dem Hotel stand und da dachte ich mir … vielleicht tut ihr Gesellschaft ja gut!”
    Die jüngere Tochter des Bürgermeisters steckte sich eine erdbeerblonde Locke, die aus ihrem eleganten, weißen Fellmützchen entwischt war, hinter die Ohren und drehte sich nach Mrs. Jenkins um.
    “Werden Sie mit ihm auf Goldsuche gehen? Dann brauchen Sie bessere Handschuhe, Ihre sind etwas löchrig. Ich könnte Ihnen meine …”. setzte sie ihren fröhlich-enthusiastischen Wortschwall fort, nur um mahnend von ihrer Schwester unterbrochen zu werden.
    Rachel …”
    “Ich bin sicher, dass Mrs. Jenkins ihre Kleidung sorgfältig ausgewählt hat. Und jetzt entschuldigt uns, die Damen …”, meldete sich Samuel diplomatisch, aber knapp zu Wort, während er in Richtung seines Schlittens gestikulierte. Es wäre wohl besser, wenn Mrs. Jenkins aufstieg und sie mit ihrem Training beginnen konnten. Samuel hatte für seinen Geschmack heute bereits zu viele Mitglieder der Bürgermeisterfamilie getroffen. Und er war nicht darauf erpicht, zusätzlich auch noch dem Anstandswauwau der jungen Damen über den Weg zu laufen, dem sie bestimmt entwischt waren.

    Wäre er weniger von Trotz, Stolz und einem allgemeinen Misstrauen gegenüber Menschen beseelt, er würde wohl versuchen, sich mit dem Bürgermeister und seiner Familie gut zu stellen. Doch Mary ließ jeden spüren, dass sie glaubte, er stünde weit, weit unter ihr. Und Rachel … Rachel passte einfach nicht ins Bild. Manchmal tat sie ihm sogar ein bisschen leid, wenn sie in ihren hübschen Kleidern durch die Stadt flanierte, aber dank ihres hilfsbereiten und naiven Charakter weder in der Oberschicht, noch bei den Arbeitern Anschluss fand. Vielleicht lag es auch an ihrer zarten Konstitution und ihrer schwachen Gesundheit, wer wusste das schon.

    “Kommen Sie”, sagte er leise zu Mrs. Jenkins. “Ich denke, Sie können Ihre … Unterhaltung an einem anderen Tage fortführen.” Insgeheim nahm er an, dass ihr seine Unterbrechung Recht kam.
    “Stellen Sie sich vor mich und halten Sie sich an der Stange vor sich fest!” Samuel wies auf die Handlebar. Die Hunde würde er Mrs. Jenkins später vorstellen. Jetzt war ihm erst einmal daran gelegen, zu seinem Grundstück zu gelangen und damit außer Reichweite neugieriger Augen und Ohren.
    “Viel Erfolg!”, rief ihnen Rachel zu, während sie sich ihre ovale, silbern glänzende Brille zurechtrückte. Sam quittierte dies mit einem knappen Kopfnicken, ehe er selbst auf den Schlitten stieg und seinem Gespann das Kommando zum Laufen gab.

    Basileus mahnende Worte fachten die trotzige Rebellion, die Thure seit Kindertagen in seinem Herzen trug, wieder an. Wie oft hatte er dieselben Worte aus Gismelas Mund gehört, wie oft hatten die Gelehrten und sogenannten weisen Männer des Dorfes ihnen eingeschärft, dass es unter schweren Strafen verboten war, zur Sommersonnenwende den Wald zu betreten? Und das, obwohl dies ihre einzige Chance sein würde, das verfluchte Dorf ein für allemal zu verlassen?
    Thure ahnte schon lange, dass die Verbote der Dorfältesten vollkommen eigennützig waren und nicht dem Schutz der Bevölkerung dienten. Sie wollten lediglich verhindern, dass sich die Menschen aus ihrem Einflussbereich entfernten und das Dorf somit langsam ausstarb. Doch warum dies so war - das hatte sich Thure in all den Jahren noch immer nicht erschlossen. Warum wäre es so schrecklich, wenn sie alle die Durchquerung des Waldes während der Sommersonnenwende wagen würden, um irgendwo anders einen Neuanfang haben zu können? Fernab von Angst, Trauer und Leid. Niemand in diesem Dorf lebte tatsächlich. Sie existierten nur noch. Bleiche, bei jedem Geräusch zusammenzuckende Schatten, die mit gesenktem Kopf und auf leisen Sohlen durch die Gassen huschten und sich noch nicht einmal im Schutz ihrer Häuser sicher fühlten. Auch die Ältesten waren nicht glücklich, davon war Thure überzeugt. Vielleicht hatte der Hunger nach Macht, nach Kontrolle sie letztendlich so sehr korrumpiert, dass ihr einziges Lebensziel nun darin bestand, die übrigen Dorfbewohner zu unterjochen. Ja, vielleicht konnten sie sich ein anderes, ein schöneres Leben gar nicht mehr vorstellen …

    Während der Jäger vor sich hinbrütete, vergaß er allmählich seine anfängliche Wut aufgrund Basileus’ Bitte. Der Nachtmahr war ihm - so paradox dies auch klingen mochte - freundlicher gesinnt, als die Dorfältesten. Er bat ihn vermutlich nicht um dieses Versprechen, um ihn beherrschen zu können, sondern weil ihm an seiner Sicherheit gelegen war. Weil er irgendetwas wusste, wovon Thure keinen leisen Schimmer hatte …
    Thure stützte seinen Kopf in die großen, von Schwielen und Narben übersäten Hände und atmete tief ein und wieder aus. Er bedachte Basileus, der heute um so vieles menschlicher, fast schon verletzlich wirkte mit einem nachdenklichen Blick aus seinen stets von Melancholie heimgesuchten Augen und sagte leise: “Ich weiß aber auch, dass die Sommersonnenwende der einzige Zeitpunkt ist, an dem es möglich wäre, den Wald zu durchqueren und ich verstehe nicht, warum unsere Ältesten so vehement dagegen sind. Warum es nicht …”, begann er seine übliche Tirade, die auch Gismela und Ragund bereits zu hören bekommen hatten, doch dann hielt er inne. Er senkte den Kopf, seufzte tief und kraulte Créon, der den Nachtmahr noch immer wachsam beäugte, gedankenverloren den mächtigen Kopf.

    “Ja, ich weiß, dass diese Zeit einen besonderen Einfluss auf die Nachtmahre hat und somit auch auf dich. Doch du bist … du bist menschlicher, als du glaubst und dann bist du es auch wieder nicht!”

    Thure schob Créons Kopf, der leise protestierend fiepte, sanft von seinem Schoß und wandte sich dem Nachtmahr vollständig zu. Sein Kopf schmerzte und brummte, als er es sich erlaubte, die Ketten, die er täglich um seinen Verstand winden musste, um nicht ständig von den Dorfbewohnern geschnitten zu werden, etwas zu lockern. Basileus würde ihn für seine Gedanken vielleicht auslachen oder beißen - aber er würde ihm sonst nichts antun, davon war der Jäger überzeugt.
    Menschlich sein, bedeutet nicht nur, zu großer Güte, guten Taten, zum Schaffen von Kultur, Kunst und Musik fähig zu sein. Ein Mensch zu sein heißt nicht, dass man stets liebevoll ist und nur das Beste will. Ich bin mir sicher, dass ich Menschen kenne, die im Vergleich zu dir ein Monster sind, an dessen Grausamkeit du nicht nur im Entferntesten heranreichen könntest, Basileus!”, begann er seine kleine Rede, während der er, wie um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, mit den Armen gestikulierte.
    “Ich habe gesehen, wie Dorfbewohner auf dem Marktplatz gerädert wurden, weil sie an die falschen Götter glaubten. Wie sie dem Feuer übergeben wurden. Wie man sie, gezeichnet von ausgeklügeleter, grauenhafter Folter an den Pranger gestellt hat. Die Menschen, die dies getan hatten, haben sich an ihren Taten ergötzt. Tust du das, Basileus? Oder die anderen Nachtmahre oder die übrigen Tiere des Waldes? Ich wage es, dies zu bezweifeln!”

    Thure hielt inne und sah den Nachtmahr mit leuchtenden Augen an, das kleine Büchlein noch immer in seinen Händen. Er hatte gesehen, dass Menschen um so vieles monströser sein konnten, als jedes Tier dieses Waldes. Dass sie ihre Gräueltaten bewusst und mit Freude begingen, was eine Sache war, die kein Tier - und vielleicht auch kein Nachtmahr - vermochte.
    Der Jäger ließ seinen Blick über die dunkler werdenden Ruinen schweifen, sog den Duft der Wildblumen ein und lauschte seinem schnell schlagenden Herzen, das allmählich wieder ruhiger wurde. Er rutschte eine Stufe tiefer, was Créon zu einem warnenden Knurren veranlasste, da er sich somit auch näher zu dem Nachtmahr gesellte. Thure räusperte sich, schlang die Arme um seine Knie und seufzte schicksalsergeben: “Nun gut … ich werde der Verlockung widerstehen und den Wald morgen nicht betreten, wie du es wünschst. Ich werde … versuchen, den Feierlichkeiten beizuwohnen. Aber nun … will ich dir vorlesen.”
    Thure schlug das in brüchiges Leder gebundene Buch auf, beugte sich darüber und begann zu lesen. Er hatte Lesen und Schreiben gelernt, aber seine Magister hatten sich nie viel Mühe mit ihm gegeben, weswegen er sich manchmal noch immer schwer tat. Wenn er, ohne sich vorher vorbereiten zu können, lesen sollte, so geschah dies meist stockend und unsicher. Doch der Jäger hatte in der Stille seiner kargen Hütte bereits etwas Vorarbeit geleistet. Nun kam ihm sein gutes Gedächtnis zugute.

    “Hier steht: Der … der Fluch der Perspektive: Der Fluch der Perspektive ist ein sehr alter Fluch und hatte seine Ursprünge bereits in antiken Götterkulten. Üblicherweise braucht es mehrere Priester, um ihn aussprechen zu können. Er sorgt dafür, dass sich das Opfer nach und nach in eine viehische Abscheulichkeit verwandelt, deren feuriger Odem es vermag jeden, der ihr zu nahe tritt, zu versengen. Sie besitzt weder mit einem gewöhnlichen Tier, noch einem Mensch Ähnlichkeit. Es ist ein langsam einsetzender Fluch, der den Betroffenen Stück für Stück verwandelt. Üblicherweise beginnt er in den Extremitäten und setzt sich dann durch den gesamten Körper fort. Der Prozess ist sehr schmerzhaft und mit der Zeit büßt der Betroffene neben seinem menschlichen Äußeren auch seinen Verstand mit ein …”

    Thure hielt inne und fuhr sich durch seinen gestutzt Bart: “Hier fehlen ein paar Seiten und ich vermute, dass es sich dabei sogar um die Fluchformel handeln könnte oder weitere Zutaten, die benötigt werden. Das Buch ist alt, aber der Fluch muss noch um ein Vielfaches älter sein, wenn das Buch ihn so … sachlich beschreibt. Es klingt fast wie eine Anleitung, Ich weiß nicht, ob dir das helfen kann oder ob es sich ganz genau um deinen Fluch handelt. Aber ich nehme an, dass du gezielt verflucht wurdest und es mehrere Menschen auf dich abgesehen hatten. Menschen mit Macht, Wissen und Einfluss …”

    Mrs Jenkins zog sich den von ihm angebotenen Stuhl heran, schenkte ihm ihre volle Aufmerksamkeit und hörte zu - und sie tat es, ohne ihn zu unterbrechen. Samuel entspannte sich zum ersten Mal tatsächlich. Sein Gesicht wurde weicher und sein Blick sanfter, weniger misstrauisch und bohrend, als er seinen Teller und seine Tasse von sich schob. Die junge Frau schien nicht nur robust und bodenständig zu sein, sondern auch höflich. Zu viele hatten ihn bereits in seinen Ausführungen unterbrochen und wollten von den Gefahren, die ihnen bevorstehen, nichts wissen. Mrs. Jenkins wirkte etwas angespannt und unsicher, aber dennoch nach wie vor entschlossen, ihn zu begleiten, was Samuel insgeheim imponierte. Sie war vernünftig und sich der Herausforderungen bewusst, doch trotzdem entschlossen, sich nicht abschrecken zu lassen. Mrs. Jenkins würde ihr Ziel nicht aus den Augen verlieren, aber sie war keine Traumtänzerin.

    Der Musher lauschte nun seinerseits ihren Worten. Er hatte bereits geahnt, dass die junge Frau vermutlich aus einem ähnlichen sozialen Milieu stammen musste, wie er. Ihre Kleidung verriet dies und nun auch ihre Erzählungen. Mrs. Jenkins war harte Arbeit gewohnt und sie war offenkundig nicht zimperlich. Sie würde ihm draußen in der Wildnis sicherlich von Nutzen sein, mehr als jene Gecken, die bereits reich waren und trotzdem hier aufkreuzten, nur, um alles zu verlieren.

    “Sie scheinen wahrhaftig über ihr Vorhaben lange und gründlich nachgedacht zu haben, nicht wahr?”, sinnierte er, während er Figaro, der es sich jaulend auf seinem Schoß bequem machen wollte, mit sanfter Gewalt wieder zurück auf den schmutzigen Boden der River Rats Bar schubste.
    “Bleib!”, befahl er dem dreifarbigen Husky, der nun Mrs. Jenkins geradezu mitleidheischend anstarrte und fiepte. Sam schnaubte belustigt, knuffte ihn in die pelzige Schulter und fuhr sich über seine wunden Augen. Himmel, er war furchtbar müde, trotz des starken Kaffees und er hoffte wirklich, dass seine Erschöpfung nicht sein Urteilsvermögen trübte. Denn er hatte gerade so eben beschlossen, Mrs. Jenkins mitzunehmen. Samuel unterdrückte mit Mühe ein Gähnen und musterte die ihm dargebotene Hand aus glasigen Augen. Ein paar Schnitte, einige Schwielen. Robuste Arbeiterhände, die mit anpacken konnten und es auch tun würden. Seine eigenen Hände wirkten im Vergleich geradezu grotesk, fand er. Lange, schmale Finger, geradezu feingliedrige Pianistenhände, sah man von seinen eigenen Verletzungen und Schwielen ab, sowie der trockenen, rissigen Haut. Leider hatte er nie die Gelegenheit gehabt, wirklich ein Instrument zu lernen - außer seiner Mundharmonika. Er schlug ein und umfasste ihre Hand kurz mit sanftem Druck, ehe er sie genauso schnell wieder losließ.

    “Fein … ich werde Ihnen eine Chance geben. Ich nehme an, Sie haben sich in einem der Hotels hier eingemietet? Verraten Sie mir welches und ich hole Sie morgen früh um sieben dort ab! Ich besitze ein weitläufiges Grundstück hier in Dawson City und werde Sie so das Schießen lehren können. Und ich denke …”
    Er schenkte ihr ein hintergründiges Lächeln in dem eine Spur von Jungenhaftigkeit lag und packte Puk im Nackenfell, der den Wirt, der heraneilte, um Samuels Teller und seine Tasse mitzunehmen mit boshaftem Blick und hochgezogenen Lefzen bedachte: “… so können Sie auch Einblicke in das Mushen erhalten. Mein Schlitten ist klein und leicht, aber er wird von acht Hunden gezogen. Und sie alle haben ihre eigene … Persönlichkeit.”
    Sam bedachte sie mit einem ruhigen, abgeklärten Blick. Ihre Fronten waren nun geklärt. Er winkte Richard mit einer knappen, etwas herrisch wirkenden Handbewegung heran, um seine Mahlzeit zu bezahlen und ihm gleichzeitig ein durchaus üppiges Trinkgeld zu spendieren.
    “Falls Sie keine weiteren Fragen mehr haben, werde ich mich zurückziehen. Sollten Sie hier noch etwas essen oder trinken wollen, fühlen Sie sich frei, dies zu tun und sehen Sie es als bezahlt an.”
    Mit diesen Worten schlüpfte Samuel in seine Robbenfelljacke, tippte sich an eine imaginäre Hutkrempe und warf Mrs. Jenkins noch einen kurzen Blick zu, bevor er mit seinen Hunden im Schlepptau die Bar verließ. Die Müdigkeit brachte Samuel dazu, beim Gehen etwas zu wanken. Wer ihn nicht kannte, könnte ihn glatt für einen der Säufer halten, die die Bar umgeben von Zigarrenrauch und einem penetranten Geruch nach Alkohol heimsuchten.

    Er würde sich nun seine wohlverdiente Mütze Schlaf holen und morgen sehen, was der Tag brachte. Es juckte ihm bereits in den Fingern, erneut auf Goldsuche zu gehen und den Chilkoot Pass zu bezwingen. Und es erfüllt ihn mit einer Art kribbeligen Vorfreude, dieses Mal eine vielleicht kompetente Partnerin an seiner Seite zu wissen.

    Ferit entfuhr ein amüsiertes Schnauben, als Gareth ihm die Tür des Taxis aufhielt. Er stieß sich prompt den Kopf beim Einsteigen und ließ sich ungelenk auf die Rückbank fallen, während er sich noch immer etwas verkrampft an der glänzenden Broschüre festklammerte. Was der Zirkusartist sagte, klang einleuchtend und ging gleichzeitig doch gegen alles, was er bislang in seinem Leben gelernt hatte. Er seufzte, ließ die Broschüre sinken und lehnte seinen brummenden Kopf an Gareths Schulter. Sein Misstrauen, das er gerne jedem gegenüber zeigte, den er nicht ganz genau kannte, war nicht ganz verschwunden - es war vielmehr so, dass er bei Gareth von Anfang an nicht das beklemmende Gefühl gehabt hatte, übermäßig vorsichtig sein zu müssen, bei allem, was er sagte oder tat. Der junge Mann hatte ihm nie das Gefühl gegeben, in irgendeiner Form unerwünscht zu sein oder dass er plötzlich aufgrund seines Namens, seines Aussehens mit vorurteilsbehafteten Beurteilungen und bohrenden Fragen würde kämpfen müssen.

    “Wahrscheinlich hast du Recht”, räumte Ferit ein, während er gedankenverloren nach Gareths Haaren griff und eine der weichen, feinen Strähnen sanft durch seine Finger gleiten ließ.
    “Also … dann sage ich, ich spring’ und du springst mit, ja? Und wir hoffen gemeinsam, dass uns das Schicksal auffängt - was auch immer dieses Schicksal sein soll.”
    Er drehte den Kopf ein wenig, um Gareth ins Gesicht sehen zu können. Hinter ihm blitzten und blinkten Las Vegas’ Neonreklamen, während der Taxifahrer sie sicher durch die nächtliche Stadt chauffierte.
    “Ich frage besser gar nicht wegen der Hexen, die du kennst, oder? Aber … welche Comics sammelst du? Nicht, dass ich mich damit auskennen würde …”
    Ferit löste seine Finger aus Gareths Haaren und ließ seine Hand langsam sinken, so, als ob sie gerade ohne sein Zutun gehandelt hätte. Er starrte die im Neonlicht glänzenden Strähnen noch eine kleine Weile an, schluckte schwer und war versucht, sich mit brennenden Wangen abzuwenden. Doch im Endeffekt entschied er sich dafür, Gareths verschmitzten Blick standzuhalten. Er grinste, erhob mahnend einen Zeigefinger und fuchtelte damit vor Gars Nase herum: “Hey, das ist kein Krach, das ist Kunst. Und ich bin bereit, es krachen zu lassen. Ich soll doch springen und mein Schicksal herausfordern, oder?”
    Das Taxi kam mit einem kleinen Ruck zum Stehen, der Ferit aus seiner Trance herausriss. Er wandte sich kurz von seinem neuen Freund ab und kramte seine Kreditkarte hervor, um den Betrag auf dem Taxameter zu bezahlen.
    “Danke, Kutscher! Sattel die Pferde!”, verabschiedete er sich winkend und schwankend von dem Fahrer, der ihnen mit einem nachsichtigen Kopfschütteln viel Spaß wünschte. Ferit griff sogleich wieder nach Gareths Hand und zog ihn in Richtung des “Triple Down”.

    “Das Museum hat leider schon geschlossen”, murmelte er undeutlich und reihte sich mit Gar in die Schlange vor dem Club ein.
    “Du bist übrigens auch ziemlich großartig - aber das weißt du, oder?”, fragte er ihn mit einem treuherzigen Funkeln in den Augen. Die kleine Menschenmenge vor ihnen setzte sich aufgeregt schnatternd in Bewegung und Ferit bewunderte die kunstvoll aufgestellten, bunten Haarzacken der Dame vor ihm, sowie die Nieten, die sie in ihrer Lederjacke trug. Einmal mehr kam er sich underdressed vor - aber immerhin fiel er farblich nicht aus der Reihe. Er lehnte sich gegen Gars Schulter, musterte das Gebäude, das auf kunstvolle Art etwas heruntergekommen wirkte und schlug vor: “Wenn du mir noch einen schrecklich süßen Cocktail besorgst, blamiere ich mich beim Tanzen, okay? Extra für dich, weil du …”
    Ferit sah Gareth tief in die Augen und fuhr fort: “ … schöne Augen und weiche Haare hast. Oder du lässt mich an deiner großen Weisheit und deiner … hmm … deiner Welterfahrung teilnehmen und zeigst mir, wie das geht - ganz ohne Zaubertricks.”
    Die Schlange setzte sich erneut in Bewegung und Ferit schlenderte entspannt mit. Allmählich begann er, Gareth zu glauben. Vielleicht waren sie zusammen unbesiegbar und keiner würde ihnen Grenzen aufzeigen oder mit ihnen mithalten können. Und vielleicht, nur vielleicht … würde es für ihn nicht in einer Katastrophe enden, wenn er seinen Begleiter weiter versuchte, so subtil wie eine Dampfwalze anzuflirten. Denn das war es, was er gerade versuchte. Und solange er sich weiterhin schön luftig leicht fühlte, bereit, alles, was ihn einschränkte, über Bord zu werfen, würde er sich dessen nicht schämen müssen.

