Von Göttinnen und Werwölfen
Eckpunkte
- FSK 18
- Zeit: 2024
- Ort: USA
- Schreibstil: 3. Person | Präteritum
- Genre: Urban Fantasy & Mythologie
- Link: Bitte melde dich an, um diesen Link zu sehen.
Von Göttinnen und Werwölfen
Eckpunkte
- FSK 18
- Zeit: 2024
- Ort: USA
- Schreibstil: 3. Person | Präteritum
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Das Rack 'n Roll war ein kleines Restaurant inmitten der Suburbs von Manhatten. Es versteckte sich zwischen den großen Betonblocks der Wohnungsbauten und war nicht direkt an die Straße angebunden. Wer sich hier nicht auskannte oder über Hörensagen vom Rack erfuhr, der verirrte sich nicht in diese Gegend.
Das Schild vor dem Laden flackerte und einige Glühbirnen waren ausgefallen. Ein Billardqueue spießte dabei ein Fleischbällchen von einem Teller mit Spaghetti auf und blinkte freundlich vor sich hin. Ein geschotterter Weg führte zum Eingang, sofern man sich zwischen dem Eisenzaun hindurch traute. Um es ein bisschen netter zu gestalten hatte der Besitzer vor dem Eingang einen Teppich ausgerollt, der früher mal knallrot gewesen war. Mittlerweile erkannte man die Farbe nur noch, wenn die Sonne einem gut gesonnen war.
Das Rack war ein Tipp für die unmittelbaren Anwohner der Suburbs. Hier gab es mitunter die besten Burger und Pommes, ohne in die Nähe des überlaufenen Time Squares gehen zu müssen. Sofern man sich mit dem doch recht runtergerockten Ambiente abfinden konnte. Hier gab es keinen Dresscode und keinen Türsteher. Wer auch immer herkommen wollte, der bekam auch etwas für sein Geld.
Entsprechend klein fiel auch das Interieur des Racks aus. Kleine Tische waren an den Wänden aufgestellt mit Bänken davor, die Platz für etwa vier Gäste boten. Zur Mitte hin standen freie Rundtische mit Einzelstühlen daran und an den Wänden hingen verschiedene Bilder, die entweder abstrakte Kunst oder Persönlichkeiten zeigten, die niemals hier gewesen waren. Rot karierte Tischdeckchen verliehen dem recht dunklen Mobiliar Farbe und hoben sich vom braunen Linoleum des Bodens ab. Im hinteren Bereich hatte man eine Bartheke erbaut, die den Eingang zur Küche hinter Paravents versteckte. Das hier war der Herrschaftsbereich von Tom Gregor, dem Besitzer des Restaurants. Er war ein gewöhnlicher Mensch, der in seiner Jugend einen Zwischenfall der anderen Art erlebt hatte und fast Abendessen eines Vampirs geworden wäre. Wäre da nicht Joshua, ein Gargoyle, aufgetaucht. Seitdem bot Tom dem Gargoyle ein Zuhause in seinem Restaurant an und bald stellte sich heraus, dass sein Retter einen überaus feinen Geschmackssinn hatte. Er beharrte darauf, dass es an der steinernen Zunge lag, wissen tat das jedoch niemand. Seit her verbrachte Joshua als Toms Freund seine Zeit in der Küche als Chefkoch, wohlbehütet vor sämtlichen neugierigen Augen.
Das war auch der Grund, warum Tom nicht nur menschliches Personal einstellte. Als einer der wenigen, die von der Existenz des Übernatürlichen wussten, hatte er einen völlig neuen Platz in der Hierarchie eingenommen. Denn wer davon wusste, konnte sein Menü auch entsprechend einrichten. Deshalb war das Rack nicht nur von Menschen, sondern auch von dem magischen Volk gut besucht. Hier fand zumeist jeder etwas nach seinem Geschmack – und sei es noch so abstrus.
Dank seines ersten Kellners Bratt erhielt Tom schnell einen weiteren Zugang, der sich als absoluter Glücksgriff erwies: Zayne Morin.
Auch an diesem Abend war Zayne wieder arbeiten. Er war spontan für Bratt eingesprungen, der sich bei einem Fehler während einer Beschwörung teilweise selbst aufgelöst hatte und den Gegenzauber finden musste, um wieder greifbar zu werden. Nicht, dass Zayne den angehenden Hexenmeister nicht gewarnt hätte, aber wer bekanntlich nicht hören konnte, musste fühlen.
Es war unter der Woche und demnach nicht sonderlich viel los. An den äußeren Tischen saß eine Prostituierte, irgendwelche zwielichtigen Typen und zwei Vamps, die er als Werwolf schon auf drei Kilometern an ihrem Räucherwerk gerochen hatte. Er war gerade auf den Weg zu ihnen, auf seiner Hand ein Tablett mit zwei dunkelroten Longdrinks, die kein alkoholisches Getränk enthielten. Er hatte seine Haare wie üblich zusammengebunden, eine schwarze Stoffhose mit einem einfachen weißen Hemd dazu kombiniert und bis auf seine Ohrstecker auf Schmuck verzichtet. Am Tisch angekommen stellte er den beiden Vamps, eine Frau und ein Mann, die Gläser mit einem dezenten Lächeln hin.
„Bist du dir sicher, dass du nicht irgendwann einmal mitkommen möchtest? Nur für mich?“, säuselte ihm die Vampirin zu und spielte dabei mit ihren langen, schwarzen Haaren. Auf Werwölfe wirkte der Bann eines Vampires nicht und doch versuchten sie es bei ihm immer wieder.
„Nein, danke, Jocelyn. Ich glaube, ich wäre heute sowieso nur das dritte Rad am Wagen“, schlug Zayne das Angebot wie immer aus und ließ einen vielsagenden Blick zu dem Mann gegenüber Jocelyn wandern. Der hier war kein richtiger Vampir – er war nur ein Schatten, ein Blutsklave eines Vampires.
Sie stieß einen übertriebenen Seufzer aus und lehnte sich auf der Bank zurück. „Du bist wirklich soooo schwierig zu überzeugen, Zayne… Schlägst du nicht manchmal ein bisschen zu viel Spaß aus?“
Er rümpfte daraufhin die Nase, kaschierte es aber mit einem Kratzen seiner Nasenwurzel. „Ich fürchte, mein Spaß und dein Spaß liegen in zwei verschiedenen Universen.“
Einen Moment lang starrte Jocelyn Zayne eindringlich an. Dann lachte sie glockenhell und Zayne war entlassen. Mit dem Tablett unter seinem Arm geklemmt kehrte er zur Theke zurück, wo Tom das Schauspiel beobachtet hatte. Er putzte gerade ein Bierglas mit einem Lappen und schielte zu dem Aschenbecher herüber, wo seine Schachtel Zigaretten lag.
„Ich dachte immer, dass sich Werwölfe und Vampire bis aufs Blut hassen“, raunte ihm der ältere Mann zu und hielt das Glas gegen das schummrige Licht.
„Das ist ein Mythos. Der einzige wirkliche Problemfall tritt nur dann ein, wenn wir sie beißen und umgekehrt. Unser Speichel ist ätzend für sie und deren Gift wirkt auf uns. Aber eine grundlegende Abneigung gibt es nicht“, erklärte Zayne, nachdem er das Tablett abgestellt und ein Soda darauf gepackt hatte. „Ihr seid doch alle so versessen auf Mythen und Märchen.“
Tom stellte das Glas zurück an seinen Platz und lehnte sich gegen die Spüle. „Wer kann denn auch ahnen, dass wir gar nicht so weit vom Schuss ab sind?“
Damit hatte er durchaus recht. Der breiten Allgemeinheit war nicht bekannt, dass es Magische unter ihnen gab. Selbst die eigenen Arten wussten nicht immer von den Existenzen der jeweils anderen. So hatte Zayne damals einen Heidenschreck erlebt, als er den steinernen Gargoyle in der Küche mit einer Schürze gesehen hatte. Mit der feinen Nase eines Wolfes konnte er oft bestimmen, wenn es sich nicht um einen Menschen handelte, aber war es eine Art, die ihm zum ersten Mal über den Weg lief, war auch er ratlos. Trotzdem hatte er schon vieles gerochen und einzuordnen gelernt
„Stimmt. Wer hätte das schon ahnen können“, nickte Zayne und nahm sich das Tablett, um das bestellte Soda wegzubringen.
„Ernsthaft, Cat? Eine Sonnenbrille an einem Oktoberabend in New York? Dir ist aber schon aufgefallen, dass die Sonne nicht mehr scheint?“, begrüßte Itzli seine älteste Freundin wenig herzlich. Er selbst trug den für ihn typischen, maßgeschneiderten, dreiteiligen Anzug – irgendwann in den 1950ern hatte er sich in diesen Stil verliebt und wurde ihn nun nicht mehr los, auch wenn er bei den Details durchaus mit der aktuellen Mode ging. Dank seines Aufzugs allerdings wurde er erstaunlich oft für einen Studiobürokraten gehalten, der überprüfte, ob ein Film nicht gerade zu viel Geld verschwendete, statt für den kreativen Regisseur, der er eigentlich gerade war. Erstaunlich viele Leute mussten außerdem zweimal hinsehen, bis ihr Gehirn das Bild von jemandem, den sie als native american beschreiben würden, in einem solchen Anzug verarbeitet hatte.
Bastets Kleidung war sicherlich nicht weniger teuer als sein Aufzug, hatte aber rein gar nichts geschäftsmäßiges an sich. Ihre luxuriösen Braids waren in einer kompliziert in Petrol und Flieder gemusterten Strickmütze untergebracht, um niemandem ins Auge zu springen, um den Hals trug sie ein passendes Tuch, in dem die Fliederfarbe überwog, während der Pullover das passende Petrol aufwies und an den Säumen ebenfalls mit Flieder gemustert war – alle drei Teile aus kuschelig weicher Alpakawolle und perfekt aufeinander abgestimmt. Die schlichte Jeans und die gefütterten Stiefel rundeten ein Outfit ab, das für jemanden, der das milde Klima in Kalifornien gewohnt war, durchaus gut an diesen für New Yorker vielleicht als mild geltenden Oktoberabend passte – nur die dunkle RayBan war ein wohlgewählter Stilbruch in dem Ensemble.
