Terrah Jenkins
Die Luft war kalt. Durch die geringe Luftfeuchtigkeit wirkte die Temperatur aber annehmbar und mild, zumindest wenn der Wind nicht über nackte Haut fuhr. Nur leicht zog eine Brise durch die schachbrettförmigen Straßen und Gassen von Dawson City, konnte ungehindert einmal Hindurchfegen und den lockerliegenden Schnee in einen aufwärtsgerichteten Strudel aufwirbeln lassen.
Der Schnee auf den Straßen, den Vordächern und Dächern der überwiegend aus Holz erbauten Stadt glitzerte in der sanften Morgenröte, gab der weißen frostigen Decke einen warmorangenen Glimmer. Dieser abgelegene Stadtteil mit den verblassten Fassaden wurde durch die Farbnuancen leicht aufgewertet und hätte ein charmantes Gemälde abgeben können. Dennoch konnte die kurzfristig neugewonnene Farbe nicht über den Verfall hinwegtauschen. Über kurz oder lang würden an den Fassaden und den Dächern Renovierungen benötigt werden, um dem harschen Winter und Niederschlägen zu trotzen. Der gestiegene Zuzug von Goldsuchern, die den Schlagzeilen nach Gold! Gold! Gold! Gold! in den Extrablättern folgten, rührten bereits zu einem kleinen finanziellen Aufschwung, die die begrenzten Ressourcen an Unterkünfte noch nicht auffangen konnte. Schon jetzt war es schwierig eine Unterkunft zu bekommen, da viele von ihnen bereits vermietet waren oder die Preise für eine Übernachtung angezogen wurden. Der Bedarf war höher als das Angebot. Neue Gebäude müssten zeitnah errichtet werden. Eine Angelegenheit, die bei den Konferenzen im Idealfall bereits thematisiert wurden.
Der Schnee reflektierte das Morgenlicht, stach in den Augen und erschwerte die Sicht. Leicht kniff ich meine Lider zusammen, behielt die Wege im Blick, die Mr. Corning mit seinem Schlitten zum Hotel nehmen konnte. Noch würde er pünktlich kommen, dachte ich geduldig, fühlte aber dieses Kribbeln von Ungewissheit unter meiner Haut. Was wäre, wenn er nicht käme… eine meiner größten Sorgen, da ich mit dem Unterfangen direkt beginnen wollte und keinen weiteren Tag mit der Suche nach Mr. Corning verschwenden wollte. Denn schließlich hatte ich ihn gefunden und dazu gebracht, mit mir ein Bündnis zu schließen.
Zwei Damen schlenderten entlang der schmalen, vom Schnee geräumten Holzverandas der aneinandergereihten Häuser und Läden. Sie trugen teure, schicke Kleider, deren Saum unter dem wärmenden Mäntel hervorlugte. Ihre hoch geschlossenen Schuhe unter den Röcken waren ebenso hochpreisig und wärmenden wie deren Handschuhe. Welche Summen ihr heutigen Outfit kosten würde, malte ich mir nicht aus - Summen für Kleidung, die für jemanden wie mich utopisch waren. Kleidung hatte immer einen praktischen Bezug, hatte der Situation dienlich zu sein und im Idealfall lange zu halten. Egal, mit wie vielen Flicken oder neuen Nähten der Stoff am Ende zusammengehalten wurde.
Sie unterhielten sich ausgelassen, als die eine von ihnen plötzlich gekünstelt auflachte. Automatisch legten sich meine feinen Nackenhaare auf. Bissig, aber mit trockenem Gemüt kommentierte ich deren Präsenz, die High-Society bliebt es, sich unter das niedere Volk zu mischen. Es war ein Unterschied, ob jemand meines gesellschaftlichen Ranges einen Kommentar in diese Richtung abgab, oder ob sich jemand aus der gehobenen Schicht über jemanden wie mich lustig machte. In diesem Falle war meine gedankliche Äußerung spitzer Natur gegen die feinen Damen, die ich klischeehaft als alberne, unbesorgte und naive Tratschtanten abstempelte. Wenn ich mich nicht irrte, waren es die Töchter des hiesigen Bürgermeisters Williams.
Mit ein wenig mehr Respekt würde ich den Damen wohl oder übel begegnen müssen, dennoch lag wenig Entzücken in meinem Gesicht, als die ältere von ihnen mich ansprach.