    Der Wald wurde, seit er denken konnte, stets als Ort der Finsternis und des Unheils wahrgenommen. Niemand betrat ihn gerne und die Dorfbewohner musterten die dunklen Baumwipfel selbst aus der Sicherheit ihrer Häuser heraus mit Argwohn, zuckten beim leisesten Keckern und Kreischen, das zwischen den Ästen hervordrang, zusammen.
    Doch Thure fühlte einen eigentümlichen Frieden, als er Basileus auf leisen Sohlen folgte, während Créon den Nachtmahr noch immer misstrauisch beäugte und seine lange Schnauze schnüffelnd in den Wind hielt.
    Natürlich hatte sich sein Herzschlag für einen kurzen Moment beschleunigt, als der Mahr sich zu ihm herabbeugte, um ihn zu wittern. Doch die schiere Todesangst, der er zuvor verspürt hatte, war einer wohlgesinnten Wachsamkeit gewichen. Der Jäger wusste, dass Basileus auf seine Art durchaus gefährlich war, dass er ihm mit einem schnellen, gezielten Biss, wenn er es wollte, das Genick brechen konnte. Doch er wollte daran glauben, dass dies nicht geschehen würde.

    “Meinem Arm geht es besser. Ich habe ihn so schnell ich konnte verbunden. Du hast mir keinen größeren Schaden zugefügt. Siehst du, er lässt sich wieder bewegen”, sagte er leise, mit einem nachsichtigen Blick auf den Mahr. Thure bewegte seinen Arm kurz demonstrativ hin und her, beugte und streckte ihn und legte Créon eine Hand auf den zottigen Kopf, während er Basileus genauer betrachtete.
    “Du siehst verändert aus. Schmaler, weniger Fell … Die meisten kleinen Mahre ähneln wieder mehr den Tieren, die sie einst waren”, stellte er sachlich fest, während er den Blick durch den dunkler werdenden Wald schweifen ließ. Die untergehende Sonne tauchte alles in ein feuriges Rot und die Ruinen, denen sie sich immer weiter näherten, sahen aus, als wären sie aus einer anderen Welt. Gismela würde wohl glauben, dass die rot gefluteten Fenster und Innenhöfe nichts weiter als Tore zur Hölle darstellen, doch Thure fand, dass dem Ganzen ein gewisser Zauber innelag. Die Ruinen strahlten eine Wärme aus, die er in seinem Dorf oft sehnlichst vermisste.

    Thure lief aufgeregt an Basileus vorbei, in seinen sonst oft melancholisch blickenden, braunen Augen einen kindlich neugierigen Glanz.
    “Ich habe als Kind so oft Geschichten über die alten Burgen und Schlösser gelesen … über die Könige, die hier einst lebten. Dafür bekam ich ziemlich oft auf die Finger geklopft!”
    Thure lachte auf, der Klang irgendwo zwischen heiter und erbittertem Rebellentum.
    “Kennst du denn Geschichten?”, fragte er an Basileus gewandt, während er in den lichtdurchfluteten Innenhof schritt. Efeuranken bedeckten Zinnen und Türme und für eine Ruine war das Schloss erstaunlich gut erhalten. Der Jäger setzte sich auf ein paar moosbewachsene Treppenstufen und kramte ein altes, in Leder gebundenes Buch aus seiner Tasche hervor, sowie ein paar in Stoff gewickelte Erdbeeren und Brombeeren, die er Basileus einladend unter die knochige Nase hielt. Seinen Bogen hatte Thure neben sich abgelegt, ebenso seinen Köcher. Er wusste, dass er leichtsinnig wirken musste, so, als ob er sich für unbesiegbar hielt, obwohl der Wald noch immer vor Gefahren strotzte und der Herr der Nachtmahre direkt neben ihm stand. Doch tatsächlich hatte Thure in seinem Leben eine Lektion sehr schnell gelernt: Wenn Menschen ihm zeigten, wer sie waren, egal, ob im positiven oder negativen Sinne, so sollte er ihnen glauben. Und Basileus hatte ihm, trotz seines Fluches, Gnade gezeigt. Thure hatte jeden Grund, stets wachsam und vorsichtig zu sein - aber er musste nicht zwingend annehmen, dass der Nachtmahr wirklich nichts weiter als ein Monster war.

    “Ich habe bereits gejagt, aber es ist immer besser, mein Messer und meinen Bogen mitzuführen - auch wenn ich durch deine Anwesenheit einen gewissen Schutz hier habe.”
    Der Jäger stopfte sich eine Beere in den Mund und schlug das Buch, das beinahe auseinanderfiel, auf, während Créon seinen massigen Kopf in seinen Schoß legte und Basileus argwöhnisch anstarrte:
    “Du kannst dich vermutlich immer noch nicht an dein altes Leben erinnern, aber ich denke, wir können annehmen, dass du ein Mensch warst … bist. Und dass dich jemand deines Menschseins beraubt hat. Hier könnten wir ansetzen.”
    Er warf Basileus einen fragenden Blick zu, während er seine Beeren langsam zerkaute und blätterte. In einem anderen Leben wäre er vielleicht gar kein Jäger geworden. Die Dorfbewohner vergaßen es gerne, aber Thure kam ursprünglich aus einer wohlhabenden Familie, die erst durch seine Geburt ihr Ansehen eingebüßt hatte. Hätte er mehr Möglichkeiten gehabt, wer weiß, aus ihm wäre vielleicht ein guter Magister geworden.

    Mrs. Jenkins, so schien es Samuel, war zumindest besser vorbereitet, als der Großteil jener, die in Dawson strandeten und erwarteten, dass das Gold einfach so vom Himmel fiel. Was sie sagte, hatte Hand und Fuß und auch ihre Überlegung, sich mit ihm ins Abenteuer zu stürzen, war durchaus klug. Viel zu viele Neuankömmlinge waren geradezu arrogant, lehnten jeden Rat der erfahrenen Goldsucher ab und mussten die Erfahrung machen, dass ihnen auf halber Strecke ihre Leithunde erfroren oder dass sie die Schneeschmelze im Frühjahr völlig unterschätzt hatten. Auch, dass sie es ganz offensichtlich unversehrt von Skagway nach Dawson geschafft hatte - anscheinend alleine - zeugte davon, dass sie kein naives, kleines Mädchen war und gut für sich selbst sorgen konnte. Weder der Chilkoot noch der White Pass waren leicht zu bezwingen.
    Er lehnte sich mit verschränkten Armen zurück und lauschte ihrem kleinen Vortrag, ohne sie zu unterbrechen. Während sie erzählte, nahm Sam es sich heraus, die junge Frau noch etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Ihre Mimik und Gestik verrieten, dass sie an sich selbst glaubte, praktisch gar keine Möglichkeit sah, dass ihr Vorhaben, ihn anzuwerben in irgendeiner Form scheitern könnte. Sie fixierte ihn mit einem festen Blick aus dunklen Augen, wich seinem eisigen Starren niemals aus. Mrs. Jenkins bemühte sich darum, mit ihm eine Verhandlung auf Augenhöhe zu führen und Sam fragte sich, ob sie schon immer hatte kämpfen müssen oder ob ihr Mann vielleicht freundlich und fortschrittlich genug war, seine Frau in dem, was sie tat, stets zu bestärken. Immerhin hatte sie wohl seine Erlaubnis, die weite Reise nach Alaska auf sich zu nehmen …

    Ein kleines Leuchten stahl sich in seine graublauen Augen und ein verhaltenes Lächeln zupfte an seinen Mundwinkeln, als sie ihm anbot, ihn in spanisch und irisch zu unterrichten oder ihm Gesellschaftsspiele beizubringen. Für einen kurzen Moment brach der kleine, neugierige, wilde Junge in ihm hervor, der immer lernen wollte und doch nie die Gelegenheit dazu hatte, weil er sich mit den Straßenhunden um das letzte Bisschen Essen streiten musste. Doch der kurze Moment der Schwäche war so schnell wieder vergangen, wie er gekommen war. Mit stoischer Miene hörte der Musher sich ihren Vortrag zu Ende an. Und dann sagte er eine kleine Weile gar nichts. Stattdessen schob er ihr mit seinem tropfenden Stiefel den wackeligen Holzstuhl zurück, der bislang unbesetzt an seinem Tisch gestanden hatte und legte das Messer sorgfältig auf den Tisch vor sich.

    Wenn Sam ganz ehrlich zu sich selbst war, war er offen dafür, Mrs. Jenkins mitzunehmen. Dass sie anpacken konnte, glaubte er ihr und dass sie von vornherein einen Plan gehabt hatte und nicht einfach losgestürmt war, war ihm sympathisch. Auch, dass sie sich Gedanken darum gemacht hatte, wie sie ihn für seine Hilfe bezahlen konnte, mochte er. Dennoch … egal, wie hart ein Mensch arbeiten konnte, egal, wie entschlossen er war - die eisige Wildnis Alaskas zwang gestandene Männer in die Knie, ließ sie an Wahnvorstellungen und Schlimmerem leiden. Für ihr so sorgfältig geplantes Unterfangen brauchte sie nicht nur einen starken Willen und einen beeindruckenden Sturkopf. Hierfür war der Wille vonnöten, quälenden Naturgewalten zu trotzen, aber auch bedingungslos vertrauen zu können. Und damit hatten die meisten Menschen - ihn selbst eingeschlossen - erhebliche Probleme.

    Samuel kaute ein wenig auf seiner spröden Unterlippe herum, so lange, bis er Blut schmeckte. Eine alte, schlechte Angewohnheit von ihm, aber sie half ihm dabei, seine Gedanken zu sortieren.
    “Mrs. Jenkins”, begann er, seine Stimme eine Spur weicher als zuvor, “Ob Sie verheiratet sind oder nicht, ist mir persönlich vollkommen gleichgültig. Ich würde niemals jemanden … bedrängen oder belästigen. Ungeachtet seines Familienstandes.”
    Er lehnte sich ein Stückchen vor, stützte seine Ellenbogen auf die raue Oberfläche des Tisches und bedachte sie mit einem sehr ernsthaften Blick. Die Öllampe warf flackernde Schatten auf Mrs. Jenkins Gesicht. Ihre Haut war von einem warmen, bronzefarbenen Ton und ihre großen, dunklen Augen stachen entschlossen glänzend aus einem weichen, rundlichen Gesicht hervor. Trotz ihres entschlossenen Auftretens, wirkte sie auf Samuel verletzlich. Der Musher kraulte Figaro, der sich allmählich beruhigte und die Stiefel der Frau neugierig beschnupperte, nachdenklich den Kopf. Für ihn selbst war es im Grunde genommen von Vorteil, wenn er sich nicht alleine mit seinen Hunden auf den Weg machte. Einen Partner zu haben, bedeutete mehr Sicherheit, insbesondere im Krankheitsfall oder wenn man gar angegriffen wurde.

    “Dass Sie mir neue Erkenntnisse und Ihren Wissensschatz anbieten, ehrt Sie. Ich bin nie abgeneigt, mich neuen Sprachen zu öffnen oder von den Kenntnissen anderer zu profitieren und zu lernen und biete im Austausch stets mein eigenes Wissen an. Jedoch …”, Sam machte eine kleine Kunstpause, faltete seine schmalen Hände mit den langen Fingern und stützte sein Kinn auf die Fingerkuppen. Er musste ihr klarmachen, dass es zwar bewundernswert war, dass sie es geschafft hatte, den beschwerlichen Weg von Skagway nach Dawson City zu meistern, doch dass die Goldsuche noch einmal ganz andere Risiken barg.
    “Nun … es ist … beeindruckend, dass Sie von Skagway hierher gefunden haben. Einige scheitern bereits an dieser Aufgabe. Doch Mrs. Jenkins … Sie sollten wissen, dass die Goldsuche noch einmal weitaus herausfordernder ist. Sie ist nicht nur beschwerlich und besonders um diese Jahreszeit gefährlich. Sie verändert Menschen, hat manchen in den Wahnsinn getrieben. Außer mir und meinen Hunden würden Sie in den nächsten Wochen und Monaten kaum Gesellschaft haben. In der Wildnis da draußen lauern nicht nur verwilderte und kranke Hunderudel verantwortungsloser Musher und Eisbären, oh nein. Andere Goldsucher werden versuchen, Ihnen Ihre Funde streitig zu machen und dafür wird ihnen jedes Mittel recht sein. Es ist nicht ungewöhnlich, dass man überfallen oder bedroht wird. Was ich sagen will ist … die Goldsuche kann das Beste im Menschen hervorbringen, aber weitaus häufiger ist das Gegenteil der Fall.”

    Samuel, der sich noch weiter vorgebeugt und leise, aber eindringlich zu der Frau gesprochen hatte, lehnte sich zurück und ließ ein tiefes Seufzen vernehmen, während er sich das antrocknende Blut von seinen spröden Lippen wischte. Er war ausgelaugt und ermattet von seiner letzten Suche und obwohl sein Verstand nach wie vor klar arbeitete, fühlte er sich heute nachgiebiger. Ob es seine offensichtliche Müdigkeit war, oder Mrs. Jenkins Beharrlichkeit, wusste er nicht. Der Musher drehte die nun leere Kaffeetasse zwischen seinen langen Fingern, musterte die junge Frau mit nachdenklich zusammengezogenen Augenbrauen und fügte eindrücklich hinzu:
    “Was ich Ihnen versuche zu vermitteln, Mrs. Jenkins, ist, dass Sie da draußen in der Wildnis in Situationen geraten werden, die Ihnen bislang vollkommen unbekannt sind. Die Sie vor Angst erstarren lassen werden oder ihre bisherige Moral so sehr herausfordern könnten, dass Sie hinterher mit sich selbst nicht mehr klarkommen. Sich vielleicht sogar hassen. Ich will … dass Sie sich dessen bewusst sind. Und alles, was ich von Ihnen verlange, ist, dass sie mir vertrauen und mir gehorchen. Denn dies wird Ihr Überleben sichern. Wenn ich Ihnen sage, dass Sie springen sollen, dann springen Sie. Wenn ich Ihnen sage, dass Sie Puk hier”, er deutete auf den zierlichen Husky, der Jenkins mit schief gelegtem Kopf frech musterte, “zu einem Muff und Handschuhen verarbeiten sollen, dann tun Sie das. Und wenn ich Ihnen mein Gewehr in die Hand drücke und Ihnen befehle, die letzte Kugel mir in den Kopf zu jagen, den Schlitten zu nehmen und zu fliehen, werden Sie dies auch tun. Haben Sie das verstanden?”

    Er machte eine kunstvolle Pause und steckte seine Daumen hinter seine groben Hosenträger. Wie man sich da draußen fühlte, war oft schwer in Worte zu fassen. Sam hoffte, dass er Mrs. Jenkins klarmachen konnte, dass ihr Unterfangen kein Leichtes sein würde und es vielleicht sogar klüger wäre, wieder umzukehren und nach einer anderen Lösung für ihr Problem zu suchen.
    “Wenn Sie trotz all dem noch immer mit mir kommen wollen, werde ich Ihnen das Schießen beibringen, wie man Fallen legt, wie man Wild ausnimmt - falls Sie nicht manches davon bereits beherrschen. Aber Ihre erste Aufgabe werden meine Hunde sein. Sie sind diejenigen, die uns sicher durch Schnee und Eis ziehen werden und damit gebührt ihnen Ihr allergrößter Respekt. Sie werden Sie füttern, sie pflegen, sich um ihre Pfoten kümmern. Kurz gesagt, Sie werden eine Beziehung zu ihnen aufbauen. Denn sollte ich aus welchem Grund auch immer, nicht mehr dazu in der Lage sein, fällt es Ihnen zu, mit Amarok und Zephyr den Schlitten zu führen …”

    Samuel überkreuzte seine schlaksigen Beine, die noch immer in seiner dicken Fellhose steckten und rieb sich die von der kalten Luft geröteten Augen. Seine Haut wurde schon wieder rau und rissig und er wusste, dass dunkle, bläulich violette Schatten unter seinen Augen lagen. Er fragte sich unweigerlich, ob Mrs. Jenkins ihn auch dann so vehement angesprochen hätte, wenn sie nicht wüsste, wer er war. Sam hatte sich nie für eitel gehalten, aber selbst er wusste, dass er nicht dem Bild des typischen, erfolgreichen Mannes von Welt entsprach, mit seiner fast schon zarten Statur, seiner Leichenblässe und der teilweisen Verwilderung, die ihm selbst dann zu eigen war, wenn er frisch gewaschen und in feinen Zwirn gesteckt durch die Gassen marschierte.

    Er fuhr sich durch seine ohnehin schon verwuschelten, feinen Haare, sah Mrs. Jenkins aufrichtig und ehrlich ins Gesicht und merkte abschließend an: “Ich weiß nicht, welche … Geschichten Ihnen zu Ohren gekommen sind, aber ich weiß, dass man munkelt, ich sei verflucht. Jeder, der mit mir Gold gefunden hat, ist wenig später ums Leben gekommen. Wenn Ihnen auch dieses Risiko nicht zu hoch erscheint, bin ich gewillt, über Sie als Partnerin nachzudenken - vorausgesetzt, Sie kümmern sich um meine Hunde, befolgen meine Anweisungen und bringen mir Ihr Können bezüglich fremder Sprachen und Gesellschaftsspielen bei.”

    Samuel schlang seine Bohnen in Windeseile herunter. Man konnte glatt meinen, dass er entweder unter Zeitmangel litt, oder er so schnell nichts mehr zu beißen bekommen würde. Er verbrannte sich die Lippen an seinem heißen Kaffee, den er versuchte, ebenso hastig herunterzustürzen. Sam hustete kurz und blinzelte, um die aufsteigenden Tränen zu vertreiben. Niemand würde ihm seine Mahlzeit streitig machen - daran musste sich der junge Musher immer wieder erinnern, wenn er erschöpft und ausgehungert von einer Goldsuche zurückkam. Die Zeiten des Hungers und der Angst lagen hinter ihm. Hoffentlich für immer.

    Puk und Figaro hatten sich zu seinen Füßen hingelegt und dösten vor sich hin, während die sich knarrend öffnende Tür immer wieder neue, von der Kälte gerötete Gesichter in die Bar spuckte. Sam fühlte, wie seine Haare allmählich zu trocknen begannen und das Leben kribbelnd und stechend in seine tauben Finger und Zehen zurück kroch. Er war kurz davor, selbst ein bisschen wegzudösen und die Tür zu vergessen, als Figaro fiepend aufsprang und sich hinter Puk verkrochen. Samuel hob den Kopf und sah der jungen Frau, die sich schnellen Schrittes und mit festem Blick den Weg zu seinem wackeligen Tisch bahnte, argwöhnisch entgegen. Er klappte gerade den Mund auf, um ihr unhöflich klarzumachen, dass er keine Konversation wünschte - doch leider kam sie ihm zuvor. Samuel würde lügen, wenn er behaupten würde, dass ihm ihr Auftreten nicht auch ein kleines bisschen imponierte. Die meisten, die mit ihm auf Goldsuche gehen wollten, kamen förmlich angekrochen. Sie jaulten und winselten teils schlimmer als Figaro und beknieten ihn regelrecht, ihnen doch bitte eine Chance zu geben. Mrs. Jenkins jedoch forderte. Kein “Bitte, bitte, ich bin ganz offensichtlich neu hier, aber geben Sie mir doch trotzdem eine Chance!”. Nein, sie war entweder sehr von sich und ihrem Anliegen überzeugt - oder sie steckte wirklich ganz schlimm in der Klemme und war deshalb so entschlossen, einen unnachgiebigen Eindruck zu erwecken. Sam nahm sich kurz Zeit, sie von oben bis unten zu mustern. Immerhin hatte er es hier nicht mit einer feinen Dame von Stand zu tun, so viel war ihm anhand ihrer pragmatischen und teilweise geflickten Kleidung klar. Dann genehmigte er sich einen tiefen Schluck aus seiner Tasse, hielt Puk mit dem Fuß zurück, der glaubte, ein neues Opfer seines Schalks erspäht zu haben und fragte mit sanfter, aber eisiger Stimme und forschendem Blick: “Und warum sollte mich der Ruin ihrer Familie auch nur im Geringsten interessieren, Mrs. Jenkins? Was hebt ausgerechnet Sie von all jenen ab, die mit genau der gleichen Geschichte oder irgendeiner Variation davon zu mir kommen, um meine Hilfe so dreist einzufordern? Tausende treffen hier in Dawson ein, hoffen darauf, ihr Glück zu machen und kehren mit leeren Händen, schwer verschuldet … oder gar nicht mehr heim.”