*Ich will nur ein interessantes Restaurant testen, ohne sofort erkannt zu werden und du ziehst meinen Vater in die Sache hinein?*, projizierte sie einen Gedanken direkt in seinen Geist hinein, während sie ihm gleichzeitig die Hand entgegenhielt und mit ihrer Stimme erklärte:
„Es geht nicht ums Wetter, sondern um das Statement. Das müsstest du als Krawattenträger doch wohl nachvollziehen können!“
Schicksalsergeben reichte der Vampir ihr die Hand, um ihr aus dem Uber zu helfen und ließ sich von Bastet in Richtung des Restaurants ziehen, von dem sie so viel Interessantes gehört hatte. Angeblich gehörte es einem Menschen, aber die restliche Belegschaft war übernatürlich, und es gab dort für fast jeden Geschmack etwas auf der zweiten Karte – aber es war kein Treffpunkt nur für Übernatürliche, der vor Menschen geheim gehalten wurde. Stattdessen konnten sie einfach hereinkommen und bekamen eine völlig profane Karte, die ihnen nicht verriet, dass sie zwischen Feen, Vampiren und Gestaltwandlern saßen.
Ein solcher Ort war durchaus etwas ganz Besonderes, und diesen Anblick konnte Bastet sich nicht entgehen lassen, selbst dann nicht, wenn sie nur für zwei Wochen in der Stadt war und die Hälfte der Abende für den Dreh verplant waren. Für die andere Hälfte hatte sie duzende Einladungen erhalten – doch sie wollte nun einmal das Rack 'n Roll besuchen und konnte sich keine bessere Begleitung dafür vorstellen als Itzli. Sicher, diesen Ort mit den menschlichen Schauspielern zusammen zu besuchen wäre vielleicht auch unterhaltsam gewesen, aber das hätte sie in ihrem Handlungsspielraum bei der Erkundung doch ein wenig eingeschränkt. Daher war es eben der Vampir, den sie der Wegbeschreibung folgend von der Straße fortzog.
„Sieh dir das an: Ein roter Teppich für mich!“, stellte sie begeistert fest und strahlte ihren Begleiter an, als sie den Eingang zu ihrem Ziel erreichten. Schnell nahm sie Mütze und Sonnenbrille ab, drückte Itzli beides in die Hand und reichte ihm anschließend ihr iPhone.
„Das schreit doch einfach nach einem kleinen Fotoshooting, meinst du nicht, Richard?“, erkundigte sie sich mit breitem Lächeln, sprang auf den Teppich und warf sich sofort in Pose.
„Kätzchen, in diesem Licht wird kein Mensch den roten Teppich als roten Teppich erkennen können“, versuchte er ihren Enthusiasmus ein wenig zu bremsen.
„Ich verstehe ja nicht einmal, wie du das durch die Sonnenbrille erkennen konntest“, fügte er auf Nahuatl hinzu. Wenn er von niemandem außer ihr verstanden werden wollte, nutzte er gerne seine Muttersprache, die in den USA immerhin kaum jemand verstand, da ihm Bastets praktische Fähigkeit, sich direkt in jemandes Gedanken bemerkbar zu machen, fehlte.
„Tu nicht so, als wüsstest du nicht, wozu Bildbearbeitung in der Lage ist. Ich brauche doch nur zwei, drei Fotos für Instagram, dann ist das Thema für heute Abend auch durch. Bitte-bitte?“
Statt einer Antwort hob Itzli das iPhone und schoss ein paar Bilder. Nachdem Bastet zufrieden war, holte sie sich Mütze und Sonnenbrille zurück und setzte beides wieder auf. Allerdings sparte sie sich den Versuch, ohne einen Spiegel die Braids wieder unter die Mütze zu bekommen. Nachdem das erledigt war, öffnete sie die Tür zum Rack 'n Roll und blieb für einen kurzen Moment im Eingang stehen, um die Situation einzuschätzen. Wenn Menschen zugegen waren, dann hielten sich die Übernatürlichen meistens zurück, denn die wenigsten von ihnen wollten allgemein als das erkannt werden, was sie waren. Doch ein solcher Treffpunkt, an dem es mehr paranormale als normale Wesen gab, war ein ziemlich guter Ort, um Übernatürliche Streitigkeiten auszutragen. Bastet machte sich da wenig Sorgen um sich selbst, denn es gab nicht viel im Universum, was einer Göttin wirklich gefährlich werden konnte. Aber es schadete nichts, sich einen Überblick zu verschaffen, wer in der Lage sein könnte, Itzli Schaden zuzufügen.
Tatsächlich lag zwar eine besondere Atmosphäre in der Luft, doch sonderlich gut besucht war das Restaurant nicht. Eine Vampirin mit einem Blutsklaven an einem der Tische, ein Werwolf als Kellner und sonst nur Menschen in diesem Raum. Entspannt ging Bastet weiter und machte die Tür frei, sodass nun auch Itzli eintreten konnte. Er würde ein besseres Gefühl dafür haben, wie mächtig die Vampirin im Vergleich zu ihm selbst war, doch prinzipiell gab es nichts in diesem Restaurant, was einem von ihnen wirklich Sorgen bereiten musste. Der Abend bot also das Potential, ganz wundervoll zu werden.
Da es noch verhältnismäßig früh war und unter der Woche war das Rack nicht besonders stark besucht. Die meisten Gäste pendelten am Wochenende oder ab zwanzig Uhr ein, wenn die Arbeit getan war oder man sich schnell noch etwas gönnen wollte. Deswegen war auch der optisch abgetrennte Bereich mit der eingezogenen Wand, wo zwei Billardtische und ein Dartbrett waren, noch völlig leer und lag im Dunkeln.
Ausgenommen davon waren Leute wie Tammy, die Sexarbeiterin. Die Frau um die Dreißig kaschierte viele ihrer Makel mit Kosmetika, aber Zayne urteilte in der Regel selten nach Äußerlichkeiten. Trotzdem kitzelte ihre Nähe jedes Mal seine Nase, wenn das dick aufgetragene Parfum fast alle anderen Gerüche überdeckte. Tammy zählte zu der Stammkundschaft, weil ihr Gebiet dieser Block war. Meistens kam sie nach getaner Arbeit einmal vorbei, um sich wieder zu sammeln und zu stärken.
Deshalb bestellte sie oft auch nur ein Soda. „Bist du dir sicher, dass du nichts essen möchtest?“, erkundigte sich Zayne sicherheitshalber, nachdem er ihr das Glas hingestellt hatte.
Tammy seufzte, schenkte dem Kellner allerdings ein aufrichtiges Lächeln. Sie hatte sich die Lippen aufspritzen lassen und die Haare blond gefärbt. Über das sehr eng sitzende Kleid trug sie einen Mantel, damit sie hier nicht allzu freizügig saß. Darum scherten sich nicht viele Sexarbeiter, weshalb Zayne sie ein wenig mehr schätzte als andere. „Das passt schon, Zenny. Der letzte Kerl war ein Stinkstiefel, da kannst du einfach nicht sofort was danach essen.“
Zayne besaß so viel Taktgefühl, nicht weiter nachzufragen. Es lag nicht in seinem Ermessen, ihr zu sagen, dass sie sich doch nach einem anderen Job umschauen konnte. In der Regel gab es Gründe, warum Menschen in dieses Metier abrutschten oder es sogar ganz gerne taten. Seine Aufgabe war hier zu kellnern und nicht, um sich zu sehr in die Angelegenheiten seiner Gäste einzumischen.
Allgemein betrachtet war dieser Job hier nur ein Zeitvertreib, eine Ablenkung. Eine Grundlage, damit er sein flüchtiges Leben weiter finanzieren konnte. Aus einer Krise heraus war er hierhergekommen und nun verstrichen die Tage und verkamen zu einem undefinierbaren Zeitraum. Wenn er arbeitete fühlte er den Druck nicht, den der Wolf in ihm machte. Wenn er arbeitete, war da nicht die Stille um ihn herum, die ihn zwang, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Wenn er arbeitete, dann hatte er keine Zeit danach zu fragen, wie lange er diese sinnlosen Tage noch weiter bestreiten sollte.
„Wie du möchtest. Aber ich kann dir heute besonders die Mac ’n Cheese empfehlen. Josh hat einen neuen Käse ausprobiert und sich selbst übertroffen.“
„Ich werde es mir überlegen“, sagte Tammy.
Zayne nickte ihr flüchtig zu und kehrte dann zurück zur Theke. An Tagen wie diesen war es ruhig und entspannt. Und damit leider auch mit etwas mehr Wartezeit verbunden, die er dann mit Tom totschlug. Gerade legte er das Tablett neben die Zapfanlage, da klingelte das kleine freundliche Glöckchen oberhalb der Eingangstür, die genau gegenüber der Theke lag, und kündigte neue Kundschaft an.
Was auch immer Zayne an diesem Abend erwartet hätte – das hier war es auf keinen Fall.
Seine Augen richteten sich auf den Eingang, um die neuen Gäste in Augenschein zu nehmen. Die Frau, die eintrat, hätte vielleicht von Weitem betrachtet als unauffällig gelten können. Doch Zayne reagierte umgehend auf sie, indem er sich versteifte und sie anstarrte. Auch Jocelyn, die gar nicht in die Richtung des Eingangs geschaut hatte, gefror urplötzlich und ihr Sklave verfiel in Totenstille. Sie alle spürten in diesem doch recht kleinen Raum die Macht, die sich erdrückend auf sie alle legte. Lediglich Tammy und Tom schienen davon herzlichst unbeeindruckt zu sein und verhielten sich völlig normal.
Erst, als die Frau einen Schritt zur Seite machte und einen weiteren Gast, einen Mann, hereinließ, fiel der Zwang der Regungslosigkeit von den Anwesen ab. Jetzt starrte Jocelyn die Neuen finster an, insbesondere den Mann, wie es schien. Nur Zaynes Augen weiteten sich, als er ein paar weitere Sekunden bekam, um die Frau zu mustern.
Er kannte das Brillenmodell. Gab natürlich viele, die es ihr zurzeit nachkauften, aber es gab nur eine, wo sich das dunkle Gestellt so satt von dem braunen Hautton abzuheben vermochte. Die sorgsam geflochtenen Braids, die aus der Mütze herausflossen, waren makellos gearbeitet worden. Insbesondere das Tuch mit seinem Fliederton und den anderen Akzenten, erkannte er aus zwei Bildern auf Instagram wieder. Ihn beschlich eine Vermutung, nur war das absolut lächerlich. Soweit er informiert war, war sie gerade an der Westküste und nicht auf der anderen Seite des Kontinents zugegen.
Dann nahm die Frau jedoch die Brille ab, die sie hier im schummrigen Licht nun wirklich nicht brauchte, und Zayne vergaß wie man atmete.
„…Zayne?“, harkte Tom nach, dem nicht entgangen war, wie sein charmanter Kellner plötzlich zu Starren begonnen hatte. Als er darauf nicht reagierte, versetzte er dem Werwolf einen Klaps auf die Schulter und holte ihn aus seiner Trance.