“Warten Sie auf jemanden, Misses…”, erhob die Brünette ihre Stimme, beäugte mich abfällig von oben bis unten, so wie sie es bereits aus der Entfernung getan hatte.
Sie muss wohl kurzsichtig sein, wenn sie sich nun so ausgiebig mein Erscheinungsbild ansah, dachte ich verächtlich und mit spitzer Zunge. Ich hasste es, herablassend behandelt zu werden; hasste des dümmliche Grinsen auf den Lippen von Leuten, die nur nach dem Äußeren und sich eines Klischees bedienten… ich war selbst nicht von diesem einfachen Muster befreit, mit denen man Fremdes oder Anderes sich gezielt vom Hals oder auf Abstand halten konnte. Ein Mechanismus von Selbstschutz haftete diesem Verhalten zum Teil auch bei mir an.
“Sie wirken alleine gelassen”, schob sie nun nach, wartete noch immer auf eine Antwort meinerseits und dass ich mich ihr vorstellte. Leicht verschränkte ich meine Arme vor der Brust und gab nonverbal mein Desinteresse kundt. Schnallen würde sie es nicht, aber ein Versuch wäre es wert. Innerlich betete ich, dass Mr. Corning bald aufschlagen würde, um mich vor einer tiefgreifenderen Unterhaltung, Spott oder Schlimmeres zu bewahren.
“Ich bin Rachel Williams. Das ist meine ältere Schwester Mary Williams. Wir sind die Töchter vom Bürgermeister Williams”, kam ihre jüngere Schwester nun zu Wort. Ihre Stimme war ungemein freundlich und fröhlich, mit dem ich nicht gerechnet hatte. Innerlich fühlte ich mich herausgefordert und glaubte, dass die jüngere mir etwas vorspielen wollte, mich aufziehen wollte. So wie es bereits ihre ältere Schwester tat. In den Augen von Rachel lag jedoch ein aufgeschlossener, unbedarfter Glanz.
Sie öffnete ihren Mund, um fortzufahren. Ihre Schwester unterband sie sofort mit einem ermahnenden Blick, sah dann gespielt erwartungsvoll zu mir. “Nun, Sie kennen jetzt unsere Namen. Mit wem haben wir das Vergnügen”, sagte sie geheuchelt und schob ihr Kinn vor.
“Mrs. Jenkins”, gab ich knapp wieder, wandte mein Augenpaar von ihnen ab und schaute die Straße hinauf.
“Auf wen warten Sie, Mrs. Jenkins? Holt Sie ihr Ehemann gleich ab?”, eine Spur von Neid vermochten meine Ohren in der Stimme von Mary gehört zu haben. Das Mädel presste ihre Lippen unzufrieden aufeinander.
Da beide noch ihren Mädchennamen trugen und sich mit diesem wie selbstverständlich vorgestellt hatten, waren sie noch nicht unter die Haube gekommen oder noch niemanden versprochen. Als Dame ihres edlen Standes und ihres Alters wäre eine zeitnahe Liierung angebracht. Doch in dieser Ortschaft dürfte es schwierig sein, eine passable Partie zu finden, die den Ansprüchen von Bürgermeister Töchtern gerecht werden würde. Die meisten der Menschen, die hier durchreisten waren Goldsucher, hoffnungsvolle und doch verlorene Seelen, die nach dem großen Reichtum suchten. Sonst war die Stadt gefüllt mit Warenhändler, Ladenbesitzer und Hotelbesitzer, Arbeiter der örtlichen Sägemühle und der Schifffahrtsgesellschaft am Yukon River sowie anderen Handlangern, die ihr Brot durch Tagesarbeiten verdienten. Ihre Eltern würden gewiss einen Edelmann, einen Geschäftsmann oder einen Mann mit viel Besitz und dem entsprechenden Geldbeutel als annehmbar für ihre Töchter erachten.
Dass eine Fremde und jemand meiner niedrigen Herkunft mehr Glück - sofern man es denn Glück nennen wollte - bei der Partnerwahl hatte, war ihr offensichtlich ein Dorn im Auge.