    Der Musher machte eine kurze Pause, um seine harten Worte wirken zu lassen. Was er sagte, war wahr und würde er jedem helfen, der zu ihm kam, um ihn darum zu bitten - nun, er würde nichts mehr anderes tun. Sam lehnte sich locker zurück und kraulte Puk hinter den Ohren, der Mrs. Jenkins mit schief gelegtem Blick musterte. Trotz seines schroffen, abweisenden Tons und der zweifelnd hochgezogenen Augenbrauen war Sam neugierig. Er wollte wissen, was die Frau zu sagen hatte. Samuel trank noch einen weiteren Schluck Café und kramte ein kleines Klappmesser aus seiner Robbenfellhose, um sich damit die Fingernägel zu säubern. Im Grunde genommen hatte er nichts dagegen, bald wieder aufzubrechen, auch, wenn er gerade erst nach Hause gekommen war. Dawson würde niemals wirklich sein zuhause sein. Egal, wie lange er sich hier aufhielt, irgendwie fühlte er sich doch immer fremd. Aber das musste Mrs. Jenkins nicht wissen. Sie sollte ruhig noch etwas schmoren und ihren Charakter unter Beweis stellen, bevor er sich zu einer tatsächlichen Antwort herabließ.

    Obwohl Thure von Gismelas geifernder Meute, die unbedingt einen Sündenbock für all ihr Unglück haben wollte, in Ruhe gelassen wurde, konnte er sich doch nicht richtig entspannen und von seiner Begegnung erholen. Basileus Worte hallten in seinem Kopf nach und auch, als Créon zu seiner großen Erleichterung heimkehrte, das Maul schmutzig vom Blut der kleineren Mahre, musste er immer wieder über sie nachdenken. Der Jäger wusste nun, dass Basileus und auch die übrigen Mahre keine Dämonen waren. Dass er unter seinem Dasein litt, träumte, schmerzvolle Erinnerungen hatte, die nur noch verschwommen existierten. Und deshalb fiel es ihm trotz Basileus' Warnung schwer, die Nachtmahre nur als Monster zu sehen.

    Es war so offensichtlich, dass sie einst Tiere gewesen waren und in Basileus’ Fall sicher sogar mehr als das. Seufzend tätschelte Thure Calans großen Kopf, der in seinem Schoß lag. Der Hund hatte sich gut erholt und genoss genau wie Thure die wärmenden, rotgoldenen Sonnenstrahlen des Sommerabends. Gemeinsam saßen sie vor seiner Hütte, wo Thure Rehhäute und Hasenfelle bearbeitete und immer wieder zum nahen Waldrand sah. Die Dorfbewohner bereiteten sich auf das Sommersonnenwendfest vor und auch Thure würde seinen Beitrag leisten, mit Fellen, Federn und Fleisch. Doch zuvor wollte er Basileus’ Rat folgen und die alten Ruinen besuchen. Für das Fest hatte er sich bereits zurecht gemacht. Sein Arm war verbunden, seinen Bart hatte er ordentlich gestutzt und seine dunklen Haare sorgfältig zu einem Deckhaarzopf geflochten. Dazu trug er ausnahmsweise ein helles, mit Rehen, Füchsen und Rebhühnern besticktes Leinenhemd und eine weiche Wildlederhose, die an den Außenseiten der Hosenbeine silberne, verschnörkelte Spangen aufwies. Auch seine Stiefel hatte er ausgebessert, so dass er einen besseren Stand hatte. Auf seinen Umhang aus Nachtmahrfell wollte er verzichten. Gismela war noch immer so aufgewühlt, da würde sie ihm jegliches unnötige Abweichen von der Norm als Teufelswerk auslegen.

    Thure legte seine Arbeit zur Seite, als er die kleine Elaine sah, die mit wehendem Blondhaar den Hügel hoch gehüpft kam. Sein konzentriertes Stirnrunzeln wich einem breiten, ehrlichen Lächeln, das Grübchen in seine Wangen und heitere Fältchen um seine braunen Augen grub.

    “Prinzessin!”, rief der Jäger erfreut, “Was führt eine so holde Maid in meine bescheidene Hütte?” Thure schob Calans riesigen Kopf von seinem Schoß, stand auf und verbeugte sich übertrieben vor dem Mädchen. Elaine kicherte, raffte ihr blaues Kleidchen und machte einen kleinen, unbeholfenen Knicks. Dann hielt sie dem Jäger stolz einen geflochtenen Blumenkranz unter die Nase.
    “Für dich!”, sagte sie undeutlich. “Mama und Papa haben auch welche. Du kommst doch noch zur Feier, oder? Gismela hätte dich gerne da”, fragte sie hoffnungsvoll, während sie dem mehr oder weniger ritterlich knienden Jäger den Kranz aus Bartnelken, Kornblumen, Klatschmohn und Margeriten auf den Kopf setzte. Thure bedankte sich höflich und versprach ihr, dass er bald nachkommen würde, auch, wenn er nicht sonderlich darauf erpicht war, sich mit Gismela zu unterhalten. Fröhlich pfeifend machte sich das Mädchen auf den Rückweg. Thure jedoch zog sein Wams aus Rehfell an, griff nach seiner Tasche, die er aus dem gleichen Material gefertigt hatte und pfiff Créon herbei, der schon einmal gegen die Mahre bestanden hatte. Er griff sich Bogen, Köcher und Jagdmesser und warf noch einen kurzen Blick zurück auf das Dorf, ehe er den Wald betrat.

    Der Bach plätscherte fröhlich vor sich hin, als Thure dem Wildpfad folgte. Rebhühner raschelten im Unterholz und vor ihm sprang ein junger Rehbock aus dem Gebüsch, während eine Nachtigall ihr liebliches Lied in den Abendhimmel sang. Die Luft war klar und rein, die Bäume trugen satte, grüne Blätter und die Wildblumen standen in voller Blüte. Es schien fast so, als sei der Wald von seinem Fluch erlöst worden, doch Thure wusste es besser. Wenn er genau hinsah, hatten manche Füchse noch immer zu lange Gliedmaßen, Amseln zu lange, spitze Schnäbel. Er folgte dem plätschernden Bach bis er einer ihm bekannten Silhouette gewahr wurde. Der Herr … Basileus saß auf einem Stein nahe des Wassers. Auch er wirkte verändert, menschlicher als vor ein paar Tagen.

    “Basileus … Ich bin es, Thure. Thure Amkjar. Verzeiht, ich hatte es versäumt, mich angemessen vorzustellen”, begann der Jäger mit leiser Stimme die Unterhaltung. Da er sich noch unsicher war, wie der Nachtmahr auf ihn reagieren würde, hatte er sich vorsorglich auf den von der Sonne noch warmen Waldboden gekniet, um ihm zu zeigen, dass er nach wie vor keine Gefahr darstellte. Créon stellte wachsam die Ohren auf.
    “Ihr wolltet mir die Ruinen zeigen. Und ich … ich habe versucht, Informationen zu Euch und Eurer Vergangenheit zu bekommen, aber alles, was ich bei mir habe, ist ein sehr altes Buch über Flüche.” Er zuckte entschuldigend mit den Schultern und rückte seinen Blumenkranz gerade, während er auf Basileus Antwort wartete. An sich hatte er die Ruinen schon gesehen. Zerfallene, von Efeu und Moos bewachsene Mauern. Doch er hatte sie immer nur von Weitem bewundern können. Denn auch die alten Burgen und Schlösser galten als verflucht …

    Der Fluch des Goldes

    Eckdaten:
    2er RPG von Liliace und Jehanne
    Genre: Mystery, Abenteuer, Drama, Romanze / Historisch an den Klondike-Goldrausch angelehnt
    Trigger: FSK 18, sensible Themen wie Rassismus, Sexismus, Klassismus, Verwundung und Tod
    Playinformationen: Bitte melde dich an, um diesen Link zu sehen.


    Things we lost
    The things we couldn't share
    Another rainbow's end
    Another memory
    Fortuna Favet Fortibus
    Hold on to all that's dear to you
    As the last sled to Dawson finally arrives*


    Der eisige Nordwind stach wie tausend Nadeln in seinen angestrengt zusammengekniffenen Augen, als Samuel mit seinem Gespann in Dawson ankam. Schneeflocken tanzten in der kalten, klaren Winterluft, fielen auf seine schmalen, dick in silbrig glänzendes Robbenfell eingepackten Schultern und blieben im Fell seiner Hunde haften, die mit hängenden Zungen und aufgeregt hechelnd zum Stillstand kamen.
    Auch dieses Mal war seine Suche am Klondike-River erfolgreich gewesen. Der Erfolg, die Jagd nach Gold, ja das pure Wissen, dass er erneut nicht an seinen selbst gesteckten Zielen gescheitert war - und dies trotz des furchtbaren Wetters, das die Goldsuche gefährlich machte - beflügelte stets für ein paar Tage seinen Geist. Doch dann befiel Samuel eine innere Unruhe, der selbst Amarok, sein immer sanftmütiger und ruhiger Leithund, sich nicht entziehen konnte. Es trieb ihn aus seinem spartanisch eingerichteten Haus in Dawson wieder zurück in die Wildnis, dorthin, wo es neben Gold nichts als endlose Weite gab. Stille Wälder, die sich hügelig in die Ferne erstreckten, von Raureif bedeckte Tannen und ein von funkelnden Sternen erleuchteter Himmel, durchdrungen von der geheimnisvoll schimmernden Aurora Borealis. Sam fand Gefallen an Musik, an Kunst, doch kein Mensch konnte jemals die Schönheit und die Wunder erschaffen, zu denen die Natur in der Lage war. Nichts erfüllte ihn mit so viel Ehrfurcht, wie eine Herde Karibus, deren Fell von Eis glänzte und aus deren Nüstern weißer Atem stob, während sie in der Winterlandschaft an ihm und seinem Schlitten vorbeigezogen.

    Während er seine Hunde von ihrem Geschirr befreite und auf sein Grundstück entließ, konnte er die lärmende Enge der Straßen Dawsons bereits in seinen kalten, tauben Gliedern fühlen. Wie üblich kümmerte er sich zuerst um seine Tiere - schließlich waren sie es auch, die ihn jedes Mal aufs Neue sicher durch die Wildnis begleiteten. Er befreite ihre Pfoten von Eis und Schmutz, untersuchte sie auf kleinere Verletzungen und heizte seine Hütte an, damit sie sich aufwärmen konnten. Amarok und Zephyr waren jedes Mal aufs Neue dankbar für die Prozedur. Im Grunde genommen genossen es alle Hunde, dass er sich kümmerte - bis auf Puk und Figaro. Puk konnte es gar nicht erwarten, seine Wohnung mit weit aufgerissenem Maul und wahnsinnigem Blick zu zerlegen, während Figaro sich laut jaulend über die ihm zukommende Fürsorge beschwerte. Am Ende beschloss Sam, die beiden Quälgeister anzuleinen und sie mit ins Stadtzentrum zu nehmen, bevor seine Nachbarn ihm wieder unterstellten, dass er Figaro quälte oder dass Puk angeblich an Tollwut litt …

    Doch bevor er seinen neuen Claim ordnungsgemäß anmeldete, würde er sich zuerst einen heißen Kaffee und einen Teller Bohnen gönnen. Mit Puk und Figaro im Schlepptau spazierte er geradewegs in die “River Rat Bar”. Die hölzerne Tür des verwitterten Gebäudes knarrte ekelerregend, als er sie öffnete und sich sogleich einen wackeligen Tisch fernab von der Gesellschaft der anderen Goldgräber und der Bürger Dawsons suchte. Einige warfen Puk und Figaro missbilligende Blicke zu, doch Samuel hatte schon vor ein paar Jahren jegliche Kritik an seinen Hunden im Keim erstickt. Noch heute trug man ihm seinen spitzzüngigen Kommentar nach, dass seine Hunde garantiert weniger Krankheiten einschleppten, als alle Goldgräber zusammen, die auf der Suche nach Liebesabenteuern die Bars und Bordelle abklapperten.

    Samuel entledigte sich seines schweren Mantels, den er zum Trocknen über seinen Stuhl nahe des Kamins hängte und befreite sein Gesicht von den Stofflagen. Zum Vorschein kamen jungenhafte, aber verhärtete Züge und ein zerzauster Schopf hellbraunen Haares, das ihm nass in die Stirn hing. Der Wirt, Richard Thomkins, eilte herbei und sagte mit seiner Fistelstimme: “Das Übliche, Sam?”, woraufhin Sam ihm leise und knapp antwortete: “Ganz Recht. Und Richard? Vergiss’ dieses Mal meine Hunde nicht. Andernfalls frisst dich Puk und er täte noch nicht einmal Unrecht damit!”
    Wie auf Kommando legte der Husky seinen schmalen, schwarz-weißen Kopf schief und starrte Richard aus eisblauen, gemein flackernden Augen herausfordernd an. Der Wirt eilte davon, um Sam seinen Kaffee und seine Bohnen zu bringen, während Sam sich kaum merklich diabolisch lächelnd seinem Hund zuwandte und sich von dem Rowdy in seinem Rudel das Gesicht ablecken ließ. Richard gehörte zu jenen, die sich ihm gegenüber immer korrekt verhielten, aber hinter seinem Rücken gerne die wildesten Gerüchte streuten. Da konnte es nicht Schaden, den Mann in dem Glauben zu lassen, er sei tatsächlich mehr Hund als Mensch.
    Der Musher hatte noch immer ein wölfisches Grinsen im Gesicht, als der Wirt ihm das Gewünschte brachte und mit wachsamen Blick auf Puk den Hunden Fleisch vor die Nasen stellte. Figaro machte sich glücklich fiepend über die Beute her und Samuel trug bald seinen üblichen, ernsten Gesichtsausdruck zur Schau, während er hungrig seine Bohnen in sich hineinschaufelte. Geduld hatte er beim Essen noch immer nicht, wusste er doch zu gut, wie sich nagender Hunger anfühlte. Er beobachtete die Gäste mit wachsamen Blick, behielt die klapprige Tür stets im Auge. Er konnte nie wissen, wer ihn heimsuchte, um Streit anzufangen - oder wer sich ihm mal wieder bei seinen Suchen anschließen wollte. Da war es immer gut, vorbereitet zu sein.

    * The last sled - Tuomas Holopainen

    Auf Ferits Gesicht breitete sich ein kleines, seliges Lächeln aus, als Gar ihn sanft auf die Stirn küsste. Es war selten, dass er so fürsorglich behandelt wurde und gerade fiel es ihm so leicht, es einfach anzunehmen und sich darüber ohne Scham zu freuen. Und obwohl er wusste, dass Gareths kleines Geplänkel an der Treppe bestimmt eher scherzhaft gemeint war, so hatte es doch nicht seine Wirkung verfehlt. Ferit würde lügen, wenn er behauptete, dass ihm seine Kommentare und die kurze Umarmung nicht gefallen hätten. Sie hatten ein angenehmes, kribbelndes Gefühl in seiner Magengegend ausgelöst, eines, das er gehofft hatte zu fühlen, als er Deborah vor sieben Jahren verbotenerweise hinter der Sporthalle ihrer High School geküsst hatte. Stattdessen hatte es sich furchtbar klinisch angefühlt. So, als würde er sich selbst bei einem verrückten Sozialexperiment in absolut steriler Umgebung beobachten. Dass sie sich dabei gegenseitig peinlich berührt in die weit aufgerissenen Augen gestarrt hatten, hatte das Ganze nicht besser gemacht. Es war so seltsam gewesen, dass Ferit sich währenddessen gefragt hatte, wann irgendein Tierfilmer mit gezückter Kamera und fachmännischem Gesichtsausdruck um die Ecke schleichen und in salbungsvollem Tonfall ungefähr Folgendes sagen würde: “Meine Damen und Herren, hier können Sie zwei Jungtiere der Gattung homo sapiens aus sozial und religiös repressiven, sowie sehr seltenen Rudeln bei dem kläglichen Versuch, auch nur annähernd normales Balzverhalten zu imitieren, sehen. Aufgrund ihrer peinlich genau zur Schau gestellten Ungeschicklichkeit, müssen wir leider davon ausgehen, dass der Fortbestand beider Rudel dauerhaft gefährdet ist. Welch trauriges Ende für die seltene Subspezies Homo ignorantus religidiotus der Gattung Homo sapiens! Bitte zünden Sie eine Kerze an.”
    Das einmalige Experiment hatte damit geendet, dass Ferit sich die kommenden Jahre fragte, was mit ihm nicht stimmte. Insbesondere nachdem Zac mit Debie, wie sie jetzt genannt werden wollte, zusammengekommen war und ihm praktisch pausenlos und grauenvoll detailreich vorschwärmte, was für ein fantastisches Mädchen sie doch sei.

    Jetzt und hier, als er sich in trunkener Glückseligkeit an Gar schmiegte und Rita ihm mit großer Ernsthaftigkeit seine Karten offenbarte, bekam er eine diffuse Ahnung, was mit ihm ganz falsch gelaufen war und sich dennoch viel zu gut anfühlte. Anstatt sofort in eine Sinnkrise zu rutschen, seufzte er nur zufrieden und murmelte: “Hmmm … aber nicht zu müde, um noch irgendwelche unterirdischen Clubs mit meinen zwei linken Füßen unsicher zu machen …”
    Ferit war sich nicht sicher, ob Gareth wirklich eine Hexe kannte, oder er ihn veräppeln wollte - doch es kümmerte ihn im Moment auch nicht wirklich. Immerhin ließ er sich gerade von einer die Zukunft voraussagen.
    “Wen du nicht alles kennst … Greifen, Hexen, steinreiche Onkel …” Er gab Gareth einen spielerischen Klaps auf den Oberarm und schenkte Rita ein träges Grinsen, das sich schnell zu einem Stirnrunzeln wandelte, als sie seine Karten aufdeckte und mit ihrer Interpretation begann. Ferit konnte es nicht verhindern, er zuckte kaum merklich zurück, als sie sein Herz, seine Gedanken so eloquent sezierte. Mit den Karten an sich konnte er gar nichts anfangen, er kannte sich kein bisschen mit ihrer Bedeutung aus. Doch was Rita ihm zu ihnen sagte, ließ ihn erblassen. Sie schien Aspekte seiner selbst, seiner Kindheit, seiner Vergangenheit, seiner Sehnsüchte zu kennen, über die sie eigentlich gar nicht Bescheid wissen konnte. Und über die er nie hatte nachdenken wollen - bis zu seinem rebellischen Trip nach Vegas, bis er Gareth traf und mit ihm loszog, um das Fürchten zu lernen. Doch stattdessen hatte er feststellen müssen, dass ihn viel mehr seine Neugier und Abenteuerlust beherrschten, als seine Ängste.

    “Ich weiß nicht, was ich tue, dass Sie so genau über mich Bescheid wissen, Miss”, krächzte er schwach. Seine dunklen Augen glitten unfokussiert über die Karten. Hexenwerk oder simple Psychologie? Ferit wusste es selbst nicht mehr und falls es nur Psychologie sein sollte, so müsste es ihn erschrecken, dass jeder, der ein bisschen geübt war, ihn offenbar lesen konnte wie ein offenes Buch.
    “Aber ich habe nicht vor, weiterhin in einem immer enger werdenden Netz aus Regeln und Verboten und in vollkommener Dunkelheit zu wandeln, mit niemandem außer meinen Zweifeln als Begleiter. Das allein … ist für mich Abenteuer und Befreiung genug”, wisperte er leise, aber nachdrücklich. Er warf einen skeptischen Blick auf den Karneol, der zu einer orangeroten, glänzenden Flamme geschliffen auf dem niedrigen Holztischchen stand. Dann bedankte er sich bei Rita Hawthorne für ihre Zeit, beeilte sich, sie bezahlen und rappelte sich hoch. Er streckte Gareth seine Hand hin, um ihm aufzuhelfen. Das Blut rauschte laut in seinen Ohren, als er leicht schwindelig die gewundene Treppe Stufe um Stufe erklomm und Gar hinter sich herzog. Ferit hatte sich einfach geweigert, seine Hand loszulassen. Er hielt sie fest, aber nicht so fest, dass Gareth sich nicht aus seinem Griff hätte lösen können. Wenn er schon mutig sein sollte, so konnte er damit gleich beginnen, während sie sich dem pulsierenden Leben Las Vegas’ Stufe um Stufe näherten. Der junge Weltenbummler wagte es nicht, sich umzudrehen. Ihn hatte eine völlig irrationale Angst befallen, dass Rita Gar sonst einbehalten könnte, ganz so, als ob sie Hades persönlich sei.
    Erst, als sie wieder auf den belebten Straßen der Stadt standen und ein Mann auf unglaublich hohen Stelzen über ihren Köpfen hinwegspazierte und der Lärm tausender Stimmen und von sehr basslastiger Musik zu ihnen durchdrang, sah er sich nach seinem neuen Freund um.