„Hm, was?“
„Junge, du bist komplett weg. Was ist los?“
Zayne warf Tom einen fast schon anklagenden Blick zu, eher er sich am Riemen riss und ins Gedächtnis rief, dass Tom von Social Media keine Ahnung hatte. Oder sich dafür interessierte. „Ich glaube, das ist Cathrine Jackson.“
„Warte, da klingelt was… Das ist das Model, oder?... Nein, warte. Schauspielerin. Was macht ne Schauspielerin hier?“
„Gute Frage“, erwiderte Zayne, der dabei zusah, wie Cat und ihre Begleitung den Raum betraten und einen der Rundtische in der Mitte anstrebten. Die Karte war darauf ausgestellt und er wartete die üblichen fünf Minuten ab, ehe er sich auf den Weg machte, um Bestellungen anzunehmen.
Je näher Zayne dem Tisch kam, desto stärker wurde die Präsenz. Noch nie zuvor in seinem Leben hatte er so eine Empfindung verspürt. Cat sah ihn nicht einmal an und doch hatte er das Gefühl, in ihrer Gegenwart rein gar nichts verstecken zu können. Er war sich plötzlich vielmehr bewusst, dass er sich die Haare gefärbt hatte und wie der Stecker in seinem Ohr seine Augenfarbe änderte. Es war keine Scham, jedoch… fühlte es sich plötzlich so unnötig an und das erschreckte ihn mehr als gewollt. Er konnte seinen Finger nicht darauflegen, aber für ihn stand völlig außer Frage, dass sie alt sein musste. Sehr alt sogar.
Erst, als er am Tisch ankam, stieg ihm der typische Geruch von Räucherwerk in die Nase und sein Blick fiel kurz auf Cats Begleitung. Der Mann war ein Vampir und gemessen an der Intensität des Räucherwerks auch keiner mit niedrigem Stand. Sein Anzug wirkte hier äußerst deplatziert, aber selbst ein Tölpel erkannte, dass er maßgeschneidert sein musste. Und verdammt teuer. Dass ein Farbiger solch einen Anzug trug, interessierte Zayne dabei herzlichst wenig. Äußerlichkeiten ließen sich leicht dazu nutzen, um andere zu täuschen. Ganz sicher war sich der Werwolf nicht, aber er meinte, diesen Kerl schon mal auf Bildern mit Cat gesehen zu haben.
Zaynes Blick hielt sich nur kurz auf dem Mann auf und widmete sich dann der Dame, so wie es sich eigentlich gehörte. Der Geruch, der sie umfing, war gänzlich anderer Natur. Da waren Spuren von Parfum, sicher, aber es überdeckte nicht den würzigen Geruch, der für ihn völlig unbekannt war. Sie duftete nach Koriander und Kardamom mit einer dunklen Note, die sich nur mit Macht beschreiben ließ. Noch nie zuvor hatte er so etwas gerochen und allein das brachte ihn beinahe aus dem Konzept.
Sie klappte gerade die Karte zu und hob ihren Blick, um seinem zu begegnen, da blieb ihm die Begrüßung im Hals stecken. Zayne gehörte nicht zu den schüchternen Typen, auf keinen Fall, aber ihm fiel auf, dass, je nachdem wie er ihre Augen ansah, sie die Farbe zu wechseln schienen. Mal war es eine normale Farbe, und im nächsten Augenblick waren sie smaragdgrün und geschlitzt. Er blinzelte mehrfach, bekam den richtigen Blickwinkel scheinbar einfach nicht hin.
Cathrine Jackson war alles andere als gewöhnlich oder ein Mensch.
Zayne räusperte sich. Er würde den Teufel tun und ihr auch nur ansatzweise andeuten, dass er ein Fan von ihr war. Dass sie ihn aus seinem Moloch geholt hatte und der einzige Grund gewesen war, wieso er hier überhaupt noch stand. „Einen schönen guten Abend wünsche ich. Kann ich Ihnen etwas zu trinken bringen oder haben Sie sich schon entschieden, was Sie essen möchten?“
Die Reaktionen, mit denen Bastet begrüßt wurde, kamen für sie nicht völlig unerwartet. Während die Menschen, wenn sie überhaupt reagierten, nur kurz aufsahen und wahrnahmen, dass jemand das Restaurant betreten hatte, konnte keiner der Übernatürlichen im Raum die Fassade perfekt aufrechterhalten. Alle drei Erstarrten für einen kurzen Moment, in dem Bastet ihnen ein sanftes ich-komme-in-Frieden Lächeln schenkte, um ihnen zu versichern, dass sie keine bösen Absichten hegte. Sie sagte kein Wort dazu, und vermutlich machte Itzli jeden guten Eindruck wieder zunichte, indem er sich erst einmal ein nicht besonders freundliches Blickduell mit der anwesenden Vampirin lieferte. Bastet verdrehte daraufhin die Augen, sagte aber nichts weiter zu dem Verhalten, dass die Untoten untereinander schlicht nicht lassen konnten. Erst nachdem die beiden Vampire die Hackordnung geklärt hatten, nahm sie die Sonnenbrille ab. Allem Anschein nach gab es in diesem Restaurant entweder freie Platzwahl, oder ihr Erscheinen hatte den Kellner weit genug aus der Bahn geworfen, dass er gerade überfordert damit war, sie zu einem der Tische zu führen. Da sie nach dem Charme der Inneneinrichtung eher auf ersteres Szenario tippte, suchte Bastet sich einfach einen Tisch aus, der ihr sympathisch erschien.
Ganz der Gentleman zog Itzli den Stuhl für sie zurück und rückte ihn zurecht, nachdem Bastet sich gesetzt hatte. Das passte zwar genauso wenig zu der Atmosphäre im Rack ’n Roll wie sein Anzug, aber für solche Höflichkeiten musste sie ihn einfach lieben, egal wie unpassend sie in der gegebenen Situation auch erscheinen mochten. Es reichte jedenfalls bei Weitem aus, um ihm das alberne Machtspielchen mit der fremden Vampirin sofort wieder zu verzeihen.
„Jetzt fehlt nur noch ein Selfie mit Getränk und ein Bild von deinem Essen, dann ist die Instagramm-Trilogie des Abends perfekt, nehme ich an?“, setzte Itzli das vor der Tür begonnene Gespräch fort, während er den Platz ihr gegenüber einnahm. So alberten sie kurz ein wenig über die Kunst herum, sein komplettes Leben öffentlich zu machen, ohne zu verraten, wer man tatsächlich war. Nebenbei riss Bastet sich die Karte unter den Nagel. Itzli würde sich dafür ohnehin nicht sonderlich interessieren und an einem Ort wie diesem konnte er sicherlich auf eine Alibi-Bestellung verzichten.
Es dauerte nicht lange, bis der Werwolf, der in diesem Restaurant als Kellner arbeitete, an ihren Tisch kam. Während sie ihm zuvor nur einen kurzen Blick gewidmet und ihn nicht als ernste Gefahr eingestuft hatte, sah Bastet genauer hin, als er sie ansprach. Er war ziemlich groß, selbst für einen Vertreter seiner Art, sicherlich an die zwei Meter, wenn er diese nicht sogar ganz knapp überschritt – aus ihrer sitzenden Position heraus nicht unbedingt leicht zu sagen. Der muskulöse Körper gefiel ihr und das Gesicht war wirklich sehenswert. Bastet entging der magische Ohrstecker nicht, und sie konnte durch die langweilig braune Illusion hindurch seine goldenen Iriden sehen. Sie sah ihm direkt in die Augen. Das tat sie einerseits, um ihm nicht versehentlich das Gefühl zu geben, sie wünschte sich ihn auf der Speisekarte, so, wie sie ihn gerade gemustert hatte, und andererseits, um ihn ihre Pupillen sehen zu lassen, falls ihm diese nicht ohnehin bereits aufgefallen waren.
„Den Wunsch kann ich nur ebenso zurückgeben. Die hausgemachte Limonade klingt interessant, die würde ich wirklich gern probieren“, bestellte sie sich mit einem Lächeln, was sie auf der Karte am meisten angesprochen hatte. Dazu verwendete sie die warme, fließende Altstimme, die ganz natürlich von Cats Stimmbändern sprang, und die die Welt von der Schauspielerin kannte. Wie sie es in der Öffentlichkeit gewohnt war, versteckte sie allerdings den Unterton, der ihre Worte sonst wie ein leises Schnurren begleitet hätte. Auch wenn niemand im Restaurant den Eindruck machte, ihr gefährlich werden zu können, so ging Bastet doch üblicherweise nicht mit ihrer Identität hausieren, auch nicht mit Hinweisen darauf, wer oder was sie sein könnte. Das ägyptische Aussehen konnte sie sich nicht verkneifen und die Katzenaugen gehörten zu ihr, wer also Eins und Eins zusammenzählte, könnte natürlich durchaus seine Schlüsse ziehen, aber sie sah keinen Grund, noch offensichtlicher zu werden.
Nachdem sie ihr Getränk bestellt hatte, wandte Bastet den Blick von den eigentlich-goldenen Augen des Kellners ab und sah zu Itzli hinüber, um diesem die Gelegenheit zu geben, sich ebenfalls an diesem Gespräch zu beteiligen.
„Einen schweren Rotwein, wenn ihr so etwas im Haus habt“, verlangte er kühl, was an so ziemlich jedem Ort der Welt, der Vampire in der menschlichen Öffentlichkeit bediente, der Code für Blut war – und wenn er letztendlich tatsächlich nur einen echten Rotwein bekommen würde, dann könnte Itzli auch den zumindest herunterbringen. Im Notfall würde er ihn vermutlich einfach seiner Begleiterin unterjubeln, die immerhin selbst schuld war, wenn sie ausgerechnet mit einem Vampir in ein Restaurant ging.
„Was das Essen angeht …“, beanspruchte Bastet dann wieder die Aufmerksamkeit ihres Kellners, „Was wäre denn das Beste, was Sie einem Menschen hier empfehlen könnten?“
Nachdem sie so viel Gutes über diesen Ort gehört hatte, gab es auf der Karte zu ihrer Enttäuschung kein einziges Fischgericht, das sie ansonsten sofort bestellt hätte. Doch wenn ein Restaurant etwas auf sich hielt, dann würde es sicherlich die ein oder andere Empfehlung des Hauses geben. Sie hatte dabei sehr bewusst gefragt, was der Werwolf einem Menschen empfehlen würde. Es liefen nicht viele Götter unter den Sterblichen herum, und selbst wenn er sie aus irgendwelchen Gründen erkannt haben sollte, bedeutete das noch lange nicht, dass er deswegen auch erraten konnte, wie ihre Lebensmittelpräferenzen aussahen. Daher versuchte sie ihn höflich wissenzulassen, dass sie alles aß, was Menschen ebenfalls essen konnten. Dass sie sich gelegentlich zum Nachtisch auch gerne an den Snacks ihrer Hauskatzen bediente, passte zwar nicht direkt zu dieser Behauptung, doch das tat in dieser Situation dann doch wenig zur Sache. Sie war schließlich nicht den ganzen Weg hergekommen und verbachte einen der wenigen Abende, den sie in der Stadt hatte in diesem besonderen Restaurant, um dort eine Dose Katzenfutter zu bestellen.