“Ich habe einen Termin wahrzunehmen und werde bald abgeholt. Ich danke Ihnen für Ihre Fürsorge, doch bedarf es dieser nicht”, versuchte ich vor allem die ältere Schwester mit gespielter Freundlichkeit abzuwimmeln, “ich möchte Sie nicht weiter aufhalten. Einen angenehmen Tag noch.” – “Dann sind sie alleine in Dawson City, Mrs. Jenkins?!”, bohrte Mary spitzfindig und halb tadelnd nach, schien über die Möglichkeit halbwegs gespielt überrascht und musterte mich eingehend. Nach ihrem und dem allgemeinen Verständnis dieser Gesellschaft lief eine Frau meist mit ihrem Vormund herum, vor allem, wenn man von außerhalb kam und in einem Ort nicht ansässig war. Den Leuten, denen es zu suspekt war, konnte ich ein unterschriebenes Schriftstück meines Mannes vorlegen, aus dem sein Einverständnis zu meiner Unternehmung hervorging. Doch diesen beiden würde ich mit Sicherheit nichts davon zeigen. Weder waren sie vom hiesigen Wachdienst noch ein Inhaber einer Unterkunft, bei dem ich mir ein Zimmer mietete.
Ein Lichtblick erschien am anderen Ende der Straße, ein Schlitten gezogen von Hunden sauste durch das auffliegende Schneegestöber heran, auf den Kufen stand ein Mann, dessen silbrige Kleidung, die von Mr. Corning sein musste. Oh, ich sandte ein stilles Gebet gen Himmel, und bat inständig, dass es Mr. Corning wäre, der mich von den Weibszimmern retten würde. Ich wollte Mary nicht weiter Zündstoff bieten, auf dass sie wilden Tratsch über mich verbreitete und mir den Aufenthalt in Dawson City erschwerte. Dass meine Wenigkeit bereits seine Runde gemacht haben könnte, nahm ich stark an. Hatte ehrlich gesagt, nichts anderes von dieser und jeglichen anderen Städten erwartet, die ich bereits durchreist hatte. Aber zumindest wollte ich meine Privatsphäre weitestgehend gewahrt haben und augenblicklich schnüffelte die Zuller zu sehr in meinem herum. Sollte sie gefälligst ihre eigene Nase anpacken und vor ihrem Hof kehren, anstelle vor meinem!
Den beiden Damen schenkte ich keine weitere Beachtung, hielt mein Augenpaar auf den herannahenden Hundeschlitten gerichtet. Fast als würde das Ausblenden der Schwester, diese in Luft auflösen können.
Mit einem “Whoaah” von ihrem Herrn verlangsamten die Hunde die Geschwindigkeit abrupt und kamen mit dem Schlitten vor den Stufen zum Red Tree Hotel zum Stehen. Energiegeladen und bereit weiterzulaufen, schauten sie über ihre plüschigen kräftigen Schultern zu ihrem Musher, der zuerst das Gespann mit dem Anker im Schnee befestigte. Der Schneeanker hielt die Hunde davor zurück, sich alleine mit dem Schlitten auf ein Abenteuer zu begeben.
“Miss und Miss Williams … Mrs. Jenkins …”, begrüßte er uns eisig, eisiger als die frische Brise, die durch die Stadt fegte. Was einen leicht zusammenzucken ließ. Sein finsteren Gesichtsausdruck unterstrich seine genervte Haltung und seine Reserviertheit, die er gegen die Williams Schwestern, die Menschheit und wohl auch gegen mich empfand. In der River Rats Bar hatte ich einen ersten Eindruck von seiner Einstellung gegenüber Menschen mitbekommen, der sich nun festigte.
Gestern musste er wohl einen verhältnismäßig guten Tag gehabt haben, wenn ich es geschafft hatte, ihn zu überzeugen.
Unbeirrt von seinem Auftreten begrüßte Rachel Mr. Corning mit einem formvollendeten Damenknicks. Im starken Kontrast hielt sich Mary zurück, hustete in ihren Muff, ehe sie die Situation nach ihrem Belieben erklärte.
“Ich habe mich gerade ein wenig mit Mrs. Jenkins hier unterhalten. Wissen Sie, sie kam mir ein bisschen verloren vor, wie sie hier vor dem Hotel stand und da dachte ich mir … vielleicht tut ihr Gesellschaft ja gut!”
Heuchlerin, dachte ich anklagend mit schmalen Augen und warf ihr einen finsteren Blick zu, von dem sie nichts mitbekam, da sie zu Mr. Corning sprach und ein verlogenes, hilfsbereites Lächeln aufsetzte.