    “Sie ist etwas gruselig, oder?”, fragte er Gareth mit einem atemlosen Lächeln in seinem runden Gesicht, als er sich bei ihm unterhakte und etwas wackelig auf den Beinen und mit glänzenden Augen die Umgebung bewunderte. Obwohl Ferit müde war, wollte er dennoch weiterziehen und mehr sehen, mehr erleben.
    “Du hattest … unterirdische Clubs aus einer anderen Welt erwähnt. Weißt du, ich kenne mich damit nicht aus, dafür war Claire die Expertin, aber … ich weiß, dass “The Triple Down” Punk spielt, vielleicht auch Metal. Wir müssten ziemlich lange laufen, aber es wäre eine andere Welt”, sprudelte es aus ihm hervor.
    “Es wäre wild, schnell und wütend. Frei und rebellisch. Musik, die brutal an deinen Eingeweiden zerrt und dir deine blutende, schreiende Seele herausreißt”, wisperte Ferit wie elektrisiert, als er sich zu Gar umdrehte und ihm die Arme um den Hals schlang.
    “Gehen wir hin!”, forderte er ihn auf. Er löste einen Arm von Gars Hals und kramte in den Taschen seiner Jeans herum, bis er eine geknickte Broschüre zutage förderte.
    “Damit sollten wir den Weg finden. Ich lese die Karte und du … ah … du passt auf, dass ich dabei nicht umfalle!”, nuschelte er, während er das Stück Glanzpapier auseinander faltete, seine Brille die Nase hochschob und sich in das Schriftstück vertiefte. Nach einer kleinen Weile tauchte Ferit daraus hervor, seufzte laut und gab betreten zu:
    “... vielleicht müssen wir doch jemand Nettes mit einem Taxi suchen, der uns fährt. Zu Fuß bräuchten wir eine Stunde …”
    Er lehnte sich schwer gegen Gar und scannte den Taxistand, der sich einige Meter vor ihnen in der Nähe eines hell erleuchteten Hotels befand, nach einer passenden Mitfahrgelegenheit ab. Ferit wollte gerade nach Gars Hand greifen und ihn mitziehen, bis ihm einfiel, warum er bei solchen Gelegenheiten selten die Initiative ergriff:
    “Ah, vielleicht machst du das besser. Menschen mögen mich nicht, ich könnte was Finsteres planen, oder so … Und wenn dir das Ganze zu aufwändig ist, finden wir hier bestimmt auch einen schönen Club”, murmelte er völlig wertfrei. Einen schönen Club, in dem er nicht mehr über Rita Hawthornes Worte nachdenken musste und seinen Alkoholpegel puschen konnte, bis sich sein Kopf wieder wie weiche, rosa Zuckerwatte anfühlte …

    Thure setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen und wirbelte dennoch raschelnd das Laub auf. Ächzend quälte er sich voran und klaubte vorsichtig sein Messer auf, um es sicher zu verstauen, während sein warmes Blut auf den morastigen Boden tropfte. Im Grunde hatte der Nachtmahr mit seiner verärgerten Frage einen Nerv bei ihm getroffen. Thure fand nicht viel Freude am Leben - doch wenn ihm der Tod wortwörtlich gegenüberstand, bettelte er dennoch um Schonung. Und das näher kommende Rascheln im Unterholz, das gierige Fauchen und Keckern, ließ ihn wachsam herumfahren, sorgte dafür, dass er angespannt nach einem Pfeil griff. In Wirklichkeit steckte Thure der Schrecken noch immer so sehr in den Knochen, dass er es noch nicht einmal wagte, eine neue Fackel zu entzünden. Er verließ sich rein auf den feurigen Schein der leeren Augenhöhlen seines unheimlichen Begleiters. Der Jäger erstarrte und kniff die Augen zusammen, als er den Schädel des Mahrs nahe seines zerfetzten Ärmels spürte. Tief atmete er durch die Nase ein und beinahe gleichzeitig mit dem rasselnden Atem des riesigen Tieres neben ihm aus. Thure fürchtete sich noch immer, doch er war kein Feigling. Der mit Bangen erwartete Biss blieb aus, er fühlte lediglich die knochigen Lefzen des Mahrs für einen Augenblick an seinem mit Blut verkrusteten Arm. Und dann sprach das riesige Tier zu ihm. Thure konnte die Tonlage des Geschöpfes schlecht deuten, doch es schien ihm, als ob es eine gewisse Trauer über seine Vergangenheit verspürte. Etwas Schreckliches musste geschehen sein. Der Jäger beschloss, zuerst die Fragen des Mahrs zu beantworten: “Es ist selten, dass Menschen, die den Wald betreten, ihn auch wieder unverletzt verlassen. Ich jedoch … ich halte mich hier jeden Tag auf, manchmal bis in die Abenddämmerung. Ich setze mich hier jeglicher Gefahr aus und kehre stets ohne Verletzung zurück … jedenfalls bis jetzt. Als Jäger …”
    Thure hielt kurz inne und drehte sich zu dem Nachtmahr um, der ihn begleitete, eher er bedächtig weitersprach:
    “Als Jäger erwartet man von mir, dass ich nach Euch Ausschau halte, alles tue, um Euch aufzuspüren und dann zu töten. Ich soll dies tun, um den Fluch, der über diesem Wald liegt, zu brechen - oder bei dem Versuch sterben. Doch ich … ich bin kein Schlächter. Ich nehme ein Leben, wenn ich es muss, nicht, weil es mir Freude bereitet. Viele Menschen im Dorf verstehen das nicht. Wenn sie einen der kleinen Mahre in ihren eisernen Netzen fangen, stellen sie ihn auf dem Dorfplatz zur Schau und lassen ihn von ihren Hunden zerfetzen. Ich kann die übrigen Dörfler schützen und ihnen so viel Fleisch und Felle bringen, wie sie wollen, doch solange ich nicht genauso handele, wie sie, nicht ebenso Bisse und Wunden erleide, werden sie mich stets misstrauisch beäugen. Deshalb glauben einige der Ältesten, ich würde Euch dienen oder ich hätte Euch meine Seele übergeben, mich in irgendeinem völlig amoralischen Ritual an Euch gebunden.”

    Thure holte tief Luft, als sie sich dem Saum des Waldes und damit seinem Dorf näherten. Er wusste nicht, wie man ihn für sein Vergehen bestrafen würde - nur, dass er auf keinen Fall ungeschoren für seinen Fluchtversuch davonkommen würde. Doch bevor er sich all dem stellte, musste er nun seine Fragen an seinen unheimlichen Begleiter loswerden. Er hatte so viele davon, die sich über drei Jahrzehnte seines Lebens angesammelt hatten. Schon als Kind hatte er die Dorfältesten über den Fluch gelöchert. Warum der Wald verflucht war, warum niemand versuchte, ihn aufzuheben oder mehr darüber zu erfahren, warum sämtliche Schriftstücke zu diesem Thema sorgfältig weggeschlossen wurden. Gelobt hatte man ihn nie für seine Neugier und seinen wachen Geist. Im Gegenteil - die Magister schlugen ihm auf die Finger, die Ältesten befahlen ihm, den Mund zu halten, zu schweigen und keine Fragen mehr zu stellen, denn daraus könne nichts Gutes erwachsen. Und so sprach Thure immer weniger und behielt seine Gedanken und Theorien für sich. Er lernte, sich so fest auf die Zunge zu beißen, bis er Blut schmeckte, um ja niemanden durch seine Worte zu erzürnen. Und irgendwann waren ihm nur noch seine schroffe Schweigsamkeit, sein nachdenklicher Blick und sein Zynismus geblieben. Doch jetzt und hier, in der Einsamkeit des Waldes, musste er sich nicht mehr die Zunge blutig beißen, um ja nichts zu sagen, das niemand hören wollte. Die Worte, die er sich so lange versagt hatte, brachen ganz selbstverständlich aus ihm hervor, als er sich dem riesigen Schädel zuwandte: “Gibt es denn irgendetwas, an das Ihr Euch erinnert? Unsere Dorfältesten schweigen sich über Euch aus. Niemand weiß, warum der Wald verflucht wurde und keinem ist es erlaubt, Fragen zu stellen. Bis gerade eben wusste ich noch nicht einmal, dass Ihr … einen menschlichen Verstand habt … oder Erinnerungen, die man Euch gestohlen hat.”

    Thure blieb stehen und bedachte die Umrisse des Dorfes mit einem Blick, der nichts als große Traurigkeit und Enttäuschung ausdrückte. Er seufzte, tief und kummervoll, ehe er sich dem Mahr wieder zuwandte. Für einen kaum wahrnehmbaren Moment zuckte ein kleines, melancholisches Lächeln über seine Züge. Es wirkte geradezu grotesk in seinem markanten Gesicht, ließ ihn trotz seiner riesenhaften Gestalt verletzlich und weich wirken. Doch es war echt und seine Stimme klang sanft, als er weitersprach: “Viele alte Könige von hier hießen Basileus. Es soll Ruinen in diesem Wald geben, die von ihrer Weisheit und ihrer Macht zeugen, doch ich habe sie nie gesehen. Die Dorfältesten verachten sämtliche Schriftstücke dazu. Sie seien verdorben, sagen sie, die Könige kein gutes Vorbild, weil sie falschen Göttern folgten. Ich sehe das anders. Wenn Ihr Euch als König, als Alpha seht, dann …”

    Thure hielt in seinem Wortschwall inne. Seine tiefe, sanfte Stimme war ganz heiser geworden, weil er sie so sonst wenig nutzte und jetzt auf einmal über Gebühr strapazierte. Er räusperte sich und fuhr leise: “Dann gefällt Euch Basileus vielleicht? Es wäre ein besserer Name als Monster. Monster ist die große, hässliche Schwester von Krüppel.”
    Thure erlaubte sich ein kleines, schiefes Grinsen. Er war sich dessen bewusst, dass das Gespräch, das er gerade führte, sich morgen, bei Tageslicht, sicher völlig absurd anfühlen würde. Aber sein Arm hatte endlich aufgehört zu bluten und pochte nur noch unangenehm - da hatte er die Gelegenheit beim Schopfe gepackt, die verurteilenden Blicke, mit denen man ihm gleich begegnen wollte, noch etwas hinauszuzögern. Er ging ein paar Schritte auf die Waldlichtung zu, verlagerte seinen Stand erneut und murmelte: “Habt Dank für Eure … Gnade und Eure Begleitung. Ab hier kann ich alleine weitergehen.”
    Thure ging schwerfällig auf seine Hütte zu, doch bevor er den Wald verließ, drehte er sich noch einmal um und sah dem Mahr in die feurigen Augenhöhlen: “Ich werde weiter Fragen stellen. Und vielleicht wisst Ihr dann eines Tages wieder Euren Namen und Eure Geschichte.”

    Damit humpelte er auf seine Hütte zu, bereit, sich den Herausforderungen zu stellen, die ihn erwarten würden.

    *

    Das erste, was Thure bemerkte, als er aus dem Wald heraustrat, war das erbärmliche Winseln, das aus seiner Hütte drang. Ungeachtet seiner eigenen Schmerzen lief er eilig zu dem windschiefen Gebäude, öffnete die Tür, die einen Spalt breit offen stand zur Gänze und entzündete die kleinen Laternen und Lämpchen. Das sanfte Licht erlaubte es ihm, einen besorgten Blick auf Calan zu werfen. Der große Hund lag zitternd auf Thures spartanischer Bettstatt und blutete aus zahlreichen Wunden. Von Créon fehlte jede Spur. Der Jäger fühlte einen heftigen Stich im Herzen, als ihn die Schuldgefühle heimsuchten. Da draußen, in der Gegenwart des Nachtmahrs, hatte er nichts anderes tun können, als an sein eigenes Überleben denken - seine beiden treuesten Begleiter hatte er völlig vergessen.
    Thure sank ungelenkig auf seine Knie und Tränen brannten in seinen Augen. Calan würde er retten können, da war er sich sicher - doch wenn Créon nicht bald aus dem Wald zurückkehrte, musste er annehmen, dass er den Geschöpfen dort zum Opfer gefallen war. Sanft berührte er die zitternden Flanken des Tieres, das ihm fiepend die Hände leckte und stellte bei näherer Betrachtung erleichtert fest, dass die Wunden eher oberflächlicher Natur waren. Er trug eine scharf riechende Tinktur auf, damit sie sich nicht entzündeten, als er Schritte hörte. Viele Schritte. Nichts Gutes ahnend, trat Thure geduckt durch die niedrige Tür seiner Behausung und sah sich mit Gismela und Ragund konfrontiert. Die beiden Ältesten waren allerdings nicht alleine erschienen. In ihrem Gefolge befanden sich der Schmied des Dorfes, der Fassträger, der Henker und eine Menge schaulustiger Bauern. Kurzum, all jene, die über genügend Körperkraft verfügten, um mit einem der kleineren Mahre - oder mit ihm, Thure fertig zu werden.

    Verschwindet! Calan ist verletzt und ihm gebührt meine Aufmerksamkeit, nicht Euch und Eurem seltsamen Moralkodex!”, fauchte er die Gruppe zornig an. Natürlich wusste er, dass es vor ihrem Urteil kein Entrinnen gab, doch er hatte sich heute schon oft genug in den Dreck geworfen, hatte gewimmert und gefleht. Und egal, was er tat - Gnade würden die Dorfbewohner ihm gegenüber nicht zeigen. Da hatte ihnen der Nachtmahr, wie Thure mit Verbitterung feststellte, offenbar einiges voraus.

    Der Fluch des Goldes

    In den zugefrorenen Flüssen Alaskas soll es Gold in Massen geben. Abenteurer aus aller Welt finden sich in der eisigen, unwirtlichen Wildnis ein und jeder von ihnen will sein Glück machen. Goldgräberstädte entstehen, man treibt Handel mit der indigenen Bevölkerung - doch was zuerst als kleine, friedliche Idylle inmitten von Schnee und Eis begann, wandelt sich schnell zu einem Alptraum. Neid und Missgunst entstehen unter den Goldsuchern und schon bald steht man zueinander in harter Konkurrenz. Wer verarmt, sieht sich gezwungen, in Schande und mit eingekniffenem Schwanz heimzukehren.

    Oder aber der unglückliche Mensch wendet sich hilfesuchend an Samuel Corning. Niemand weiß, wann genau der junge Musher nach Alaska kam, aber fest steht, dass er bei seiner Goldsuche immer Erfolg hat und seine Schlittenhunde zu den Besten in der Stadt gehören.

    Doch man muss wirklich in der Klemme sitzen, um ausgerechnet ihn um Beistand anzuflehen, denn Sam ist eine getriebene, krankhaft ehrgeizige Seele. Die Goldsuche ist für ihn wie ein Rausch, er muss zwanghaft Erfolg haben und ist nach dem Hochgefühl, das ihm die erfolgreiche Suche und das Gold bringen, süchtig. Erbarmungslos treibt er jene Unglücklichen, die sich mit ihm in die erbarmungslose Wildnis begeben, zu Höchstleistungen an. Er hasst es, wenn man ihm widerspricht und verlangt, dass seine Anweisungen stets und ohne Nachfrage befolgt werden. Was er seinen Partner an Liebe und Achtung vorenthält, schenkt er lieber seinen Hunden. Doch eines muss man ihm zugute halten: Er überlässt seinen Partnern das Gold, das sie finden.
    Nur können sie sich selten lange daran erfreuen. Nach einigen Jahren kamen sie bislang ausnahmslos ums Leben. Unter den Goldgräbern ist man sich einig: Auf Sam, ja vielleicht sogar auf dem Gold per se, lastet ein Fluch, sicherlich ausgesprochen von den Indigenen, die unter den Goldgräbern schon bitter leiden mussten.

    Bist du bereit, dem eisigen Winter Alaskas zu trotzen und trotz der Gerüchte dein Glück herauszufordern?

    RPG von  Liliace und Jehanne

    Charaktere:

    Terrah Jenkins, geborene Baker - Greenhorn - von Liliace

    Aussehen:Bitte melde dich an, um diesen Link zu sehen.Bitte melde dich an, um diesen Link zu sehen.

    [Lippen definitiv nicht so voll + Augen wie hier angegeben denken (total schwer eine passende Figur zu finden. Finde ich eine bessere, aktualisiere ich es)]

    Name: Terrah Jenkins, geb. Baker

    Rasse: Mensch

    Größe: 1,65m

    Alter: 24 Jahre

    Geburtstag: 12.4

    Haare: volles schwarzbraunes, langes lockiges Haar, das ihr bis zum unteren Rücken reicht

    Augen: Moosgrüne Iriden mit silbernen Tupfen

    Aussehen: Ihre spanischen Wurzeln sind an ihrem Äußeren gut zu erkennen, zudem auch an ihrem Verhalten, der sich besonders als Status Halbwaise ausbaute. Sie hat ein dezent herzförmiges Gesicht mit großen mandelförmigen Augen, ihre Nase ist eigentlich fein, weist jedoch einen alten leichten Bruch auf. Ihre Lippen sind leicht rosig. Ihre Augen sind wachsam und prüfend. Ihre Haut ist warmbronzefarbend, bei Sonneneinstrahlung dunkelt der Teint nach.
    Ihr Körper ist drahtig und ausdauernd, durch die verschiedenen Tätigkeiten, die sie legal oder auch halblegal gemacht hatte, um über die Runden zu kommen. Vereinzelte kleine schwarze Flecken auf ihrem Körper, besonders im Gesicht und an den Unterarmen, deuten auf die illegale Arbeit in einem Bergwerk hin.

    Kleidung: Flache, schwarze, gefütterte Lammfell Lederstiefel, die ihr bis zur Mitte der Schienbeine reichen, zieren ihre Füße, darunter trägt sie einfache Wollsocken. Die beigefarbene Leinenhose ist von Innen mit Lammfell gefüttert, weist von Außen jedoch Gebrauchsspuren durch kleinere Löcher und Risse auf. Ihren Oberkörper bedeckt Terrahs mit einem weißen Unterkleid, das in die Hose gestopft ist, darüber ein hellgraues leicht ausgeglichenes Herrenhemd mit dünnem Kragen. Das großkarierte schwere Wollkleid in dunkelbraun mit weißen Linien hat sie sich übergeworfen und reicht ihr bis zu den Knien - der Rest des Stoffes hatte der besseren Beweglichkeit zu weichen. Der dicke gefütterte Lammfellmantel schließt ab der Mitte ihrer Oberschenkel ab und ist ein bisschen zu groß. Die dunkelbraune filzige Oberfläche des Mantels ist etwas abgenutzt, erfüllt jedoch seinen Zweck. Daneben hat der Mantel eine schwere Kapuze mit dunklem Fellkragen und Kordeln, um den Stoff fest ans Gesicht zu zurren, sodass keine Windböe kalt in den Nacken kriechen kann. Die dicken Lammfellhandschuhe stellten sich als richtigen Kauf ein, auch wenn die Haptik dadurch eingeschränkt ist.

    Relevanter Inhalt im Rucksack:

    Der dunkelbraune Lederrucksack weist verschiedene Fächer auf, einen großen und von außen mehrere kleinere und mittelgroße. Im großen Fach herrscht eine bestimmte Anordnung, ganz unten befindet sich ein Paar Wechselkleidung, dann mehrere Beutel, von denen ein paar mit Schmuck, andere mit abgezählten Münzen gefüllt sind. Darauf liegt die restliche Wechselkleidung. Dann die abgepackte Lebensmittel, wie Trockenfleisch, Trockenfisch und Zwieback, überwiegend auch gemischte Sorten von Konserven, und ein Erste-Hilfe-Set und medizinische Versorgungsmittel. Das in Leder eingebundene Skizzenbuch mit Stifte liegt griffbereit oben auf. In einem schmalen Fach im Lederband sind die Ausweise und sonstige relevante Dokumente für ihre Reise enthalten. Ein etwas abgenutzter Feuerstahl ist in einem der kleinen Fächer aufbewahrt, in zwei anderen kleinen Fächer Hartseife und Vaseline. Außen baumeln an einer Seite zwei Feldflaschen - eine mit Trinkwasser gefüllt, die andere oftmals mit Suppe. Auf der anderen Seite ein kleiner Gusseiserner Kochtopf mit drei Beinen.

    Charakter: Die kindliche Naivität ist schon lange verflogen und so ist sie zu einer willensstarken, klugen Frau herangewachsen. Die Überheblichkeit von Männern begegnet sie auf unterschiedliche Art und Weise, je nachdem, welche Variante ihr selbst einen Vorteil verschafft. Sie weiß ihr Gegenüber einzuschätzen und verlässt sich auf ihr Bauchgefühl. Unterdrückt zu werden, missfällt ihr gewaltig, jedoch hat sie bemerkt, dass sie in dieser Welt als Frau nicht denselben Rang innehat, wie der der Männer. Ein Grund mehr, warum sie Männern gegenüber misstrauisch und argwöhnisch ist; selbiges gilt für die feinen Damen, die sich in ihrer Rolle wie gackernde Hühner benehmen. Ihnen zeigt sie sich häufig abfällig, außer, sie kann durch die Plaudertaschen an Informationen gelangen.

    Hintergrund: Bevor Terrah ihre Reise antrat, hat sie Thomas Jenkins geheiratet. Ein schlichter, metallener Ring ist der stumme Zeuge der Liierung.
    Etliche Bücher hat sie sich als Vorbereitung vorlesen lassen, daneben eigene Zeichnungen angefertigt. Die Zeichnungen trägt sie in einem Buch mit sich und pflegt es, weitere Skizzen und Zeichnungen dort zu zeichnen. Sie kann durchaus lesen, nur nicht so gut und nicht so schnell. Mathematisch ist sie deutlich besser aufgestellt. Sie spricht sowohl Spanisch, als auch Irisch und Englisch.