Immer wieder durfte Zayne Zeuge davon werden, wie seine magische Seite auf ganz andere Befehle hörte wie er selbst. Mehr als nur manchmal sträubte er sich gezielt den Reaktionen nachzugeben, die der Wolf in ihm sich wünschte. Genauso roch er Dinge, die über den menschlichen Geruchssinn hinaus reichten oder hörte Geräusche aus aberwitzigen Entfernungen. So hatte er vorhin Cats Stimme bereits gehört und ihm war direkt eine gewisse Form der Bewunderung anzusehen gewesen. Immerhin war sie es gewesen, die er täglich des Nachts auf seinem Smartphone anstarrte, wenn das Dunkel wieder zu tief und zu schwer für ihn wurde.
Das alles war aber nichts gegen die Wucht, die ihn ergriff, als er in unmittelbarer Nähe zu Cat stand und sie sprach. Selbstverständlich besaß Cat eine unglaublich samtige Stimme, er kannte sie ja. Und doch traf sie ihn bis ins Mark, sodass er sie für einen langen Augenblick nur wortlos anstarren konnte. Es ging nicht darum, was oder wie sie es sagte. Er konnte nur noch nicht den Finger darauflegen, was genau es war. Aber es löste eine seltsame Gefühlsregung in ihm aus, die er nicht deuten konnte.
„Einmal die Limonade. Sehr gern“, fing sich Zayne schließlich doch noch, notierte aber nichts auf dem Block, der in seiner Hosentasche steckte. Gedanklich stutzte er, als ihm auffiel, dass er sich in diesem Fall absolut sicher war, selbst eine Bestellung aus fünfzig verschiedenen Ordern fehlerfrei behalten zu können, solange nur sie es sagte.
Entgegen seiner üblichen Höflichkeit richtete er das Wort nicht von sich aus an Cats Begleitung. Erst als sie zu ihm sah, folgte auch sein Blick ihrem und landete auf dem durchaus attraktiven Mann. Wäre er jedenfalls kein Vampir gewesen. „Natürlich führen wir den Roten. Ich schätze, Sie sind heute auf der etwas experimentellen Seite unterwegs? Dann würden wir ein kleines Extra hinzufügen.“
Das machte Zayne nicht bei jedem Vampir. Allerdings hatte er in diesem Fall das Gefühl, durchaus von der Norm abweichen zu können. Und das lag mitnichten an Cats Anwesenheit. Das redete sich der Werwolf zumindest vehement ein. Irgendwie beschlich ihn das Gefühl, auch diesen Vampir zufriedenstellen zu wollen. Sehr sogar. Auch das war ein Punkt, der ihn etwas irritierte, denn üblicherweise ging es Zayne nicht darum… gefallen zu wollen. Er wollte gefallen? Natürlich wollte er das. Schließlich hatte das Schicksal Cat in dieses Restaurant geführt, eine gar einmalige Chance. So nah würde er ihr nie wieder kommen.
„Was das Essen angeht…“
Augenblicklich sprangen Zaynes Augen zurück zu Cat. Eine einzige Silbe hätte dafür wohl schon gereicht.
„Was wäre denn das Beste, was Sie einem Menschen hier empfehlen könnten?“
Sofort fühlte Zayne sich so, als hätte er sie maßlos enttäuscht. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen und Furchen erschienen auf seiner Stirn, als er sich über diesen völlig unangebrachten Gefühlsausbruch wunderte. Sie wollte doch nur eine Empfehlung, aber so wie sie es sagte klang es danach, als gäbe es nicht das auf der Karte, was tatsächlich ihren Geschmack traf. Also glättete er mühsam seinen Gesichtsausdruck ehe er antwortete. „Das wäre heute tatsächlich Mac 'n Cheese. Unser Koch hat einen neuen Käse entdeckt und sich damit selbst übertroffen.“
Er horchte in sich hinein. Ja, das Gefühl war definitiv noch da und hatte sich nicht abschütteln lassen. Seine Kiefermuskeln spannten sich an, während er darüber nachdachte und dem Drang nachzufragen nicht länger widerstehen konnte. Wie er es auch drehte und wendete, er konnte einfach nicht den Gedanken abschütteln, dass er doch noch etwas für sie tun konnte.
„Entschuldigen Sie die Nachfrage, aber fehlt Ihnen etwas auf der Karte? Das ist die reguläre Karte, aber je nachdem sieht sich unser Koch auch gern einer Herausforderung gegenüber“, fügte er hinzu und umging dabei galant den Punkt, dass die Frage von einem persönlichen Gefühl herrührte.
Der arme Werwolf brauchte offensichtlich einen Moment, um sich zu fangen und ihre Bestellung tatsächlich aufzunehmen. Es wirkte, als hätte ihre Ausstrahlung ihn wohl ein wenig umgehauen – das kam bei jüngeren Übernatürlichen schon einmal vor. Sie beobachtete mit einem wissenden Lächeln, wie er versuchte, seine Gedanken zu sortieren und stellte dabei fest, wie gut er eigentlich aussah. Sicher, die Illusion, die seine Augen verhüllte, machte ihn ein wenig langweiliger, als er sein könnte, aber die Statur und die Gesichtszüge könnte sie sich sicherlich eine ganze Zeit lang ansehen. Dass er seine Augen versteckte, weckte in ihr außerdem eine gewisse Neugier darauf, wie sein Wolf wohl aussah. War das ein Schimmer eines silbrigen Haaransatzes, den sie da entdecken konnte, der mehr über sein Fell verriet, als dieser Wolf zugeben wollte? Und wenn er sich als Mensch die Haare färbte, übertrug sich das dann wohl auf sein Fell? Seit der Entwicklung von chemischen Färbemitteln hatte sie nicht genug Zeit mit Werwölfen verbracht, um auch nur den Hauch einer Ahnung zu haben, und davor hatten so wenig Leute tatsächlich gefärbt, dass sich ihr diese Frage zuvor nie gestellt hatte.
Es dauerte aber glücklicherweise nicht lange, bis der interessante Werwolf seine Stimme wiedergefunden und ihre Bestellung aufgenommen hatte. Anschließend bot er Itzli ein experimentelles Extra zu seinem Wein an. Da der Vampir offenbar nicht mit irgendetwas Besonderem gerechnet hatte, zuckten seine Augenbrauen für einen Moment überrascht, bevor er dem Kellner huldvoll zunickte, ohne ein weiteres Wort zu sagen. Itzli und Bastet wechselten einen vielsagenden Blick miteinander, verschoben alle Kommentare jedoch auf später, da die Göttin zuerst noch etwas zu Essen bestellen wollte. Die Enttäuschung des Kellners, dass sie offenbar nichts auf der Karte so sehr ansprach, dass sie es sofort bestellen wollte, war ihm deutlich anzusehen. Vermutlich hatte der Koch allerdings wirklich nichts gegen eine Herausforderung einzuwenden, wenn er an einem Ort wie diesem arbeitete. Bastet konnte sich gut vorstellen, dass er hier mit einigen davon konfrontiert wurde. Ganz besonders, wenn die Kellner jedem Gast gleich anboten, alle Extrawünsche zu äußern, bevor dieser auch nur danach gefragt hatte – aber vielleicht gab es diesen speziellen Service ja auch nicht für jeden.
„Ehrlich gesagt hatte ich auf ein Gericht mit Fisch gehofft – vielleicht Rotbarsch mit Parmesan-Spaghetti oder Zander mit Maronen und Steinpilzen? Aber nur, wenn es nicht zu viele Umstände macht. Ich werde bestimmt auch mit Mac ’n Cheese glücklich“, erklärte Bastet, sah dem Kellner dabei erneut direkt in die Augen und zog zwei ihrer Braids über die Schulter nach vorn. Sie ließ die kleinen Zöpfe der ganzen Länge nach zwischen Zeige- und Mittelfinger entlang gleiten, bevor sie ihre Hand, fast wie zufällig, näher an dem Werwolf auf den Tisch zurück legte, als sie sich zuvor befunden hatte.
Sie fragte sich, ob sie wohl gerade einen unschuldigen Angestellten dazu verurteilte, überhaupt so kurzfristig noch einen Fisch für sie aufzutreiben, weil der Kellner es ihr gerne Recht machen wollte. Natürlich hätte sie das problemlos umgehen können, indem sie keine derartigen Extrawünsche geäußert, sondern einfach nur das Mac ’n Cheese bestellt hätte, aber sie liebte nun einmal Fisch, und es war ja nicht so, als würde sie nicht auch planen, ein großzügiges Trinkgeld zu hinterlassen, wenn das Rack ’n Roll ihren angeblichen ‚Starallüren‘ nachkam. Aber was konnte eine Göttin schon dafür, vielleicht ein wenig verwöhnt zu sein? Wenn alles stimmte, was man sich über dieses Restaurant erzählte, dann würde der Koch ihr sicherlich etwas Besseres vorsetzen, als nur ein lieblos in der Pfanne aufgewärmtes Stück Tiefkühlforelle – und auch wenn sie selbst eine andere Diät als der Vampir bevorzugte, so war sie doch auch bereits ein wenig neugierig, welches Extra Itzli sich wohl gerade bestellt hatte.
Als Cat Zayne offenbarte, wonach es ihr eigentlich gelüstete, hätte er beinahe mit dem Kopf geschüttelt. Natürlich. Darauf hätte er auch selber kommen können. Fisch war etwas, was das Rack nur selten auf der Karte führte. Nicht unbedingt, weil Josh ihn nicht hätte zubereiten können, aber er hegte in der Regel eine Aversion gegen Gewässer und damit verbunden auch Fische. Es bedurfte in der Regel ein bisschen Überzeugungskraft, aber das viel größere Problem war eher das Lager. Zayne wusste nicht, ob sie überhaupt Fisch auf Lager hatten.