Indes kam Rachel zu einer klugen Schlussfolgerung und wollte wissen, ob sie damit rechtbehalten solle: “Werden Sie mit ihm auf Goldsuche gehen? Dann brauchen Sie bessere Handschuhe, Ihre sind etwas löchrig. Ich könnte Ihnen meine …”
Sofort unterband Mary ihre Schwester die Handschuhe abzustreifen und einer fremden Frau zu geben.
Zeitgleich verlagerte ich mein Gewicht auf das Hinterbein, um Abstand zu gewinnen. Ich wollte keine Hilfe und auch keine Almosen, selbst wenn Rachel Williams es durchaus gut meinte. Sie war ein ganz anderer Schlag als ihre Schwester, hilfsbereiter und naiver.
Wäre nur sie an diesem Morgen aufgetaucht, hätte ich ihr jegliche Lügen auftischen können, ohne dass sie auch nur eine angezweifelt hätte.
Der diplomatische Einwand von Mr. Corning überraschte mich am Rande des Verstandes, da ich ihm dieses Geschick bei seiner miesen Laune nicht zugetraut hätte. Die Chance nutzend und nicht weiter hinterfragend, nickte ich bekräftigend mit den Kopf, dass ich meine Kleidung wohl wissentlich ausgewählt hatte und keine augenblickliche Verbesserung benötigte.
“Angenehmen Tag”, sagte ich hastig, schritt sofort die Stufen hinab und in den Schnee, um an Mr. Cornings Seite zu treten. Auf seine geflüsterten Worte hoben sich meine Augenbrauen skeptisch. Er glaubte doch hoffentlich nicht ernsthaft, dass ich mit den feinen Damen der Gesellschaft pflegte zu verkehren?!
Aus seiner Mimik und seinem kühlen Augenpaar konnte ich nichts deuten, wie er meine persönlichen Präferenzen einstufte.
Zuvor legte ich meinen Rucksack auf den Schlitten, dann schnürte ich meine Kapuze fester um den Kopf.
Ohne länger Zeit zu vergeuden, befolgte ich der Anweisung von Mr. Corning schweigsam. Achtsam und etwas unsicher platzierte ich meine Füße auf den langen Kufen, packte mit den behandschuhten Händen die Stange vor mir, um mich festzuhalten. Bisher hatte ich nur wenige Gelegenheit gehabt, mit einem Hundeschlitten zu fahren, weshalb mir die Physik noch nicht vertraut war.
Rachel rief uns “Viel Erfolg” zu, als Mr. Corning sich auf die Kufen stellte, sich ebenfalls am Schlitten festhielt und den Schneehaken löste. Auf das Zeichen von Mr. Corning setzten sich die Hunde zügig in Bewegung, sodass der Schlitten mit einem Ruck anfuhr. Voller Energie und Freude hätten sich die Hunde ins Gespann gehängt, zogen nun das Gefährt hinter sich und lauschten aufmerksam den Befehlen von ihrem Herrn. Bellend schien sich ein Teil der Hunde gegenseitig anzufeuern und anzuspornen. Aus der Stadt raus kam es zu einer U-förmigen Wende und so zog die Stadt zu unserer Rechten an uns vorbei.
Welcher Ort unser Ziel wäre, wusste ich nicht, aber im Augenblick war die Distanz zu den beiden Damen, zum Stadtleben und das Wissen, dass es heute in die lehrreiche Ausbildung ging, ausreichend genug für mich. Für Fragen würde ich später reichlich Zeit finden.
Die uns umgebende Kälte und der Zugwind blies unangenehm ins Gesicht. So tief wie möglich versuchte ich mein Gesicht in dem Kragen meines Mantels zu vergraben, der Kälte auszuweichen oder ihr weniger Angriffsfläche zu bieten. Die eisige Kälte entzog meinen Wangen das Blut, der stechende Schmerz wurde beißend, bis dieser nach nur weiteren wenigen Minuten verschwand. Die Gesichtsmuskulatur war wie gelähmt. Zwischen dem Lammfellkragen stieg mein warmer Atem auf. Die Feuchtigkeit sammelte sich auf meinem Gesicht und im Kragen, wo dieser zu kleinen Kristallen gefror. Unangenehm oder beißend fühlten sich die Kristalle nicht mehr an, da die Haut bereits taub war.