    Sonstiges: Ihre Mutter, Viola, ist eine geborene Spanierin, ihr Vater, Sean, ein Ire. Beide haben sich in einer französischen Hafenstadt kennengelernt, wollten ihr Glück in Amerika versuchen und während zu Anfang alles zu funktionieren schien, änderte sich alles, als der Vater die hoffnungsvolle und verheißungsvolle Suche nach Gold anstrebte.
    Neben Terrah, die zweitälteste deren Kinder, gibt es den ältesten Sohn, Brian, und den jüngsten, Conor. Als einzige Tochter fielen ihr die üblichen Haushaltstätigkeiten zu, sodass sie durchaus frauliche Hausarbeiten erledigen kann. Durch ihren älteren Bruder kam sie unbemerkt in das Bergwerk, um dort an seiner Stelle zu schuften. Als Kind, getarnt in Dreck und Ruß, konnte sie gut untertauchen. Beim Einsetzen der Pubertät änderte sich dies zu ihrem Leidwesen. Sie hatte immer mehr übliche Frauenarbeiten wahrzunehmen. Dies nahm sie als Einschränkung und Unterdrückung wahr.
    Mit ihrem Stiefvater konnte sie nicht viel anfangen, hegte zügig eine Abneigung gegenüber ihm. Besonders da er sich sehr in ihr Tun und ihr Schicksal einmischte. Sogar noch bevor ihr Vater als Tod erklärt wurde, mischte sich der zukünftige Stiefvater in die Angelegenheiten ein. Zu ihrer Mutter hat sie eigentlich einen guten Draht, wobei sie sich kaum etwas von ihr sagen lässt. Andernfalls wäre sie bereits mit sechzehn verheiratet. Zu ihren Geschwistern hat sie ein ganz gutes Verhältnis, allerdings missfällt ihr, dass sich alle drei der Verantwortung entziehen und mehr in den Tag hineinleben als wirklich etwas an der Situation zu ändern.
    Mit 14 Jahren entwickelte sich ihr Wunsch, in Alaska nach Gold zu suchen, sei es, um ihren Vater zu helfen oder selbst ihr Glück zu versuchen. Es musste doch möglich sein? - So traf sie Vorbereitungen.
    In ihrem Rucksack trägt sie alle Briefe ihres Vaters mit sich, um daraus Informationen zu Personen, Orte und Geographie zu schöpfen. Darunter befand sich auch der Name von Samuel Corning. Ein Mann, den ihr Vater jedoch nie begegnet ist, dieser aber von seinen Künsten wusste. Der Name und seine Fähigkeit verleiteten Terrah dazu, die Reise tatsächlich auf sich zu nehmen, und das geradezubiegen, was ihr Vater unglücklicherweise zu Bruche führte. Neben den Briefen befinden sich Schriftstücke, die ihre Heirat mit Thomas Jenkins bezeugen und seine Zustimmung, dass sie nach Alaska reisen darf.

    Stärken: In ihrem Willen ist die junge Frau eisern und ehrgeizig, sie lässt sich nicht so leicht brechen. Jedoch weiß sie auch, wann Schweigen klüger ist. Situationen zu erkennen und durch Raffinesse Vorteile für sich herauszuholen, halfen ihr bereits des Öfteren.
    Sie hat ein gutes Gedächtnis und einen guten Orientierungssinn (letzteres wird sie im verschneiten Alaska unter den erschwerten Bedingungen erst noch wieder lernen müssen).

    Schwächen: In ihrem Ehrgeiz ist sie durchaus ausdauernd und geduldig, doch kann sie auch frustriert werden, wenn die Sachen nicht so laufen, wie sie es sich vorgestellt hat. In manchen reizbaren Momenten kann sie impulsiv sein, sodass sie Dinge ausspricht, die sie sonst eher verschweigen würde. Dadurch hatte sie schon öfters Probleme mit anderen gehabt.
    Sie hat Höhenangst, was sie lähmen kann. Nur durch viel Kraft schafft sie es manchmal, ihre Höhenangst zu besiegen.

    Wünsche: Die vererbten Lasten ihres Vaters bereinigen, um allen Beteiligten ein besseres Leben zu bieten. Von Männern als gleichwertig anerkannt zu werden - hoffnungsloser Traum, aber hey, träumen darf man doch noch. Ansonsten frei und unabhängig sein. Etwas, dass ihr diese Reise bereits bietet, trotz aller Schwierigkeiten.

    Beziehung zu Hunden: In ihrer Heimat kannte sie nur Streuner; verlauste, hagere und unansehnliche Kreaturen, die sich von dem ernährten, was sie fanden, die sich in kleinere Kämpfe verwickelten und meistens den Menschen wichen. Überwiegend aus diesem Grund, weil die Streuner als herrenlos galten und somit eher verscheucht wurden. Manchmal kam es aber auch dazu, dass ein Streuner aus Notwehr angriff, sich verteidigte oder das verteidigte, was er an Futter stehlen konnte. Aus diesem Grund hält Terrah kaum etwas von diesen Fellnasen - allgemein auch nichts von anderen Tieren. Die Erscheinung von Samuels Schlittengespann beeindruckt Terrah. Diese Hunde sehen anders aus, kräftig, majestätisch und scheinen einen enge Bindung zu ihrem Musher zu haben. Dass sie sich ausgerechnet um diese Tiere kümmern muss, missfällt ihr. Zum einen, da sie sich in die typische Hausfrauenrolle versetzt sieht; zum anderen, da es ihr zu Anfang schwer fällt, mit den Hunden umzugehen.

    Zeitstrahl ausgehend vom Alter von Terrah

    - 10 Jahre: ihr Vater ging nach Alaska

    - erste und diverse Kinderarbeiten

    - 14 Jahre: Wunsch entwickelt sich auch Gold zu suchen, Vorbereitung werden getroffen

    - 15 Jahre: zukünftiger Stiefvater mischt sich im Leben der Familie Baker ein

    - 20 Jahre: erster Hinweis auf einen Mr. Corning im Brief

    - 21 Jahre: feste Hinweise auf Cornings Erfolg (zweitletzter Brief)

    - ca. 22 Jahre: Vater wird für Tod erklärt; Mutter heiratet schnellstmöglich

    - 23 Jahre: Liierung mit Thomas Jenkins

    - kurz darauf Reise nach Alaska

    - 24 Jahre: aktuellen Zeitpunkt


    Samuel Corning - Musher - von Jehanne

    Name: Samuel Corning

    Geschlecht: männlich

    Alter: 25 Jahre alt

    Geburtstag: 12.01.

    Spezies: Soweit man weiß, ist Samuel ein Mensch - auch wenn manche etwas anderes behaupten.

    Wohnort: Üblicherweise bewohnt Sam mehrere Goldgräberhütten in der Nähe seiner Claims und er hat in Dawson City ein kleines, spartanisch eingerichtetes Haus mit umso größerem Grundstück für seine Vierbeiner.

    FC: Freddy Carter
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    Aussehen allgemein:
    Statur: Samuel hat für einen Mann eine eher zierliche Statur und ist mit 1,72 Metern nicht allzu groß. Ebenso ist er ein Leichtgewicht. Würde er sich für Pferde interessieren, er wäre ein idealer Jockey. Aber auch für seine Hunde hat seine geringe Körpergröße und sein geringes Gewicht seine Vorteile.

    Gesicht: Samuel ist glatt rasiert und hat per se ein gut proportioniertes Gesicht, aber es ist hager, mit stark herausstechenden Wangenknochen, einer scharf geschnittenen Nase und markanten Kinnlinie, sowie einem harten Zug um den schmalen Mund. Er hat tief liegende, große, graublaue Augen, die unschuldig und lieblich wirken könnten, würden sie nicht immer grundsätzlich finster und voller Misstrauen in die Welt sehen. Seine Haut ist blass. Je nachdem wie übermüdet der ehrgeizige Mann ist, wirkt sie auch krankhaft fahl und durchscheinend. Durch die Kälte, der Samuel häufig ausgesetzt ist, neigt er zu rissiger, spröder Haut, die leicht aufplatzt oder schuppt, besonders um die Augen herum und an den Lippen.
    Aufgrund seiner schmalen Statur sieht man bei Samuel Kehle und Schluckmuskulatur gut, aber ebenso Schlüsselbeine etc. Er ist knochig.

    Kleidungsstil: Samuel trägt , wenn er als Musher unterwegs ist, pragmatische Kleidung. Robbenfelljacke, eine ebensolche Hose, Gesicht, Ohren, Kopf und Hals in warme Stoffe und Felle gehüllt. Füße und Hände stecken in dicken Kaninchenfellhandschuhen und Stiefeln. Kurz - man sieht nicht viel von ihm. Ist er einfach so unterwegs oder muss sich in feine Gesellschaft begeben, trägt er dunkle Anzüge, warmen Wolltweed, einen Hut auf dem Kopf. Schick, aber nicht charmant einladend, nicht dandyhaft.

    Vergangenheits-Stichpunkte:
    - kommt aus einer Londoner Arbeiterfamilie. Wie seine Eltern hat er früh in einer Fabrik für wenig Lohn hart arbeiten müssen. Er stammt also aus dem klassischen Proletariat und war das “Niederste vom Niedersten”.
    - Samuel hat einige Geschwister, doch wenige überlebten aufgrund der schlechten, gesundheitlichen Bedingungen in den Arbeiterunterkünften. Er hält sporadisch Kontakt zu seiner jüngeren Schwester Judith, um sie zu unterstützen.
    - Samuels Vater Michael ist ein Tyrann, für den physische Gewalt Macht bedeutet. Samuel bekam das auch zu spüren und musste lange Jahre seinen mageren Lohn bei ihm abgeben.
    - Sam floh aus diesen Verhältnissen und zog mit 20 Jahren los, um sein Glück zu machen. Sein Ehrgeiz, seine Verbissenheit, sein unbedingter Wille, nie wieder nach Hause zurück zu müssen, halfen ihm dabei, zu einem der erfolgreichsten Goldsucher zu werden. Heute könnte er sich auf seinem Erfolg ausruhen, doch es ist für ihn nie genug. Sam muss mehr sehen, mehr erfahren, mehr finden.

    Verhältnis zu Tieren/ Hunden: Samuel war ein schmutziges, abgemagertes, unterernährtes Kind, mit hungrig gebleckten Zähnen und ständig knurrendem Magen. Begriffe wie “kleiner Köter”, “verlaustes Viech” hörte er häufig von der feinen Gesellschaft. In seinen dunkelsten Stunden kämpfte er mit Straßenhunden um das letzte bisschen Essen und er musste oft feststellen, dass ihm diese mageren Kreaturen mehr Liebe und Halt gaben, als andere Menschen. Insofern ist es weder verwunderlich noch verwerflich, dass er heute Hunden mehr vertraut als seinen Mitmenschen.

    Bildung: Samuel kam als Analphabet nach Dawson City. Nach seinen ersten, erfolgreichen Suchen stellte er sicher, Lehrer zu bezahlen, die ihn im Lesen, Schreiben und Rechnen unterrichten würden, auf dass ihn niemals jemand über’s Ohr hauen würde. Bis heute sorgt er dafür, sich einen möglichst großen Wissensschatz anzueignen und liest alles, was er finden kann. Er kann durchaus vorgeben, ein Mann von Welt zu sein, aber hinter all dem lauert stets das halb verwilderte Kind, das seine Familie in einem Rudel räudiger Straßenhunde fand.

    Beruf: Samuel ist Musher, trainiert Hunde für andere Goldgräber und hat schon die ein oder andere Post in die nächste Stadt mit seinem Schlitten gefahren.

    Charakter:

    Negativ:
    Samuel ist verbissen und kühl. Die Ziele, die er sich gesteckt hat, will er erreichen, ganz egal wie viele Opfer er dafür bringen muss, wie sehr er bis an seine eigenen Grenzen geht oder diese überschreitet. Er berechnet jede seiner Routen genau und bis ins kleinste Detail, nutzt seinen guten Orientierungssinn und den seiner Hunde, während er sich gleichzeitig kaum auf seine Partner verlässt. Ihnen gegenüber ist er abweisend und verschlossen. Natürlich erzählt er ihnen ein paar Dinge und Fakten über sich, aber nichts, was ihn wirklich verletzlich machen oder sein Innerstes nach außen kehren würde. Wer Samuel zum Freund haben will, der braucht viel Ausdauer und einen starken Willen, denn der Musher ist anderen gegenüber misstrauisch, manchmal sogar offen feindselig, wenn sie ihm richtig auf die Nerven gehen.
    Zudem neigt er zu herrischem, autoritärem Verhalten, bedenkt andere mit sehr ernstem, zweifelnden Blick. Obwohl Samuel bodenständig wirkt, begegnet er anderen Goldsuchern selten je wirklich auf Augenhöhe. Wer mit ihm ziehen will, wird gnadenlos und hart gefordert. Tränen erweichen ihn kaum und Sam ist bei Fehlern oder Vertrauensbrüchen nachtragend. Alles geht am besten nach seinem Dickschädel und Fehler seinerseits kann er ganz schlecht einsehen. Dazu ist Sam zu stur und zu stolz.
    Sam hat so seine Suchtprobleme - wir wissen ja, dass ihm die Suche nach Gold und der Erfolg einen gewissen Höhenflug verpassen, ihm einen Kick geben. Auch, dass er habgierig sein kann, andere als Konkurrenten sieht. Aber das ist nicht sein einziges Laster …
    Auf andere wirkt Samuel wie erloschen. Er atmet, er spricht, er hat normale menschliche Bedürfnisse - aber er lacht kaum aus purer Freude oder weint aus schierer Verzweiflung. Er wirkt verschwommen und nicht ganz greifbar.

    Neutral:
    Sam ist ein ehrgeiziger Mensch. Er mag Herausforderungen, er liebt es zu erobern und Hindernisse zu überwinden. Stets wird er von dem Wunsch, mehr zu sehen, mehr zu entdecken, mehr aus sich und anderen herauszuholen, angetrieben. Er ist ein kritischer Geist, durchaus auch gesellschaftskritisch und beobachtet und prüft Altes, Neues und ihm Unbekanntes ganz genau, bevor er sich darauf einlässt und sich dafür offen zeigt - oder es verdammt. Zudem ist er nun mal ein bisschen verschroben. Er kann geradezu absonderlich wirken, wenn er sich in einem Moment von den Kindern der Stadt zufrieden grinsend mit dem Schlitten durch die Gassen ziehen lässt und ein Liedchen dabei singt und im nächsten mit finsterem Blick einen Hasen ausweidet und ihn an seine Hunde verfüttert. Sam hat einen Hang zu sarkastischen und gemeinen Kommentaren, in aller Regel besonders dann, wenn er sich mit a) geballter Inkompetenz, b) grenzenloser Blödheit oder c) arbeitsscheuem Gesindel konfrontiert sieht.

    Positiv:
    Samuel hat ein akribisch denkendes, analytisches Köpfchen, das sich gerne mit Details und den Geheimnissen des Universums umgibt - und das nebenbei in arktischer Kälte, Nebel, Schneeverwehungen und Co. klar denken kann. Er ist zielstrebig und willensstark und bekommt dadurch in aller Regel, was er begehrt. Wer ihm seine Post mitgibt oder ihm seine Hunde anvertraut, der weiß, dass Sam verantwortungsbewusst, fleißig, arbeitsam und produktiv ist. Auch, wenn Gemeindemitglieder Hilfe benötigen, packt er mit an. Im Grunde genommen ist er schon ein vollwertiges, engagiertes Mitglied von Dawson City und auch in einigen Städten Alaskas - aber sein Reichtum wirkt auf manche einfach abschreckend.
    Samuel ist geduldig. Gut Ding will Weile haben und es will sorgfältig geplant und ausgeführt werden. Er muss nichts sofort haben, kann warten. Auch mit seinen Partnern ist er per se geduldig. Er weiß, dass ein Greenhorn nun mal ein Greenhorn ist. Neu und unschuldig und ja, eben auch etwas überfordert. Er erklärt, er lehrt, er leitet an - aber er wird eben schnell grantig, wenn er es mit einem neunmalklugen Luftikus zu tun hat, dem seine Erfahrung egal ist! Samuel ist ein Stratege, ein Taktiker. Gold suchen ist für ihn wie Schach spielen. Er beobachtet seine Konkurrenten, macht sich ein Bild und handelt dann danach. Er handelt nie aufs Geradelos, hat einen Plan in der Tasche.
    Und … Sammy hat mehr Empathie, als man auf den ersten Blick meinen würde. Er hat meistens ein Herz für jene, die anderen total egal sind - was auch seine Liebe zu Hunden und seine Offenheit für andere Kulturen erklärt.
    Wenn Samuel Freunde und Beziehungen hat, ist er diesen Menschen gegenüber sehr loyal - praktisch ein Hund in Menschengestalt. Er will alles über sie wissen, damit er ihnen eine Freude machen kann, will tiefgründige Gespräche führen und macht sich dann auch “nackt” - kompletter Seelenstriptease, quasi. Er ist aufopferungs- und hingebungsvoll und es wäre ein Leichtes, den sonst so rationalen Mann auszunutzen und seine allgemeine Verbitterung und Enttäuschung weiter eskalieren zu lassen.
    Sam ist - zumindest was Körperkraft anbelangt - sehr sanft. Er hat eine leise Stimme, neigt zu vorsichtigen, umsichtigen Bewegungen und fasst seine Hunde grundsätzlich nur mit Samthandschuhen an. Eis und Schnee werden geradezu zärtlich aus den Pfötchen gepult und aus dem Fell gekämmt. Und ja, wer als Mensch von ihm sanft behandelt werden will, der hat deutlich mehr Arbeit zu leisten, als seine Vierbeiner!

    Wirkung auf andere: Samuel ist ein Mysterium. Man weiß, dass er am meisten Gold findet, aber wenig gesellig ist. Was er mit seinen Funden tut, kann niemand so genau sagen, aber manchmal schießen neue Schulen und Krankenhäuser aus dem Boden - oder ein Musher, der seine Hunde misshandelt hat, verschwindet spurlos. Gleiches ist auch schon Bordellbesitzern passiert, die “ihre” Mädchen schlagen und man ist sich einig - dieses schweigsame, listig guckende Etwas namens Samuel hat damit was zu tun.
    Wenn man Samuel nicht sieht, so hört man von ihm, seien es Erfolgsgeschichten oder Schauermärchen. Die Bewohner Dawsons und anderer Goldgräberstädte verhalten sich Samuel gegenüber höflich, manchmal schon fast ängstlich ehrfurchtsvoll - auch jene, die ihn nicht mögen und fiese Gerüchte über ihn verbreiten. Sam wirkt so, als interessiere ihn dies herzlich wenig.

    Gerüchteküche - ein paar Zitate:

    “Corning hat nur so viel Erfolg, weil er sich mit so einer Indianerhexe eingelassen hat. Ich hab’s gesehen! Generell trifft man ihn viel zu oft bei diesen Wilden an!”
    “Er hat den alten Musher Smith umgelegt und ihm seine abgemagerten und an Tollwut verendeten Hunde als Bestrafung vor der Haustüre abgelegt. Er sollte eingebuchtet werden, der Kerl liebt Hunde mehr als Menschen. Sowas gehört verboten!”
    “Sam war immer nett zu mir. Hat mir geholfen, Schulmaterialien für meine Kinder zu besorgen, ich weiß nicht, warum so viele ihn fürchten. Ist bestimmt nur Eifersucht.”
    “Er lacht nie, er tanzt nie, er trinkt keinen Tropfen Alkohol - aber nimmt trotzdem an allen Feiern hier teil und spielt seine Mundharmonika. Naja, immerhin schließt er sich nicht ganz aus, was?”
    “Ah, der gute Corning. Hat auf meine Hunde aufgepasst, während ich weg war und mein kleiner Sohn kann ihnen jetzt Befehle erteilen. Ist ein seltsamer Kauz, aber was soll’s!”
    “Ganz ehrlich, als Lady sollte man auf keinen Fall auf Goldsuche mit ihm gehen. Ich habe den Eindruck, der hat noch nie mit einer Dame gesprochen und er weiß garantiert nicht, wie man eine anständig behandelt! Wer weiß, was der Kerl versucht!”
    “Corning ist eiskalt. Er schießt und stellt dann die Fragen.”
    “Er ist ein Geizhals. Seit Jahren sitze ich hier im Yukon fest und meinen Sie, er hätte mir mal geholfen, mit seinem ganzen Gold? Ha, dass ich nicht lache!”
    “Corning ist ein Geist. Taucht auf, wann es ihm beliebt und verschwindet ohne jede Spur. Wie sonst sollte er immer so erfolgreich sein. Er ist kein Mensch!”
    “Samuel? Ihm gehört die halbe Stadt! Würde er nie zugeben, ist aber so!”

    Random Facts/ Hobbies: Dürfen im Spiel entdeckt werden, aber wir wissen, dass er musikalisch begabt und engagiert ist, sowie gerne liest.

    Wünsche: Eigentlich müsste Sammy wunschlos glücklich sein. Er ist unabhängig, er ist reich, er ist seinem alten Leben entflohen. Aber er ist es nicht. Ihm fehlt etwas, doch kann er nicht benennen, was. Und so sucht er rat- und rastlos weiter nach Gold in den Flüssen Alaskas.


    Schlittenhunde

    Samuel braucht acht Schlittenhunde

    Lead dogs:
    Amarok: Amarok ist ein großer Mischlingshund, mit aufgerichteten Ohren, dichtem dicken Fell, das braun und weiß gefleckt ist. Vermutlich ist irgendwo ein Bernhardiner mit drin. Er hat ein braunes und ein blaues Auge. Vom Temperament her ist er sehr ausgeglichen, ruhig und würdevoll. Nichts bringt ihn aus der Ruhe und Befehle befolgt er auch unter größten Schwierigkeiten. Samuel scherzt gerne, dass Amarok gut aussieht und es auch weiß. Er lässt sich gerne bewundern und setzt sich für die Menschen imposant in Pose, mimt dabei aber immer schön den unnahbaren Schönling.