„Ich werde nachsehen lassen, was wir in der Küche zaubern können. Nur ob wir explizit Ihre genannten Gerichte umsetzen können, dürfte sich als schwierig erweisen“, wandte er ein und bemerkte, wie schwer ihm diese Worte fielen. Fast so, als würde er alles in seiner Macht Stehende tun, nur um ihr nicht widersprechen zu müssen.
Er hatte seinen Einwand gerade ausgesprochen, da fischte Cat nach ihren Braids und nötigte ihn dazu, den Blickkontakt dafür abzubrechen. Mit seinem Blick folgte er jedem Zentimeter, den sie ihre Braids ihre Hand entlang gleiten ließ. Er hing auch dann noch an ihrer Hand, als sie diese unverfänglich näher zu ihm an den Tisch legte.
Er riss seinen Blick von ihrer Hand los und begegnete wieder ihrem Blick. „Falls sich gravierende Dinge ändern sollten, gebe ich Bescheid. Ich bringe Ihnen erst einmal etwas zu trinken.“
Damit nickte er dem Vampir und auch Cat zu, wobei sie in den Genuss eines dezenten Lächelns kam. Dann wandte er sich ab und ging zurück zur Bar, wo er Tom die Limonade auftrug und sich selbst in der Küche um den roten Drink kümmern würde. Bevor er jedoch abziehen konnte, hielt Tom ihn am Ärmel zurück. „Was ist da denn gerade zwischen euch abgegangen?“
Zayne blickte den älteren Mann irritiert an. „Was meinst du? Wenn du denkst, ich habe Fanallüren raushängen lassen, muss ich dich leider enttäuschen.“
„Quatsch, dafür bist du zu professionell. Aber das war nicht normal wie ihr euch angesehen habt.“
Der Werwolf blinzelte. „… Das hast du nicht gerade wirklich gesagt.“
Tom stutzte und überdachte seine Worte. Als es ihm auffiel, hatte sich Zayne schon befreit und war in die Küche verschwunden.
Die Küche war relativ klein und hätte einen Trupp von Köchen nicht stemmen können. Manchmal gab es ein wenig Schwierigkeiten mit dem Gesundheitsamt, aber Tom kannte einfach zu viele Persönlichkeiten mit Rang und Namen, die kritische Gutachter einfach verschwinden lassen konnten. Deswegen wusste auch kaum einer von dem Gargoyle, der gerade vor einer Ablage stand, auf der mehrere kleine Schälchen drapiert worden waren. Josh war ein großes Exemplar aus dunkel marmoriertem Granit. Seine Flügel waren ausgestreckt fast drei Meter breit und er hatte sie während der Arbeit grundsätzlich so platt es nur ging an seinen Körper angelegt. Er war fast auf Augenhöhe mit dem Werwolf, aber dabei fast doppelt so breit. In der Vergangenheit mussten sie immer wieder die Fliesen auf dem Boden austauschen, wenn Josh einmal zu kräftig stampfte. Er war einfach viel zu schwer, wobei Gewicht ein Kompliment unter Gargoyles war.
„Josh, wir haben eine Celebrity hier“, ließ Zayne den Koch wissen, der mit einer Klaue geriebenen Käse aus einer Schale fischte und sich in den Mund steckte. „Du hast nicht ganz zufällig noch irgendwo was fischiges versteckt?“
Bei dem Wort Fisch spie der Gargoyle die Käsefetzen direkt wieder aus und starrte Zayne mit bernsteinfarbenen Augen an. „Isch hab doch geschagt, du schollst die Käschenudeln anbieten“, zischte er und es hatte Zayne viel Zeit gekostet ehe er wusste, wann das Zischen wirklich böse gemeint war und wann nicht.
„Hab ich.“ Zayne zog ein Cocktailglas aus dem Regal über seinem Kopf und ging dann zu dem kleinen Extrakühlschrank, um dort eine Blutkonserve in abgepackter Getränkemenge rauszuholen. „Aber es ist Cathrine Jackson und ich hab das Gefühl, dass sie bei unzureichender Leistung entsprechend schlechte Publicity verbreiten wird.“
Natürlich war das komplett erstunken und erlogen. Selten las man Beiträge darüber, dass Cat irgendetwas gezielt schlecht machte. Das war einfach nicht ihre Art. Nur wollte Zayne alles Mögliche tun, um ihrem Wunsch irgendwie nachzukommen. „Also?“
„Kratz mir die Zinne….“, murrte Josh und schob sichtlich genervt die Schalen mit Käse zur Seite. „Isch hab keinen Fisch hier.“
„Kannst du welchen besorgen?“
„Bin isch die Wohlfahrt?!“
„Komm schon. Ich hol dir auch lebendiges Moos aus Norwegen. Importiert. Vom Stein gekratzt.“
Josh beäugte Zayne mit Skepsis in seinen waagerecht geschlitzten Augen. Die Verlockung war einfach viel zu groß und wann kam ein Gargoyle schon mal in den Genuss von echtem norwegischem Moos? Sie besaßen keine Konten oder Ausweise. Entsprechend wertvoll war diese Bezahlung für ihn.
„Na schön. Aber isch beschtimme dasch Gerischt.“
„Aber sicher doch, Josh“, sagte Zayne zufrieden und drapierte gerade das kleine Extra auf der Lippe des Glases. „Ich richte ein bisschen mehr Wartezeit ein.“ Damit bewaffnete sich Zayne mit dem Cocktailglas und verließ die Küche, während sich Josh auf den Weg zur Hintertür machte. Im Dunkeln konnte er ihn guten Gewissens fliegen lassen – tagsüber stand das natürlich außer Frage.
Als Zayne zurück an die Bar trat, um dort die Limonade auf sein Tablett zu laden, saß jemand Neues direkt vor dem Tresen auf dem Hocker. Der Mann, der nur ein wenig älter zu sein schien als Zayne, hatte dunkle Haare und trug einen langen Ledermantel, der ihm schwer um die Schultern fiel. Er sah ein wenig mitgenommen aus, das Gesicht war zerfurcht und seine Augen besaßen einen Blauton, der viel zu intensiv für einen Menschen zu sein schienen. Er hatte schon ein Glas Whiskey vor sich stehen und schien erst zu erwachen, als Zayne zurückkam.
Der den Kerl wiederum eiskalt ignorierte.
„Hey Morin. Hätte gedacht, es sei ein Scherz als es hieß, du wärst hier abgestiegen“, grinste der Typ Zayne schief an und lungerte halb über den Tresen, dass sogar Tom ihn fragend ansah.
„Nein, ich arbeite jetzt hier und wäre froh, wenn du Leine ziehst, Hayes“, erwiderte Zayne nicht nur kühl, sondern eiskalt. Er nahm sich sein Tablett und ließ Hayes ohne mit der Wimper zu zucken sitzen. Dennoch fühlte er seine Blicke im Rücken, als er zu dem Tisch mit Cathrine und ihrer Begleitung zurückkehrte.
Hayes war der direkte Unterstellte vom Alpha des Hudson Rudels. Vor Jahren hatten sie versucht, Zayne in ihr Rudel zu ziehen, doch er hatte abgelehnt und sich sehr eindeutig widersetzt. Da der Alpha sich das nicht hatte leisten wollen, versuchten sie seit je her ihn zu werben. Die Stelle, die ihm eigentlich angedacht worden war, bekleidete nun Hayes und dieser arrogante Mistkerl sah seine Position selbst durch Zaynes Passivität gefährdet. Was dazu führte, dass sich Hayes in dumme Probleme verstrickte.
Währenddessen stellte Zayne Cathrine ihre Limonade, garniert mit einer Scheibe Limette, hin und tat das gleiche für ihre Begleitung. Das Extra, das er angekündigt hatte, war ein Stück Lebkuchen, den er mit einem Zahnstocher gespickt über das Glas gehängt hatte. „Ich habe mir sagen lassen, dass Liebhaber den Wein selten mit Schokolade und noch seltener mit Gewürzen getrunken haben. Das Erlebnis sei entsprechend aufregend“, erklärte er dem Vampir das aufgespießte Gebäck. „Sind natürlich ein paar zusätzliche Gewürze drin. Gibt aktuell ja noch keinen Lebkuchen.“
Er schmunzelte und wandte sich dann Cathrine zu. „Ich hoffe, es passt Ihnen, wenn Sie ein wenig warten müssen. Besondere Gäste erwarten von uns eine besondere Hingabe.“
„Zenny! Kommst du mal kurz?“
Wohl oder übel musste sich Zayne von Cathrine losreißen und sich Tammy zuwenden. Mit großen Schritten kam er zu ihr herüber. „Doch umentschieden?“
Die Sexarbeiterin schürzte die Lippen. „Ich hab’s mir überlegt. Ich nehm doch deine Empfehlung, ja?“
Zayne lächelte. „Sicher.“
Also noch mal eine Runde in die Küche und einen Zettel für Josh hinhängen. Geschäftig machte sich der Werwolf auf den Weg, wobei sein Blick nur flüchtig über Hayes glitt, der schon halb vom Stuhl gerutscht war. Gut so. Sollte er sich scheren und es ein andermal probieren. Zayne verschwand in der Küche, beschrieb einen Zettel mit der Bestellung und piekte den Zettel auf den Bestellspieß.
Als er zurück in den Schankraum kam, fiel ihm fast sämtliche Farbe aus dem Gesicht.
Hayes hatte in der Tat seinen Platz verlassen. Dafür stand er nun unmittelbar vor Cathrines Tisch und sprach sie an. Er hatte die Hände in die Hüften gestemmt und sein arrogantes Grinsen aufgesetzt, welches Zayne so sehr hasste. Ihm war egal, was der Typ zu ihr sagte. Er hatte es nur nicht jetzt bei ihr zu tun.
Lautlos wie ein Schatten bewegte sich Zayne, der nicht mehr viel darüber nachdachte, was er gerade tat. Er tauchte hinter Hayes auf und legte ihm eine seiner großen Hände auf die Schulter. Hayes, der gerade noch irgendwas von der Stärke seines Rudels gefaselt hatte, verstummte und drehte sich zu Zayne um. „Was? Jetzt willst du doch reden?“
„Wir gehen dafür nach draußen“, verlangte Zayne, dem man anhören konnte, dass unter der ruhigen Fassade mehr brodelte. „Jetzt.“
„Aber ich unterhalte mich doch so gut mit Cat“, beschwerte sich Hayes theatralisch und Zaynes Finger bohrten sich in dessen Schulter. „Hey, hey, Piano hier. Wenn ich schon mal die Chance hab, dann nutz ich die auch.“
„Jetzt“, wiederholte Zayne und riss Hayes einfach vom Tisch weg. Mit groben Schüben dirigierte er den anderen Wolf zur Tür. Hayes gestikulierte beleidigt mit seinen Händen, sperrte sich aber nur halbherzig gegen Zayne, der mit ihm draußen vor der Tür verschwand und sie hinter sie beide zu warf.