Fest umklammerten meine eingepackten Handschuhe die Stange. Mit dem Körper glich ich mich dem Wanken des Schlittens an und bemerkte, wie Mr. Corning sich bewusst mit dem Körper in die Kurven legte.
Die Geräusche der Stadt waren schon lange verklungen, nur noch das Schneiden des Schlittens, das Knirschen der Hundepfoten auf dem Schnee waren zu vernehmen. Wenn die umliegenden Bäume zu viel Gewicht auf ihren Kronen trugen, kam die Schneemasse mit einem dumpfen, leicht knirschenden Geräusch auf den schneebedeckten Boden an. Die Stille war beruhigend und befremdlich zugleich.
In der Ferne zeichnete sich ein Haus ab. Eine große Fläche umgab das Holzhaus und mit einem großen Abstand das Örtchen. Es bot eine erste Einschätzung der Dimensionen dieses Grundstücks, das mich sprachlos werden ließ. An sich schien das Haus einsam und verlassen, nur ein dünner Rauchfaden wirbelte aus dem Schornstein hervor und demonstrierte Leben. Die Spuren im Schnee vor dem Haus deuteten ebenfalls auf Leben hin.
Auf Ansage von Mr. Corning steuerten die Hunde auf das Haus zu, die etwas widerwillig grummelten. Die Tour war ihnen zu kurz. Ihre Leiber und ihre Herzen fühlten sich noch nicht ausgepowert genug an, aber gehorsam lenkten diese ein. Mit dem Schneeanker sicherte Mr. Corning den Schlitten.
Ich hatte etwas Mühe, mich von der Stange zu lösen, an der ich mich festgehalten hatte. Meine Glieder, besonders die Extremitäten mit den feinsten Kapillaren, waren steif und langsam in ihren Ausübungen. Das Blut war ihnen gänzlich entwichen und würde bald als ein böses Kribbeln zurückkehren. Kälte konnte ein sehr unangenehmer Begleiter sein, stellte ich früh auf meiner Reise nach Dawson City fest.
Noch immer sprachlos nahm ich das Haus ins Visier, sah dabei zwei mal fast ungläubig zu dem Mann neben mir, dem dies alles gehören musste.
“Das gehört Ihnen? … Ihnen alleine?”, langsam kehrte meine Stimme zurück, die Verwunderung und Erstaunen verlauten ließ. Von dem Eindruck und der Vorstellung war ich wie erschlagen. Es gab so viele Ungereimtheiten zwischen meiner Vorstellung von dem, wie ein reicher Mann gekleidet, sich zu artikulieren und zu leben hatte. Und nichts davon traf auf Mr. Corning zu. Er brach die Stereotype, die sich seit meiner Kindheit in meinem Schädel gefestigt hatte. Anstelle eines pompösen Fellmantels, einem schicken Zylinder und feinen Schuhen trug er die pragmatische Seerobbenrobe und unter seiner dicken Kapuze erwartete ich den Anblick seiner struppigen braunen Haare. Anstelle eines schnöden, damen- und mengebegeisternden Redners war er distanziert, kühl und misstrauisch - demgegenüber musste man ihm seine Intelligenz lassen, mit der er aufmerksam andere studierte, vorausschauend und berechnend dachte. Sein Grundbesitz demonstrierte mir seine finanzielle Sicherheit, wobei er dennoch alleine lebte. Ich erinnerte mich nicht daran, dass er in der River Rats Bar einen Ring getragen hatte und auch so hatte niemand verlauten lassen, dass er verheiratet wäre. Die Gerüchteküche außen vorgenommen, da hieße es, er hätte sich mit einer Indiohexe eingelassen…
Dass er Geld besaß, war offensichtlich. Schließlich war er ein begabter und legendärer Goldsucher, dennoch traf mich die Realität wie ein Schlag, auf die ich nicht vorbereitet war. In meinen Kreisen war dies unvorstellbar und absurd, in solch einem Luxus zu schwelgen und zugleich nicht versnobt und im materiellen Sinne prahlerisch zu sein.
In diesem Haus konnte eine ganze Großfamilie unterkommen, wenn nicht sogar auch die ältere und die nächste Generation, sofern man so hauste, wie viele der Familien in meinem Geburtsviertel.
Erneut wanderte mein Augenpaar prüfend und skeptisch von ihm zum Haus und wieder zurück.