    Zephyr: Zephyr ist vollkommen weiß, hat ein niedliches Hundelächeln und große, dunkle Knopfaugen. Er hat etwas überproportionale Pfötchen, steht Amarok an Körpergröße aber fast in nichts nach. Zephyr ist fürsorglich und checkt gerne, wie es den anderen Hunden im Gespann so geht, insbesondere den Mädels. Neuen Menschen gegenüber ist er sehr freundlich und aufgeschlossen, lächelt sie mit charmant schief gelegten Kopf an und gibt Pfötchen.

    Swing dogs:
    Vila: Vila ist zierlich von der Statur her, aber dafür sehr flink. Wenn es ihr nicht schnell genug geht, ärgert sie Amarok so lange, bis er einen Zahn zulegt. Sie hat ihr Temperament und ihren eigenen Willen. Sie hat goldbraunes Fell, braune Augen, Schlappohren und liebt Wasser. Sie hat ganz sicher irgendwo einen Retriever in ihrem Stammbaum, aber so genau weiß Sam es nicht. Da Vilas Fell weniger dicht ist, als das der übrigen Hunde, läuft sie mit Decke und Schühchen.


    Eos: Eos ist breiter gebaut, robuster und hat ein rötliches Fellkleid, besonders an den Ohren. Sie ist eine ausgesprochen hübsche Hündin, die sich manchmal gegen Geri zur Wehr setzen muss. An sich ist sie sehr geduldig. Wenn alle anderen rennen wollen, chillt sie lieber und starrt Sam mit waidwundem Blick an. Ja, manchmal ist sie faul. Aber sie ist auch vorsichtig, weiß, wo sie ihre Pfötchen hinzusetzen hat. Fremden gegenüber begegnet sie mit vornehmer Zurückhaltung.

    Team dogs:
    Geri: Niemand weiß so genau, was Geri für eine Rasse ist: Er ist mittelgroß, hat besonders an der Rute dichtes, buschiges Fell. Ein (etwas zu langes) Ohr steht hoch, das andere ist abgeknickt und hängt etwas. Sein Fellmuster gleicht dem eines Jagdhundes (schwarz gefleckt auf weißem Grund), doch dazu passen weder die Dicke, noch seine seltsamen Ohren. Geri liebt vor allem eines: Essen! Gib ihm Essen und er tut alles, was du willst! Bei neuen Leuten hat er seine Schnauze ganz schnell in deren Taschen, um zu sehen, ob sie nicht doch etwas Leckeres für ihn haben. Schließlich ist der arme Kerl angeblich immer total verhungert!

    Puk: Puk ist ein Dämon und man sieht es ihm auch sofort an. Sein Fell ist, bis auf den weißen Bauch, die weißen Pfoten und eine weiße Schnauze, komplett schwarz, seine Augen sehr hellblau. Der Wahnsinn, unter dem er nicht leidet, sondern den er genießt, springt ihm sofort aus seinem immer spitzbübisch dreinschauenden Gesichtchen. Er klaut Schuhe und zerkaut sie, beißt einem morgens in die Füße, wenn er Futter haben will oder bringt das Hundegeschirr durcheinander. Schimpft man mit ihm, geht das Spektakel richtig los. Weit aufgerissene Augen, geöffnetes Maul und den Wahnsinn im Blick. Samuel wundert sich manchmal, warum er ihn noch nicht zu einer hübschen Mütze und einem Muff verarbeitet hat und dann zeigt Puk auch seine andere Seite: Er ist unterhaltsam und aufbauend. Er hat so viel Schalk hinter beiden Ohren, dass man nie wirklich traurig sein kann, wenn er in der Nähe ist.

    Wheel dogs:
    Hermes: Hermes ist cremefarben, hat braune Augen, eine spitze Schnauze und Schlappohren, sowie einen verstümmelten Schwanz. Er ist groß, mit dicken, etwas o-förmigen Beinen und wenn er irgendetwas kann, dann ist es Schwergewichte zu ziehen. Samuel hat ihn einem Musher abgekauft, der ihn aufgrund seines “unschönen” Aussehens und seiner angeblichen Unfähigkeit, einen Schlitten zu ziehen, aussetzen wollte. Es stellte sich heraus, dass Hermes als Lead dog völlig ungeeignet ist, aber eben einen guten Wheel dog abgibt. Hermes ist schüchtern. Er schreckt vor lauten Stimmen und schnellen Handbewegungen zurück, versteckt sich in lauter und roher Gesellschaft hinter Sam. Hat er Vertrauen gefasst, braucht er viele, viele Streicheleinheiten und Kopftätschler. Er ist unendlich lieb und geduldig, mag Welpen und Kinder.

    Figaro: Wie Hermes auch, ist der dreifarbige Figaro sehr stämmig und muskulös. Unermüdlich lenkt er den Schlitten sicher um die Kurven. Bären, Karibus, Elche - die sind ihm total egal. In der Wildnis fühlt Figaro sich zuhause und er ist der netteste, zuverlässigste Hund dieser Erde. Einer, auf den man sich blind verlassen kann. Tja - das ändert sich, sobald der Gute sich in großen Menschenmassen bewegen soll, Sam ihm das Geschirr anlegt oder er einfach nur gepflegt werden soll. Dann singt er jedem, der es hören will oder nicht, das Lied seines Volkes. Mit klagend hoher Stimme singt er dramatische Opernarien und erzählt ganz und gar theatralisch von dem schrecklichen Leid, gekämmt zu werden oder die Pfötchen mit wärmender Paste eingeschmiert zu bekommen. Ach, man möge ihn bemitleiden und streicheln, so schrecklich ist sein Leben!

    “Alles!”, sagte Ferit etwas zu laut, rieb sich die Nase und stützte sich breit grinsend mit den Händen auf Gareths Schultern ab. “Alles von dem, was du gerade aufgezählt hast, ist verboten! Ich sollte noch nicht einmal hier sein, an einem Ort an dem Glücksspiel, Trunksucht und jedes Laster dieser Welt so hoch gefeiert werden.”
    Doch trotz seines Geständnisses ließ er sich bereitwillig von Gar durch das flirrende Meer von Leuchtreklame, Lichtverschmutzung und feiernden Menschen führen. Er schlang einen Arm fest um Gareths Hüfte und setzte langsam einen Fuß vor den anderen. Die kleinen Motten scharten sich noch immer emsig um die hell leuchtenden Lichter, flogen um Laternen und Werbeschilder herum, bis sie vor lauter Erschöpfung als leichte Beute auf dem Boden landeten. Ferit riss sich von dem traurigen Spektakel los und schenkte Gar wieder seine volle Aufmerksamkeit. Sicher würde er ihn davor bewahren, in seinem Wahn und seiner Gier nach Gefahr und dem lebendigen Gefühl, das diese ihm bescherte, einfach zertreten oder gefressen zu werden wie die Nachtfalter zu ihren Füßen.

    “Eine Sammelleidenschaft …”, murmelte er in seiner üblichen, eher leisen, kratzigen Stimme, “Wie soll ich mir das vorstellen? Musst du zwanghaft alles besitzen, was glänzt? Klaust du mir im Laufe des Abends die Brille von der Nase und ich muss mir einen Blindenhund suchen?”
    Er musterte ihn interessiert, griff mit neckischem Grinsen an die Hutkrempe und zog seine Fedora, die gerade eben noch lässig schief auf Gareths Kopf thronte, wieder gerade.
    “Sammelst du betrunkene Idioten ein und steckst sie in Einmachgläser? Oder spießt du etwa kleine, orientierungslose Motten mit spitzen Nadeln auf Korkuntersetzer?”
    Ferit warf ihm einen übertrieben panischen Blick zu und streckte ihm seine Zunge heraus. Dann verbarg er sein Gesicht in seiner freien Hand und hauchte mit theatralischer Grabesstimme: “Oder … Oh nein, sag’ mir nicht, dass du Briefmarken sammelst.”
    Der junge Weltenbummler wusste selbst nicht so genau, warum ihm ausgerechnet Briefmarken so lächerlich vorkamen. Vielleicht verband er sie unbewusst mit alten, langweiligen Opas, die mürrisch und schimpfend hinter gehäkelten Vorhängen saßen und die Jugend von heute verfluchten. Er versuchte, sich Gareth mit Spazierstock und verkniffenem Gesicht vorzustellen, doch scheiterte glorreich daran. Das Einzige, was dieses missratene Bild bei ihm hervorrief, war ein äußerst belustigter Blick auf Gareths Gesicht und ein kleiner Lachanfall.

    Kurz stand Ferit etwas orientierungslos auf der Straße - anscheinend hatte er sich bereits daran gewöhnt, dass Gareth ihn durch das nächtliche Vegas schob. Er legte den Kopf in den Nacken und begutachtete das Schild kritisch, auf das er ihn aufmerksam gemacht hatte. Zwischen all der Leuchtreklame wirkte es unscheinbar und altbacken. Eine geschwungene Schrift, in warmweißes Licht getaucht.
    “Oder wir ruinieren unsere Seele so sehr, dass sie noch nicht mal der Sheitan haben will!”, kommentierte Ferit halb scherzend und halb ernst und folgte Gar wie ein treudoofes, betrunkenes Hündchen in die kleine Gasse.

    Das kleine, schiefe Häuschen, vor dem sie standen, passte nicht wirklich nach Vegas. Die schmucken Laternen und Lämpchen, die auf efeubewachsenen Fensterbänken flackerten, wirkten anheimelnd. Die verwitterte Holztür stand offen und unter ihnen offenbarte sich eine nicht allzu steile Wendeltreppe, die wohl in ein düsteres Kellergewölbe führte. Alles in allem erweckte das gesamte Haus den Eindruck, als ob hier entweder eine nette Dame ihr Geschäft haben könnte, die ihnen Gebäck und heiße Schokolade anbot - oder eine fiese Zauberin, die sie zum Frühstück verspeisen wollte. Ferits betrunkenes Gehirn beschloss, mit letzterem zu rechnen. Er schob Gar bestimmt hinter sich und schnappte sich seine Hand während er schwankend einen Fuß auf die erste Stufe setzte: “Bleib’ hinter mir … wer weiß, was da unten wirklich ist”, raunte er unheilvoll, während er sich am Geländer festklammerte und den holprigen Abstieg begann.

    Natürlich hatte er sich völlig umsonst zum Beschützer aufgespielt, denn am unteren Ende der Treppe wartete lediglich eine ältere, freundlich lächelnde Dame, deren blau getönte Brillengläser noch dicker als Ferits waren. Sie trug einen sehr bunten Patchworkrock und an ihren Fingern steckten so viele klimpernde Silberringe, dass Ferit sie kaum zählen konnte.
    “Sieht nicht sehr verrucht aus”, flüsterte er in Gareths Ohr, als sie sich ihnen näherte. Der niedrige Raum, in dem sie sich befanden, roch nach Räucherstäbchen und war durch Lampions und Kerzen sehr spärlich beleuchtet. Er besaß nicht viel Mobiliar, lediglich einen runden Holztisch und ein paar Hocker, die auf schweren Teppichen standen. Ferit fühlte sich jetzt schon ganz schwummrig und kam für sich zu der Erkenntnis, dass es sich bei der Dame bestimmt um eine Scharlatanin handeln würde.

    “Sie legen … Karten?”, fragte er an die Frau gewandt, die sich ihnen als “Rita Hawthorne” vorstellte. Wahrsagerin und Medium anscheinend, auch, wenn Ferit nicht klar war, was hier der entscheidende Unterschied sein sollte.
    Seinem skeptischen Blick und seiner gerunzelten Stirn begegnete sie mit einem weichen Lächeln und einer derart rauchigen Stimme, dass Ferit ihr automatisch das Label “Kettenraucherin” verpasste.

    “Kommt herein, meine Täubchen, nur nicht so schüchtern …”, gurrte sie, während sie mit einer schwer beringten Hand wedelte. Ihre zahlreichen Armreifen schlugen mit einem metallischen Klirren aneinander und ihre Brillengläser leuchteten geheimnisvoll im Kerzenlicht. Mit einem amüsierten Blick auf Ferits grimmige Miene und den festen Griff, mit dem er Gareths Hand festhielt, fügte sie an ihn gewandt hinzu: “Keine Angst, ich werde deinen hübschen Freund nicht fressen - dazu ist er viel zu begierig, seine Zukunft zu erfahren, stimmt’s?” Sie wuselte um den kleinen Tisch herum, auf dem ein reich verziertes Kartendeck und eine Reihe funkelnder Edelsteine lagen und bedeutete ihnen, sich zu setzen. Ferit ließ Gars Hand los und flegelte sich breitbeinig auf einen der niedrigen Hocker. Insgeheim war er für die Sitzgelegenheit dankbar, denn sein Kopf dröhnte unangenehm. Doch die Dame kam ihm schmierig, irgendwie unsympathisch vor - noch nicht einmal der Alkohol konnte diese Gedanken vertreiben. Anscheinend hatte sie sich Gareth als ihr erstes Opfer ausgesucht, denn sie griff nach seiner Hand, legte sie auf das Kartendeck und sagte leise, während sie ihn durchdringend musterte: “Also, mein Täubchen … oder sollte ich lieber Adler mit dem Löwenherz sagen, hm? Du musst die achtundsiebzig Karten selbst mischen, das kann ich nicht für dich tun … Dann stelle dir eine Situation, eine Frage vor, auf die du eine Antwort haben willst und breite die Karten verdeckt aus. Anschließend ziehst du vier Karten und legst sie vor dich.”

    Ferit beobachtete, wie Gareths lange, schlanke Finger über die im Kerzenlicht glänzenden Karten huschten und er vier davon mit einer lässigen Bewegung vor sich ablegte.
    Rita verfolgte seine Bewegungen mit leuchtenden Augen und nicht zum ersten Mal fragte Ferit sich, ob sie nicht doch mehr war, als eine freundliche, ältere Dame, die nur zufällig Hexenwerk betrieb. Er setzte sich aufrechter hin, verließ seine dahingeflegelte Position, was seinen Kopf zum Schwingen brachte und rückte näher an Gar heran.
    “Immer noch so misstrauisch, mein Täubchen?”, fragte die Wahrsagerin und deckte Gareths erste Karte auf. “Ich bin kein Täubchen”, murrte Ferit undeutlich, mit finsterem Gesicht, während die Silben etwas verwaschen ineinander liefen. Dass er betrunken war, minderte sein Misstrauen bezüglich für ihn okkulten Praktiken nicht sonderlich, aber es sorgte dafür, dass er seine Scheu vor Berührungen gänzlich verloren hatte. Mit gerunzelter Stirn tauchte er unter Gareths Arm durch und starrte die Karte so intensiv an, dass es ein Wunder war, dass sie nicht Kraft seiner Gedanken in Flammen aufging.
    “Nein, das bist du nicht”, seufzte die ältere Dame kryptisch und wandte sich mit einem geheimnisvollen Lächeln, das ein paar Goldzähne entblößte, wieder an Gar:
    “Der Narr - er ist dein Ausgangspunkt und symbolisiert jugendliche Unwissenheit und Sorglosigkeit. Du machst dir nicht viele Gedanken darum, was andere von dir halten und genau das macht auch deinen Charme aus. Die zweite Karte ist unwichtig für dich, mein Lieber. Was auch immer sie dir sagt, gilt es weder zu befürchten, noch zu erhoffen.”
    Ferit lehnte seinen Kopf leicht an Gareths Brust und flegelte sich wieder in seine ursprüngliche, nonchalante Haltung, als Rita die zweite Karte aufgedeckte.
    “Simple Psychologie … deine Zukunft sieht düster aus!”, murmelte er Gar leutselig grinsend ins Ohr und griff nach der dritten Karte. Rita jedoch klopfte ihm auf die Finger und setzte zu einer neuen Erklärung an: “Ganz und gar nicht, kleiner Skeptiker.” Dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf Gareth und fuhr fort: “Als zweite Karte hast du den Magier - Er steht für Selbstvertrauen und den unbedingten Willen, selbst Unmögliches möglich zu machen. Doch dies ist eine Eigenschaft, die du bereits von dir weißt. Wie gesagt, beachte die zweite Karte einfach nicht.”
    “Warum muss er sie überhaupt ziehen, wenn sie so unnötig ist?”, fragte Ferit, bekam jedoch keine Antwort von Rita. Wahrsagerin, Medium, Möchtegern-Satanistin … was auch immer. Allmählich begann ihm die ganze Sache Spaß zu machen und er wartete geduldig ab, bis sie auch die weiteren zwei Karten für Gareth gelegt hatte.
    Laut Rita war die dritte Karte die Wichtigste. Gareth bekam die zwei Kelche, welche für eine wichtige Begegnung und das Klären von Gefühlen standen. Als vierte Karte erhielt er das Rad des Schicksals, das ihm angeblich zeigen sollte, wie die Zukunft denn nun für ihn aussehen sollte. Rita salbaderte noch eine ganze Weile darüber, wie das Rad für Neugier und Abenteuerlust stand, aber auch die Notwendigkeit, mit schwierigen Herausforderungen im Leben und seinen zwischenmenschlichen Beziehungen fertig zu werden. Dabei schenkte sie Ferit, der sich vor sich hin dösend gegen Gareths Brust gelehnt hatte, ein hintergründiges Lächeln.


    “Ich sag’s ja. Es sieht düster aus. Du bist ein naiver Clown, der mit dem Kopf durch die Wand will, keinen Plan von seinen Gefühlen hat und vor einem Berg an herausfordernden Menschen steht”, murmelte Ferit mit halb geöffneten Augen und piekste mit seinem Zeigefinger wie zur Bestätigung in Gars Bein.
    “Richtig interpretiert?”, fragte er die Wahrsagerin in herausforderndem Tonfall und setzte sich etwas aufrechter hin. Seinen Platz auf dem Hocker hatte er zugunsten des weichen, flauschigen Teppichs verlassen.
    “Jetzt bin ich dran. Sagen Sie mir, ob ich in die Dschahannam muss! Oh, wissen Sie eigentlich, dass Edelsteine keine Heilwirkung haben? Und auch keine bösen Geister fernhalten können? Wenn Sie damit gegen einen Ifrit antreten wollen, sind Sie geliefert. Aber … hübsch sind sie!”, lobte er die kunstvoll zurecht geschliffenen Figürchen aus Labradorit, Amethyst, Rosenquarz, Aventurin und Karneol, die auf dem kleinen Tischchen thronten. Erwartungsvoll musterte er die Hellseherin und lehnte sich wieder zurück.
    “Bist bequemer als der Hocker!”, bot er Gar als Entschuldigung für sein Benehmen an.

    Der Fluch des Goldes (Play vergeben)

    2er RPG, aber auch Gruppe möglich / Mystery, Abenteuer, Drama, evtl. Romanze / Historisch an den Klondike-Goldrausch angelehnt / FSK 18, möglicherweise sensible Themen wie Rassismus, Sexismus, Klassismus, Verwundung und Tod

    Handlung: In den zugefrorenen Flüssen Alaskas soll es Gold in Massen geben. Abenteurer aus aller Welt finden sich in der eisigen, unwirtlichen Wildnis ein und jeder von ihnen will sein Glück machen. Goldgräberstädte entstehen, man treibt Handel mit der indigenen Bevölkerung - doch was zuerst als kleine, friedliche Idylle inmitten von Schnee und Eis begann, wandelt sich schnell zu einem Alptraum. Neid und Missgunst entstehen unter den Goldsuchern und schon bald steht man zueinander in harter Konkurrenz. Wer verarmt, sieht sich gezwungen, in Schande und mit eingekniffenem Schwanz heimzukehren.

    Oder aber der unglückliche Mensch wendet sich hilfesuchend an Samuel Corning. Niemand weiß, wann genau der junge Musher nach Alaska kam, aber fest steht, dass er bei seiner Goldsuche immer Erfolg hat und seine Schlittenhunde zu den Besten in der Stadt gehören.

    Doch man muss wirklich in der Klemme sitzen, um ausgerechnet ihn um Beistand anzuflehen, denn Sam ist eine getriebene, krankhaft ehrgeizige Seele. Die Goldsuche ist für ihn wie ein Rausch, er muss zwanghaft Erfolg haben und ist nach dem Hochgefühl, das ihm die erfolgreiche Suche und das Gold bringen, süchtig. Gnadenlos treibt er jene Unglücklichen, die sich mit ihm in die erbarmungslose Wildnis begeben, zu Höchstleistungen an. Er hasst es, wenn man ihm widerspricht und verlangt, dass seine Anweisungen stets und ohne Nachfrage befolgt werden. Was er seinen Partnern an Liebe und Achtung vorenthält, schenkt er lieber seinen Hunden. Natürlich hat es seine Gründe, warum er so ist, wie er ist. Doch trotz all seiner Fehler muss man ihm eines zugute halten: Er überlässt seinen Partnern das Gold, das sie finden.
    Nur können sie sich selten lange daran erfreuen. Nach einigen Jahren kamen sie bislang ausnahmslos ums Leben. Unter den Goldgräbern ist man sich einig: Auf Sam, ja vielleicht sogar auf dem Gold per se, lastet ein Fluch, sicherlich ausgesprochen von den Indigenen, die unter den Goldgräbern schon bitter leiden mussten.