Es vergingen gut drei Minuten, dann erschien Zayne wieder im Rack. Aus seinem Haar hatten sich ein paar Strähnen gelöst, aber sein Hemd saß noch makellos. Mit raumgreifenden Schritten durchquerte er den Raum, wobei er seine rechte Hand immer wieder ballte und entspannte. Absichtlich schaute er dabei nicht zu Cathrines Tisch – er ahnte bereits, welche Wirkung er gerade ausstrahlte. Das jedenfalls bestätigte ihm Jocelyn, die ihn plötzlich sehr interessiert ansah und dezent mit ihrem Zeigefinger gegen ihre eigene Nase tippte. Wissend lächelte sie ihn an, als er an ihrem Tisch vorbeikam. Ja, er strahlte gerade mehr von der Aura aus, die er sonst immer so gerne versteckte. Und ja, Vampire wie sie rochen das Blut, das in winzigen Sprenkeln am Saum seines Hemdes klebte.
Selbst Tom, der als Mensch keine Antennen für die Auren von magischen Wesen hatten, betrachtete seinen Kellner argwöhnisch. Der Mann kannte die Geste, mit der Zayne sich jetzt ein Geschirrtuch schnappte und ein Glas abtrocknete, damit seine Hände etwas zu tun hatten.
„Du bist sonst nicht zu kurz angebunden, was deine Geduld angeht“, bemerkte Tom.
„Für gewöhnlich hält sich hier auch niemand aus einem Rudel auf“, gab Zayne betont ruhig zurück, wobei er wirklich darauf achten musste, dass man das Knurren aus seiner Stimme nicht mehr heraushören konnte. „Der kommt erst mal nicht wieder.“
„Wenn du das meinst.“
„Ich freu mich schon darauf“, antwortete Bastet dem Kellner, nachdem dieser versichert hatte, die Getränke vorbeizubringen und sich in der Küche für sie nach den Möglichkeiten zu erkundigen, vielleicht doch einen Fisch zu bekommen. Sie sah ihm noch einen Augenblick nach, als er sich auf den Weg machte und ihre Gedanken waren gerade dabei, abzuschweifen, als Itzli sie mit wenigen Worten in die Gegenwart zurückholte.
„Denkst du, wir bekommen diese Woche eine authentisch emotionale Reaktion aus Zoey heraus?“, wollte er wissen, wobei er sich auf die achtjährige Nachwuchsschauspielerin bezog, die aktuell Cathrines Film-Tochter darstellte. Die Kleine hatte zwar durchaus Talent, aber natürlich fast keine Erfahrung – und mit Kindern zu arbeiten war ohnehin nie wirklich einfach. Da sie aber beide darauf aus waren, mit ihrer aktuellen Zusammenarbeit endlich das goldene Trio in einem einzigen Film zu erreichen – die Oscars für den besten Film, beste Regie und beste Hauptdarstellerin – machte das Thema Itzli schon seit dem Casting ziemlich nervös.
„Mach dir da Mal keine Sorgen, Richie. Ich kenne da einen Regisseur, der sie sicherlich zu einer phänomenalen Leistung führen wird, wie sie seit E.T. nicht mehr von Kindern gespielt wurde – aber müssen wir wirklich über die Arbeit reden? Ist dir nicht zum Beispiel auch aufgefallen, mit welcher Begeisterung sie Freundschaftsarmbänder für wirklich jeden am Set knüpft? Sie hat nämlich nicht nur Talent, was die Schauspielerei angeht, sondern auch wirklich ein gutes Auge für Farben!“
Natürlich mochte Bastet die Arbeit als Schauspielerin, und sie war geradezu süchtig nach dem Ruhm, der damit einherging, sonst hätte sie sich schon längst wieder etwas anderes gesucht. Aber wenn sie ohnehin den ganzen Tag zusammenarbeiteten, dann brauchten sie außerhalb dieser Zeit nicht auch noch genau darüber zu sprechen. Dazu gab es einfach viel zu viele andere Dinge, die es zu erkunden, zu genießen und daher eben auch zu besprechen galt. Sich immer nur mit einem einzigen Thema zu befassen, langweilte sie viel zu schnell. Itzli hingegen war eher der obsessive Typ, der sich monatelang voll und ganz in einer einzigen Aufgabe verlieren konnte. Dementsprechend war es nur gut, wenn sie ihn hin und wieder auf andere Gedanken brachte, bevor seine Begeisterung für irgendein absurdes Projekt ihn völlig von der Welt entfremdete. Und dazu schob sie nun ihren Ärmel hoch, um ihm das geknotete Bändchen aus Bändern in Flieder und Petrol mit cremefarbenen Perlen darin zu zeigen, dass sie nicht nur zu ihrem aktuellen Outfit inspiriert, sondern auch auf Zoeys Leidenschaft aufmerksam gemacht hatte. Erst nachdem sie das Geschenk erhalten hatte, war ihr aufgefallen, wie viele ihrer Kollegen mit ähnlichen Schmuckstücken ausgestattet worden waren.
„Ich weiß ja nicht, sollte sie in den Drehpausen nicht eigentlich etwas für die Schule tun? Man hört doch immer wieder, dass die aktuelle Generation noch viel schlechter lesen kann und in Mathematik …“, begann Itzli mit einer Antwort, die offenbar gerade in ein die Jungend von heute taugt nichts mehr führten würde, das Bastet aus dem Mund von jemandem in seinem Alter schon irgendwie faszinierend gefunden hätte. Statt das Thema allerdings weiter zu diskutieren, wendeten beide ihre Aufmerksamkeit erst einmal dem Neuankömmling zu, als dieser durch die Tür trat. Ein weiterer Werwolf, daran bestand kein Zweifel und auch dieser schien keinerlei Schwierigkeiten zu haben, festzustellen, dass Cathrine alles andere als ein normaler Mensch war. Nachdem er sie ein wenig zu lange angestarrt hatte, bedachte er erst Itzli und anschließend auch die andere Vampirin im Raum mit äußerst giftigen Blicken, bevor seine Augen nur einmal kurz mit deutlicher Verachtung über den Blutsklaven und die Menschen im Raum glitten. Es war mehr als offensichtlich, dass er außer Bastet jeden in diesem Raum auf die ein oder andere Art verabscheute – und das so offen zu zeigen, wenn man es mit einem Vampir in Itzlis Alter zu tun hatte, brauchte entweder ein sehr großes Ego oder sehr wenig Hirn … möglicherweise sogar beides.
Ohne weitere Umschweife ging dieser neue Werwolf direkt zur Bar, wo er sich einen Whiskey bestellte, den er hinunterkippte und einen zweiten, an dem er sich anschließend festhielt. Die Vampirin und ihren Begleiter hatte Bastet ebenso schnell ausgeblendet, wie die Menschen um sich herum, doch diesen Werwolf würde sie am Rand ihrer Aufmerksamkeit wahrnehmen, solange er sich in der Reichweite ihrer profanen Sinne befand. Denn irgendetwas an ihm passte ihr überhaupt nicht.
„Warum habe ich plötzlich das dringende Bedürfnis, diesen Köter zu töten?“, erkundigte er sich, als müsste Bastet das erklären können, wobei er wieder ins Nahuatl gewechselt war. Eine vernünftige Entscheidung, wenn man sich über plötzliche Mordgelüste unterhalten wollte. Egal wie leise er sprach, es gab unter den Übernatürlichen eine Menge gute Ohren – aber die Anzahl derer, die zusätzlich eine derart archaische Variante des Nahuatl sprachen, das noch nicht völlig von spanischen Lehnwörtern durchzogen war, hielt sich doch eher in Grenzen.
„Kann ich dir nicht sagen, aber mir gefällt er auch nicht“, antwortete sie ihrem Freund ehrlich. Den fremden Werwolf anzustarren würde sicherlich nur zu Problemen führen, doch ohne sich weiter abgesprochen zu haben, richteten die beiden ihre anderen Sinne in seine Richtung aus, in der Hoffnung zu verstehen, was gerade vor sich ging. So entging weder Bastet noch Itzli, dass ihr Kellner – Morin – sich offenbar nicht sonderlich gut mit dem Neuankömmling – Hayes – verstand. Es blieb wohl zu hoffen, dass Bastet und Itzli beide einfach nur die schlechte Stimmung irgendeiner Streitigkeit zwischen zwei Rudeln oder etwas in der Art aufgeschnappt hatten. Nichts, was sie betraf und vor allem nichts, worüber man sich irgendwelche Sorgen machen musste, wenn man nicht selbst darin verwickelt war. Trotzdem war Bastet nun einmal neugierig, wie man es von jeder Katze erwarten konnte. Lediglich der kurze, flehende Blick, den der Vampir ihr zuwarf, hielt sie davon ab, sich sofort bei ihrem Kellner danach zu erkundigen, was zwischen ihm und dem anderen Werwolf vorging. Ihrem Begleiter zuliebe tat sie so, als hätte sie nichts Ungewöhnliches mitbekommen oder würde sich zumindest nicht weiter dafür interessieren.
Itzli ließ sich gerade einmal zu einem kurzen Nicken herab, behielt aber seine kühle Fassade bei, als ihm der besondere Wein mit Lebkuchen serviert wurde.
„Entschuldigen Sie meinen mürrischen Begleiter – ich fürchte, er macht sich immer noch Sorgen, einen Gesichtsmuskelkater zu bekommen, wenn er einmal zu viel lächelt. Vielen Dank jedenfalls – und die Wartezeit macht mir überhaupt nichts aus“, versicherte sie ihm und schenkte ihm ein 10.000 Watt Lächeln, als könnte sie damit Itzlis versteinerte Miene ausgleichen. Bevor ihr Charme allerdings überhaupt eine Gelegenheit zu wirken hatte, wurde ‚Zenny‘ Morin allerdings bereits an einen anderen Tisch gerufen.
„Lebkuchen?“, wiederholte Itzli skeptisch, womit ihm sein Drink serviert worden war.
„Wieso probierst du nicht erst und beschwerst dich später? Vielleicht sagt es dir mehr zu, als du ahnst?“, schlug sie vor und hob ihre eigene Limonade, um mit ihm anzustoßen.
„Auf einen interessanten Abend an einem neuen Ort“, schlug sie immer noch lächelnd vor, woraufhin Itzli ganz offensichtlich beinahe die Augen verdreht hätte.
„Möge er nicht zu interessant werden“, erwiderte Itzli, stieß aber dennoch mit ihr an und probierte. Im nächsten Moment allerdings wurden seine Augen groß. Es war vielleicht nur ein halber Millimeter, doch für ihn war es beinahe so etwas wie eine große Geste. Es reichte noch nicht ganz, damit Bastet sich an ihrer Limonade verschluckte, aber sie vergaß beinahe den Geschmack, den sie selbst im Mund hatte.
„Das schmeckt wirklich phantastisch“, kommentierte der Vampir offensichtlich beeindruckt. Bastets Lächeln wurde zu einem breiten Grinsen, als sie zu einem selbstzufriedenen „Hab ich dir doch gesagt“ ansetzte – doch die letzten Silben verschluckte sie ein wenig. Gleichzeitig wirbelten die Köpfe der beiden Gäste herum, als Werwolf Hayes aufstand und ganz offensichtlich schnurstracks auf ihren Tisch zu ging.
„Du bist Cat Jackson, richtig? In Natura bist du noch viel beeindruckender als auf der Leinwand! Ich kann mich nicht erinnern, jemanden wie dich schon einmal getroffen zu haben … und ich würde mich erinnern, das kannst du mir glauben! Überhaupt bist du neu in der Stadt oder unter uns? Mein Rudel würde dich sicherlich gerne kennenlernen. Wir sind mit Abstand das stärkste Rudel in einem weiten Umkreis, musst du wissen – nicht bloß, weil wir viele sind, jeder Einzelne von uns …“
Der Werwolf redete auf sie ein, ohne ihr die Gelegenheit zu geben, auch nur ein Wort zu dieser Unterhaltung beizutragen und dass auch Itzli am Tisch saß, schien er völlig zu ignorieren. Ein derart unhöfliches Verhalten hätte in weniger zivilisierten Zeiten ein schnelles Ende für jemanden wie ihn bedeuten können, und in Anbetracht der Tatsache, was Itzli bereits über diesen speziellen Störenfried gesagt hatte, projizierte sie einen Gedanken in seinen Verstand, noch während der Werwolf in seinem eigenen Monolog aufging.
*Ich weiß, dass du den unhöflichen Köter töten könntest, ohne dass ein Mensch in diesem Raum etwas bemerkt, du weißt es, und ich in mir ziemlich sicher, die Vampirin dort drüben weiß das auch, mein Bester. Also würdest du uns allen den Gefallen tun, auf eine Demonstration zu verzichten, sodass wir in Ruhe unser Abendessen genießen können?*
Noch während Itzli offensichtlich ihre Worte gegen seine gekränkte Ehre abwog, kam allerdings der Kellner schnellen Schrittes auf sie zu und mischte sich recht deutlich in die Situation ein, indem er Hayes von ihnen weg und vor die Tür zog.
„Sieht so aus, als würde das Personal hier sich für mich sogar darum kümmern. Ich fange an, den Laden immer mehr zu mögen“, stellte der Vampir gelassen fest, nachdem die beiden Wölfe nach draußen verschwunden waren.
Bastet spitze zwar die Ohren, doch mit einer Tür dazwischen, den Gesprächen der anderen Gäste und dem allgemeinen Lärm der Stadt konnte sie nicht viel davon ausmachen, was draußen vor sich ging. Es dauerte jedoch nicht besonders lange, bis Kellner Morin allein wieder hineinkam und Itzli ihr zuflüsterte:
„Das ist blutig geworden – aber nicht für ihn.“
Bastet hatte zwar eine deutlich feinere Nase, als ein Mensch sie nicht nur wünschen konnte, aber es gab kaum ein Wesen auf der Welt, dass es mit einem Vampir aufnehmen konnte, wenn es darum ging, Blutgerüche zu erkennen und einzuordnen, daher hatte er ihr in dieser Hinsicht doch ohne Zweifel etwas voraus und bemerkte mehr als sie. Um allerdings zu erkennen, dass die Laune des Kellners regelrecht ins Bodenlose gesunken war, dazu brauchte man vermutlich gar keine übernatürlichen Fähigkeiten. Wobei er schon vor seinem kleinen Ausflug alles andere als glücklich gewirkt hatte.
„Ich wüsste wirklich zu gerne, was da zwischen den Werwölfen vor sich geht“, verlieh Bastet ihrer Neugier Ausdruck, auch wenn Itzli das bereits vor dem Zwischenfall geahnt hatte.
„Und ich bin einfach nur froh, dass der Zweite sich verdünnisiert hat, sodass wir es nicht herausfinden müssen“, seufzte der Vampir.
„Können wir nicht doch einfach über die Arbeit reden, statt diesen Abend ungemütlich interessant werden zu lassen?“
Diesen Kommentar würdigte sie erst einmal keiner Antwort, sondern probierte endlich mit der gebührenden Aufmerksamkeit ihre Limonade. Sie war vielleicht nichts derart Besonderes wie die Spezialität, die Itzli im Glas hatte, schmeckte allerdings ebenfalls ganz hervorragend.
Zayne brauchte geschlagene fünf Minuten, ehe er sich wieder soweit gefasst hatte, dass er seine übliche nonchalante Ausstrahlung zurückgewonnen hatte. Erst danach begann er, die besetzten Tische abzulaufen und sich nach Wünschen und dergleichen zu erkundigen. Nur um den Tisch von Cat und ihrem Begleiter machte er einen Bogen – der Vampir würde mit Sicherheit riechen können, dass er Hayes nicht nur mit Worten zu seinem Rudel geschickt hatte. Ihm wollte er keinen Grund liefern, um sich bei Cat über die Gewaltbereitschaft eines Kellners lustig zu machen. Außerdem hatte er ihnen bereits mitgeteilt, dass es mit dem Essen eine Weile dauern konnte – für ihn also kein Grund, Cat noch mehr auf die Pelle zu rücken als ohnehin schon. Denn er konnte es sich nicht verkneifen, sie immer wieder flüchtig anzusehen. Wie ein Magnet zog sie seinen Blick auf sich und er begriff nicht, woher diese Faszination stammte. Das musste doch über die üblichen Fanallüren weit hinaus gehen. Obwohl er sie bislang nicht ein einziges Mal live getroffen hatte und sie seinen Namen höchstens von dem Namensschild an seiner Brust kennen mochte, fühlte er eine seltsame Verbundenheit zu ihr. Seit dem Augenblick, als er ihren einzigartigen Duft nach Koriander und Kardamom wahrgenommen hatte.
Sobald Cat ihr Glas geleert hatte, war Zayne doch zur Stelle und fragte nach einem Refill. Ansonsten versuchte er weiterhin die angebrachte Distanz zu wahren, während Josh unterdessen zurückgekehrt war und ihn mit einem Fauchen aus der Küche geschert hatte. Sein Kommentar: „Ein kreativer Geischt braucht Ruhe!“
Auch nach einer Stunde ließ sich Hayes nicht mehr blicken. Darüber hinaus kamen allerdings auch keine weiteren Gäste mehr herein, was den heutigen Abend zu einem Ruhigen machte. Sehr zu Zaynes Gefallen, denn seine Aufmerksamkeit litt stark unter Cats Anwesenheit. So sehr, dass sogar Tom hier und da den jungen Mann ablöste, wenn er seinen Einsatz verpasste oder ein Aufzeigen übersah.
Als die Glocke aus der Küche klingelte glich es einem Befreiungsschlag. Zayne huschte in die Küche, wo er den Gargoyle gerade dabei entdeckte, wie er mit seinen Klauen gehackte Petersilie über ein gedämpftes Fischfilet mit einer schmalen Spur Soße darüber streute. Als Beilage reichte er Rosmarinkartoffeln und es war klar, dass der Fokus einzig auf dem Fisch lag. „Was hast du auftreiben können?“
„Zander“, verkündete Josh selbstzufrieden und richtete sich auf. „Ich will mindeschtensch ein Kilogramm Moosch haben, klar?“
Zayne schmunzelte als er den Teller nahm. „Gib mir ein bisschen Zeit und das sollst du kriegen. Ein Deal ist ein Deal, mein Großer.“
Daraufhin grummelte der Gargoyle zufrieden und widmete sich seinem Käseexperiment in den Schälchen. Der Werwolf verschwand mit dem Teller aus der Küche und rauschte beinahe an Cats Tisch, um den Teller vor ihr abzustellen. Er drehte ihn extra auf die fotogene Seite für sie ehe er sagte: „Gedämpftes Filet vom Zander an Zitronenjus und Rosmarinkartoffeln. Ich entschuldige mich noch einmal für die lange Wartezeit.“ Er spähte zu dem Vampir hinüber, der den Lebkuchen wie erwartet komplett vernichtet und sein Glas geleert hatte. „Einmal auffüllen?“
Zayne nahm sich das Glas, um Cats Begleiter eine zweite Runde zu bringen. Jetzt, wo er etwas für sie zum Essen organisiert hatte, fühlte er sich wesentlich besser und erleichtert. Der Druck, ihren Wunsch zu erfüllen, war abgefallen und die Leichtigkeit in seinen Gang zurückgekehrt. Als er dem Vampir ein zweites Glas brachte, machte Cat gerade Fotos von dem Tisch. Ohne sich einzumischen verschwand Zayne, um seiner restlichen Arbeit nachzugehen.
Irgendwann kam dann der Moment, in dem Cat aufzeigte und nach der Rechnung verlangte. Zayne nickte ihr zu, sie bemerkt zu haben, und stellte sich an die Kasse, um den Beleg auszudrucken. Den ganzen Abend über hatte er sich an ihr sattsehen können. Ihren Geruch abgespeichert und hier und da mit seinen Ohren Schnipsel aus ihrer Unterhaltung aufschnappen können. Die Medien wurden ihrer Stimme nie und nimmer gerecht, das wusste er jetzt.
Als er den Beleg in die Hand nahm, zögerte der Werwolf einige Augenblicke. Eindringlich starrte er auf den Zettel hinab. Es wäre ein vager Vorstoß. Dezent, und vielleicht übersehen, aber nicht aufdringlich. Eine versteckte Notiz, die ein wenig die Hoffnung fütterte, die ihm innewohnte. Also schrieb er in einem unbeobachteten Moment seinen Namen und Handynummer auf die Rückseite des Belegs, ganz klein am unteren Rand. Sein Herz klopfte. Er fühlte sich leicht. Das war Nervosität, wie er sie schon lange nicht mehr gespürt hatte.
Nur mimte Zayne ganz den entspannten Kellner, als er an Cats Tisch erschien und die Rechnung in einer dunklen Kladde auf den Tisch zwischen ihr und dem Vampir legte. Er würde sich nicht erdreisten, einem von beiden die Rechnung eigenmächtig zu zuschieben.