    Bist du bereit, dem eisigen Winter Alaskas zu trotzen und trotz der Gerüchte dein Glück herauszufordern?

    Ich suche: Eine arme Seele (m/w/d), die sich Sam (geschrieben von mir) anschließt. Der- oder diejenige muss einen wirklich triftigen Grund haben, so weit zu gehen. Evtl. ist diese Seele ein Greenhorn, muss es aber nicht sein. Und falls du unbedingt den unmbarmherzigen Musher schreiben willst und lieber mir das Greenhorn zuschustern magst - das ginge auch.

    Es wäre gut, wenn wir beide NPC’s übernehmen würden (Bewohner der Goldgräberstadt, indigene Bevölkerung, andere Goldsucher, Musher usw.)

    Spielmöglichkeiten: Natürlich können wir die Naturgewalten super ausspielen. Alles an Survival bietet sich grundsätzlich ganz toll an. Hitzige Machtkämpfe zwischen deinem Charakter und Sam. Wir können dem angeblichen Fluch auf den Grund gehen, erforschen, ob Sam einfach nur habgierig und kalt ist oder ob das Gold an sich seinen Charakter verdorben hat. Vielleicht erliegt ja auch dein Charakter den Verlockungen des Goldes?
    Zusätzlich zur Goldsuche kann in der Stadt auch eine Seuche ausbrechen. Wer weiß, vielleicht steht sie auch mit dem Goldfluch in Verbindung? Kann man sie medizinisch überhaupt heilen oder muss Sam erst von seiner Gier befreit werden?
    Und wenn gewünscht, lässt sich sicher auch eine Romanze schreiben, wobei diese erst mal ungemütlich sein dürfte - Sam ist nicht einfach zu handhaben und man muss ihm Paroli bieten. Er ist herrisch, hart und mag die Macht, die er besitzt - das lässt sich so schnell nicht ändern. Falls das alles noch nicht überzeugend oder spannend klingt: Die Schlittenhunde sind knuddelig und flauschig und haben zehn von zehn Punkten in Sachen Niedlichkeit.

    Interesse?: Dann schreibe mir gerne eine PN!

    Thure schrie gellend auf. Heiß und stechend schoss der Schmerz durch seinen Unterarm und für einen kurzen Moment glaubte der Jäger, alles sei vorbei. Sein erbärmliches Leben, seine dummen Ängste - ausgelöscht, ein und für allemal. Eine gute Zeit lang war ihm dieser Gedanke sogar tröstlich erschienen, wenn er alleine in seiner Hütte saß und an seiner Einsamkeit erstickte. Doch so schnell, wie die kräftigen Kiefer ihn gepackt hatten, so schnell ließen sie ihn auch wieder los.
    Der Jäger hielt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht seinen verwundeten, vom Blut glitschigen Arm. Vielleicht hatte er jetzt endlich jedes köstliche Tröpfchen Angst aus seinem Körper herausgeschwitzt oder es war die bleierne Müdigkeit, die ihn nicht mehr klar denken ließ - doch anstatt sich herumzuwerfen und loszurennen, hob er seinen unversehrten Arm und hielt ihm dem Herrn der Nachtmahre unter die qualmenden Nüstern.
    “Weil ich weiß, wie sich andauernde Schmerzen anfühlen”, murmelte er undeutlich. Langsam kroch er ein paar Schritte zurück und richtete sich mit noch immer gesenktem Kopf zu seiner vollen Größe auf. An sich, das wusste Thure, wirkte er auf den ersten Blick durchaus beeindruckend. Er überragte die meisten Dorfbewohner um mindestens einen Kopf, war breit gebaut, vermittelte einen robusten Eindruck. Doch dieser schwand schnell, sobald den Menschen auffiel, dass seine Haltung etwas schief und die Sohle seines rechten Schuhs ein gutes Stück höher als die linke war, um sein verkürztes Bein so gut es ging auszugleichen. Thure scharrte mit seinem zu kurzen Bein über den morastigen Boden, während sein verwundeter Arm dumpf pochend und nutzlos an seiner Seite baumelte. Er versuchte, dem Schwindelgefühl, das sich sirrend in seinem Kopf ankündigte, nicht nachzugeben.

    “Das hier …”, sagte er sachlich, während er mit dem Kinn auf sein Bein deutete: "Das kann ich nicht ändern. Aber die Kette, die dich quält - die kann ich entfernen. Mir hat nie jemand geholfen, warum also sollte ich mich genauso unbarmherzig verhalten?”, fragte er geradeheraus. Der Jäger war sich immer noch unsicher, wieviel das Biest wirklich von dem verstand, was er sagte, wann er es mit reinen, animalischen Instinkten oder dem fast schon menschlichen Verstand zu tun hatte. Aber solange es möglich war, wollte er an Letzteren appellieren. Er hob seine unverletzte Hand deutlich vor sein schmales, kantiges Gesicht und bewegte sie unendlich langsam auf den alptraumhaften Kopf des Nachtmahrs zu. Vielleicht war es Gewohnheit, vielleicht versuchte er auch nur gerade selbst, seine Nerven zu beruhigen, doch er sprach noch immer zu dem Untier. Redete mit ihm, wie er es mit einem verwundeten Wildtier tun würde, das zwar unberechenbar aufgrund seiner Schmerzen war, aber dennoch Hilfe benötigte.
    “Gleich ist es besser, Ihr werdet sehen … haltet still”, sagte Thure in einem gleichmäßigen, sanften Singsang, seine Stimme tief und beruhigend, als er die feine Kette behutsam begann, von dem riesigen Schädel zu schälen. Er konzentrierte sich auf diese Aufgabe allein, blendete die gewaltigen Kieferknochen, die scharfen Reißzähne aus, achtete darauf, der feurigen Glut, die aus den Nüstern stob, nicht zu nahe zu kommen. Während er arbeitete, erlaubte er sich, das Fell des Nachtmahrs eingehender zu mustern. Es changierte ebenfalls zwischen den Farben schwarz und blau, wirkte zottig und drahtig und … nass. Nass und verklebt. Stirnrunzelnd ließ Thure die Kette in sein Hemd gleiten. Er wagte es nicht, das Geschöpf erneut ungefragt anzufassen, doch wenn ihn nicht alles täuschte, handelte es sich bei seiner Entdeckung um unzählige, kleine Wunden, die sich der Nachtmahr unmöglich selbst zugefügt haben konnte. Vielmehr wirkte es so, als würde er ständig gegen eine kleine Meute kämpfen müssen, die ihn anfiel, kratzte und biss. In seiner Todesangst hatte der Jäger keinen Blick dafür gehabt, doch der Herr der Nachtmahre befand sich in einem wahrlich desolaten Zustand. Um genau zu sein in einem Zustand, den er üblicherweise an ehemaligen Leitwölfen sah, deren Rudel sich gegen sie gewendet hatte.

    Thure presste die Lippen zusammen und zog seine Hand allmählich vom knochigen, qualmenden Schädel des Mahrs zurück. Es war ihm nicht wirklich bewusst gewesen, doch er hatte nicht nur auf das Biest eingeredet - er hatte den breiten Schädel sanft mit zwei Fingern gestreichelt, nachdem er die Kette entfernt hatte. Ganz so, wie er es bei den vor Angst halb wahnsinnigen Wildkatzenjungen zu tun pflegte, die er päppelte, ganz egal, wie viele Kratzer und Schnitte er sich einfangen würde. Er machte einen holprigen Schritt zurück, dann zwei und musterte den Nachtmahr abschätzend. Sein Herz raste noch immer in seiner Brust, schlug wie ein kleiner, flinker Vogel gegen den Käfig seiner Rippen - doch es fühlte sich anders an. Die Furcht trat in den Hintergrund und Thure fühlte eine eigenartige Welle der Sympathie gegenüber diesem so furchteinflößend anzusehenden Geschöpf.
    Als Junge hatte er früh gelernt, dass man anderen Menschen oft nicht vertrauen konnte. Man hatte ihn gehänselt, herumgeschubst, ihn beschimpft, ihm Freundschaft oder gar Liebe vorgegaukelt, nur, um ihn dann zu hintergehen. Ihn fallen zu lassen.

    Im Dorf sprach jeder gerne von tierischer Grausamkeit, sobald ein Gemeindemitglied ein Verbrechen beging. Doch Thure wusste, dass kein Geschöpf dieser Erde so grausam sein konnte, wie der Mensch. Tiere wurden von Instinkten geleitet, konnten ihre Triebe nicht kontrollieren. Doch Menschen konnten ihren Verstand gebrauchen und entschieden sich nur allzu oft dazu, habgierig, lüstern nach Macht und Schlimmeres zu sein. Und jedes noch so gefährliche, mächtige Tier war am Ende menschlicher Grausamkeit hilflos ausgeliefert, sobald es das Pech hatte, in die Gewalt der Zweibeiner zu geraten.

    Thure legte den Kopf schief und atmete tief ein und aus. Auch wenn der Herr der Nachtmahre zumindest teilweise einen Verstand zu besitzen schien, so hatte er dennoch die Instinkte eines Tieres. Vermutlich hatte er ihn noch nicht einmal aus Bosheit gebissen - sondern aus Angst. Angst war schon immer die Wurzel jeglicher Aggression gewesen und besonders Tiere zeigten dies ganz ehrlich, hatten sie doch gar keine andere Wahl. Und so verließ den Jäger die blinde Panik, die er bis vor Kurzem noch gespürt hatte. Zurück blieb eine schwere Melancholie und eine vorsichtige Wachsamkeit. Er hielt sich den Arm und richtete das Wort erneut an dieses … stellenweise sehr menschliche Tier. Sein Blick war tief, die dunklen Augen müde und von eben jener warmen Melancholie durchdrungen, die er fühlte:
    “Besser?”, fragte Thure und sah schicksalsergeben in die abgründigen, glühenden Augenhöhlen. Die Würfel waren gefallen und die Entscheidung, wie gut ihm sein Wurf gelungen war, lag einzig und alleine bei dem finsteren Geschöpf direkt vor seiner Nase.

    “Seid Ihr denn nicht der Herr der Nachtmahre, habt Ihr diesen Rang verloren? Wie sonst soll ich Euch ansprechen?”
    Mit einem mulmigen Gefühl und dem Wissen, dass ihn dies das Leben kosten würde, würde es sich bei dem Tier um einen Bär handeln, drehte Thure sich um und damit dem Nachtmahr den Rücken zu.
    “Ich gehe jetzt, wenn es Euch beliebt. Ich gehe in mein Dorf zurück, da mir und wie es scheint auch Euch keine andere Wahl bleibt”, kündigte er sein Vorhaben mit zitternder Stimme an, während er auf wackeligen Beinen einen Fuß vor den anderen setzte und doch nicht umhin kam, dann und wann einen Blick nach hinten zu werfen. Zum einen aus Furcht, dass das Tier sich entschließen würde, ihn doch nicht zurückkehren zu lassen - und zum anderen aus Pflichtgefühl. Natürlich war Thure üblicherweise für die wenigen, nicht verfluchten Tiere des Waldes zuständig, pflegte sie, wenn er es konnte und erlöste sie von ihrem Leid, wenn es nötig war. Doch dass er glaubte, die Wunden eines Mahrs versorgen zu müssen, nun, das passierte ihm heute zum ersten Mal.

    Bebend blieb Thure am Boden liegen. Er schmeckte feuchte, faulige Erde und der Gestank von Rauch und Blut drang beißend in seine Nase. Eine warme, zähe, feuchte Flüssigkeit tropfte auf ihn herab, brannte sich zischend in die entblößte, weiche Haut seines Nackens - ein scharfer Kontrast zu dem kalten Waldboden, an den er sich mit aller Macht presste, um dem Untier über ihm zu entgehen.
    Der Jäger unterdrückte ein entsetztes Wimmern, als er spürte, wie die langen, scharfen Reißzähne des Nachtmahrs sein Genick streiften. Die Geste war trügerisch sanft und doch unterstrich sie seine vollkommen hoffnungslose Lage und die tödliche Gefahr, in der er schwebte, weitaus eindringlicher als der heftige Druck, mit dem die Bestie sein Gesicht noch tiefer in den Waldboden drückte. Ihr heißer, feuriger Atem versengte ihm die feinen Nackenhärchen und Thure begann, unkontrolliert zu zittern. Als Wildhüter hatte er unzählige Male gesehen, wie Wölfe ihre Beute zu Tode hetzten und ihr das Genick brachen. Das letzte, kraftlose Aufbäumen des todgeweihten Tieres, mit blutigem Schaum vorm Maul und dann das Krachen und Knacken der Knochen, ein letztes Strampeln, ein atemloses Röcheln – und es war vorbei. Sanfte Rehaugen, die einst scheu und doch neugierig glänzten, flackerten kurz noch einmal auf und erloschen dann wie eine Kerze, die der Wind ausblies. Es erfüllte ihn mit namenlosem Grauen, wie schnell er, als Jäger zum Gejagten, zur Beute geworden war.

    Thure zuckte kurz zusammen, als die unwirkliche Stimme des Ungetüms dröhnend über ihn hinweg wehte. Natürlich hatte er geahnt, dass der Herr der Nachtmahre anders sein musste, als sein Gefolge. Doch nie hatte er es für möglich gehalten, dass er sprechen konnte und dabei so menschlich klang. Entgegen aller Warnungen, die ihm sein Instinkt entgegen schrie, hob Thure den Kopf ein winziges Stück an und sah sich Auge in Auge mit der Bestie. Laub hing in seinen wirren Haaren und Erde bedeckte seine bleiche Wange. Von seinen haselnussbraunen Augen war fast nichts mehr zu sehen, so sehr hatte sich seine Pupille in seiner Todesangst, in dem Versuch, alles in seiner Umgebung zu fassen, um die erstbeste Gelegenheit zur Flucht zu nutzen, geweitet. Doch Flucht war sinnlos, das wusste er nun.
    „Ich kann nicht zurück, Herr. Bitte, die Dorfbewohner glauben, ich sei Euer … Euer Diener. Sie würden mir den Prozess machen, mich aufschneiden und rädern ...“, wisperte er, die Augen vor Entsetzen geweitet. Niemand hatte ihn je von Angesicht zu Angesicht so grausam bedroht. Doch er verstand, was es hieß, wenn man ihn auf dem Dorfplatz so lange anrempelte, bis er stürzte. Wenn man ihm vor die Füße spuckte. Und obwohl Thure meistens still und unscheinbar in irgendeiner Ecke der kleinen Dorfkneipe saß, ja, sogar versuchte, sich zusammenzukauern und seine hünenhafte Gestalt zu verbergen, so hörte er doch, was man über ihn redete. Die alte Gismela glaubte, dass er in seinem Inneren ein Fell verbarg, so hässlich und finster, dass es ihm Nacht für Nacht erlaubte, sich in eines jener verfluchten Geschöpfe zu verwandeln, das über das Dorf herfiel. Und Ragund beteuerte, gesehen zu haben, wie er des Nachts nackt und von Sinnen mit den Nachtmahren über Moore und Auen sprang und tanzte. Das halbe Dorf schwor, dass er ein seltsamer Eigenbrötler war, mit einem Herz so kalt und frostig, wie der Winter, in dem er geboren worden war. Warum sonst hatte er nie geheiratet, keine Frau, keine Kinder vorzuweisen? Irgendetwas musste mit ihm nicht mit rechten Dingen zugehen. Nein … nein, wenn er zurückkehrte, würden sie überprüfen wollen, ob er wirklich ein Fell verbarg. Man würde ihm den Prozess machen, froh darüber, endlich einen Sündenbock für all das Leid, das das Dorf erdulden musste, gefunden zu haben. Sicher hatte er auch seine Fürsprecher, Menschen, die er als einigermaßen gute Bekannte bezeichnen würde, allen voran Elaines und Ensis Eltern. Doch ihr Wort würde kaum genügend Gewicht haben, wenn man ihm an den Kragen wollte …

    Todesmutig brachte Thure sich in eine kniende Position, sah dem Nachtmahr mit bebenden Lippen in die rot glühenden Augenhöhlen und präsentierte ihm seine Kehle, während er eilig weitersprach. Es schien, als würden all die Worte, die er sich sonst im Alltag versagte und an denen er sich schier die Zunge blutig biss, nun aus ihm hervorbrechen: „Lasst mich Euren Wald passieren und wenn Ihr Euch dazu nicht in der Lage seht, dann tötet mich. Aber bitte, lasst Gnade walten und tut es schnell.“
    Der Jäger schluckte heftig, einmal, zweimal, bis er der dünnen Kette gewahr wurde, die dem Nachtmahr das furchteinflößende Maul halb zuschnürte. Er streckte eine heftig zitternde, langgliedrige Hand danach aus und beschloss, dass er nichts mehr zu verlieren hatte: „Ich kann Euch wahrlich nichts anbieten, damit Ihr mich nicht in Stücke reißt, denn ich habe Euren Wald nur mit meinen Kleidern am Leib, ein paar Vorräten, meinen Messern und meinem Bogen betreten. Doch ich sehe, dass Euch diese Kette quält. Ich kann Euch davon befreien, ich tue alles ...“, wisperte er mit dünner Stimme, während ihm salzige Tränen über die bleichen, schmutzigen Wangen liefen. Oh, was hatte er die übrigen Dörfler wegen ihrer Angst insgeheim verspottet. Und nun kniete er auf dem feuchten Waldboden, mit dem heißen Blut der Bestie besudelt und bettelte inbrünstig um sein erbärmliches Leben, das ihm in den letzten Jahren immer sinnloser, düsterer und leerer vorgekommen war.
    „Ihr wisst, worum ich im Gegenzug flehe“, seufzte er resigniert und ließ die breiten Schultern hängen, während er auf sein Urteil wartete. Ironischerweise glaubte er, dass der Nachtmahr ihm vielleicht wirklich mehr Gnade erweisen würde, als die nach Blut lechzende Menge, die unten im Dorf auf ihn wartete. Immerhin behandelte er das Geschöpf, das sein Dorf schon so lange in Atem hielt, gerade deutlich respektvoller als seine Mitmenschen.

    Die kleine Hütte sah seltsam leer und trostlos aus, nachdem Thure seine wenigen Habseligkeiten zu einem ungeordneten Bündel zusammengeschnürt hatte. Dunkelheit war über das Dorf hereingebrochen und in der Ferne konnte der Jäger vereinzelte Lichter sehen. Eine kleine Menschenmenge hatte sich auf dem Dorfplatz versammelt, der üblicherweise leer und ausgestorben war. Die Gespräche der Händler drangen bis zu seiner abgelegenen Hütte hinauf und Thure musste zugeben, dass er es genoss. Zwar mochte er die Stille und das Flüstern des Waldes, doch die ständige Trauer und Angst, in die sich die Dorfbewohner tagein, tagaus wie in einen düsteren Mantel hüllten, machten ihm zu schaffen. Die Sommersonnenwende brachte wenigstens etwas Leben in das Dorf. Für drei Tage wich die gespenstische Stille einer hektischen Betriebsamkeit, in der die Bewohner versuchten, alles nachzuholen, was sie das ganze Jahr über versäumten. Es wurde getanzt, gesungen, getrunken, gegessen und gelacht. Jeder tischte seinen besten Braten auf, jeder trug seine feinsten Kleider. Doch sobald diese drei Tage vorbei waren, kehrte alles wieder zum Alten zurück. Gesprochen wurde nur noch im Flüsterton. Die Dorfältesten schalten und schlugen jedes junge Mädchen, das seine liebliche Stimme zu betörendem Gesang erheben wollte. Und Thure selbst? Nun, er wurde wieder wie der Außenseiter behandelt, der er schon sein ganzes Leben war. Die Leute kamen nur noch zu ihm, um Fleisch und Felle zu erwerben und flohen dann, so schnell sie konnten. Noch auf dem Nachhauseweg flüsterten sie ängstlich miteinander, versicherten sich gegenseitig, dass dieser seltsame, hoch gewachsene Kerl, der ganz allein am Saum des Waldes lebte, einfach anders sei. Dass er den Wald betreten konnte und jedes Mal lebend und unverletzt daraus hervortrat, war äußerst verdächtig. Sicherlich beschützte ihn der Herr der Nachtmahre, weil er einen finsteren Pakt mit ihm eingegangen sein musste - falls Thure nicht selbst eben jener Herr war. Und im Grunde genommen war er doch schon seit seiner Geburt verflucht, mit seinem zu kurzen, rechten Bein. Ja, sogar Thures Eltern mussten furchtbare Sünden begangen haben, wenn sie mit einem Krüppel als Sohn bestraft wurden, der mit Monstern sprach und tanzte. So oder ähnlich lauteten die Gerüchte, die um seine Person die Runde machten.