„Ich hoffe, Sie hatten heute einen angenehmen Abend hier. Es wäre schön, wenn Sie bei Gefallen das ein oder andere gute Wort über das Rack verlieren könnten. Das würde den Besitzer sehr freuen. Kann ich Ihnen sonst noch etwas Gutes tun?“, fragte er abschließend, wobei er den Vampir nur flüchtig ansah und dann die letzten Momente von Cats Gesicht in sein Gedächtnis brannte.
Schauspielerin und Regisseur sprangen noch durch einige Gesprächsthemen hindurch, bis Itzli sich erkundigte, ob Bastet glaubte, der animierte Herr der Ringe Film würde wohl etwas taugen. Diese Frage verwickelte die beiden in eine längere Diskussion über Tolkiens Werke, die sie beide beschäftigte, bis Bastets Essen gebracht wurde. Es kündigte sich bereits durch einen absolut köstlichen Geruch an, bevor es tatsächlich in Sichtweite kam und war durchaus hübsch angerichtet. In dieser Hinsicht war es das Warten schon einmal wert gewesen.
„Sie haben tatsächlich einen Zander für mich gefunden? Das freut mich wirklich sehr!“, bedankte sie sich und schloss für einen Moment genießerisch die Augen, um das Aroma noch besser wahrnehmen zu können und die Vorfreude auf ein gutes Essen weiter zu steigern.
Nachdem Itzli sich ein zweites Glas der Hausspezialität für seine Spezies bestellt hatte und alles passend fotografiert worden war, probierte sie dann endlich und stellte fest, dass der Fisch auch geschmacklich wirklich keine Wünsche offenließ.
Während Bastet aß und Itzli seinen Lebkuchencocktail genoss, begann die Diskussion über Tolkiens Arbeit allerdings in eine Richtung abzudriften, die sie in der Öffentlichkeit, selbst an einem so paranormal frequentierten Ort wie diesem Restaurant, nicht unbedingt einschlagen wollten. Sie beide sahen schlicht nicht alt genug aus, um den Professor persönlich gekannt zu haben. Da sie aber schon so tief in ein offensichtlich nerdiges Thema versunken waren, schwärmte Bastet ihrem Kumpel stattdessen von einem Buch vor, das sie kürzlich entdeckt hatte. Der Autorin war es auf die Nerven gegangen, dass dank Tolkien so ziemlich jede gute Fantasy-Welt an das europäische Mittelalter angelehnt war – also hatte sie ihr eigenes Buch geschrieben, in dem die Welt zwar ebenfalls voller Magie, aber von hauptsächlich westafrikanischen Kulturen inspiriert war.
Insgesamt war es eindeutig ein gelungener Abend, den sie sicherlich noch eine Weile hätten fortsetzen können. Da sie allerdings am nächsten Tag arbeiten mussten, wollte zumindest Bastet ihn auch nicht zu sehr in die Länge ziehen, weshalb sie bereits kurz nachdem sie alles verspeist hatte nach der Rechnung verlangte.
Es dauerte nicht lange, bis ihr Kellner – ‚Zenny‘ Morin hieß tatsächlich Zayne, wie sie seinem Namensschild inzwischen entnommen hatte – diese vorbeibrachte und sie bat, vielleicht ein gutes Wort über das Restaurant zu verlieren, wenn es ihr gefallen hatte.
„Nichts lieber als das, nachdem Sie sich so viel Mühe gegeben haben, einen Fisch für mich aufzutreiben! Aber ich glaube, für heute Abend sind wir erst einmal ausreichend versorgt, vielen Dank“, versicherte sie ihm, zumal sie ja ohnehin bereits die Fotos für ‚die perfekte Instagram-Trilogie‘, wie Itzli es nannte, auf dem Handy hatte.
Anschließend griff sie nach der Mappe, in der sich die Rechnung befand und stellte fest, dass sie tatsächlich andernorts schon das Zehnfache für schlechteres Essen gezahlt hatte. Nachdem sich aber die Küche nicht nur ihretwegen solche Mühe gemacht, sondern Zayne auch noch einen unhöflichen Gast sehr effizient von ihrem Tisch entfernt hatte, entschied sie sich, ihr Trinkgeld noch ein wenig üppiger als ohnehin geplant ausfallen zu lassen. Sie hatte mehr als genug Geld und genoss es durchaus, dieses auch wieder unter die Leute zu bringen. Ganz besonders unter Leute, die es sich offensichtlich verdient hatten und denen es vermutlich deutlich mehr bedeuten würde als ihr. Also rundete sie den Betrag erst einmal um etwa 15 % auf und legte dann das Zehnfache des Ergebnisses in die Mappe. Außerdem drehte sie die Rechnung um, weil sie eine ich hoffe, die Küche bekommt ihren Anteil vom Trinkgeld ab, beste Grüße, Cat Jackson Notiz darauf hinterlassen wollte, immerhin hatte sie nicht nur dem Kellner, sondern vor allem wohl dem Koch besondere Umstände gemacht.
Allerdings fand sie die Rückseite nicht leer vor, wie sie es erwartet hatte. Stattdessen stand dort, recht klein und an den Rand geschrieben, Zaynes Namen und eine Zahlenfolge, die sehr nach einer Handynummer aussah.
„Dem hast du es offenbar ganz schön angetan“, kommentierte Itzli, als er bemerkte, weshalb Bastet einen Moment zögerte.
„Ich habe diesen Effekt auf die meisten Leute, Richard. Ich würde behaupten, fast jeder Kellner, der mich je bedient hat, war auch angetan von mir – aber die wenigsten haben die Eier, es mir auch zu sagen, selbst wenn es nur vorsichtig und indirekt ist“, behauptete sie. Vielleicht war es ein wenig arrogant, dermaßen von sich selbst überzeugt zu sein, aber Artemis und sie waren sich schon vor sehr langer Zeit über eine Sache einig geworden: Es kann keine Hybris sein, wenn man eine Göttin ist!
Grinsend riss sie das Stück der Rechnung mit der Nummer darauf ab und steckte es ein, bevor sie ihre Nachricht aufschrieb und zusammen mit dem Geld zurück in die Mappe steckte. Nachdem sie ein Uber bestellt und ihre Insta-Story mit einer warmen Empfehlung für das Rack ’n Roll verfasst und gepostet hatte, verließen der Vampir und die Göttin das Restaurant und gingen kurz darauf getrennter Wege. Sie fragte ihn nicht, was er vorhatte, doch da Vampire nicht schlafen konnten, fand er immer die ein oder andere Beschäftigung – vermutlich allerdings würde er einfach arbeiten. Bastet hingegen musste zwar nicht unbedingt schlafen, aber sie tat es tatsächlich einfach gern. Was sollte man von einer Katze auch anderes erwarten?
Auf dem Weg zurück ins Hotel tauschte sie schnell ein paar kurze Nachrichten mit ihrer Katzensitterin aus, die Dusk, Dawn und Midnight versorgte. Dusk war wieder einmal ein wenig zickig, wenn es um das Einnehmen seiner Medikamente ging, doch davon abgesehen ging es ihren drei kleinen Problemkindern recht gut. Als sie in dieser Hinsicht beruhigt und mit einigen Fotos der Drei versorgt worden war, holte sie den abgerissenen Zettel hervor, um Zaynes Nummer abzuspeichern. Sie hatte durchaus vor, ihm zu schreiben, allerdings war sie sich nicht sicher, ob er Zeit für sie würde erübrigen können, solange sie in der Stadt war – denn so, wie sie ihre Community kannte, würde in seinem Restaurant ab Morgen vermutlich sehr viel mehr Betrieb herrschen, als es an diesem Abend noch der Fall gewesen war.
Am folgenden Tag ließ Bastet sich das Frühstück auf ihr Hotelzimmer bringen und genoss den Luxus von Kaffee und Croissants im Bett. Sie sprang anschließend kurz unter die Dusche und machte sich dann wie üblich ungeschminkt, mit Sonnenbrille auf den Weg zum Set, um den Makeup-Artists die Arbeit zu ersparen, sie erst wieder abschminken zu müssen, bevor sie ihr Rollen-Makeup bekam. Es stellte sich jedoch heraus, dass sie an diesem Tag gar nicht in die Maske musste, sondern einen sehr entspannten Tag genießen konnte, an dem sie selbst gar nicht wirklich vor der Kamera stand. Itzli wusste, dass sie notfalls auch unter Zeitdruck in letzter Sekunde eine Menge gute Takes abliefern konnte, weshalb er erst einmal Zoeys Parts alle Zeit der Welt widmen wollte, die es brauchte, um diese perfekt hinzubekommen. Die Rolle der Tochter war es in diesem Fall, panisch durch die Straßen zu rennen und außerdem ein verzweifeltes Telefonat mit ihrer Mutter zu führen. Um es ihr möglichst leicht zu machen, lieferte Bastet daher ihren Teil des Gesprächs, der später im Studio aufgezeichnet werden würde, bereits hinter der Kamera ab, sodass Zoey tatsächlich ein Gespräch führen konnte, statt seltsame, kleine Pausen zwischen ihren Sätzen zu lassen und vor allem passend auf die Worte ihres Gegenübers reagieren konnte, wenn sie diese hörte.
Tatsächlich lief der Dreh zumindest in Bastets Augen ganz erfolgreich und auch die restliche Crew ging offenbar recht zufrieden in die Mittagspause. Da sie sich ungern in das erste Gedränge am Buffet stürzen wollte, wartete sie ab, bis dieses sich ein wenig gelegt hatte, und nutzte die Zeit, eine Nachricht an die am Vorabend erhaltene Nummer zu schreiben.
Hi Zayne, hier ist Cat. Wie läuft dein Tag?, tippte sie schnell ein und schickte die Nachricht ab. Anschließend nahm sie ein kurzes Video auf, in dem sie darüber scherzte, wie dramatisch es war, wenn man sich darauf verließ, am Set für die eigene Rolle geschminkt zu werden, um dann unerwartet den ganzen Tag ungeschminkt herumzulaufen, weil man seine Zeit plötzlich hinter der Kamera verbrachte. Das Ganze unterlegte sie in der zweiten Hälfte mit dem lächerlichsten Makeup-Filter, den sie finden konnte und fügte dem Ergebnis noch die schriftliche Notiz dazu, dass Insta sich schämen sollte, dass dieser Filter sie nicht nur schminkte, sondern sie auch zu einer Weißen zu machen versuchte. Damit war ihr erster Post für den Tag erledigt – und die Rack-Bilder vom Vortag hatten sich was Likes und Kommentare anging, auch sehr gut gemacht.