    Im Grunde genommen scherte Thure sich nicht um das Gerede der Dorfbewohner. Er hielt es für einfältiges, hohles Geschwätz, bar jeder Grundlage. Nur nutzte ihm das von Jahr zu Jahr weniger. Je mehr Opfer die Nachtmahre forderten, desto panischer wurden die Dorfbewohner. Je öfter er in den Wald ging, ohne den Kopf der Bestie vorzuweisen, desto mehr verdächtigte man ihn dunkler Machenschaften. Und wenn die Dorfältesten begannen, geifernd und Flüche ausstoßend mit dem Finger auf einen zu zeigen, nun, dann war es Zeit, seine sieben Sachen zu packen und zu verschwinden. Genau das hatte Thure vor. Verabschieden wollte er sich nicht. Jene, die ihm im Dorf noch wohlgesonnen waren, waren Kinder. Elaine mit der Hasenscharte* oder Ensi, mit seinen schielenden Augen. Jene, die ebenfalls mehr schlecht als recht behandelt wurden. Thure wusste, dass besonders diese beiden sich im Stich gelassen fühlen würden. Der Gedanke zog ihm das Herz zusammen, doch er war hier einfach nicht mehr sicher. Mittlerweile glaubte er, dass ein möglicher Tod durch den Herrn der Nachtmahre einem wütenden, mordlustigen Mob, der für all das Leid einen Sündenbock suchte, vorzuziehen war.

    Mit einem letzten Blick auf das ausnahmsweise hell erleuchtete Dorf und seine schäbige Hütte, betrat Thure mit seinen beiden riesenhaften Hunden Calan und Créon den dunklen Wald. Pfeil und Bogen hatte er sicher auf seinem breiten Rücken verstaut und seine Jagdmesser steckten in seinem Gürtel. Obwohl die Sommernacht immer noch warm war, und sein dünnes Leinenhemd und seine Hosen aus gegerbtem Leder ihn ausreichend schützten, hatte er dennoch seinen Überwurf aus Nachtmahrfell mitgenommen. Er schimmerte eigenartig im Sternenlicht, die feinen Härchen changierten zwischen schwarz und bläulich-violett. Die Dorfbewohner hielten allein das für ein klares Zeichen seiner Verdorbenheit, während Thure fand, dass sich Nachtmahrfelle genauso gut verarbeiten ließen wie herkömmliche. Er war pragmatisch veranlagt und mehr Aberglaube als nötig, war ihm zuwider.

    Die Fackel beleuchtete unstet flackernd seinen Weg, während Calan und Créon hechelnd und mit wachsam gereckten Köpfen neben ihm her trotteten. Nervös strich sich Thure seine schulterlangen Haare hinter die Ohren, achtete darauf, seine Umgebung genau zu beobachten. Der Wald war außergewöhnlich still. Kein Nachtvogel sang sein klagendes Lied, noch nicht einmal ein Rudel Wölfe heulte. Thure wusste, was das bedeutete: Ein Räuber ging um, ein wahrhaft großes Raubtier. Und er war nicht naiv genug, um zu glauben, dass sich die wenigen, nicht verfluchten Bewohner des Waldes vor ihm fürchteten. Der Jäger blieb stehen, spähte in die undurchdringliche Dunkelheit. Eigentlich wäre er lieber bei Tageslicht geflohen, doch er wusste, dass ihn die Dorfältesten dann mit Sicherheit erwischt und zurückgebracht hätten. Was man dann mit ihm tun würde, wollte er sich lieber nicht ausmalen. Also hatte er sich klammheimlich im Schutze der Nacht davongeschlichen. Ihm drohte nun weniger Gefahr von seinen Mitmenschen - doch der verfluchte Wald konnte sich umso mehr als todbringende Falle erweisen. Dunkel dräuend ragten die hohen Tannen um ihn herum auf, während ein lauer Wind das raschelnde Laub um ihn herum aufwirbelte. Aus der Ferne hörte der Jäger zischende, keckernde Geräusche. Und sie kamen näher, immer näher. Der dunstige, feine Nebel, der ihm die Sicht erschwerte, legte sich in kleinen Tröpfchen auf seine bleiche Haut, befeuchtete seinen Bart. Aus eben jenem Dunst stoben in atemberaubender Geschwindigkeit etwa fuchsgroße Alptraumwesen. Gackernd und hechelnd, mit listig blitzenden Augen, schossen sie auf ihn zu. Thure zog sein längstes Jagdmesser, dessen Eisenklinge bedrohlich im Mondlicht schimmerte, während Calan und Créon knurrend die Lefzen entblößten. Doch die Wesen rannten einfach an ihm vorbei, verschwanden hinter dichten Nebelschwaden. Wie auf Kommando begannen seine beiden Hunde zu winseln, versteckten sich hinter ihm und klemmten die Ruten zwischen die langgestreckten Hinterläufe.

    Und dann hörte es auch Thure: Ein tiefes, dunkles Grollen, begleitet von einem langgezogenen Zischen. Instinktiv wusste er, dass dies kein Wolf, kein Bär sein konnte. Die schnarrende Atmung des Wesens, das sich ihm auf leisen Sohlen näherte, klang krank, so, als läge es in seinen letzten Zügen. Für einen wahnsinnigen Moment verspürte Thure so etwas wie Mitleid mit dem Geschöpf. Jedenfalls so lange, bis es sich aus den dornigen Sträuchern und Hecken schälte. Abgebrochene Äste knackten und zerbrachen splitternd unter seinen riesigen Pranken, während es an Gestalt gewann. Thure schätzte, dass es die massigen, robusten Kaltblüter der Bauern noch um ein kleines Stück überragen dürfte. Feuer und Rauch stob aus seinen Nüstern und dem Totenschädel, der sich ihm nun bleich und schrecklich zuwandte.

    “Der Herr der Nachtmahre!”, schoss es dem Jäger durch den Kopf. Thure wirbelte herum, stellte entsetzt fest, dass seine Hunde offensichtlich geflüchtet waren und er ganz allein mit diesem Geschöpf war, das mit katzenhafter Eleganz und vollkommen siegessicher auf ihn zu schlich. So, als wüsste es, dass er keine Chance gegen es hatte, egal, wie scharf seine Messer waren und wie weit sein Bogen schoss. Kurz wägte er ab, ob er es nicht doch auf einen Kampf anlegen sollte, entschied sich aber dagegen. Auch lautes Rufen oder Klatschen würde ihm nicht helfen, denn bei den Nachtmahren handelte es sich nicht um gewöhnliche Tiere. Manchmal schienen sie über mehr Verstand zu verfügen und an diesen hoffte der Jäger nun zu appellieren.

    Thure hinkte ein paar Schritte rückwärts, versuchte, seine hektische, stoßweise Atmung unter Kontrolle zu bekommen. Schweiß brach ihm am Haaransatz aus, als er sein Messer fallen ließ, die Hände hob - und mühsam auf die Knie sank. Er senkte den Blick, um das Wesen nicht noch mehr durch Blickkontakt zu reizen und kauerte sich anschließend auf dem feuchten Boden zusammen, das Gesicht ins modrig riechende Laub gedrückt. Thure machte sich so klein, wie er konnte, atmete so flach, wie es ihm möglich war, während er übermäßig laut hörte, wie die Bestie näher kam.

    “Wenn Ihr mir nichts tut”, hörte er sich leise krächzen, während er zittrig ausatmete, “dann will ich auch Euch keinen Schaden zufügen. Ich bin nicht hierher gekommen, um Euch zu verletzen … Ich muss nur diesen Wald durchqueren und danach werde ich Euch nie wieder behelligen, ich verspreche es. Nur bitte … lasst mich leben, Herr.”

    Thure wusste selbst nicht, warum, aber ihm erschien die respektvolle Anrede angemessen. Immerhin wurde das Geschöpf “Herr der Nachtmahre” genannt, hatte Rang und Namen. Noch immer mit dem Gesicht im Dreck betete er zu den alten Göttern, die seit einigen Jahren im Dorf so sehr verpönt waren und hoffte, dass man ihm Gnade erweisen würde.


    * Der korrekte Begriff dafür ist Lippen-Kiefer-Gaumenspalte, da es sich allerdings um ein mittelalterlich angehauchtes RP handelt, werde ich den veralteten und heute als ableistisch geltenden Ausdruck “Hasenscharte” benutzen.

    Die Atmosphäre knisterte und flirrte von der Magie. Die drei Dämonen ließen von Beathan ab und fauchten zornig, beobachteten den Magier mit hasserfüllt lodernden Augen.

    “Ah, sieh an!”, spotteten sie im Chor mit ihren scheußlich schrillen Stimmen. "Magier … Müssen sich in alles einmischen. Was kümmert es dich, wie es ihm ergeht? Er hat den Babylonier korrumpiert und unsere Rache ist allein unsere Sache!”

    Nach dieser kryptischen Aussage fackelten sie nicht lange. Sie stürzten sich mit gebleckten Zähnen, teuflischem Geheul und Gejohle auf den jungen Magier. Insbesondere der katzenartige Dämon, der seinen Spaß daran hatte, Beathan leiden zu sehen, war ganz vorne mit dabei. Ihm hatte der Schutzschild am Schlimmsten das Fell versengt.

    Und während der Kampf mit Getöse weiterging und seinen Teeladen verwüstete, erwachte Beathan aus seiner Ohnmacht. Ein gedämpftes, wie in Watte gepacktes Wirrwarr an Stimmen drang zu ihm durch. Die Worte selbst ergaben für ihn keinen Sinn, doch ihm wurde bewusst, dass eine der Stimmen deutlich tiefer klang, als die Übrigen. Er konnte rein gar nichts sehen … alles war einfach nur weiß und selbst dies erschien ihm in seinem Zustand amnesischer Glückseligkeit wunderschön. Was er war, wer er war, wo er … an all das konnte er sich vorerst nicht erinnern.

    Doch nach und nach kehrten seine Erinnerungen zurück. Langsam, wie zähflüssiger Sirup, aber sie kamen. Beathan … dachte er …Beathan war sein Name und er war sechsundzwanzig Jahre alt. Er hatte den Teeladen seiner Großmutter übernommen und seine Familie hatte einst mächtige Magier hervorgebracht. Oh Gott, die Magie!

    Er spürte eine klebrige Substanz in seinem Gesicht, seinen Haaren, zwischen seinen Fingern, schmeckte Kupfer. Blut! Und noch immer weit weg, hörte er das hässliche Geklirr von Porzellan und Glas. Er glaubte, Flüche wahrzunehmen, Kampflärm, konnte eine magische Präsenz spüren, die nicht er war. Und er roch Schwefel. Mit einem Mal kehrte der pochende, stechende Schmerz seiner zahlreichen Wunden zurück und Beathan spürte, wie erneut Panik in ihm hoch kroch. Mühsam drehte er seinen Kopf in Richtung des Lärms, fühlte, wie sein Herz zu rasen begann und sich redlich bemühte, Blut in seinen Kreislauf zu pumpen. Seine Sicht kam langsam zurück und mit seinem guten Auge sah er ein grelles, violettes Licht, während dunkle Schatten durch seinen kleinen Laden tanzten. Nach und nach verwandelten sich die Schatten in Dämonen. Dämonen, die einen einzelnen Mann angriffen, der sich ihrer behände erwehrte. Beathan keuchte entsetzt auf, denn mit seiner Sicht kehrten auch seine Erinnerungen zurück. Er war Opfer eines Dämonenangriffs geworden und diese Kreaturen gaben Mirzet die Schuld daran.

    Noch immer schwindelig stützte er sich an dem Regal, gegen das er geschleudert worden war, ab, und zwang seinen Körper in eine aufrechte Position. Sein Bein protestierte und eine Schmerzwelle durchzuckte ihn. Beathan unterdrückte einen Aufschrei und konzentrierte sich darauf, seine Angst und damit seine Magie in Schach zu halten. Wer auch immer der andere Magier war, momentan versuchte er noch, ihn zu schützen. Doch das könnte sich ändern, sobald er erfuhr, dass Beathan sowohl magisch, als auch clanlos war - wenn er Ersteres nicht ohnehin schon wusste.

    Benommen verfolgte der Halbire den Kampf und zuckte jäh zusammen, als der Fledermausmann hart gegen den violett flirrenden Schild prallte. Aus Reflex schützte Beathan sein Gesicht mit den Händen und just in diesem Moment brach die Magie erneut aus ihm hervor. Grün und golden schimmernde Lichtstrahlen schossen aus seinen Handflächen, umgaben den Magier, der gerade für ihn kämpfte. Seine Magie war schon immer ein launisches, intuitives Ding gewesen. Jetzt war es ihr anscheinend wichtig, dem anderen Mann vorsorglich heilende Energiereserven zu schicken. Reserven, die Beathan eigentlich nicht mehr besaß, aber das kümmerte seinen Körper gerade wenig.

    “Großartig!”, dachte der Heiler zynisch: “Dein ganzes Leben konntest du dich vor den anderen Magiern verstecken und jetzt offenbarst du dich so …”

    Laut entfuhr ihm ein krächzendes, unfassbar genervt klingendes “Scheiße!”, während er seine glühenden Hände drehte und ihm erneut das Blut aus der Nase lief.

    Ferit kaute konzentriert auf seiner Unterlippe herum und lauschte Gareths Worten, während der Alkohol zäh durch seine Venen floss und Las Vegas’ Skyline hell hinter ihm leuchtete. Vielleicht war es der Cocktail oder auch die Art und Weise, wie Gareth ihm die Freiheit beschrieb, sie ihm praktisch schmackhaft machte - aufregend, gefährlich, aber doch stets zum Greifen nah in all ihrer verbotenen Süße - doch er empfand kaum mehr Angst vor der Höhe. Stattdessen konzentrierte er sich einzig und allein auf ihre Unterhaltung, auf das, was er lernen, was er mitnehmen konnte.

    “Deine Kindheit klingt echt spannend. Zirkusartisten … hattest du denn wirklich niemals Angst? Meine Eltern und ich sind in die USA gezogen, als ich drei war.”

    Ferit grinste verlegen, setzte sich auf einen der rot gepolsterten Sitze der Gondel und zog Gar mit sich. Nachdenklich drehte er sein leeres Glas zwischen den Fingern und fuhr fort: “Ich konnte kein einziges Wort englisch und habe mich ständig halb zu Tode gefürchtet. Und das Erste, was mir die anderen Kinder beibrachten, waren natürlich Schimpfwörter. Von daher bekam ich immer eine Menge Ärger. War ja lustig - für sie”, er lachte wider Willen auf und schnaubte: “Meine Eltern haben einen kleinen Lebensmittelladen und wollen unbedingt, dass ich ihn übernehme. Zwei meiner Schwestern würden das übrigens liebend gerne tun, aber nein, sie haben sich auf mich versteift. Dass ich Steinbildhauer geworden bin, ist für sie immer noch eine furchtbare Katastrophe. Sie halten es für frivol und wenig ernsthaft, teils gotteslästerlich und und und …”
    Er seufzte und betrachtete die leuchtende Skyline: “Wahrscheinlich finden sie,, dass ich ihre Mühen weggeworfen habe, undankbar bin. Es war nicht einfach für sie hier, ist es manchmal immer noch nicht … Wie ist deine Familie so? Würden sie es akzeptieren, wenn du naja … aus der Art schlägst?”

    Nach und nach neigte sich ihre Raumkapsel, wie Ferit sie getauft hatte, wieder erdwärts. Die halbe Stunde Fahrt war fast um. Auf der einen Seite war der junge Weltenbummler erleichtert - und auf der anderen Seite hätte er auch noch weitere dreißig Minuten auf dem High Roller verbringen können, jetzt, wo er seinen Mut zumindest ansatzweise gefunden hatte. Er prostete Gareth mit seinem leeren Glas zu und murmelte: “Danke … ich finde dich nicht durchgeknallt. Jedenfalls nicht auf eine negative Art und Weise.”

    Er legte nachdenklich die Stirn in Falten, fuhr sich durch die Haare und gestand mit den Händen fuchtelnd: “Darüber habe ich mir nie wirklich Gedanken gemacht, Gar. Alles, was ich wollte, als ich hierher kam, war einfach mal … weg zu sein. Mir einen Moment lang erlauben, etwas anderes als pflichtbewusst und verantwortungsvoll zu sein. Mir keine Gedanken um meine Familie oder irgendwelche Imame und was verboten oder erlaubt ist, zu machen. Wörter wie Sünde und Gefahr aus meinen Gedanken zu verbannen..”

    Ferit verzog das Gesicht, lehnte seine Wange gegen die kühle Scheibe der Gondel und schloss die Augen. Gareth neben ihm war warm, sein Kopf dröhnte und er plauderte einfach aus dem Nähkästchen. Wohl ein Beweis dafür, dass der flüssige Mut bei ihm eindeutig wirkte.

    “Ich denke also, dass Freiheit für mich die Abwesenheit jener Regeln und Grenzen ist, die ich noch nie verstanden habe und nie verstehen werde. Meine Eltern haben sich redlich bemüht, sie mir in meinen Holzkopf zu prügeln - aber, nun ja, hier sitze ich!”, schloss Ferit aus seinen Überlegungen und grinste schief.

    Ferit nickte verstehend, als Gareth ihm die Beschreibung eines Greifen lieferte.
    “Interessant … Klingt ähnlich wie Anzu, der stammt aus Mesopotamien, also dem alten Orient. Aber die Sumerer glaubten, dass er ein Fledermausgesicht habe. Und du … fühlst dich mit diesen mythischen Wesen verbunden, ja? Es passt zu dir, denke ich. Wer sich aus einer Kanone abschießen lässt, muss wohl fliegen können. Allerdings frage ich mich bei dir …”, Ferit legte den Kopf schief, musterte Gareth von oben bis unten und grinste: “... nur mal angenommen, so ganz theoretisch - und du wärest tatsächlich ein Greif? Wie groß wärst du? Du bist ja jetzt schon ein Riese!”

    Die Spielzeugstadt kam langsam wieder näher, als sie sich dem Erdboden näherten, wandelte sich wieder in eine Metropole. Die kleinen Figürchen wurden wieder zu echten Menschen, die tanzten, feierten und laut durcheinander riefen, während sie aus der Gondel ausstiegen. Ferit hielt sich leicht schwankend an Gareth fest und begann nun doch, etwas zu zittern. Die Anspannung, unter der er anscheinend doch noch immer gestanden hatte, fiel langsam von ihm ab und ihn fröstelte.
    “A propos flüssiger Mut: Ich sage zu einem weiteren Cocktail bestimmt nicht nein, aber ich glaube, den braucht Max dringender - ich wage zu bezweifeln, dass er ein Goldkehlchen hat! Ich würde sogar mit dir wetten!”
    Ferit lachte ungewohnt gehässig und dreckig auf, doch seine heitere Miene umwölkte sich recht schnell auf genau die finstere Art und Weise, wegen der ihm die Leute in aller Regel schleunigst aus dem Weg gingen. Er konnte weder Max noch Claire in den Menschenmassen finden, die den High Roller umgaben.
    “Ah, sieht so aus, als käme der Feigling davon! Verräter! Er hat sich mit Claire aus dem Staub gemacht. Naja, dann ist es wenigstens nicht unser Problem, wenn sie sich gegenseitig die Köpfe einschlagen”, knurrte er und setzte konzentriert einen Fuß vor den anderen. Die frische Luft, die ihn umgab, sorgte dafür, dass der Cocktail, den sie sich eben noch gegönnt hatte, seine Wirkung voll entfalten konnte.

    “Uff …”, stöhnte er gequält auf, nur um kurz darauf überdreht zu kichern, als er sich gegen eine hell erleuchtete Hauswand lehnte. Kleine Motten flogen in die Lichtkegel, blieben dort orientierungslos hängen oder verglühten. Mit melancholischer Miene sah Ferit diesem Schauspiel zu, nahm seinen Hut ab und murmelte leise:
    “Ich glaube, ich bin eine Motte. Ich könnte frei umherfliegen, so, wie ich es will, aber mein Navigationssystem ist so gestört, dass ich doch immer irgendwo hängen bleibe. Haben Greifen eigentlich solche Schwächen? Versuchungen?”, fragte er und setzte Gareth seinen Hut auf. Wenn sie sich schon über übernatürliche Phänomene und Hypothetisches unterhielten, musste er immerhin wissen, wo ihre jeweilige Achillesferse lag.
    Ferit stieß sich von der Hauswand ab, rückte den Hut mit kritischem Blick auf Gareths Gesicht zurecht und meinte mit einem zufriedenen Grinsen im Gesicht:
    “So, passt. Wo gehen wir hin? Wir haben kein Opfer mehr für die Karaokebar, abgesehen von uns selbst, natürlich.. Und tanzen kann ich mehr schlecht als recht, sieht eher nach einem Anfall aus, aber hey, es könnte einen gewissen Unterhaltungswert haben.”
    Wie um seine Worte zu unterstreichen, machte Ferit ein paar tänzelnde Schritte auf ihn zu. Im Grunde genommen hatte er keine Ahnung, was er da tat und er schien noch dazu ganz plötzlich zu fühlen, wie die Erde sich drehte. Aber er war bestrebt, seine graziöse Schwester zu imitieren, die in ihrem Zimmer gerne irgendwelche esoterisch anmutenden Verdrehungen vollführte, wenn ihre Eltern das Haus verlassen hatten. Bei ihr sah es immer ziemlich leicht und elegant aus.
    “Huch!”, entwich es ihm, als er ungelenk gegen Gar knallte. Für diese Aktion konnte er noch nicht einmal dem Dämon namens Alkohol die Schuld geben - Ferit hatte grundsätzlich zwei linke, viel zu kleine Füße.
    “Oder … oder wir schauen uns irgendetwas Magisches an. Komm’, ich will was Verbotenes erleben, Freiheit und so …”, flüsterte er atemlos und lächelte sein geheimnisvolles Mona Lisa-Lächeln, bei dem man nie wusste, ob er einen Mord plante oder gerade nur etwas scheu war .

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